E-Book, Deutsch, Band 2, 387 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
Donzowa Spiele niemals mit dem Tod
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8412-1231-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 2, 387 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
ISBN: 978-3-8412-1231-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Miss Marple aus Moskau - gefährliche Ermittlungen auf eigene Faust.
Wer hat dem vierjährigen Sohn des berühmten Krimi-Autors Kondrat Rasumow die Pistole geschenkt, mit der er seinen Vater erschoss? Der Liebhaber seiner Mutter Lena? Lena selbst? Tanja, seit kurzem Haushälterin in dem großzügigen und chaotischen Schriftsteller-Haushalt, glaubt einfach nicht an Lenas Schuld. Sie beginnt nach dem wirklichen Täter zu suchen ...
'Die große Satirikerin unter den Krimi-Frauen.' Literaturen.
Darja Donzowa (eigentlich Agrippina Donzowa) wurde 1952 in Moskau geboren. Sie studierte Journalistik an der Moskauer Lomonossow-Universität, arbeitete zunächst als Übersetzerin und unterrichtete später Französisch und Deutsch. Seit 1998 schreibt sie Kriminalromane, mittlerweile sind es vier Krimi-Reihen. Sie hat bisher 46 Bücher veröffentlicht, von denen insgesamt 72 Millionen Exemplare verkauft wurden. Darja Donzowa wurde dreimal in Russland Schriftstellerin des Jahres. 2002 und 2003 wurde jeweils eines ihrer Bücher als 'Bestseller des Jahres' ausgezeichnet. Darja Donzowa moderiert im russischen Radio eine Talkshow und hat im Fernsehen eine Rubrik. Ihre Kriminalromane dienten als Vorlage für Hörspiele und Fernsehserien. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren drei Kindern und ihren Hunden in Moskau.Im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen bisher ihre Romane 'Nichts wäscht weißer als der Tod' (2006), 'Spiele niemals mit dem Tod' (2007), 'Perfekt bis in den Tod' (2007), 'Bis dass dein Tod uns scheidet' (2008), 'Verlieb dich nie in einen Toten' (2009), 'Vögel, die am Abend singen' (2009) und 'Den Letzten beißt der Hund' (2010).
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1. Kapitel
Ich erwachte, als ein Lichtstrahl über mein Gesicht glitt. Hatte ich doch tatsächlich vergessen, die Vorhänge zuzuziehen, und das Fenster meines Schlafzimmers geht nach Osten hinaus. Wie spät war es eigentlich? Zwanzig vor acht konnte es noch nicht sein, denn dann hätte der abscheuliche Wecker bereits geklingelt, der mich morgens aus dem Bett wirft, damit ich die anderen wecke. In diesem Haus kriecht keiner gern aus dem warmen Nest. Rufe ich: »Aufstehen!«, verschwinden die Köpfe noch einmal unter der Decke. Deshalb ist der Wecker auch auf eine so merkwürdige Zeit gestellt – zwanzig Minuten vor acht. Die Kinder haben ausgerechnet, daß Viertel vor acht zu spät, aber halb acht viel zu früh ist. Die letzten zehn Minuten vor dem Aufstehen sind die süßesten.
Mit einem Seufzer streckte ich meine linke Hand aus und tastete auf dem Nachttisch nach dem winzigen Casio, den mir Kira zu Neujahr geschenkt hatte. Da ich ins Leere griff, schlug ich die Augen auf.
Direkt vor mir ein riesiger Schrank in Weiß und Himmelblau mit Goldkante. Dazu eine Tapete, die wie ein Gobelin aus einem Petersburger Palast anmutete. Neben dem Schrank eine Marmorfigur von beträchtlicher Größe: eine füllige Dame, die mit gerundetem Arm einen Lampenschirm hielt. An ihren mächtigen Schenkeln hatte es sich ein Hündchen aus Marmor bequem gemacht …
Verblüfft starrte ich auf dieses Stilleben, bis mir wieder einfiel, was gestern passiert war. Ich setzte mich auf. Ich war nicht zu Hause, sondern würde in dieser fremden Wohnung wahrscheinlich längere Zeit verbringen. Aber immer der Reihe nach.
Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Tatjana Romanowa. Ich wohne mit meiner Freundin Katja zusammen, die – was für ein Zufall – meinen Familiennamen trägt. Wir sind nicht miteinander verwandt und haben auch nichts mit der letzten Zarendynastie zu tun. Wir sind einfach eng befreundet. Schwestern, die um die Gunst ihrer Eltern buhlen, verstehen sich oft nicht so gut wie wir. Solchen Streit haben wir nicht auszutragen.
