Dietrich / Zanetti | Philosophie der internationalen Politik zur Einführung | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: zur Einführung

Dietrich / Zanetti Philosophie der internationalen Politik zur Einführung


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96060-010-7
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: zur Einführung

ISBN: 978-3-96060-010-7
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schon im siebzehnten Jahrhundert entstand Hugo Grotius' Buch De jure belli ac pacis, welches das Fundament einer normativen Theorie der internationalen Beziehungen legte. Gleichwohl hat sich die Politische Philosophie bis ins 20. Jahrhundert hinein fast ausschließlich darauf beschränkt, über die Rechtfertigung staatlicher Machtausübung gegenüber den eigenen Bürgern nachzudenken. Es bedurfte der tiefen Erschütterungen zweier Weltkriege und des Bewusstwerdens der globalen Bedrohung durch die atomare Aufrüstung bis - anlässlich des Vietnam-Krieges - die internationalen Beziehungen wieder stärker in den Fokus der Politischen Philosophie rückten. Bis heute hat sich eine intensive Diskussion entwickelt, die neben Fragen der militärischen Gewalt auch zahlreiche andere Themengebiete umfasst. Frank Dietrich und Véronique Zanetti beleuchten in dieser Einführung aus einer systematischen Perspektive einige der zentralen ethischen Probleme, die auf der Ebene der internationalen Beziehungen bestehen. Im Einzelnen behandelt werden Krieg und humanitäre Intervention, globale Gerechtigkeit, Migration, Selbstbestimmung und Sezession sowie Klimawandel.

Frank Dietrich ist Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Véronique Zanetti hat den Lehrstuhl für politische Philosophie an der Universität Bielefeld inne.
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Inhalt:
1. Einleitung
2. Krieg, humanitäre Intervention und Terrorismus
2.1 Was ist Krieg?
2.2 Die Rechtfertigung des Krieges
2.3 Die Lehre des gerechten Krieges: historischer Rückblick
2.4 Die Rechtfertigungsprinzipien der Lehre des gerechten Krieges
2.5 Die humanitäre Intervention
2.6 Terrorismus
3. Sezession
3.1 Einführung
3.2 Völkerrechtliche Bestimmungen
3.3 Ethische Fragen
3.4 Gerechtigkeitstheorien
3.5 Nationale Theorien
3.6 Plebiszitäre Theorien
4. Migration
4.1 Einführung
4.2 Völkerrecht
4.3 Ethische Fragen
4.4 Egalitarismus
4.5 Utilitarismus
4.6 Libertarismus
4.7 Nationale Selbstbestimmung
4.8 Freiheit der Assoziation
5. Weltarmut und Hunger
5.1 Problemlage
5.2 Eine Frage der Moral oder der Politik?
5.3 Individuelle Moral oder politische Gerechtigkeit?
5.4 Institutionelle Gerechtigkeit
5.5 Moralischer Kosmopolitismus
6. Klimawandel
6.1 Einführung
6.2 Internationale Klimapolitik
6.3 Ethische Fragen und Anreizprobleme
6.4 Die Kosten des Klimawandels
6.5 Die Verteilung zukünftiger Emissionsrechte
6.6 Pragmatismus versus Gerechtigkeit
Anhang: Anmerkungen; Literatur; Über die Autoren


2. Krieg, humanitäre Intervention und Terrorismus


2.1 Was ist Krieg?


Das klassische Völkerrecht spricht von »Krieg« hauptsächlich bei Konflikten zwischen Staaten. Ein Kriegszustand ist dann eingetreten, wenn ein Staat gegen einen anderen Staat oder gegen eine von anderen Staaten offiziell anerkannte kriegführende Partei kämpft. Dieses Verständnis hat sich allerdings erst im Zuge der staatlichen Monopolisierung der Gewalt gegen Ende des 18. Jahrhunderts durchgesetzt. In seinem berühmten Buch (1758)3 schreibt Emer de Vattel: »Der ist der Krieg, der zwischen den Nationen oder den Souveränen stattfindet, der im Namen der öffentlichen Gewalt und auf ihren Befehl geführt wird […]. Der zwischen Personen gehört zum Naturrecht im eigentlichen Sinne.« Die Einführung stehender Heere unter staatlicher Kontrolle war ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung moderner Kriege. Sie ermöglichte die Zentralisierung ihrer Finanzierung, die Unterscheidung zwischen den Sphären staatlicher und nicht-staatlicher Aktivitäten, zwischen Innen- und Außenpolitik und vor allem zwischen Zivilisten und Militärs (vgl. Kaldor 2000; Zanetti 2011).

