Döblin | Jagende Rosse | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

Döblin Jagende Rosse

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-10-402917-7
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 112 Seiten

ISBN: 978-3-10-402917-7
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine Wiederentdeckung der frühen Moderne In seinem ersten Roman erzählt Alfred Döblin die Geschichte eines Borderliners. Anknüpfend u.a. an Nietzsches ?Zarathustra? und Hölderlins ?Hyperion? geht es um die Suche nach Orientierung und Gemeinschaft, die bis zum Ende im Zeichen zielloser Wiederholungen steht. Döblins Text rast dabei buchstäblich durch die Vokabulare der Jahrhundertwende und richtet sich radikal gegen den Realismus des 19. Jahrhunderts. Mit einem Nachwort von Sascha Michel

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.
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Jagende Rosse


Den Manen Hölderlins in Liebe und Verehrung gewidmet

Glänzende Augen.

Junges Träumen.

Der Wind geht über Land und Gärten, rührt an die Gräser vor mir, summt auf, legt sich, lau und herbe. Mein Sinn spielt und hascht sich mit ihm; die Gedanken schweifen mir, jagen, vergehen, sind wieder da.

Bläst wieder auf, leis, – du, o du –.

– Die Äste wiegen sich; ja, wie ich in die Luft starre! So heraus gedrängt bin ich aus mir, hin zu – ? – Wohin nur? Vergessen und verloren bin ich.

Da lieg ich im kalten Grase und belausche den Sonnenschein und will ihn heimlich etwas fragen, – ich bin doch anders zu ihm als sonst, – fremder, so viel ferner.

Ich klammere mich auch abends an das Mondlicht und hege verträumt und atmend an der Erde: sie küssen mich nicht mehr, meine Schwestern und Brüder, meine Gespielen, sie lieben mich nicht mehr, und ich blicke sie doch an so verwandelt und lockend, denn es grüßt sie zart aufblühend, überschwenglich, süß und schmerzlich etwas in mir und grüßt sie.

Ach, leise sind die Träume, die ich habe. Mich dünkt, daß ich von manchem um mir scheiden müsse.

Die weißen Wolken oben ziehen und schimmern zu mir herunter; – ist wohl ein Zauber, ein Zauber in der Luft, der bethört alles.

* * *

Es ist doch ein Wandel über mich gekommen; ja, so wund, so wund, so aufgerissen und aufgesprungen bin ich. Wonach drängt und tastet mein Herz, daß mir angst wird, wenn es dunkel anschwillt und sich weitet, nicht lassen kann? Wie in ein Märchen bin ich verloren. Die Menschen scheinen mir so matt, tot und traurig; ich sah sie nie so an. Und ich, – nun sind wohl zwei in mir, – ich taumle: bald lache ich und möchte doch schluchzen, und weiß nicht, was es ist. Was ist mit mir geschehen?

Ich träume nicht leise; das ist kein Träumen mehr: das sind doch nasse Thränen hier an meinen Händen: ein Narr und irr bin ich. Die Vögel kommen zurück, sie ziehen in ihr Nest; und mit Bitternis muß ich ihnen nachsehen, weil sie so sicher ihres Wegs ziehen und fliegen.

Traumvoll, in Thränen lallend.

Ach, wo bin ich? Wohin treibe ich?

Krank, krank bin ich, – und einsam. –

* * *

Wie es Herr über mich wird.

Bald zwitschert es in mir auf, bald singt es, daß ich zittre und mich dehne vor Überdrang und Schmerz; – vor Schmerz oder wie ich es nennen soll. Es wechselt und mischt sich in mir leise, wie lauer, herber Wind.

Mich lockt etwas und ruft mich. Es quält mich und läßt mir nimmer Ruhe.

Genug. –

– Ich bin müde, ich will schlafen. Und träumen, oh, wie gestern Nacht. –

Mit einem Stein auf der Brust habe ich dagelegen, die Augen weit aufgerissen. Um Hilfe will ich rufen und ich kann nicht die Lippen bewegen und niemand hilft.

