Dexter | Der Weg durch Wytham Woods | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Dexter Der Weg durch Wytham Woods

Kriminalroman. Ein Fall für Inspector Morse 10
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-293-31033-9
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman. Ein Fall für Inspector Morse 10

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-293-31033-9
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Inspector Morse genießt seinen wohlverdienten (und eigentlich nicht besonders erquicklichen) Urlaub in Dorset, als er auf einen seltsamen Brief in der Times stößt. Ein Jahr zuvor war eine schwedische Studentin in Oxfordshire verschwunden, nur ihr Rucksack wurde gefunden. Die Ermittlungen liefen ins Leere. Jetzt scheint es, als könne jemand seine Geheimnisse nicht länger für sich behalten und veröffentliche hinweisträchtige Gedichte. Morse kann dem Rätsel nicht widerstehen und folgt den Spuren auf einen verschlungenen Pfad durch die Wytham Woods.

Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft und war erst als Oberstufenlehrer und anschließend als Prüfer an der Oxford-Universität tätig. 1973 schrieb er Der letzte Bus nach Woodstock. Es folgten dreizehn weitere Fälle für Inspector Morse, die als Fernsehserie verfilmt wurden. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mehrmals mit dem CWA Gold Dagger. Für sein Lebenswerk wurde Dexter mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.
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3


Ist Ihnen aufgefallen, dass das Leben, das echte, wirkliche Leben, mit Morden und Katastrophen und sagenhaften Erbschaften, sich beinahe ausschließlich in den Zeitungen abspielt?

Jean Anouilh, Die Probe oder Die bestrafte Liebe

Morse hatte keine Schwierigkeiten, dem Straßenplan zu folgen. Er verließ den kleinen Parkplatz am östlichen Ende der Strandpromenade, bog nach rechts ab, dann, kurz vor der Ampel, nach links, und da sah er auch schon das große, schuppenähnliche Gebäude an der linken Seite der engen Einbahnstraße Coombe Street: »Privatgarage für die Gäste des Bay Hotel«. Drinnen befanden sich, wie Morse sah, nachdem er die beiden hohen Holztore aufgestoßen hatte, achtzehn Parkplätze, durch diagonale weiße Linien markiert, neun an jeder Seite des DURCHFAHRT-FREIHALTEN-Gangs in der Mitte. Wegen einer beginnenden Veränderung der Gelenke der Wirbelsäule war er in der letzten Zeit nicht mehr besonders geschickt bei Dingen wie rückwärts in eine schräge Parklücke einparken, und da die Garage fast voll war, brauchte er länger, als er hätte brauchen sollen, um den Jaguar in gleichen Abstand zu einem Mercedes mit einer J-Zulassung und einem Vauxhall mit einer Y-Zulassung zu bringen. Aus langer Gewohnheit, wie schon vorher, überflog er die Nummernschilder der geparkten Autos, aber als er vor etwa einer Viertelstunde das Gästebuch durchblätterte, hatte wenigstens etwas bei ihm geklingelt.

Aber jetzt? Nichts. Überhaupt nichts.

Es gab keinen dringenden Grund für Morse, die Annehmlichkeiten von Zimmer 27 sofort zu erkunden, und sein Blick fiel auf die Bar, als er das Hotel betrat. Er bestellte sich also ein Best Bitter und setzte sich in die Fensternische, direkt neben dem Eingang, und beinahe genau auf den Abschnitt grünen Leders, der zehn Minuten früher von einem der beiden für Zimmer 14 eingetragenen Gäste frei gemacht worden war.

Er hätte doch sicherlich Grund, einigermaßen zufrieden mit dem Leben zu sein? Aber er war es nicht. Nicht so richtig. Im Augenblick sehnte er sich nach den beiden Dingen, die für den Rest seines Urlaubs aufzugeben er sich noch an diesem Morgen feierlich geschworen hatte: Zigaretten und Zeitungen. Das Rauchen hatte er in der Vergangenheit schon so oft aufgegeben, dass ihm ein solcher Kraftakt verhältnismäßig einfach schien; nie zuvor jedoch hatte er beschlossen, dass es ein echter Gewinn für seinen Seelenfrieden sein könnte, wenn er eine ganze Woche oder so völlig frei von der Katastrophendiät wäre, die die guten Tageszeitungen täglich servierten. Aber vielleicht war das auch eine dumme Idee …