Die Begriffsgeschichte von »Krieg« kennt allerdings nicht nur zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte. Theoretiker des Naturzustandes wie Hobbes oder Locke haben den Ausdruck in einem sehr weiten Sinne verwendet. Ihnen zufolge herrscht schon dann ein Kriegszustand, wenn sich die Individuen in einem gesetzlosen Zustand gegenseitig bedrohen. Wer »durch Wort oder Tat«, schreibt zum Beispiel Locke (1977: 209), »einen nicht in Leidenschaft und Übereilung gefassten, sondern in ruhiger Überlegung geplanten Anschlag auf das Leben eines anderen kundgibt, versetzt sich dem gegenüber, gegen den er eine solche Absicht erklärt hat, in den Kriegszustand«. Denn Krieg besteht nicht nur, so Hobbes, »in Schlachten oder Kampfhandlungen, sondern in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist« (1966: 96).

In diesem weiten Sinne lässt sich zum Beispiel die Definition des Krieges von Clausewitz (1991: 303) verstehen als »Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen«. Der Krieg wird als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln verstanden, indem ein Widersacher zu einer Handlung gezwungen wird, die er ansonsten nicht ausgeführt hätte, oder indem Gewalt gegen ihn eingesetzt wird, sofern die Verhandlungsmittel der Diplomatie versagt haben. Diese weite Verwendung des Begriffs läuft allerdings Gefahr, die besondere Intensität der kriegerischen Gewalt und ihre Grausamkeit zu verharmlosen und zu viele Phänomene darunter zu fassen. Andererseits ist auch eine zu starke Eingrenzung des Begriffsumfangs nicht unproblematisch. Sie erlaubt nämlich nicht, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen größeren Gruppen oder andere Formen von Waffengewalt wie Guerillakriege, Bürgerkriege oder Sezessionskriege ebenfalls als »Kriege« zu bezeichnen. Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil diese Geschehnisse nicht nach dem Kriegsrecht und nach Kriegskonventionen behandelt werden können bzw. nach den vier Genfer Abkommen von 1949 und den entsprechenden Zusatzprotokollen von 1977, die den Schutz von Verwundeten, Kriegsgefangenen und Zivilpersonen festlegen.4 Bedenkt man aber, dass ungefähr achtzig Prozent der Opfer aller bewaffneten Konflikte, die seit 1945 stattgefunden haben, Opfer innerer Auseinandersetzungen sind, lässt sich gut einschätzen, wie ungeeignet diese Beschränkung des gesetzlichen Anwendungsbereiches auf zwischenstaatliche Gewaltformen ist.

Der enge Begriff wird außerdem einem Typ von Gewalttätigkeit nicht gerecht, der seit dem Ende des Kalten Kriegs ständig zunimmt und den man in der Literatur öfter unter der Rubrik »neue Kriege« fasst. Gemeint ist eine besondere Form dramatisch sich zuspitzender innerstaatlicher Konflikte, die sich besonders in prekären oder zerfallen(d)en Staaten beobachten lassen (vgl. Kaldor 2000; Münkler 2003; Malowitz 2008; Langewiesche 2010). Kurz und in groben Zügen kann man den Unterschied zu den klassischen Kriegen wie folgt charakterisieren: Während die konventionellen Kriege die Macht eines Staates oder eines Staatenbündnisses bekämpfen, mobilisieren die neuen Kriege eine Mischung aus staatlichen, parastaatlichen und privaten Akteuren gegeneinander. Diese unterschiedlichen Akteure bilden eine Vielzahl von Interessengruppen, die sich von einem Frieden wenig finanziellen Profit versprechen und für die das Ende des Konflikts kein erwünschtes Ziel ist. So entwickelt sich mit dem Effekt der Machtverzettelung, der allgemeinen Korruption und des Klientelismus eine Kriegswirtschaft, die sich aus privater Ausbeutung natürlicher Ressourcen sowie dem Verkauf von Waffen, Drogen oder Personen nährt.

Obwohl der Begriff »neue Kriege« in die politische Sprache eingegangen ist, bestreiten Historiker, dass das Phänomen historisch neu ist.5 Neu daran sei höchstens die Bedrohungsdimension, die durch die Bedingungen der Globalisierung entstanden ist. Nicht ihre Charakterisierung als »neu«, sondern das Verständnis ihrer Eigentümlichkeit ist allerdings für das infrage stehende Thema relevant, denn die neuen Kriege stellen die Lehre des gerechten Krieges bei der Anwendung ihrer Rechtfertigungsgründe vor besondere Herausforderungen, wie später gezeigt wird.

