E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: Digital Edition
Donnelly Wie auf einem Vulkan
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7337-5649-9
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: Digital Edition
ISBN: 978-3-7337-5649-9
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Irenes Urlaubstage auf der kleinen Insel vor Sizilien mit ihrem Freund Nigel verlaufen ganz anders als geplant. Nicht sie kommen sich näher, sondern Irene verliebt sich unsterblich in Olive, Nigels arroganten Bruder. Doch der erfolgreiche Unternehmer scheint mit ihren Gefühlen nur zu spielen ...
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1. KAPITEL
„Was sagen Sie da, ich soll den Betrieb verkaufen?“ Irene Brookes starrte den Buchhalter ihres Vaters ungläubig an.
„Dazu habe ich schon Ihrem Vater geraten“, meinte Mr. Snelson. „Wie Sie selbst sehen, steckt das Unternehmen tief in den roten Zahlen.“
Ihr Vater hatte sich nie besondere Gedanken über Geld gemacht. Er schien überhaupt gern in den Tag hineingelebt zu haben. Vor einigen Jahren hatte er das Haus in der Nähe der Fabrik verkauft und war bei seinen Besuchen im Hotel abgestiegen. Sein Londoner Apartment war ihm ohnehin immer schon lieber gewesen. Auch Irene fühlte sich in ihrer Stadtwohnung wohler, und das Haus wurde nur selten benutzt.
Das war so ziemlich alles, was Vater ihr erzählt hatte. Von seinem großzügig bemessenen Einkommen hatte er Irene ein ansehnliches Taschengeld abgezweigt, sodass sie sich nie Gedanken über die finanzielle Situation ihres Vaters gemacht hatte. Den wahren Stand der Dinge hatte sie erst vor einer halben Stunde erfahren, als Mr. Snelson die Geschäftsbücher gebracht und ihr die einzelnen Zahlenkolonnen erklärt hatte.
„Es tut mir wirklich sehr leid“, murmelte der Buchhalter verlegen. „Ihr Vater hatte einfach Pech gehabt, die Zeiten sind schwer geworden.“
Henry Brookes hätte den Verkauf des Unternehmens sicher erwogen, wenn er nicht auf der Yacht einer guten Freundin bei einer Kreuzfahrt im Mittelmeer mit einem Aperitif in der Hand einem Schlaganfall erlegen wäre. Seine Freundin war eine begüterte Witwe, und Henry war schon immer ein Frauenheld gewesen.
Irene würde jedoch kaum harten Zeiten entgegensehen, denn ihr attraktives Äußeres war allein schon ein Vermögen wert. Sie hatte bereits ein paar Verlobungen hinter sich, und es würde die Männer kaum abschrecken, dass sie nunmehr eine mittellose Erbin war.
Dennoch wünschte Cedric Snelson, sie wäre darauf vorbereitet gewesen. Obwohl sie alles ruhig hinnahm, war ihr der Schock doch anzumerken.
Stirnrunzelnd lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück. „Ich hatte keine Ahnung. Ich fürchte, ich habe mich nie für das Familienunternehmen interessiert.“
Ihr Vater hatte übrigens genauso wenig Interesse daran gehabt. Als er die Erbschaft antrat, war die Fabrik ein florierendes Unternehmen gewesen. Aber er hatte jahrelang nur seinen eigenen Gewinn herausgezogen und nie etwas investiert. An seinem Schreibtisch hatte man ihn so gut wie nie gesehen.
Er war eben alles andere als ein umsichtiger Unternehmer. Niemand konnte diesem charmanten, jungenhaften Mann böse sein. Mit seiner Tochter gab er ein attraktives Paar ab, denn Irenes strahlende Schönheit übertraf sogar die ihrer Mutter.
Viele Jahre hatte sich Irene nicht mehr im Familienunternehmen sehen lassen. Seit dem Verkauf des Hauses war sie überhaupt nicht mehr in dieser Gegend gewesen.
