E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Dibdin Tod auf der Piazza
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-293-30889-3
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Aurelio Zen ermittelt in Bologna. Kriminalroman. Aurelio Zen ermittelt (10)
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-293-30889-3
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Dibdin, geboren 1947 in Wolverhampton, studierte englische Literatur in England und Kanada. Vier Jahre lehrte er an der Universität von Perugia. Bekannt wurde er durch seine Figur Aurelio Zen, einen in Italien ermittelnden Polizeikommissar. Elf Bände dieser Krimiserie sind erschienen. Michael Dibdin wurde mit dem CWA Gold Dagger und dem Grand prix de littérature policière ausgezeichnet. Seine Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und von der BBC als TV-Serie verfilmt. Er starb 2007 in Seattle.
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1
Man sollte ihn umbringen!«
Bruno schwieg.
»Das hab ich natürlich nicht wirklich gemeint«, fuhr Nando fort.
»Nicht wortwörtlich.«
»Nein.«
»Nicht im Sinne von ›Messer ins Herz‹.«
»Zum Beispiel.«
»Du hast das allegorisch gemeint.«
»Ähm … ja.«
»Mein Mandant hat die angebliche Äußerung ›Man sollte ihn umbringen‹ rein euphemistisch gemeint, um nicht zu sagen parabolisch.«
»Genau. Allerdings wenn dieser schmierige Dreckskerl einfach tot umfallen würde …«
»Was Gott verhüten möge.«
»… dann würde das all unsere Probleme lösen.«
»Wer sagt das? Der Nächste könnte noch schlimmer sein.«
»Schlimmer als Curti? Das soll wohl ein Witz sein.«
»Außerdem scheinst du zu glauben, dass einer bei klarem Verstand bereit wäre, einen Verein zu kaufen, bei dem die Hälfte der Spieler von anderen Mannschaften ausgeliehen ist und der Rest am Ende der Saison verkauft wird, um das Loch in der Kasse zu stopfen. Es würde Jahre dauern, vom Geld ganz zu schweigen, aus i rossoblù wieder eine gute Mannschaft zu machen.«
»Na schön, also keinen Herzinfarkt und keinen Schlaganfall. Was dann? Noch so eine Saison wie diese, und ich …«
Nando verstummte, als der Scheinwerfer des Wagens auf zwei umwerfende schwarze Beine fiel, die bis hinauf zu dem weißen Seidendreieck im Schritt zu sehen waren.
»Guck auf die Straße«, brummte Bruno verärgert.
»Fick dich doch.«
»Von der da? Jederzeit.«
»Oder von ihm.«
»Bei den Beinen wär das auch egal. Gott, ist das öde.«
Nando drehte das Radio wieder lauter.
»… ergaben sich mehrere gute Möglichkeiten, besonders in der zweiten Halbzeit, doch das unterstrich lediglich erneut die Tatsache, über die Bologna-Fans bereits die ganze Saison reden und, um ganz ehrlich zu sein, auch schon in früheren Spielzeiten, dass es nämlich an einem Weltklassestürmer fehlt, der endlich einmal die vielen Gelegenheit nutzt, die jetzt auf dem Rasen verstreichen, und den Ball im Tor versenkt. Das Spiel auf den Flügeln und im Mittelfeld ist immer ordentlich und manchmal sogar hervorragend, doch wenn es um den Abschluss geht, ist es Woche für Woche das gleiche Trauerspiel …«
Bruno gähnte heftig.
»Wie gehts denn den Kids?«, fragte er und drehte die Lautstärke des Radios wieder runter.
»Allen gut bis auf Carmelo. Er hat eine Art Geschwür an den Rippen, direkt unterm Flügel. Das scheint ihn zu stören, denn er knabbert ständig daran herum.«
»Kannst du da nicht irgendein Pflaster drauf tun? Oder ihn anbinden, bis es geheilt ist?«
Sie fuhren gerade an einer der wenigen Erhebungen in dieser zweidimensionalen Landschaft vorbei, an einem der ausgedehnten Grabhügel nämlich, in denen der Müll der Stadt beerdigt wurde. Die brennenden Ausdünstungen schwebten darüber wie ein ewiges Licht.
»Die drehen durch, wenn man sie in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt. Morgen geh ich mit ihm zum Arzt. Er braucht Antibiotika.«
»Ich hab kürzlich gehört, man solle es mit diesem Zeug nicht übertreiben. Senkt die Immunität gegen Grippe oder so.«
»Vögel kriegen keine Grippe.«
»Kriegen sie wohl. Erinnerst du dich noch an die Hysterie wegen dieser chinesischen Hühner?«
»Carmelo ist aber kein Huhn.«
Nando war ein ansehnlicher Kerl aus irgendeinem Dorf in den Abruzzen, von dem Bruno noch nie gehört hatte. Sein jüngster zum Scheitern verurteilter Traum war es, das 500 PS starke Gallardo-Coupé mit Zehn-Zylinder-Motor und einer Höchstgeschwindigkeit von 300 Stundenkilometern in die Finger zu kriegen, das die Firma Lamborghini kürzlich der Polizia di Stato zu beiderseitigen PR-Zwecken gestiftet hatte. Er war gebaut wie ein Ringer, hatte einen gepflegten schwarzen Bart und ein vages, aber liebenswürdiges Lächeln. Aus irgendeinem Grund hatte er es geschafft, eine dürre, neurotische Xanthippe aus Ferrara zu heiraten. Vermutlich als Ausgleich dafür, dass ihre Ehe kinderlos war und auch bleiben würde, hielt das Paar in seiner Dreizimmerwohnung insgesamt elf Papageien und Kakadus. Die Vögel flogen dir auf die Schulter, knabberten dir am Ohr und schissen dir auf die Jacke, und die ganze Wohnung stank. Bruno war mal zum Abendessen dort gewesen. Einmal.
