Dexter | Der letzte Tag | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Dexter Der letzte Tag

Kriminalroman. Ein Fall für Inspector Morse 13
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-293-31036-0
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman. Ein Fall für Inspector Morse 13

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-293-31036-0
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Tod von Yvonne Harrison beschäftigt das Thames Valley Police Department bereits seit einem Jahr. Gefesselt und geknebelt starb sie auf ihrem eigenen Bett, und alles deutet darauf hin, dass sie sich freiwillig in diese Lage begab. Anonyme Anrufe bringen neue Bewegung in den Fall - ein Rätsel, wie geschaffen für Inspector Morse. Doch aus unerklärlichen Gründen wehrt er sich dagegen, den Fall offiziell zu übernehmen. Seinen langjährigen Partner Sergeant Lewis quält mehr und mehr der Verdacht, dass der große Morse ein dunkles Geheimnis hat.

Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft und war erst als Oberstufenlehrer und anschließend als Prüfer an der Oxford-Universität tätig. 1973 schrieb er Der letzte Bus nach Woodstock. Es folgten dreizehn weitere Fälle für Inspector Morse, die als Fernsehserie verfilmt wurden. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mehrmals mit dem CWA Gold Dagger. Für sein Lebenswerk wurde Dexter mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.
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2


Wenn Napoleon sein Adlerauge über die Liste der zur Beförderung vorgeschlagenen Offiziere wandern ließ, pflegte er neben bestimmten Namen am Rand zu vermerken: »Aber hat er auch eine glückliche Hand?«

Felix Kirkmarkham, The Genius of Napoleon

Ich störe doch nicht?«

Morse antwortete nicht direkt auf die Frage, aber für die meisten seiner Zeitgenossen wäre die schicksalsergebene Miene Antwort genug gewesen.

Für die meisten seiner Zeitgenossen.

Er war genötigt, die Tür bis zum Anschlag aufzumachen, damit sein unerwarteter Besuch durch die relativ schmale Öffnung passte.

»Ich störe doch nicht …«

»Nein, nein. Es ist nur …«

»Also, ganz ehrlich, alter Freund …« Chief Superintendent Strange horchte mit schief gelegtem Kopf zum Wohnzimmer hin. »Ob ich Sie störe, ist mir verdammt egal. Mir wars nur unangenehm, dem alten Schubert in die Quere zu kommen.«

Wie schon so oft im Lauf ihrer Bekanntschaft ertappte sich Morse dabei, dass er seine Meinung über den Mann revidieren musste, der jetzt geräuschvoll schnaufend seinen mächtigen Leib auf einem Sessel unterbrachte und bequem zurechtrückte.

Morse hatte sich längst abgewöhnt, Strange nach Getränkewünschen zu fragen. Wenn Strange Alkoholisches oder auch Nichtalkoholisches zu trinken wünschte, pflegte er das sofort und ohne Umschweife kundzutun.

»Ist das Single Malt, was Sie da trinken, Morse?«

Erst nachdem Morse das Glas seines Besuchers einmal und noch ein zweites Mal gefüllt hatte, kam Strange auf den Zweck seines abendlichen Besuchs zu sprechen.

»Die Zeitungen – sogar die Boulevardblätter – haben mich mal wieder groß rausgebracht. Haben Sie die gestrige Times gelesen?«

»Ich lese nie die Times.«

»Was? Das verdammte Blatt liegt doch da drüben auf dem Couchtisch!«

»Nur wegen des Kreuzworträtsels. Und der Leserbriefe.«

»Nicht wegen der Todesanzeigen?«

»Die überfliege ich allenfalls.«

»Um festzustellen, ob Sie drinstehen?«

»Um festzustellen, ob Jüngere als ich dabei sind.«

»Wie bitte?«

»Wenn sie jünger sind als ich, habe ich – das hat mir mal ein Statistiker erklärt – eine etwas bessere Chance, älter zu werden als der Durchschnitt.«

»Hm.« Strange nickte, schien aber nicht ganz bei der Sache zu sein. »Haben Sie Angst vor dem Tod?«

»Ein bisschen schon.«

Strange griff unvermittelt nach seinem zweiten Scotch und kippte ihn in einem Zug hinunter, wie ein Besucher der russischen Botschaft den Begrüßungswodka.

