E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Divani Das siebte Leben des Sachos Sachoulis
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95771-028-4
Verlag: Größenwahn Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Memoiren eines Katers
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-95771-028-4
Verlag: Größenwahn Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lena Divani wurde 1955 in Volos geboren. Sie unterrichtet Geschichte an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Athen. Sie war Visiting Research Fellow an der Harvard University, Gastprofessorin am King's College in London, Gastforscherin im Zentralarchiv der Société des Nations in Genf und Stipendiatin am Greek Institute in Cambridge, Massachusetts. Auf dem Gebiet der Wissenschaften trat sie mit geschichtlichen Studien in Erscheinung, auf dem Gebiet der Literatur im Jahr 1994 mit einer Sammlung von Erzählungen, für die sie mit dem Preis für literarisches Debüt 'Mara Ralli' ausgezeichnet wurde. Seitdem hat sie Kinderbücher, Theaterstücke, Kriminalgeschichten und Romane herausgebracht. Ihre Werke wurden mit Preisen ausgezeichnet und ins Spanische, Italienische, Hebräische, Türkische, Polnische und Chinesische übersetzt. Einige ihrer Theaterstücke sind im National Theater und im Fernsehen aufgeführt worden. Sie hat Artikel für die griechische Tageszeitung TA NEA geschrieben, außerdem für die Zeitschriften ELLE, PSYCHOLOGIE und PROTAGON.GR. Lena Divani gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart in Griechenland. 'Meine größte Sünde gegenüber der zivilisierten Menschheit besteht darin, etwa zweimal im Jahr meine Bergstiefel, Zelt und Rucksack einzupacken und zu den Enden der Welt zu laufen, um auf Berge zu klettern, Ebenen zu durchkämmen und mich in Flüssen zu erfrischen', gesteht Lena Divani ihr großes Hobby des Bergsteigens. Auf diese Weise hat sie die Anden erkundet, Gletscher in Patagonien und Bergdörfer an der chinesisch-vietnamesischen Grenze gesehen und die geheimen Indianerpfade in den Bergen Venezuelas erstiegen. Sie liebt die Reisen, auf denen sie sich für die Figuren ihrer Bücher inspirieren lässt. Über ihr Sein philosophiert sie: 'Die Straße ist das Leben, insbesondere für einen Schriftsteller, der über das Leben nicht nur schreiben, sondern es auch bis zum letzten Tropfen wirklich leben will.'
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SIE HATTE EINE VERGANGENHEIT …
… doch meine Schneeweißheit würde ihrer Vergangenheit nicht gestatten, mich meiner Zukunft zu berauben. Ich mag ja kleiner als eine Faust gewesen sein, aber auch ich hatte so meine Tricks. (MIAU Nr. 4567: Lasst euch nicht von Heulen und Jammern beeindrucken, werte Freunde. Es gibt keine Stärkeren als die, die vorgeben, schwach zu sein.) Also, das Erste, was Madame Glyka ihnen kundtat, während sie fünf verschiedene Kräuterfleischschinkenkäsetaschen, Quiche Lorraine, Auberginensoufflé und Russischen Salat mit hausgemachter Mayonnaise servierte, alles nur so, um den Appetit anzuregen, war, dass hinter ihren Azaleen eine Katze (aller Wahrscheinlichkeit nach die Frau Mutter), und zwar eine sehr hässliche (bestimmt die Frau Mutter), ein paar Kätzchen (paar Kätzchen? Sie haben mich noch nicht gesehen, wieso also so abwertend, Madame?) geworfen habe. Ihro Gnaden rannte unverzüglich zu dem Busch der Geburt hinüber, doch Madame Glyka bremste ihren Elan. »Um Himmels willen! Bleib bloß weg von der Hexe«, sagte sie zu ihr. »Da tut sie mir leid in ihrem Wochenbett und ich bringe ihr was zum Futtern, und sie fährt die Krallen gegen mich aus. Wenn du eins ihrer Kätzchen anfasst, dann zerreißt sie dich in der Luft!«
Demoiselle setzte sich wieder und nahm sich ein Stück Käsetasche. »O weh, o weh«, murmelte ich. Verdammtes Getratsche! Warum hat sie sie denn nicht nach und nach den Busch untersuchen lassen? Könnt ihr euch vorstellen, wie viel größerer Hollywood-Glanz meine Schneeweißheit ausgestrahlt hätte, eingerahmt von drei Missgeburten der Natur? (MIAU Nr. 9875: Die Wahrnehmung der Wirklichkeit unterliegt dem Vergleich. Mein lieber Hephaistos, geh nicht mit Adonis aus, er wird dir die Chancen vermasseln!)
