E-Book, Deutsch, 360 Seiten
Dominik / edition Moderne Piraten
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7392-4709-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)
E-Book, Deutsch, 360 Seiten
ISBN: 978-3-7392-4709-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hans Dominik (1872 - 1945) gilt als einer der wichtigsten Vorreiter der Zukunftsliteratur in Deutschland. Neben Science-Fiction verfasste Dominik auch Sachbücher und Artikel mit technisch-wissenschaftlichem Inhalt. Vor allem seine utopischen Romane erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit.
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Kapitel I: Auf der Fahrt nach Ägypten
Mit einer Stundengeschwindigkeit von achtzehn Knoten schraubte sich die „Usakama“ durch die Fluten des Mittelmeeres. Nur ein schwaches Zittern des gewaltigen Körpers verriet die Arbeit der zwanzigtausendpferdigen Turbinen, die das Schiff vorwärtstrieben. Vor zwei Tagen hatten die Reisenden in der Straße von Messina zum letzten Male Land gesehen, dann war der rauchende Kegel des Ätnas, das letzte Wahrzeichen Europas, allmählich im Westen hinter ihnen in der See versunken. Nur ruhiges, saphirblaues Meer zeigte sich jetzt nach allen Seiten hin, soweit das Auge reichte, ein ebenso blauer Himmel darüber, von dem das Tagesgestirn mit südlicher Kraft herniederbrannte. Glänzend weiße Sonnensegel, von den Schiffspumpen in kurzen Zeitabständen mit Seewasser benetzt, überspannten die Oberdecks und spendeten Schatten und Kühlung.
Der Lunch im großen Speisesaal der „Usakama“ ging mit einer Tasse Kaffee zu Ende. Die letzten Klänge der Schiffskapelle verrauschten, und lauter schlugen nun Gesprächsbrocken von den einzelnen Tischen her durch den Raum. Schon erhoben sich einzelne Gäste.
Auch Doktor Gransfeld, der seinen Platz neben dem Schiffsarzt hatte, schob die leere Kaffeetasse zurück und machte Anstalten, aufzustehen. „Wie wär’s mit einem Verdauungsmarsch über das Promenadendeck, Kollege?“
Doktor Lüders, der Schiffsarzt, lachte. „Aha, die alte Regel! ‚Nach der Mahlzeit sollst Du ruhn oder tausend Schritte tun!‘ Sie haben recht. Man setzt bei unserer Bordverpflegung sonst unweigerlich Speck an. Also auf zum Mittagsbummel!“
Die beiden Medizinmänner – auch Doktor Gransfeld war Arzt – stiegen die Mahagonitreppe zum Promenadendeck empor. Vor der Wanduhr im Treppenhaus, unter der auf einer Seekarte gerade das neue Mittagsbesteck eingetragen wurde, blieben sie stehen.
„Einen Augenblick, Kollege! Wollen mal sehen, wo wir sind. – 24 Grad 10 Minuten östlicher Länge, 33 Grad 45 Minuten nördlicher Breite. Alle Wetter, sollte denn da im Norden nichts von Kreta zu sehen sein?“
Doktor Lüders schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen! Unser Kurs steht zwanzig Meilen südlich von der Insel. Von Europa bekommen Sie nichts mehr zu sehen, erst in Port Said wieder afrikanisches und asiatisches Land zur gleichen Zeit. Stellen wir unsere Uhren gleich auf die neue Schiffszeit dreißig Minuten vor! Eine halbe Stunde ist uns bei der Ostfahrt verlorengegangen. Ein Trost, dass wir sie auf der Rückreise wiederfinden.“
Auch Gransfeld zog seinen Chronometer und richtete ihn neu. „So, Punkt eins des Programms wäre erledigt. Jetzt mal nach vorn! Vielleicht gibt’s Delphine.“
„Meinetwegen! Aber da sind keine Sonnensegel. Es wird ein bisschen warm werden.“
Sie schritten über Promenaden- und Vorderdeck bis zur Spitze des Schiffes und schauten in die Flut. In der klaren See umschwärmte ein Rudel Delphine das Schiff, und geraume Zeit betrachteten sie die munteren Fische.