Seine rechte Hand griff instinktiv nach der beruhigenden rechteckigen Schachtel in seiner Jackentasche, als die Dame des Hauses zu ihm trat, ihn willkommen hieß und ihm die Speisekarte gab. Es war vielleicht etwas mehr als reiner Zufall, dass Morse keine Sekunde zögerte, die Suppe aus Meeresfrüchten und das Perlhuhn zu wählen. Aber vielleicht auch nicht – und es ist eigentlich ziemlich unwichtig.

»Etwas zu trinken dazu, Sir?« Sie war eine angenehm unbeschwert wirkende Frau, Ende vierzig, und Morse warf einen anerkennenden Blick auf das Dekolleté ihres schwarzen Kleides, als sie sich mit der Weinkarte vorbeugte.

»Was empfehlen Sie?«

»Eine halbe Flasche Médoc? Hervorragender Jahrgang! Etwas Besseres werden Sie kaum finden.«

»Eine ganze Flasche wäre vielleicht besser«, schlug Morse vor.

»Eine ganze Flasche also, Sir!« Das Abkommen wurde von beiden mit einem Lächeln unterzeichnet.

»Könnten Sie die Flasche gleich öffnen und auf dem Tisch stehen lassen?«

»So machen wir es immer.«

»Ich, äh … Das wusste ich nicht.«

»Er atmet gern ein wenig, nicht wahr?«

»Wie wir alle«, murmelte Morse, aber zu sich selbst, denn sie war schon fort.

Ihm wurde klar, dass er Hunger hatte. Er hatte nicht oft Hunger; gewöhnlich nahm er die meisten Kalorien in flüssiger Form zu sich; gewöhnlich schaffte er, wenn er zu einem Festessen im College eingeladen war, nur zwei der vorgesehenen Gänge, gewöhnlich tauschte er eine Vorspeise oder ein Dessert bereitwillig gegen eine Extraration Alkohol ein. Aber an diesem Abend hatte er Hunger, ganz entschieden, und er war froh, dass ihm, unmittelbar nachdem er sein zweites Bier geleert hatte (noch immer keine Zigarette!) mitgeteilt wurde, sein Essen sei fertig. Er hatte schon einige Male durch die Glastüren links von ihm in den Speisesaal geschaut, wo viele jetzt an den Tischen saßen, über die weißen Tischtücher mit den dunkelbraunen Platzsets gebeugt, unter dem gedämpften Licht der Kronleuchter aus Kristallglas. Es sah einladend aus, fast romantisch.

Als er für einen Augenblick an der Tür zum Speisesaal stehen blieb, war die Dame des Hauses schnell neben ihm und verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, er werde nichts dagegen haben, den Tisch mit jemand anderem zu teilen, nur für diesen Abend? Es seien ziemlich viele Gäste von außerhalb zum Dinner gekommen …

Morse bat die Dame, sich deswegen keine grauen Haare wachsen zu lassen, und folgte ihr zu einem Tisch an der anderen Seite des Raumes, wo ein Gedeck gegenüber einer Frau aufgelegt war, die, das Gesicht halb zur Seite gewandt, die Times las, einen fast geleerten Teller mit Suppe aus Meeresfrüchten vor sich. Sie senkte die Zeitung, lächelte etwas geziert, als kostete es sie einige Mühe, die angemalten Lippen zu einem mechanischen Gruß zu verziehen, und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf etwas offensichtlich Interessanteres, als ihr Tischnachbar es war.

Im Speisesaal waren fast alle Tische besetzt, und es war Morse bald klar, dass er als Allerletzter bedient werden würde. Der Servierwagen mit den Desserts wurde herumgeschoben, und er hörte, wie das ältere Ehepaar rechts von ihm Pfirsiche in Karamellsauce mit Nüssen und Sahne bestellte, aber er spürte – ungewöhnlich für ihn! – kein Aufwallen von Ungeduld. Außerdem stand die Suppe bald vor ihm, der Wein hatte schon an seinem Platz gestanden, und rund um ihn herrschten Wohlwollen und Freude, ein leiser, stetiger Fluss von Unterhaltung und gelegentlich ein gedämpftes Lachen. Die Zeitung ihm gegenüber jedoch verharrte, im Augenblick jedenfalls, standhaft an ihrem Platz.

