Dörre / Sauer / Wittke | Kapitalismustheorie und Arbeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 1, 513 Seiten

Reihe: International Labour Studies

Dörre / Sauer / Wittke Kapitalismustheorie und Arbeit

Neue Ansätze soziologischer Kritik

E-Book, Deutsch, Band 1, 513 Seiten

Reihe: International Labour Studies

ISBN: 978-3-593-41700-4
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Gesellschaftstheorie ist die Arbeit und mit ihr die empirische Fundierung abhanden gekommen, der Arbeitssoziologie die Theorie - so der Befund der Herausgeber dieses Bandes. Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse sind vielfältiger und unsicherer geworden. Zugleich gewinnen Arbeits- und Verteilungskämpfe an Schärfe. Um diese Veränderungen angemessen zu erfassen, bedarf es innovativer Impulse aus der Kapitalismusanalyse, so wie diese ihrerseits von der Arbeitssoziologie lernen kann. Die Autorinnen und Autoren liefern eine Bestandsaufnahme der aktuellen theoretischen Ansätze, um Kapitalismus und Arbeit wieder zusammenzudenken.
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Inhalt

Einleitung
Kapitalismustheorie als Problem der Arbeitssoziologie 9
Klaus Dörre, Dieter Sauer, Volker Wittke


Arbeitssoziologie und Kapitalismuskritik

Irrtümer, Grenzen und Möglichkeiten arbeitssoziologischer
Kapitalismuskritik 25
Christoph Deutschmann

Arbeit - mehr als Beschäftigung? Zur arbeitssoziologischen
Kapitalismuskritik 34
Sarah Nies, Dieter Sauer

Landnahme durch Bewährungsproben - Ein Konzept
für die Arbeitssoziologie 63
Klaus Dörre, Tine Haubner


II. Was leisten Kapitalismustheorien für die Arbeitssoziologie?

Zur Einführung 109
Dimitri Mader, Hanno Pahl

Gegenläufige Blicke auf Kapitalismus und Arbeit - Feministische
Kapitalismusanalysen im Verhältnis zu Kapitalismustheorie und
Arbeitssoziologie 113
Brigitte Aulenbacher

Regulationstheorie und Arbeitspolitik 127
Hans-Jürgen Bieling

Arbeitssoziologie und materialistische Staatstheorie 143
Stefanie Hürtgen, Jens Wissel

Arbeit und Kritische Theorie - Ein unvollendetes Projekt157
David Strecker

Kapitalistische Gesellschaft - Eine differenzierungstheoretische
Perspektive 172
Uwe Schimank

Internationale Politische Ökonomie und Arbeit 187
Stefan Schmalz

Finanzmarktkapitalismus oder Finanzmarktrationalität? 205
Jürgen Kädtler

Die Konjunktur der Flexibilität - Zu den Temporalstrukturen im
Gegenwartskapitalismus 222
Hajo Holst


III. Was leistet die Arbeitssoziologie für die Kapitalismustheorie?

Zur Einführung 243
Peter Bescherer, Harald Hoppadietz

Haushalte als umkämpfte Räume im kapitalistischen Weltsystem 247
Immanuel Wallerstein

Leibdienst - Liebesdienst - Dienstleistung 258
Cornelia Klinger

Arbeit und Reproduktion 273
Kerstin Jürgens

Arbeit, Unsicherheit, Informalität289
Nicole Mayer-Ahuja

Arbeit und Subjektivität 302
Stephan Voswinkel

Informatisierung als Produktivkraft - Der informatisierte
Produktionsmodus als Basis einer neuen Phase des Kapitalismus 316
Andreas Boes, Tobias Kämpf

Kapitalistische Arbeitsorganisation und Selbsttätigkeit336
Harald Wolf

Arbeit und Konsum - Eine neue Perspektive für die
Wirtschaftsdemokratie 353
Jörn Lamla

Arbeit und Nachhaltigkeit371
Stefanie Hiß


IV. Kapitalismustheorie und Kapitalismuskritik

Zur Einführung385
Tine Haubner

Wachstumskritik als Kapitalismuskritik389
Birgit Mahnkopf

Arbeit und Entfremdung410
Hartmut Rosa

Sozialkritik und Gewerkschaften - Konturen einer
schwierigen Beziehung421
Hans-Jürgen Urban

Arbeit und gesellschaftliche Legitimation -
Zum kapitalismustheoretischen Nutzen einer normativ
interessierten Industriesoziologie446
Wolfgang Menz

Transformation des Kapitalismus 462
Erik Olin Wright

Schluss 488
Klaus Dörre

Autorinnen und Autoren 509


Obwohl als Sieger aus der Systemkonkurrenz hervorgegangen, mehren sich Zweifel an der Zukunftstauglichkeit des Kapitalismus. Das nicht, weil oppositionelle Bewegungen das Überleben dieser Gesellschaftsformation ernsthaft bedrohen würden. Zumindest in ihren alten Zentren sind Arbeiter/-innen-Bewegungen mit antikapitalistischer Programmatik häufig schwächer denn je. Es ist ein systemimmanenter Krisenmechanismus, der in immer neuen Schüben eskaliert und deshalb die Frage nach gesellschaftlichen Alternativen provoziert.