Warum ich bei Katja eingezogen bin, obwohl ich eine Wohnung und sogar eine Datsche mein eigen nenne, ist eine andere Geschichte, die wir hier nicht erörtern wollen. Bevor ich Katja kennenlernte, war ich mit dem reichen Geschäftsmann Michail verheiratet, der mich immer bei meinem eigentlichen Vornamen Jefrossinja rief. Aber von einem Tag auf den anderen brach mein schönes Leben zusammen. Michail entpuppte sich als Krimineller. Er hat einen Menschen umgebracht und büßt dafür jetzt in einem Lager im Komi-Gebiet. Wir sind geschieden, und von Gefühlen für meinen Ex ist nichts geblieben. Kinder hatte ich nie, einen wirklichen Arbeitsplatz ebenfalls nicht. Meine liebenden Eltern hatten mich von klein auf für eine Künstlerlaufbahn bestimmt. Daher schickten sie mich zunächst in die Musikschule und dann aufs Konservatorium, wo ich Harfe studierte. In der heutigen Zeit ein äußerst passendes Instrument.
Stellen Sie sich einen Nachtclub vor: Auf der Bühne erscheint eine Harfenistin und zupft hingebungsvoll eine klagende Melodie. Die Gäste werfen bestimmt mit Besteckteilen und abgenagten Hühnerknochen nach ihr … Die Bunten Abende der Sowjetzeit, als Opern- und Schlagersänger, Tänzer und Rezitatoren einander abwechselten, gibt es heute nicht mehr. Die wenigen Stellen in Sinfonieorchestern sind besetzt. Nur als Solistin hätte ich noch auftreten können. Aber der Herr hat mir nicht genügend Talent geschenkt, dafür um so mehr Sitzfleisch und Gehorsam. Soll doch selbst der geniale Swjatoslaw Richter gesagt haben: »Talent ist wichtig, aber ein Musiker braucht einen eisernen Hintern.« Meiner muß aus Gußeisen sein. Mit sechs bis acht Stunden Üben am Tag meisterte ich die Technik, aber Inspiration kann man nicht erzwingen. Die Finger liefen flink über die Saiten, doch meine Seele war weit weg. Die Herzen des Publikums blieben kalt. Also ließ ich das Musizieren sein und suchte mir einen Mann.
Um die Vergangenheit endgültig loszuwerden, legte ich mir den Namen Tatjana zu. Vielleicht hätte ich doch etwas besser nachdenken und eine Larissa, Mascha oder Lena werden sollen. Aber nun ist es passiert, und alle rufen mich nur noch … Tanja.
Ich führe Katja die Wirtschaft – koche, putze, wasche und kümmere mich um ihren kleinen Sohn Kira. Regelmäßig habe ich den Streit zu schlichten, den der ältere Bruder Serjosha mit seiner Frau Julia vom Zaune bricht. Außerdem wimmelt es im Hause von Hunden, Katzen und Hamstern … Gäste und Verwandte geben sich die Klinke in die Hand.
Viele Frauen wären längst davongelaufen, müßten sie wie ich tagaus, tagein am Herd stehen und abends auch noch Berge von schmutzigem Geschirr bewältigen. Aber ich bin glücklich und liebe die Jungen wie meine eigenen Söhne. Ich bin immer für sie da, denn Katja hat einfach keine Zeit. Sie ist eine erstklassige Chirurgin, die mit Hingabe an der Schilddrüse operiert. Fachleute wie sie kann man in Rußland an einer Hand abzählen. Die Patienten stehen bei ihr Schlange. Sie kommen nicht nur aus den ehemaligen Unionsrepubliken, sondern auch aus Deutschland, Frankreich und Italien. Besonders die Ausländer sind gute Rechner. Sie wissen genau, Frau Romanowa macht ihnen eine hervorragende Operation, und wesentlich billiger als bei ihnen zu Hause.
Katja kann einem leidenden Menschen nichts abschlagen. An manchen Tagen übernimmt sie nach drei Operationen auch noch Dienst in der Klinik.