Er und Nando waren auf dem Rückweg zur Polizeizentrale, nachdem sie wegen eines angeblichen Einbruchs hinaus nach Villanova gerufen worden waren. Der Bestohlene war ein verschlagen und streitlustig wirkender Elektriker, der gerade von seiner Frau verlassen worden war. Sie war wieder zu ihrer Mutter gezogen und hatte den gemeinsamen sechsjährigen Sohn mitgenommen. Er behauptete, er wäre von der Arbeit nach Hause gekommen und hätte die Wohnung völlig leer geräumt vorgefunden bis auf die fest installierte Waschmaschine. Da die ausgeklügelte Alarmanlage, die er selbst eingebaut hatte, nicht losgegangen war, konnte nur seine Frau, die als Einzige außer ihm wusste, wie man die Anlage ausschaltete, die Schuldige sein.
Über drei Stunden hatte es sie gekostet, die Aussage des Mannes aufzunehmen und die Nachbarn zu befragen, von denen niemand etwas Ungewöhnliches bemerkt hatte. Bruno hatte den starken Verdacht, dass der Elektriker selbst die Wohnung über mehrere Tage hinweg ausgeräumt und die Sachen irgendwo unter falschem Namen untergestellt hatte und nun eine offizielle denuncia erhob, um bei der Versicherung Ansprüche geltend machen zu können und so dafür zu sorgen, dass das »undankbare Miststück«, das sein Leben zur Hölle gemacht hatte, ebenfalls seinen Teil abbekam. Aus Sicht der Polizei würde sich das Ganze mit größter Wahrscheinlichkeit als absolute Zeitverschwendung erweisen. Stapel von Formularen müssten ausgefüllt werden, Berichte wären zu schreiben, man würde sich endlos mit den Behörden in Ferrara auseinander setzen müssen, und das alles würde zu nichts führen.
Bruno kümmerte das nicht, auch wenn er aufgrund der Tatsache, dass er an diesem Abend Dienst hatte, das Lokalderby des FC Bologna in Ancona versäumt hatte – das Spiel war kurz vor Weihnachen abgebrochen und verschoben worden, weil etliche Fans das Spielfeld gestürmt hatten. Jetzt langweilte er sich, war hungrig und müde und freute sich darauf, endlich Feierabend zu haben, sobald sie wieder in der Questura waren. Doch im Grunde seines Herzens war er immer noch überglücklich, obwohl bereits Monate seit dem Wunder vergangen waren, das seine »Härtezeit« hoch oben im Norden des Landes verkürzt und ihn zurück nach Bologna gebracht hatte. Der junge Streifenpolizist war nicht mehr in die Messe gegangen, seit er zu Hause ausgezogen war, doch in letzter Zeit hatte Bruno mehrfach die Kirche San Domenicò in seiner Nähe aufgesucht und jedes Mal für zehn Euro Kerzen vor dem Bildnis des Heiligen in einer Seitenkapelle angezündet, wo es immer noch echte, wohlriechende Bienenwachskerzen gab und nicht diese elektrischen Birnchen auf Plastikständern, die heutzutage fast überall die Kerzen verdrängten und die Bruno immer an eine Spielhalle denken ließen. Vielleicht waren es beim ersten Mal sogar fünfzehn Euro gewesen. Jedenfalls hatte er die Kerzen im Gegensatz zu manch anderen Leuten bezahlt, wie man an den vielen falschen Geldmünzen im Kerzenautomaten sah.
Rein rational wusste er natürlich ganz genau, wie seine vorzeitige Heimkehr aus dem deutschsprachigen Südtirol zustande gekommen war, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass irgendein Wunder definitiv mit im Spiel gewesen sein musste. Man brauchte sich doch nur die merkwürdigen Umstände anzusehen. Erstens wird da so ein hohes Tier namens Aurelio Zen aus dem Dezernat Criminalpol in Rom nach Bozen geschickt, um in einem dubiosen Fall zu ermitteln, der wichtige politische Auswirkungen hat, die Bruno allerdings nie so ganz verstanden hatte. Zweitens wird er, Bruno, abkommandiert, diesen Abgesandten des Ministeriums, oder was auch immer er war, auf einer Nebenstrecke nach Cortina zu einem trostlosen Gasthaus auf einer gottverlassenen Passhöhe in den Bergen zu fahren. Drittens dreht er, Bruno, nachdem er den Rest des Tages in besagtem Gasthaus festsaß, während sein Fahrgast in Begleitung eines jungen Zeugen aus Österreich irgendwelche Ermittlungen anstellte, unter dem verdrießlichen Schweigen, das wie eine düstere Wolke in der Luft hing, und den hasserfüllten Blicken der Einheimischen, die sich wie Laserstrahlen in ihn bohrten, allmählich durch und rastet schließlich in einem Café, wo er und Zen auf dem Rückweg Halt machen, völlig aus und beschimpft diese feisten, sturen teutonischen Dummköpfe, die ihm und seinen Kameraden endlose Monate lang das Leben zur Hölle gemacht haben, auf ausfälligste Art und Weise. Viertens, statt ihn wegen groben Fehlverhaltens zu belangen, weil er in einer Gegend, die berüchtigt ist für ihre politischen Empfindlichkeiten und separatistischen Bestrebungen, für erhebliche Unruhe gesorgt hat, bietet ihm dieser Vice-Questore Zen an, ohne auch nur im Geringsten darum gebeten worden zu sein, sich dafür einzusetzen, dass Bruno sofort zurück nach Bologna versetzt wird, obwohl er eigentlich noch über drei Monate auf seinem Posten hätte ausharren müssen. Fünftens und am allererstaunlichsten, dieser Wohltäter erfüllt...