Die Krise als Normalität und Herausforderung

Was 2007 zunächst als Subprime-Krise in den USA begann, hat sich binnen weniger Monate und über alle Divergenzen nationaler Kapitalismusmodelle hinweg zu einem globalen Flächenbrand ausgeweitet. Anders als bei ihren zahlreichen Vorläufer-Krisen konnten die Erschütterungen 2007-2009 nicht aus den alten Zentren herausgehalten werden. Als das Wirtschaftswachstum einbrach, nahmen Arbeitslosigkeit und Prekarität weltweit zu. Zwar zog die Konjunktur in einigen Schwellenländern und auch in Deutschland rasch wieder an, im globalen Maßstab führte das aber weder zu sinkenden Arbeitslosenquoten noch zu einer Korrektur des Polarisierungstrends bei Einkommen und Vermögen. In der Europäischen Union verharrt die Erwerbslosigkeit auf einem Rekordniveau von mehr als elf Prozent (OECD 2012). Allerdings ist der Euro-Raum gespalten. Während die Erwerbslosigkeit in einigen nördlichen Staaten, darunter Deutschland, sinkt, ist sie in anderen Ländern seit der Krise dramatisch expandiert. Frankreich, Griechenland, Ungarn, Italien, Portugal, die Slowakei und vor allem Spanien verzeichnen Quoten im zweistelligen Bereich.

Doch auch in den vermeintlichen Gewinnerstaaten macht sich wachsende soziale Ungleichheit bemerkbar. So ist der Anteil von Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen am deutschen Nationaleinkommen innerhalb von zwanzig Jahren um fünf Prozent gesunken (von 67 auf 62 Prozent). Zugleich hat die Konzentration der Vermögen im Zeitverlauf zugenommen; das obere Zehntel der Haushalte verfügte über mehr als 50 Prozent der Vermögenseinkünfte (Frick/Grabka 2009). Insgesamt zeichnet sich eine deutliche Umverteilung hin zu den Vermögenseinkommen und den einkommensstarken Haushalten ab (Brenke 2011: 92).

In Verbindung mit Produktivitätssteigerungen haben die Reallohnverluste der Beschäftigten die Lohnstückkosten in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich abgesenkt. Die relativ starke Wettbewerbsposition der in Deutschland ansässigen Unternehmen und auch die relativ erfolgreiche, geräuschlose Bewältigung der großen Krise 2007-2009 beruhten jedoch nicht allein auf derartigen Wettbewerbsvorteilen. Die Fundamente des sogenannten "German Miracle" wurden in einem langen Prozess permanenter Restrukturierung der Abläufe in den Betrieben geschaffen. Standortverlagerungen, Outsourcing, Kostensenkungsprogramme und eine beständige Flexibilisierung und Intensivierung der Arbeit haben einen fortwährenden Arbeitsdruck und eine wachsende Unsicherheit von Beschäftigung, Einkommen und Arbeitsbedingungen erzeugt. Für die Mehrzahl der Lohnabhängigen in den Betrieben wirkte die zurückliegende Finanz- und Wirtschaftskrise daher nicht als singuläres Ereignis, sondern trifft auf schon länger andauernde "alltägliche" Krisenerfahrungen. Anders als ökonomische Zyklen wird die Krise oftmals als ein gleichsam "permanenter Prozess" wahrgenommen, der sich bereits seit über einem Jahrzehnt vollzieht (vgl. Detje u.a. 2011).

Noch bedeutsamer als die zwieschlächtigen Erfolgsbilanzen vermeintlicher Gewinnerstaaten (Lehndorff 2012) ist die Tatsache, dass es den Regierungen der OECD-Länder offenkundig nicht gelingt, die strukturellen Krisenursachen zu entschärfen. Innerhalb des Euro-Raums erzeugt jede politische Anti-Krisenintervention gegenwärtig neue Verwerfungen. Der "keynesianische Moment", den öffentliche Konjunkturprogramme zur Stabilisierung der Wirtschaft und Steuergelder zur Rettung insolventer Kreditinstitute ausgelöst hatten, war für die Staaten teuer. Deshalb ist die Krise aus dem Banken- und Kreditsektor in die Staatsfinanzen und das Währungssystem eingesickert. Um die Finanzmärkte zu beruhigen und den europäischen Rettungsschirm nutzen zu können, werden die Staaten der Eurozone inzwischen einem rigiden Krisenmanagement unterworfen. Die Banken- und Fiskalkrise hat sich zu einer veritablen Währungskrise gemausert, die mittlerweile die Grundfesten der Europäischen Union erschüttert. Mit dem europäischen Fiskalpakt, der für Konsolidierung sorgen soll, bekäme die Austeritätspolitik einen Verfassungsrang; die nationalen Handlungsspielräume für Tarifpolitik und Gewerkschaften würden noch einmal dramatisch verengt.