Gerungen und gewunden in heller Angst.

Der Stein drückt auf die Brust, und da schreit es, heult wahnsinnig wie ein Tier.

Der Schweiß trieft von der Stirn; es bäumt sich. Und dann hat es noch gekämpft; die Arme sind heruntergesunken. Still, und der Stein drückt langsam die Brust ein, daß das Blut aus dem Munde bricht. Ja, alles lastet auf mir. Geöffnet und aufgebrochen bin ich ganz, und da flattert mein Sehnen hilflos in der Luft und ich starre in den weißen Sonnenschein.

Einsam bin ich. Heiß stürzende Thränen.

Ich frage nicht; was ist mit mir geschehen, sind das meine Hände, mein Haar, mein Kopf; ich staune nicht, daß ich mir fremd geworden bin; ich weiß nur, daß mich Schauer überkommen und daß sie mich fortreißen werden –, wohin?! –

* * *

Ich kann nimmer liegen.

Es hat draußen gewittert.

In mir geht ein Sturm auf; Schauer auf Schauer.

Ich muß die Angst abwerfen.

Hinaus.

Oh in die weite Mitternacht hinaus.

– Königstochter, jüngste, mach mir auf! –

Hastige, leise Tritte durchs Gras. Es bleibt stehen, es hastet weiter.

Die weißen Wolken ziehen an dem blauen Nachthimmel still vorüber: hell ist die Frühlingsnacht.

An einer Birke steht es und hält sich fest und legt den Kopf an die Rinde; schaut mit leuchtenden Augen auf den Mondschein. –

Es läßt den Baum los und stolpert weiter: Dann wirft es sich still in das Gras. – Der Wind kichert und weint durch das grüne Gras.

Lange –.

Streicht wie eine Hand über den Waldboden. – Es richtet sich im Gras langsam auf; ein verträumtes, klares, stilles Gesicht.

Horcht auf verlorene Töne nah und fern.

– Faß mich, – noch nicht, haha! –

Der Frühlingsmondschein blüht klar und innig auf der Wiese. Tiefblau und weit ist der Nachthimmel.

Das Haar bewegt sich im Wind. –

Es setzt sich auf einen starken Baumknorren in der hellen Frühlingsnacht.

Die Nüstern zittern, als ob sie etwas in der Tiefe der Nacht witterten.

Die Lippen lächeln glücklich und wild halboffen.

– Aus dem Munde kommt ein gurrendes, leises Lachen.

Es atmet auf, reckt sich, die Arme weiten sich.

* * *

Frühling!

Frühling!!

Frühling, Geliebter!!!

Ein Schwindel faßt mich bei den Locken, ein Schrei bricht aus meiner Brust. Selig, unselig, reckend, dehnend.

hast mich gesegnet, du hast mich gequält. Nebel gehen über das Land: das sind die Riesen, die Frühlingsriesen; die schreiten mit schweren Schritten in weißen Nebeln über das Land, bücken sich, reißen Erde auf, heben zum Licht. Ich will fliegen wie die Schwalben im Frühling, ich! Sie kreisen im Morgenlicht um mein Haus: bald geht die Sonne auf.

* * *

So tief und traumhaft will es mir über das Herz gehen.

So selig ist mir zu Mut, so trunken, brünstig, begehrend und verlangend, – frei lachend und lallend und sehnendheiß und hoch.

Mir ist wie einer Birke, wie einer sprießenden Birke draußen im Walde, die neigt und wiegt sich, als ob ein Gott in ihr erwacht und sich dehnt. Die hab ich wachsen gehört.

Sie surren auf, all die jungen, girrenden Säfte, quellen, überströmen, rütteln an das Herz der jungen Birke; erst verhalten, dann schmetternd und jauchzend, – da brechen die lustigen Frühlingstriebe auf und schlagen aus, wollen die Sonne locken.