Um den unterschiedlichen Formen von bewaffneter Gewalt Rechnung zu tragen, wird im Folgenden ein mittlerer Weg zwischen dem weiten und dem engen Begriff gewählt und der »Krieg« als eine mit Waffen ausgetragene Auseinandersetzung zwischen größeren Gruppen, Völkern oder Staaten definiert. Der Krieg wird als bestehender, angekündigter und sich über einen gewissen Zeitraum erstreckender bewaffneter Konflikt zwischen politischen Gruppen oder Staaten verstanden.

2.2 Die Rechtfertigung des Krieges


Das Nachdenken über den Grund, die Rechtfertigung des Kriegs oder seine Ablehnung lassen sich in drei grundsätzliche Stellungnahmen unterteilen: die Lehre des gerechten Krieges, die Theorie des politischen Realismus und den Pazifismus.6 Die erste geht davon aus, dass Kriege unter bestimmten Bedingungen erlaubt oder sogar erwünscht sind, und bemüht sich, die moralischen Bedingungen zu systematisieren und philosophisch plausibel zu machen. Im Gegensatz dazu lehnt der politische Realismus einen moralischen Diskurs über die Legitimität von Kriegen entschieden ab. Er interpretiert die zwischenstaatlichen Beziehungen als einen Zustand der Anarchie. In einem Zustand, in dem keine allseits anerkannten Normen und Gesetze gelten, verfolgen die einzelnen Staaten primär das Ziel, ihre Sicherheit und die Sicherheit ihrer Bevölkerung zu garantieren. Ohne übernationale Macht, die imstande wäre, die Anwendung internationaler Konventionen zu kontrollieren und wirksame Sanktionen zur Sicherung gegen eigenmächtige Einsätze zu ergreifen, sind moralische Normen der Kriegsberechtigung und der Kriegführung nicht nur gegenstandslos; sie stellen sogar gefährliche Idealisierungen dar, die die Stellung des eigenen Staates im ständigen Kampf um Macht zwischen Nationen schwächen. Da das politische Handeln der Staaten primär der Durchsetzung der jeweiligen Interessen dient, erfordern bewaffnete Interventionen keine moralische Legitimation. Krieg ist eine rein politische Aktion in der vorrangigen Absicht, staatliche Unabhängigkeit zu schützen. Der politische Realismus, der vor allem zwischen 1930 und 1960 von Hans Morgenthau, Arnold Wolfers und Robert Niebuhr entwickelt wurde, gilt immer noch als eine sehr einflussreiche Tendenz der politikwissenschaftlichen Theorie der internationalen Beziehungen.

Der Pazifismus teilt die realistische Ablehnung der Orientierung an moralischen Normen bei der Betrachtung internationaler Beziehungen nicht. Kriege seien nicht deshalb gerechtfertigt, weil sie sich in einem moralfreien Raum abspielen. Nach pazifistischer Ansicht ist zwar die Frage berechtigt, ob Gewaltanwendung legitim sein kann. Kriege sind jedoch für den radikalen Pazifisten in keinem Fall zu rechtfertigen.

Für die Philosophie der internationalen Beziehungen ist die Lehre des gerechten Krieges – auch in ihrer Aktualisierung durch die Ethik der humanitären Intervention – besonders interessant, da sie den Krieg nicht von Vornherein aus dem moralischen Diskurs ausschließt, weil er entweder ein Instrument der (nicht-moralischen) Politik sei oder weil er nie gerechtfertigt stattfinden könne. Sie ist der Meinung, dass Kriege unter bestimmten Bedingungen moralisch gerechtfertigt sind, muss sich aber mit dem Dilemma auseinandersetzen, dass die Inkaufnahme des Todes von Unschuldigen zur Verteidigung des Staates oder des Schutzes der Bürger vor massiven Verbrechen eine nicht wegzudenkende Provokation bleibt.7 Aus diesem Grund werden im Folgenden zunächst die Kriterien des gerechten Krieges und dann, spezifischer, die Kriterien einer Ethik der humanitären...


Frank Dietrich ist Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Véronique Zanetti hat den Lehrstuhl für politische Philosophie an der Universität Bielefeld inne.



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