Noch ist völlig offen, ob und wie die Europäische Union und die gemeinsame Währung diese Krise überstehen werden. Schon jetzt zeigt sich jedoch, dass die ökonomische Langzeitkrise eine ökologische Kehrseite besitzt. Der globale CO2-Ausstoß übertrifft inzwischen noch die pessimistischsten Prognosen. Politische Zielsetzungen, die Erderwärmung auf durchschnittlich zwei Grad zu begrenzen (Stern 2009), wären bei Fortsetzung dieses Trends schon im Ansatz gescheitert. Der Klimawandel selbst bezeichnet wiederum nur einen von mehreren ökologischen Krisenherden. Bei der Nutzung von Erdöl und zahlreichen anderen endlichen Naturstoffen könnte schon in naher Zukunft ein Kipppunkt (Überschreiten der maximalen Fördermenge) erreicht sein (Meadows u.a. 2012). Die Inkaufnahme letztlich unbeherrschbarer technologischer Risiken erhöht, wie die Reaktorkatastrophe von Fukushima eindringlich belegt, die Brisanz solcher Schwellenwerte zusätzlich.

In der prozessierenden ökonomisch-ökologischen Krise offenbart sich, was in der heterodoxen Umweltökonomie als das Wachstumsdilemma (Jackson 2009) moderner kapitalistischer Gesellschaften bezeichnet wird. Sinkt die Wirtschaftsleistung nach den Maßstäben des Bruttoinlandsprodukts (BIP), sind zunehmende Erwerbslosigkeit, Prekarität und Ungleichheit eine wahrscheinliche Folge. Wächst die Wirtschaft, bedeutet das gegenwärtig eine beschleunigte Vernutzung endlicher fossiler Ressourcen, erhöhten Schadstoffausstoß, die Aufheizung der Erdatmosphäre und die Steigerung ökologischer Risiken. Wenngleich bei weitem nicht alle diese Krisenphänomene ausschließlich systemischen Funktionsmechanismen kapitalistischer Vergesellschaftung angelastet werden können, illustriert diese Momentaufnahme doch, weshalb sich inzwischen Teile der kapitalistischen Eliten um den Fortbestand des Gesellschaftssystems sorgen. Die Stabilität nicht nur der kapitalistischen Wirtschaft, sondern ebenso die der wohlfahrtsstaatlichen und demokratischen Institutionen hängt maßgeblich davon ab, ob und wie ökonomisch-materielles Wachstum generiert wird. Noch ist die Wachstumsdynamik in den fortgeschrittenen Kapitalismen des globalen Nordens keineswegs vollständig versiegt, und nach wie vor federn halbwegs robuste Wohlfahrtsstaaten einen Teil der sozialen Risiken ab. Dennoch lässt sich kaum übersehen, dass die Spannungen zwischen Kapitalismus und Demokratie wieder deutlicher zutage treten (Streeck 2011). In den alten Zentren des Wachstumskapitalismus, in Europa und den USA, ist - nicht nur die ökonomische - Krise zur Normalität geworden. Und selbst in den neuen Wachstumsregionen, in den BRICS-Staaten und hier insbesondere in China, eskalieren soziale und ökologische Konflikte, so dass Diskussionen über einen Pfad- und Modellwechsel aufkommen (Arrighi 2007; Silver/Lu Zhang 2009).

Angesichts der Wucht und der Komplexität unterschiedlicher Krisenphänomene hat die Kapitalismuskritik zumindest in einigen ihrer Schattierungen Eingang in den Elitendiskurs gefunden. Das Weltwirtschaftsforum von Davos befasst sich mit der Zukunft des Kapitalismus. Im Feuilleton der Qualitätspresse wird die "Systemfrage" aufgeworfen. Und bekannte Journalisten mit konservativer Grundüberzeugung fragen besorgt, ob die Linke mit ihrer Gesellschaftskritik am Ende doch Recht behalten könnte.

Und die Soziologie? Und die Arbeitssoziologie?


Klaus Dörre ist Professor am Institut für Soziologie der Universität Jena. Dieter Sauer ist Professor am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (IFS) München. Volker Wittke (1957-2012) war Professor am Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) an der Universität Göttingen sowie dessen Präsident.


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