Doktor Lüders brach das Schweigen. „Besser Delphine als Haie.“
„Haie? Gibt’s die hier auch?“, fragte Gransfeld.
„Leider! Die Biester müssen durch den Suezkanal kommen. Im Hafen von Port Said wimmelt es manchmal davon. Ich möchte niemand empfehlen, dort über Bord zu fallen.“
„Es sind wohl nur Katzenhaie und keine richtigen Menschenhaie?“
„Ob Katzenhai oder Menschenhai soll mir gleich sein. Beißen tun alle beide. – Doch jetzt haben wir hier genug geschmort. Gehen wir lieber nach hinten in kühlere Gegenden!“
„Sie wollen Ihren Onkel in Syut besuchen?“, setzte Doktor Lüders auf dem Rückwege die Unterhaltung fort. „Ich habe inzwischen allerlei über ihn gehört. Das muss ja ein ganz bedeutender Herr sein, Chefingenieur der Egyptian Irrigation Company, Leiter sämtlicher Bewässerungsarbeiten im Abschnitt Syut, schon seit langem dort tätig, dabei unverheiratet. Nach meiner Schätzung muss der Mann ein Vermögen zurückgelegt haben. So einen Erbonkel könnte ich auch brauchen.“
Gransfeld machte eine abweisende Bewegung. „Ich wünsche meinem Onkel ein langes Leben. Leider ist seine Gesundheit nicht die beste, seitdem er vor zwei Jahren einen Unfall auf einer Baustelle hatte. Ein Sturz, der an sich gar nicht so gefährlich war, aber die Aufregung, die Nervenerschütterung. Obwohl ich Arzt bin, kann ich mir kein klares Bild machen. Jedenfalls muss der Unfall ein anderes Leiden, das innerlich schon vorhanden war, zum Vorschein gebracht haben.“
„Das wäre nicht das erste Mal“, warf Doktor Lüders ein. „Jeder Europäer, der jahrzehntelang in subtropischem Klima lebt, hat mehr oder weniger einen Knacks weg. Wenn Ihr Onkel noch etwas von seinem Leben haben will, sollte er die Irrigation Company sich selbst überlassen und schleunigst nach Deutschland zurückkehren.“
„Das wird schwerhalten, Kollege. Er hängt mit Leib und Seele an seinem Beruf. Aber ich will versuchen, in diesem Sinne auf ihn zu wirken.“
Sie waren in ihrer Unterhaltung bis zum Heck des Schiffes gekommen. Hier war ein Sonnensegel gespannt, in dessen Schatten ein Teil der dienstfreien Schiffsbesatzung Ruhe und Erfrischung suchte.
„Il dolce far niente, das süße Nichtstun“, meinte Doktor Lüders, „hier lernen sie’s alle. Nicht nur die Levantiner und Griechen, die wir unter der Besatzung haben, auch unsere Hamburger geben sich dieser Beschäftigung mit lobenswerter Ausdauer hin. Sehen Sie mal unsern kleinen Steward da, den Rudi! Ein Berliner Junge übrigens, ein fixes Kerlchen. Macht schon seine achte Reise mit der ‚Usakama‘. Der hat sich da wie ein Igel hinter dem Rettungsboot zusammengerollt. Geschickt, wie er sich den Platz gesucht hat! Liegt im Bootsschatten und hat das bisschen Seebrise aus erster Hand. – Na, Rudi, mein Sohn, bald wird die Glocke schlagen, die Dich zu neuen Taten ruft! – Sein Chef Rasati, der Obersteward, ist übrigens ein ziemlich brutaler Kerl.“ Lüders wandte sich wieder an Gransfeld. „Der wird sacksiedegrob, wenn seine Leute nicht pünktlich zum Dienst kommen. Er ist übrigens auch ein Levantiner, aber in Zug hält er seine Kolonne, das muss der Neid ihm lassen.“
Sie waren an dem letzten Rettungsboot vorbei bis an die Heckreling gekommen und blickten eine Weile auf das schaumige Schraubenwasser, das sich kilometerweit auf dem ruhigen blauen Seespiegel verfolgen ließ.