Während des Hauptgangs – er wurde bald nach ihr bedient – versuchte er es mit dem ersten, nicht eben originellen Zug.

»Schon lange hier?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich auch nicht. Genau gesagt, gerade angekommen.«

»Ich auch.« (Sie konnte sprechen!)

»Ich bin nur für ein paar Tage hier …«

»Ich auch. Ich fahre am Sonntag.«

Es war vermutlich die längste Mitteilung, die er von ihr bekommen würde, denn er sah, dass ihre Augen sich wieder nach unten auf das Perlhuhn gerichtet hatten. Und bei dem Perlhuhn blieben.

Du kannst mich mal!, dachte Morse. Doch trotzdem begann sein Interesse zu erwachen. Ihre unteren Zähne – vielleicht etwas zu lang? – standen dicht nebeneinander und waren leicht nikotinverfärbt, doch ihr Zahnfleisch war frisch und rosa, ihr voller Mund zweifellos attraktiv. Aber ihm fiel auch etwas anderes auf: Ihre gefleckten, schildpattfarbenen Augen schienen, obwohl mit Lidschatten getarnt, von einer dauerhafteren Traurigkeit verdunkelt, und er sah ein kompliziertes kleines Gewirr von roten Linien in den äußeren Winkeln beider Augen. Sie könnte natürlich eine leichte Erkältung haben.

Oder sie könnte früher am Tag ein wenig geweint haben …

Als der Wagen mit den Desserts kam, war Morse froh, dass er erst die Hälfte vom Médoc getrunken hatte, denn etwas Käse würde gut dazu passen (»Cheddar … Gouda … Stilton …«, bot die Serviererin an). Er bestellte Stilton, wie auch die Frau gegenüber es getan hatte.

Die Zeit für den zweiten Zug schien gekommen.

Er versuchte es mit: »Wir scheinen fast den gleichen Geschmack zu haben.«

»Anscheinend genau den gleichen.«

»Mit Ausnahme des Weins.«

»Hm?«

»Würden Sie, äh … gern ein Glas Wein trinken? Er ist recht gut. Er passt zum Stilton.«

Diesmal schüttelte sie nur den Kopf und verschmähte es, eine verbale Erläuterung zu geben.

Du kannst mich mal!, dachte Morse wieder, als sie erneut die Times aufnahm, sie in voller Größe ausbreitete und sich selbst völlig versteckte – zusammen mit ihren Problemen.

Die Finger, die die Zeitung hielten, stellte Morse fest, waren sehr schlank und geschmeidig, wie die einer professionellen Geigerin, mit nichtlackierten, makellos manikürten Nägeln, deren Halbmonde sich weiß über der gepflegten Nagelhaut wölbten. Auf dem Mittelfinger ihrer linken Hand trug sie einen schmalen goldenen Ehering, darüber einen Verlobungsring mit vier großen Diamanten in einer ungewöhnlichen Fassung, die in jedem heller beleuchteten Raum vielleicht gefunkelt hätten.

An der linken Seite der aufgeschlagenen Zeitung hielt ihre rechte Hand das Blatt genau über dem Kreuzworträtsel, und er stellte fest, dass nur noch zwei Lösungen gefunden werden mussten. Vor ein paar Jahren hätten seine Augen wenig Mühe gehabt, doch jetzt konnte er, obwohl er einige Male heftig...


Dexter, Colin
Colin Dexter (1930-2017) studierte Klassische Altertumswissenschaft und war erst als Oberstufenlehrer und anschließend als Prüfer an der Oxford-Universität tätig. 1973 schrieb er Der letzte Bus nach Woodstock. Es folgten dreizehn weitere Fälle für Inspector Morse, die als Fernsehserie verfilmt wurden. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, u. a. mehrmals mit dem CWA Gold Dagger. Für sein Lebenswerk wurde Dexter mit dem CWA Diamond Dagger und dem Order of the British Empire für Verdienste um die Literatur ausgezeichnet.



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