Doch gestern war ihr Vater in der Familiengruft beigesetzt worden, und Irene wohnte nun vorübergehend bei den Snelsons.
Snelsons Frau war furchtbar stolz darauf, die schöne Irene als Gast in ihrem Haus zu haben. Für sie war Irene eine kleine Berühmtheit, immerhin war sie ständig in Werbespots im Fernsehen zu sehen oder in Modezeitschriften, für die sie als Fotomodell arbeitete.
Bei der gestrigen Beerdigung war der Friedhof fast zu klein gewesen, um alle Trauergäste aufzunehmen. Jeder war betroffen über Henry Brookes plötzlichen Tod.
Seine Tochter stand in einem schlichten schwarzen Kostüm bei den Snelsons. Sie trug kein Make-up; das lange Haar wallte in glänzenden Kaskaden über ihre Schultern hinab. Die Gästeschar konnte kaum den Blick von ihr wenden.
Wo immer sie auftauchte, machte Irene einen tiefen Eindruck. Das war wohl auch der Grund dafür, dass sie in so vielen Dingen ihren Kopf durchsetzen konnte.
Obwohl die Frauen sie allgemein beneideten, zeigten sie an diesem Nachmittag viel Mitgefühl. „Ich weiß, wie nahe ihr euch gestanden habt“, bekam sie immer wieder zu hören. Sie nickte nur dazu, während die Tränen in ihren schönen, grünen Augen glitzerten.
Sie hatte eigentlich nach der Trauerfeier mit Freunden nach London zurückfahren wollen, doch sie ließ sich überreden, noch eine Weile bei den Snelsons zu bleiben. Cedric Snelson wollte sie gründlich über den finanziellen Stand des Familienunternehmens aufklären, und außerdem würden ihr ein paar Tage in der frischen Landluft nur gut tun.
Die Nachricht vom Tode ihres Vaters war ein fürchterlicher Schock für sie gewesen. Doch sie hatte sich eisern beherrscht. Statt sich von ihrer Verzweiflung überwältigen zu lassen, hatte sie alles in die Wege geleitet, was nun mal getan werden musste.
Auch während der Trauerfeier weinte sie nicht. Danach verbrachte sie einen ruhigen Abend mit den Snelsons und ein paar Nachbarn, die sie schon als Kind gekannt hatte.
Sie ging früh zu Bett, und Mrs. Snelson brachte ihr ein Glas heiße Milch. Ida Snelson war den ganzen Tag mit feuchten Augen umhergegangen, denn sie weinte stets bei Hochzeiten und Trauerfeiern. Sie hatte Henry Brookes gemocht, sein egozentrisches Verhalten jedoch verachtet. Ihrer Ansicht nach hätte er sich nicht auf eine Kreuzfahrt begeben, sondern in seinem Unternehmen für Ordnung sorgen sollen.
Sie wusste, wie nahe sich Vater und Tochter gestanden hatten, und überlegte, ob sie es wagen durfte, sich an Irenes Bett zu setzen und sie tröstend in die Arme zu nehmen.
Sie war alt genug, um Irenes Mutter zu sein, und sie erinnerte sich noch gut an das pummelige tollpatschige Mädchen, das hier gelegentlich die Schulferien verbracht hatte. Beim Tode ihrer Mutter hatte sie die pummelige Irene in die Arme genommen und das Zittern des kleinen Körpers gespürt. Doch inzwischen hatte sich das pummelige Mädchen in eine junge, elegante Frau verwandelt, die man nicht so vertraulich ans Herz zu drücken wagte.
Ida stand zögernd vor dem Bett. „Versuchen Sie zu schlafen“, sagte sie und wünschte, ihr würde etwas anderes einfallen. Unbeholfen fügte sie hinzu: „Die Zeit heilt alle Wunden.“
„Ja“, erwiderte Irene, die aufrecht im Bett saß. Das Glas Milch hatte sie auf den kleinen Nachttisch gestellt.
