E-Book, Deutsch, Band 1, 376 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
Donzowa Nichts wäscht weißer als der Tod
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8412-1230-6
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 376 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
ISBN: 978-3-8412-1230-6
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Miss Marple aus Moskau - ihr erster Fall fordert die ganze Frau.
Daß ihr Ehemann sie betrügt, ändert ihr ganzes Leben. Von einem Tag auf den anderen wird die wohlbehütete Harfenistin zur Haushälterin in der ziemlich chaotischen Familie der Ärztin Katja. Als Katja entführt wird, muß Tanja auch noch die Rolle der Ermittlerin übernehmen ...
Darja Donzowa (eigentlich Agrippina Donzowa) wurde 1952 in Moskau geboren. Sie studierte Journalistik an der Moskauer Lomonossow-Universität, arbeitete zunächst als Übersetzerin und unterrichtete später Französisch und Deutsch. Seit 1998 schreibt sie Kriminalromane, mittlerweile sind es vier Krimi-Reihen. Sie hat bisher 46 Bücher veröffentlicht, von denen insgesamt 72 Millionen Exemplare verkauft wurden. Darja Donzowa wurde dreimal in Russland Schriftstellerin des Jahres. 2002 und 2003 wurde jeweils eines ihrer Bücher als 'Bestseller des Jahres' ausgezeichnet. Darja Donzowa moderiert im russischen Radio eine Talkshow und hat im Fernsehen eine Rubrik. Ihre Kriminalromane dienten als Vorlage für Hörspiele und Fernsehserien. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren drei Kindern und ihren Hunden in Moskau.Im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen bisher ihre Romane 'Nichts wäscht weißer als der Tod' (2006), 'Spiele niemals mit dem Tod' (2007), 'Perfekt bis in den Tod' (2007), 'Bis dass dein Tod uns scheidet' (2008), 'Verlieb dich nie in einen Toten' (2009), 'Vögel, die am Abend singen' (2009) und 'Den Letzten beißt der Hund' (2010).
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1. Kapitel
Ich hasse meinen Mann. Als er heute morgen um zehn Uhr mit seinem schönsten Lächeln ein Tablett mit Kaffee, Sahne und Zucker in mein Schlafzimmer trug, hätte ich ihm am liebsten die Nachtlampe an den Kopf geworfen und losgeheult. Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, daß der Morgen nur dann so anfängt, wenn Mischa zu Hause ist. Tausende Frauen würden für einen solchen Mann bedenkenlos ihr rechtes Auge hergeben, so zartfühlend, gutmütig, großzügig, vermögend und verständnisvoll, wie er ist … Aber mir wird schon übel, wenn er nur in meiner Nähe seine Suppe schlürft. Auf seinen Zigarettenrauch bin ich allergisch, obwohl auch meinem Vater immer eine Papirossa im Mundwinkel hing.
»Meine Liebe«, säuselte mein Gatte und setzte das flache Tischchen auf meinen Knien ab, »du bist ja heute so blaß! Tut dir der Kopf weh? Trink einen heißen Kaffe, ich hoffe, er ist dir nicht zu süß …«
Ich schluckte gehorsam die schwarze Flüssigkeit, ohne etwas zu schmecken. Mischa trat ans Fenster und zog die Vorhänge auf. Ein grauer Tag schaute ins Zimmer.
»Na so was!« rief er entzückt aus. »Der November hat gerade angefangen, und wir haben schon Schnee und knakkigen Frost. Vielleicht geht es dir deswegen nicht so gut?« meinte er besorgt. »Weißt du was? Bleib einfach im Bett. Natascha wird schnell bei dir aufräumen, und dann hast du deine Ruhe. Soll ich dir Kuchen holen?«
Ich schüttelte langsam den Kopf.
»So schlimm? Nicht einmal ein Eclair?« fragte Mischa enttäuscht und schlüpfte zur Tür hinaus.
Ich schaute ihm hoffnungslos nach. Mischa ist so ein fescher Kerl, daß er glatt als Dressman gehen könnte. 1,90 Meter groß, 80 Kilo schwer, blondes, gewelltes Haar und blaue Augen … Er hat früh mit Bodybuilding angefangen. Wenn er sein Hemd auszieht, verschlägt es den Frauen den Atem, und die anwesenden Männer ziehen den Bauch ein.