Als ich in diesen chaotischen Haushalt einzog, ernährte man sich dort von fertig gekauften Pelmeni, von Dosenwürstchen und Rührei. Als Höhepunkt der Kochkunst kam am Sonntag eine Tütensuppe von Knorr auf den Tisch. Und das nicht, weil Katja faul ist, sondern weil sie einfach keine Zeit hat … Seit ich ihr die Wirtschaft führe, kümmere ich mich um alles, in erster Linie um das Geld. Ich habe ein großes graues Heft, das mir bei der Haushaltsplanung helfen soll. Also: Einnahmen: 5000, Ausgaben: 6000. Wie sehr ich mich auch mühe, die Rechnung geht nie auf. Was habe ich nicht schon alles probiert – das Geld in Häufchen eingeteilt, jedes in ein Kuvert gesteckt und darauf geschrieben: »Essen vom 7.–14. Februar«, »Lebensmittel vom 15.–22. Februar« … Aber dann zerriß sich Kira die Hose, ging an Serjoshas Wagen die Zündung kaputt, brauchte Julia Strumpfhosen, mußte ich für die Hunde, die sich überfressen hatten, Abführmittel kaufen – drei Tabletten für 200 Rubel … Und schon war meine Hand im Kuvert für die nächste Woche …
Als mit den Kuverts nichts mehr ging, versuchte ich es mit anderen Behältnissen. Nun wanderten die Geldscheine in leere Kaffeedosen, die ich an verschiedenen Orten versteckte. In meiner Naivität nahm ich an, wenn ich länger nach dem Geld suchen müßte, werde es länger reichen. Nun lösten sich 2000 Rubel zusammen mit der Dose einfach in Luft auf. Ich wühlte alle Schränke, Kommoden und Matratzen durch, aber der so perfekt versteckte Schatz tauchte nicht wieder auf.
Mein Leben ist ein täglicher Kampf um die Steigerung der Einnahmen und die Senkung der Ausgaben. Aber am Ende bin ich damit kläglich gescheitert. Was habe ich nicht alles versucht: Ich habe meine Rubel in Dollar, Deutsche Mark und einmal sogar in japanische Yen getauscht.Trotzdem war ich bald wieder auf der Wechselstelle, diesmal nur, um die ganze Operation rückwärts zu vollziehen. Das Ganze erinnert sehr an den Witz von den hungrigen Tschuktschen, die abends Kartoffeln pflanzten und sie am nächsten Morgen wieder ausgruben, weil sie endlich etwas zu essen haben wollten.
Manchmal konnte ich ein wenig hinzuverdienen, aber von diesen seltenen Sümmchen wurde unser Budget nicht größer. Auch Katja, Serjosha und Julia gaben sich alle Mühe, mehr beizutragen, aber … Am Ende führte die Jagd nach dem großen Geld dazu, daß ich jetzt in diesem protzig eingerichteten Zimmer sitze und traurig um mich blicke. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß ich eine große Datsche und eine Sammlung von Bildern russischer Maler mein eigen nenne. Beides habe ich von meinen Eltern geerbt. Aber die Datsche werden wir um nichts in der Welt verkaufen. Im Sommer leben wir dort wie im Paradies. Und auch nur ein einziges Bild zur Versteigerung zu bringen läßt meine neue Familie nicht zu. Nicht wir haben sie gesammelt und nicht wir dürfen sie verkaufen, meinen sie. Sie soll für die Kinder und Enkel bleiben.
Gestern war Montag, und Katja ist nach Miami geflogen. Man hat sie in die USA eingeladen, wo sie ein Jahr lang in einer Spezialklinik Schilddrüsen operieren soll. Als sie das Fax mit dem Gehaltsangebot bekam, glaubte sie, jemand hätte aus Versehen ein paar Nullen zu viel geschrieben. Aber am Telefon wurden ihre Zweifel bald zerstreut.
Kira mußte seine Mutter natürlich begleiten. Katja, die sich auch von Serjosha und Julia nicht trennen wollte, stellte die Bedingung, daß der 25-jährige Sohn mit Frau ebenfalls nach Miami kommen könne. Der Chefarzt der Klinik, der Katja unbedingt haben wollte, stimmte sofort zu und fand für den jungen Mann Arbeit in einer Werbeagentur. Das war bestimmt nicht leicht, aber an solche Launen großer Chirurgen ist man dort offenbar gewöhnt. Als Katja dann erklärte, auch ihre Hunde, die Möpse Mulja und Ada, die Staffordshire-Terrierhündin Rachel sowie die Katzen Klaus und Semiramis reisten mit ihr, sagten die Amerikaner gar nichts mehr, sondern baten sie nur noch, an die Bescheinigungen vom Tierarzt zu denken.
Gestern habe ich mich, in Tränen aufgelöst, an der Zollkontrolle von ihnen verabschiedet.
»Eine Artistenfamilie?« fragte der Grenzbeamte freundlich, als er die Käfige mit den Tieren...