Sobald die Tür hinter Ida Snelson ins Schloss gefallen war, stand sie auf und goss die Milch zum Fenster hinaus. Sie hasste heiße Milch, der sie in ihrer Kindheit die pummelige Figur mit dem Babyspeck zu verdanken hatte.
Mrs. Snelson täuschte sich: Die Zeit heilte keineswegs alle Wunden. Es gab unendlich viele Erinnerungen, die mit einem intensiven Schmerz verbunden waren, der auch nach Jahren nicht nachließ. Mit der Haarbürste in der Hand ging sie wieder ins Bett und bürstete ihr langes Haar.
Heute Abend stürmten die Erinnerungen besonders heftig auf sie ein. Bestimmt würde sie wieder Albträume haben, und nichts fürchtete sie mehr.
Diese Träume wurden beherrscht von ihrer Mutter, die sie stets herumgestoßen hatte, weil sie pummelig und unscheinbar war.
„Kannst du denn gar nichts mit dem Kind anfangen?“, fragte ihr Vater oftmals, und ihre Mutter antwortete dann: „Was denn? Wie kann man aus stumpfem Material etwas Glänzendes herstellen?“ Sie hatten sich überhaupt ständig gezankt und angeschrien, denn er hatte stets andere Frauen und sie ihre Liebhaber gehabt.
„Du kannst verschwinden und Irene mitnehmen!“, hieß es nur allzu oft. „Glaub ja nicht, du könntest sie mir anhängen!“
Kurz nach ihrem fünften Geburtstag hatte man sie in ein Internat gegeben, wo sie auch nicht beliebt war. Zwar verhielt sie sich im Allgemeinen still und zurückgezogen, doch es gab Augenblicke, wo sie sich wild gebärdete und die grünen Augen Funken sprühten.
Ihre Mutter starb, als Irene in die Oberstufe versetzt wurde. Sie hatte sich einer geringfügigen Operation unterzogen; dabei hatte sie eine Durchblutungsstörung erlitten, an der sie starb.
Irene wurde zur Rektorin gerufen, die ihr behutsam den Tod ihrer Mutter beibrachte. Anschließend durfte sie packen und zur Beerdigung fahren.
Nach der Trauerfeier hatte ihr Vater sie in den ersten Zug gesetzt, der sie zum Internat zurückbrachte. Er trauerte auf seine eigene, egoistische Weise. Trotz allem hatte er seine Frau geliebt. Mit der pummeligen Tochter wusste er nichts anzufangen.
Als Irene sich einigen Freundinnen anschloss und auch die Schulferien bei ihnen verbrachte, atmete er erleichtert auf. Nur ganz selten verschwendete er einen Gedanken an sie.
In einem ihrer seltenen Briefe an ihn schrieb sie von einem etwaigen Universitätsstudium, überlegte es sich jedoch bald wieder anders. Sie fragte sogar an, ob sie eine Stellung im Familienunternehmen antreten könne. Diesem Problem wich Henry Brookes jedoch ebenso aus wie allen anderen in seinem Leben.
Da er Irene nur selten sah, ahnte er nichts von der krassen Veränderung, die mit ihr vorging. Wenn sie sich damals im Spiegel betrachtete, kam es ihr wie ein unfassbares Wunder vor.
Der Babyspeck verschwand vollkommen, die Beine wurden lang und wohl geformt, das Doppelkinn verlor sich, und die grünen Augen wirkten auf einmal größer. Die Hüften wurden schmal und die Brüste straff und fest.
Es war, als schimmerte ihre Haut von innen heraus. Das rötlich glänzende Haar trug sie nunmehr schulterlang in weichen Wellen.
Fortan war sie – von allen neidlos anerkannt – das bestaussehende Mädchen des Internats. Doch beliebt war sie genauso wenig wie zuvor. Sie strahlte jetzt voller Energie und Vitalität, versammelte eine Schar von Bewunderern um sich und schloss anhaltende Freundschaften.
Seit jeher hatte sie niemandem vertraut. Das...