„Hier könnten wir Haie sehen, wenn welche da wären“, meinte Doktor Lüders. „Das Viehzeug ist gefräßig; es bleibt immer hinter dem Schiff, um jeden Abfall zu erwischen, den der Koch über Bord wirft.“
„Weiter, Kollege! Unsere tausend Schritte sind noch nicht um.“ Gransfeld suchte zur Fortsetzung des Spazierganges zu ermuntern.
Doch Lüders lehnte sich behaglich mit dem Rücken an den Stock der Heckflagge. „Einen Augenblick noch! In zwei Minuten muss die Glocke die neue Wache schlagen. Ich möchte gern sehen, wie die Leutchen hier mobil werden.“
So blieben sie stehen. Außer Gransfeld befanden sich nur noch zwei Fahrgäste der ersten Klasse auf dem Achterdeck. In ein eifriges Gespräch vertieft standen sie dicht neben dem letzten Backbordrettungsboot. Gransfeld warf einen Blick dorthin und fragte Lüders: „Was sind das für Leute? Die sind mir schon aufgefallen.“
„Fahrgäste wie Sie und viele andere. Nur die Schiffsliste kennt ‚Nam und Art‘; aus der kann ich’s Ihnen verraten. Der Lange mit der Schirmmütze ist ein Schotte, ein Mister Morton aus Edinburg, der andere, kleinere, namens van Holsten, stammt irgendwoher aus dem Lande der Mynheers. Engländer, Holländer, Levantiner und so weiter, wir führen alles an Bord, was Sie wünschen. Wenn ich mich nicht irre, habe ich die beiden schon einmal auf einer früheren Fahrt an Bord der ‚Wadoni‘ gesehen.“
„Merkwürdig!“, warf Gransfeld ein.
„Durchaus nicht, Kollege. Gewisse Leute werden Sie immer wieder auf bestimmten Schiffsstrecken treffen. Das hängt wohl mit ihren Geschäften zusammen.“
In diesem Augenblick schrillte die elektrische Glocke. Sofort sprang Rudi, der junge Steward, der unmittelbar neben den beiden Fahrgästen gelegen hatte, auf und wollte zum Dienst eilen. Erst jetzt, wie erschreckt, bemerkten diese seine Anwesenheit. Der Holländer packte ihn am Rockärmel und fuhr ihn grob an: „Qu’est-ce que vous avez fait ici?“
Während der Gefragte noch mit der Antwort zögerte, mischte sich der lange Schotte dazwischen und wiederholte die Frage: „What did you do here?“
Rudi antwortete englisch: „Ich habe hier geschlafen und höre eben das Signal, dass ich zum Dienst kommen muss.“
„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“
„Ich verstand nicht, was der andere Herr auf Französisch sagte“, entschuldigte sich Rudi und wollte weitergehen.
Wütend sprang der Schotte ihm nach und versetzte ihm einen Schlag, der ihn fast zu Fall brachte. Schreck und Entrüstung erpressten dem Getroffenen einen lauten Schrei. Augenblicklich hatte Rudi sich umgedreht, die Fäuste geballt, die Arme angezogen, bereit, jedem weiteren Angriff auf Boxerweise zu begegnen.
Morton zog es vor, sich zurückzuziehen, während er laut schimpfte. „Ich will Dich lehren, hinter den Fahrgästen her zu spionieren und fremde Gespräche zu...