»Und wie stehts mit Fernsehen, Morse? Haben Sie gestern Abend die Nachrichten aus dem Südosten gesehen?«

»Ich habe zwar einen Fernseher und auch einen Videorekorder, aber irgendwie komme ich nie dazu, den Kasten anzustellen, und mit dem Videorekorder schlage ich mich mehr schlecht als recht herum.«

»Und wie wollen Sie dann durchschauen, was draußen in der großen weiten Welt vorgeht? Von Ihnen wird erwartet, dass Sie wissen, was läuft. Als Kriminalbeamter, Morse …«

»Ich informiere mich über den Rundfunk …«

»Rundfunk! Seit dreißig Jahren sagt jeder vernünftige Mensch ›Radio‹.«

Morse nickte unbestimmt, aber Strange fuhr schon fort: »Bloß gut, dass ich das hier mitgebracht habe.«

Morse hätte ihn gern darauf hingewiesen, dass auch aufmerksame Times-Leser durchaus in den Geruch einer gewissen Rückständigkeit kommen konnten, hielt dann aber doch lieber den Mund und las langsam und konzentriert den fotokopierten Artikel, den Strange ihm in die Hand gedrückt hatte. Morse las immer langsam.

MORDDEZERNAT SUCHT ANONYMEN ANRUFER

Ein anonymer Anrufer lieferte der Polizei Informationen, welche zur Ergreifung des Mörders von Mrs Yvonne Harrison führen könnten, die vor einem Jahr mit Handschellen gefesselt tot aufgefunden worden war. Die Kriminalpolizei appellierte gestern an den Anrufer, sich noch einmal zu melden. Für den Mord an der achtundvierzigjährigen Krankenschwester in dem Dörfchen Lower Swinstead in Oxfordshire, deren Mörder durch ein Fenster im Erdgeschoss eindrang, hat sich bislang kein eindeutiges Motiv ergeben.

Laut Chief Superintendent Strange von der Thames Valley Police rief der Mann zweimal an. »Wir haben das größte Interesse daran, baldmöglichst wieder von dem Anrufer zu hören, und werden seine Mitteilungen natürlich streng vertraulich behandeln. Die Anrufe waren nach unserer Meinung kein schlechter Scherz, und der Anrufer war, soweit wir das beurteilen können, auch nicht selbst der Mörder, aber wir erhoffen uns von ihm einen wesentlichen Beitrag zur Aufhellung dieses brutalen Mordfalls.«

Mrs Harrisons Ehemann Frank hielt sich zur Tatzeit in London auf, wo er für die Swiss Helvetia Bank tätig ist. Simon, der Sohn des Hauses, arbeitet im Verlag Daedalus Press in Oxford, die Tochter Sarah ist Assistenzärztin im Diabeteszentrum der Radcliffe Infirmary in Oxford.

Hatte Morse beim Lesen des letzten Satzes die Augen leicht zusammengekniffen? Nicht ausgeschlossen, dass ihn etwas daran verwundert oder sein Interesse geweckt hatte, aber er enthielt sich jeden Kommentars dazu.

»Ich darf doch annehmen, dass die ›Aufhellung‹ nicht auf Ihrem Mist gewachsen ist?«, fragte er seinen Vorgesetzten.

»Na, hören Sie mal! Sie kennen doch den schlampigen Stil dieser Zeitungsfritzen.«

Morse nickte und gab den fotokopierten Artikel zurück.