Mischa ist wohlhabend. Aber glauben Sie nicht, er hätte sein Vermögen als Straßenhändler gemacht oder leichtgläubige Menschen für betrügerische Finanzpyramiden geworben. Nein, ihm gelingt einfach alles. Vor zehn Jahren hat er mit seinem Freund Aljoscha einen Computerhandel angefangen. Ihr Büro fand damals in einem kleinen Zimmerchen Platz. Heute gehört beiden ein ganzes Netz von Geschäften und Servicezentren. Den Gewinn steckt mein Mann sofort wieder in die Firma. Aber zum Leben bleibt uns immer noch mehr als genug. Wir haben eine Wohnung, eine Datsche, zwei Autos, eine Hausangestellte und machen mehrmals im Jahr Urlaub im Ausland … Aber warum sage ich »wir haben«? Alles läuft auf Mischas Namen. Ich selber bin arm wie eine Kirchenmaus. Wenn sich mein Gatte einmal von mir scheiden läßt, stehe ich mit leeren Händen da. Ich arbeite nicht, denn ich habe einen für diese Zeit ungewöhnlich »gefragten« und »einträglichen« Beruf: Ich bin Musikerin.
Aber ich spiele nicht Gitarre und hopse auch nicht mit dem Mikrofon auf der Bühne herum. Ich spiele die Harfe, und das höchstens auf Durchschnittsniveau, obwohl ich dieses Fach viele Jahre lang studiert habe. Irgendwie habe ich kein Verhältnis zu diesem merkwürdigen Saiteninstrument entwickelt. Im Grunde mag ich es so wenig wie meinen Mann. Eines muß ich Ihnen noch im Vertrauen mitteilen: Mischa ist dreißig, ich dagegen bin schon sechsunddreißig und sehe aus wie eine kranke Heuschrecke. Dort, wo es sich bei anderen Frauen angenehm rundet, ist es bei mir eher knochig. Ich bin nur einen Meter sechzig groß und wiege kaum mehr als ein Frosch. Zu alledem hat mir die Natur Schuhgröße 39 beschert. Ich habe blaue, eng beisammenstehende Augen, einen kleinen Mund und ständig Probleme mit meinen Haaren: Sie wollen sich weder kräuseln noch legen lassen, sondern stehen meist nach allen Seiten ab. Auch mit meinen Zähnen ist kein Staat zu machen. Wenn Mischa seine ebenmäßigen Beißerchen in einen Apfel schlägt, dann könnte ich platzen vor Neid: Warum nur kriegen die einen alles und die anderen gar nichts?
Seit meiner Kindheit bin ich ein schrecklicher Pechvogel. Ich wurde in einer wohlhabenden Familie geboren. Meine Eltern waren allerdings nicht mehr ganz jung. Papa, der Professor, war damals schon fünfundfünfzig, Mama, Opernsängerin, auch nur zehn Jahre jünger. Als sie jünger waren, wollten sich keine Kinder einstellen, und sie dachten schon, sie müßten sich damit abfinden. Dann scheint Gott sich ihrer erbarmt zu haben, und ich erblickte das Licht der Welt.
Wenn Sie glauben, es sei leicht, ständig von grenzenloser Liebe umgeben zu sein, dann irren Sie sich. Ich hatte eine schwere Kindheit. Niemals, unter keinen Umständen ließ man mich allein. Als Säugling hatte ich eine Kinderfrau, später als Schülerin meine Gouvernante Rosa. Wenn andere Kinder im Winter mit roten Backen auf dem Schlitten einen Abhang hinuntersausten, stand ich in Pelzmantel, Filzstiefeln, zwei Mützen, Handschuhen und Schal fast bewegungsunfähig dabei und schaute ihnen voller Sehnsucht zu. Meine Mutter verbot mir alle kindlichen Freuden – angeblich nur zu meinem Wohl. Denn bei der rasenden Schlittenfahrt konnte man sich den Hals brechen, beim Ballspielen ein Bein, beim Seilspringen irgendeinen anderen Körperteil. Im Sommer durfte ich nicht im Fluß baden, und in die Schule brachte mich Rosa bis zur zehnten Klasse. Kiosk und Kantine der Schule galten in meiner Familie als verbotene Zonen. Sie durfte ich nie betreten, denn dort lauerten schreckliche Krankheiten – Gelbsucht, Ruhr und noch Schlimmeres. Überhaupt wurde mein Schutz vor Bakterien und Mikroben außerordentlich ernst genommen. Eis mußte zunächst auf einer Untertasse zerlaufen, bevor das Kind den Löffel bekam. Äpfel und Apfelsinen wurden sorgfältig gewaschen und mit kochendem Wasser gebrüht. Mein Kinderzimmer wurde zweimal täglich feucht gewischt. Und trotzdem hatte ich ständig irgendwelche Leiden. Von der ersten Klasse an nahm ich alle Kinderkrankheiten mit – von Masern über Windpocken bis zum Ziegenpeter. Wenn in der Stadt die Grippe umging, bekam ich sie mindestens zweimal. Ich ließ wirklich nichts aus – weder Scharlach noch Keuchhusten. In der Schule war ich immer nur zeitweilig, lernte schlecht und hatte keine Freunde.