Und dann setzte endlich der Fluss der wertvollen Informationen ein. Dabei kam heraus, dass der Demoiselle Katzen herzlich gleichgültig waren. ( du dummes Mädchen?) Sie wollte immer einen Hund. (, ich hoffe nicht, dass Sie sich nach so etwas wie einer Hitlerschen Unterwürfigkeit sehnen?) Eine Cousine jedoch hatte sie vor Jahren heimtückisch dazu gezwungen, ein unvergessliches männliches getigertes Katzen zu übernehmen, nur für eine Woche, für einen Monat, für vorübergehend, für mal sehen – also für immer. Das Baby wurde auf den Namen Zooey getauft, nach einem Romanhelden Salingers, eines seltsamen amerikanischjüdischbuddhistischen Schriftstellers, der fünfundfünfzig Jahre lang als Einsiedler lebte, aus Angst, zum Markenzeichen zu werden, mit dem Ergebnis, dass er erst recht zum Markenzeichen wurde. (MIAU Nr. 8643: Die Angst, vor der du dich fürchtest, wird dich aufspüren – wo immer du dich auch aufhältst, werter Freund …)
Am Anfang ging alles schief. Die Demoiselle, immer schon Ministerpräsidentin und alleinige Einwohnerin ihrer Welt, befand sich zu jener Zeit in der Phase des »geh doch zum Teufel«. Sie schoss das wie einen Pfeil auf jeden ab, der ihr gerade quer kam (Eltern, Geschwister, Freunde, Liebhaber, Kollegen, Mitfahrende im Trolleybus, die sie nötigten, ein Schrittchen weiter nach vorn zu rücken, waren ihre Opfer), aber auch völlig Unschuldige bekamen ihn ab. Zooey wiederum – ein Produkt des zweiten oder dritten Lebens, soweit ich verstanden habe – erreichte, obwohl er Tag und Nacht weinte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, nichts weiter als ihre Nerven in Stahlseile zu verwandeln. Irgendwo hatte ich für den armen Kollegen natürlich Verständnis. Er konnte es nicht begreifen. Wie war er von den Salons der katzenliebenden Cousine in das Drei-Zimmer-Apartment dieses Eisblocks geraten? Wieso war es so weit mit ihm gekommen, an den Fransen ihrer Bettdecke zu hängen wie ein Bergsteiger beim Klettern im Himalaja? Hatte er nicht auch das Recht auf dreißig Zentimeter ihrer Daunendecke? Es ekelte sie, hieß es. Hier handelte es sich doch nicht um ein stinkendes Schwein aus den Sümpfen, ein Baby war es, mein Fräulein, mit einem rosigen Näschen. Unglücklicherweise war der Unglückliche zum falschen Zeitpunkt aufgetaucht: Demoiselle musste nur »Baby« hören, um unverzüglich Pickel zu bekommen. »Bürde«, sagte sie. »Verantwortung«. »Nicht mal sterben kann man, wenn man Eltern ist«. »Den Kopf voll mit Verpflichtungen«. Sehr empfindsam Ihr Kopf, und ich sehe, dass er sehr fragil ist …
Damit ihr versteht, mit wem ich dabei war anzubandeln, mache ich einen kleinen Sprung in die Zukunft. Wie sich in den ersten Monaten unseres Zusammenlebens klar herausgestellt hatte, hielt Demoiselle äußerst große Stücke auf ihren Kopf. Sie hatte sich in seinem Inneren eingerichtet und weigerte sich, ihn zu verlassen. Sie lief herum, gebar mögliche und unmögliche Gedanken, zog andere Ichs groß, entwarf Geschichten, notierte Solls und unterstrich Leerstellen, sie hielt Gericht und fällte Urteile über Schuld und Unschuld, sie käute (die Ziege) die Vergangenheit wieder und zog sie in die Länge, bis sie die Zukunft berührte, sie notierte Interpretationen, sie zwang ihren Kopf zu noch mehr Größe, damit die ganze Werkstatt ihrer Vergleiche und Metaphern hineinpassen möge. Dem Leib galt keinerlei Vertrauen. Er fungierte lediglich als Stütze. Die Beine zur Fortbewegung, die Hände zum Halten. Werkzeuge.