»Nein, behalten Sie ihn, Morse. Ich habe das Original.«

»Sehr liebenswürdig, aber –«

»Interessiert Sie die Meldung nicht?«

»Nur der Schluss, wo vom Radcliffe die Rede ist.«

»Warum das?«

»Sie wissen ja, dass ich dort mal gelegen habe, nachdem sie mich diagnostiziert hatten.«

»Heiliger Himmel, das hört sich ja an, als wären Sie der Einzige, bei dem jemals ein Befund festgestellt worden ist.«

Morse hielt den Mund, denn natürlich wusste er, dass auch Strange etwa ein Jahr vor ihm Patient im Radcliffe gewesen war. Über seine Beschwerden war nichts Genaues bekannt. Im Flüsterton munkelte man etwas von »endokrinologischer Dysfunktion«, aber es gab im Präsidium nicht viele Mitarbeiter, die ein so vielsilbiges Leiden kannten und es ohne Weiteres hätten buchstabieren oder aussprechen können.

»Wissen Sie, warum ich Ihnen den Artikel mitgebracht habe, Morse?«

»Nein. Und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen. Ich habe bekanntlich Urlaub. Hochgradige Erschöpfung, meint mein Arzt. Viel zu hohe Blutzuckerwerte. Viel zu hoher Blutdruck. Ruhen Sie sich ein paar Tage ordentlich aus, hat er gesagt, und vergessen Sie die große weite Welt da draußen.«

»Leider ist es nicht allen vergönnt, sie zu vergessen«, sagte Strange leise, und Morse stand auf und schaltete das Radio aus.

»Der Fall war nicht gerade ein Ruhmesblatt für Sie, wenn ich mich recht erinnere.«

»Einer der wenigen, sehr wenigen Fälle, Morse, die ich gegen die Wand gefahren habe. Dabei war es genau genommen gar nicht mein Fall, aber er fiel und fällt in meine Zuständigkeit.«

»Und was hat das mit mir zu tun?«

Strange schien noch breiter und mächtiger zu werden, als er herausbrachte: »Nach der Sache mit meiner Frau … das war ja alles nicht so einfach … ich dachte, es würde mir guttun, noch ein Jahr zu bleiben. Aber …«

Morse nickte mitfühlend. Mrs Strange war vor einem Jahr ganz plötzlich gestorben – an einem Herzinfarkt, was bei einer so mageren, so vorsichtigen, körperlich scheinbar so robusten Frau niemand erwartet hätte. Sie war kein sehr liebenswerter Mensch gewesen. Nach außen hatte sie der Welt das schwache Eheweib vorgespielt, im Haus aber ein strenges Regiment geführt. Strange hing offenbar trotzdem sehr an ihr. Freunde hatten von einer »Musterehe« gesprochen, und man war sich darüber einig, dass der Witwer, hätte er wie geplant im September des vergangenen Jahres mit dem Dienst Schluss gemacht, erst einmal völlig verloren gewesen wäre. Schließlich hatte er sich überreden lassen, seine Entscheidung zu überdenken und noch ein Jahr zu bleiben. Richtig wohl aber fühlte er sich nicht mehr im Präsidium, oft kam er sich dort vor wie ein pensionierter Studienrat, der plötzlich wieder im Lehrerzimmer auftaucht. Es war die falsche Entscheidung gewesen. Morse wusste es. Strange wusste es.

»Ich weiß trotzdem nicht, was das mit mir zu tun hat.«

»Ich möchte, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Endgültig war die Akte ja sowieso noch nicht geschlossen. Die Sache lässt mir keine Ruhe. Wir hätten weiterkommen müssen.«

»Ich weiß trotzdem nicht …«

»Ich möchte, dass Sie sich den Fall noch mal ansehen. Wenn einer diese Nuss knacken kann, dann Sie. Und wissen Sie warum? Weil Sie ein Glückspilz sind, Morse. Darum. Und ich will, dass dieser Fall gelöst...


Dexter, Colin
Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft und war erst als Oberstufenlehrer und anschließend als Prüfer an der Oxford-Universität tätig. 1973 schrieb er Der letzte Bus nach Woodstock. Es folgten dreizehn weitere Fälle für Inspector Morse, die als Fernsehserie verfilmt wurden. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mehrmals mit dem CWA Gold Dagger. Für sein Lebenswerk wurde Dexter mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.



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