Dann mußte entschieden werden, ob ich ein Musikinstrument erlernen sollte. Meine Mutter, die Sängerin, näherte sich der Sache systematisch und ging alle Möglichkeiten durch. Das Klavier wurde sofort verworfen: Pianisten leiden an schwerer Osteochondrose. Die Geige verursacht häßliche Druckstellen am Kinn. Das Cello behindert die natürliche Entwicklung des Brustkorbes … Schließlich tat mein Vater, dem Mamas Jammern langsam auf die Nerven ging, den Ausspruch: »Offenbar sind das beste Instrument für unsere Tochter zwei Holzlöffel. Sie sind leicht und man kann laut damit klappern!«
Papa hatte wenigstens Humor, aber Mama ging er völlig ab. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und erklärte empört: »Volksmusik? Nur über meine Leiche!«
Als sie wieder einmal auf der Bühne stand und ihren Blick über den Orchestergraben gleiten ließ, bemerkte sie die Harfe. Sofort war alles klar.
»Ein wunderbares Instrument«, schwärmte sie. »Es ist so groß, daß das Kind es nicht allein zum Unterricht tragen kann. Es braucht also eine Begleitperson! Sehr gut, damit ist es immer unter Kontrolle!«
Damit begann der Kreuzweg eines gewöhnlichen Mädchens, aus dem unbedingt ein Genie werden sollte. Wie viele Stunden habe ich stumpfsinnig hinter meiner Harfe verbracht! Kleine Freuden gab es dabei durchaus. Ab und an hatte Mama ein Gastspiel in einer anderen Stadt. Dann ließ ich es mir wohl sein: Ich machte es mir auf dem Sofa mit einem Buch bequem und fuhr mit dem Fuß über die Saiten. Das verursachte zwar fürchterliche Geräusche, aber mein Vater, ein Mathematikprofessor, hatte keinerlei Gefühl für Musik, und außerdem brachte ich auch mit den Fingern nicht gerade wohlklingende Töne zustande. Wenn Mama zu Hause war, konnte ich mir das allerdings nicht erlauben.
Die Harfe lernte ich hassen wie ein lebendes Wesen. Ich versetzte ihr Fußtritte und brachte ihr Kratzer bei. Aber in der achten Klasse erklärte meine Mutter: »Du bist begabt, Kind, deshalb bereiten wir dich jetzt auf das Konservatorium vor.«
Ich zuckte die Schultern. Mein Zeugnis war übersichtlich. Dreien in allen Fächern. Vielleicht war da das Konservatorium keine schlechte Lösung. Mama setzte alle Hebel in Bewegung, und ich wurde genommen.
Viele meinen, die Studienjahre seien die besten des Lebens. Meine waren grau in grau. Freunde fand ich auch hier nicht. Und die Lehrer, die bald wußten, welches »Talent« in mir schlummerte, gaben sich keine große Mühe. So schleppte ich mich von Semester zu Semester bis zum Diplom. Mir drohte ein Leben Arm in Arm mit der verhaßten Harfe.
Papa war inzwischen verstorben. Meiner Mutter wollte ich es nicht antun, die Musik aufzugeben. Wir schrieben 1984, das Jahr, da die Perestroika heraufzog. Mama ließ noch einmal alle Beziehungen spielen, und ich erhielt eine Anstellung in der Philharmonie. Monatlich hatte ich fünf bis sechs Auftritte zu absolvieren. In meinem Falle ging das so: Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen der ständig vergriffenen Bestseller von Pikul kaufen. Sie kriegen ihn nur, wenn Sie ein Bändchen Gedichte des Poeten Pupkin »Der Marschschritt der Arbeiterklasse« mitnehmen. Sie wollen die Arbeiterklasse nicht? Dann kriegen Sie auch keinen Pikul! So war das mit mir und meiner Harfe. Die Leute wollten einen Schlagersänger oder einen Komiker hören, Jongleure oder wenigstens dressierte Hunde sehen. Statt dessen kündigte der Conferencier mit süßem Lächeln an:...