was bin ich für ein Idiot! Wenn ich sie schließlich adoptiere, dann muss ich bei null anfangen: »Breite die Arme aus. Demoiselle. Das ist eine Umarmung. Eine Umarmung ist gleichbedeutend mit siebentausend Wörtern. Eine gute Umarmung kann jedes Unschuldsurteil deines Rechtsverstands ersetzen. Verstehst du, was ich meine? « (MIAU Nr. 667: Demoiselle funktioniert, wie alle niederen Säugetiere, mittels Belobigung.) Wie dem auch sei. Ich schließe die Klammer und kehre in die Vergangenheit zurück, die mir um ein Haar die Zukunft zerstört hätte.
Zooey wuchs heran, gewann Freunde unter ihren Freunden, sie selbst jedoch konnte er nie für sich einnehmen. Andererseits aber war sie auch eine angenehme Wohngenossin. Sie fiel einem nie zur Last. Sie ließ einen in Ruhe. Wenn man die traurige Auslegung wählt, dann würde man es Gleichgültigkeit nennen. Betrachtet man es dagegen eher im positiven Licht – und Zooey war wohl ein positiv eingestellter Junge –, dann nennt man es Liberalismus. Natürlich ließ sie ihn nicht kastrieren. Natürlich erlaubte sie ihm zu kommen und zu gehen, wann immer er den Vagabunden zu spielen beliebte. Die Fachkundigen warnten sie, dass er den Reiz der Straße schätzen lernen und eines schönen Morgens das Leben am heimischen Herd aufgeben und sich gänzlich den Freuden des Streunerlebens hingeben würde. Doch auch sie selbst neigte dazu, sie kannte den Zauber des Vagabundierens. »Er soll machen, was er will«, sagte sie. »Es ist sein Leben.« (MIAU Nr. 1996: Wenn ihr viel Liberalität in der Liebe erfahrt, dann liebt man euch nicht allzu sehr, geschätzte Freunde, es sei denn, ihr lebt mit dem Dalai Lama zusammen. Natürlich gibt es auch den äußerst seltenen Fall, dass man euch wahrhaftig seeeeehr, über alle Maßen liebt …) Nun also, Demoiselle war nicht der Dalai Lama. Sie drehte die Sache in Richtung Freiheit. Sie hatte auch gedankenlos allen Blödsinn geglaubt, den die einschlägigen Broschüren schrieben und der die Hundefreunde bestärkte: Zum Henker mit euch, ihr Dummköpfe, von wegen, wir begreifen nichts. Alle begreifen alles, und wir noch viel mehr.
Jetzt werdet ihr mich fragen, und völlig zu Recht: Was hat dich denn, mein Schätzchen, nach all dem, was du da gehört hast, bloß gebissen, dich auf diese Gehdochzumteufel einzulassen? Gemach. Das war nur die Einleitung. Jetzt kommen wir zum eigentlichen Punkt. Eines schönen Morgens also, während die Beziehung Zooey-Gehdochzumteufel in folgendem Satz zusammengefasst werden konnte: »Mein Kater kommt jeden Tag gegen sechs aus den Gassen zurück, steuert geradewegs auf seinen Teller mit Futter zu, stillt seinen Hunger, löscht seinen Durst, guckt auf ein Miau am Schreibtisch vorbei, an dem ich sitze, und stürzt sich dann unverzüglich wieder ins schöne Straßenleben« – brach die Hölle los. Eine Zeit des Sturms im Leben der Gehdochzumteufel. Sie hatte sich rettungslos in eine mit einem tollen, aber im Übrigen hochgradig verrückten Typen verstrickt, und es tobte der Kampf der Thermopylen. Mal war er der Leonidas, mal sie. Der Albtraum war jedenfalls ein gemeinsamer: Die rasende Zuneigung, die beide füreinander empfanden, nahm ihnen erst alle Kraft und steuerte sie schließlich in den Wahnsinn. Sie trennten sich, versöhnten sich, trennten sich wieder, alles mehrfach hintereinander. Der Hölle-Paradies-Express, sage ich euch. An jenem schicksalhaften Nachmittag jedoch blieb der Express auf dem Grund der Hölle...