Wie sie rufen: wach auf, wach auf –! Es ruft und singt und girrt in mir, webend, schwellend, pochend: Komm mir, komm mir, Sonne. Mein Herz verlangt dir und aller Weite und Höhe nach, – strecke die Arme aus nach dir; du mußt, mußt mir kommen; hörst du, du mußt mir kommen. –

* * *

Langsam ist ein Gewitter in mir aufgezogen. Ein Gewitter trage ich in mir, das will niedergehen.

Es weitet sich alles um mich und blüht.

Ich sehe: eine neues Verlangen ist unter den Schauern in mir aufgegangen.

Daß ich Mensch bin, fühle ich, und verstehe es, und schauere darunter.

Oh weiter, weiter.

* * *

Oh Lust und Weite. Ungeduldig hebt es sich auf, auffliegen will ich. Wie ich ihm mit Sinn und Atem entgegenlechze; Lust will meine Glieder umspülen.

Du Hohes, Süßes, – Schmerzliches.

Ach was rührt mich leise?

Still hält mich eine Hand fest; es bittet etwas so dringend und klammert sich an meinen Leib. In der Stille, im Traume spricht mich heimlich eine Stimme an, daß ich all das Neue vergessen, verwerfen möchte und die Zähne zusammen beiße und die Augen fest schließe.

Ich habe wohl Angst um mich und Sehnsucht nach meiner Paradiesesstille und meinem Dunkel. Und ein Grauen steigt mir, und Entsetzen vor diesem Drängen und Quellen auf –.

Wie reiß ich mich los?

Ach hätte ich jagende Rosse, die mich forttrügen von aller Angst zu dir –; fort, fort von hier.

Und wenn es mich graut vor dir, so will ich dich; ich will dich haben, oh Weite und Sonne, Menschenleben, – so geb ich mich dir hin, ganz.

Ich habe dich gesucht; dir bin ich geweiht; ich will es, ich will es.

Zerrissen das Gitter; abbrech ich nun alle Brücken, damit ich frei stehe.

Ich bin nicht mehr ohne dich; du wirst mich von mir erlösen – mit deinem letzten Grauen.

Dein letztes Grauen, – sieh, mein Herzblut schreit nach dir; mir ist bang nach dir, oh du.

Ach, nimm mich hin!

Verschling mich!

* * *

Das wogt und braust und brandet.

Rauschen und Gischen; Sausen, Murmeln und Flüstern; Flüstern, Rauschen, Brausen, Aufbranden. Sie schlagen bis an den Himmel hinauf und hinein, sie lecken an den lichten Sternen, die Wellen.

Ihre grünweißen Kämme umschlingen Menschen mit starken Armen, mit lohenden Augen, zerrissen und zerwühlt das Antlitz in zuckendem Bangen, Bangen.

Es wehen goldene Weiberhaare; quellende Glieder, sich dehnend und sehnend; Gelächter aus sonnigen Gesichtern und heißes Schluchzen. Dazwischen Ächzen und Brüllen aus qualvoll verschnürten Kehlen. Verschleierte Qual und bitter verzerrte Münder.

Und überall Röcheln, Zanken und Zucken, Angst brechende Blicke.

Die Wellen fluten an, schwellen, höher, höher. Jetzt heult es auf, schlägt auf, – sieh, sieh, es greift mit der Rechten nach dem funkelnden Sterne, umfaßt ihn schon –. Unten Donner, Brüllen.

* * *

Das Leben singt um mir mit tausend Lippen.

Es duftet um mich mit Würze, Mandeln und Leidenschaft. Und wie eine Riesenorgel klingt mir das Leben. All das zu atmen, zu trinken, bis zum Grund auszulechzen.

Die...


Döblin, Alfred
Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ›Berlin Alexanderplatz‹. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Alfred DöblinAlfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ›Berlin Alexanderplatz‹. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.



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