Doody | Mord im alten Athen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Doody Mord im alten Athen


1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-311-70579-6
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-311-70579-6
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach dem Tod seines Vaters muss Stephanos mit nur zweiundzwanzig Jahren die Verantwortung für die Familie übernehmen. Schlaflos wandert er im Morgengrauen durch die Straßen Athens, bis er die lauten Klageschreie eines Sklaven hört: »Man hat den Herrn getötet! Man hat den Herrn getötet!« Dem Lärm folgend, betritt er eine Villa, wo sich schon einige Schaulustige um die Leiche des Boutades versammeln, ein reicher und ehrbarer Bürger. Offenbar wurde er mit Pfeil und Bogen erschossen – nicht gerade eine typische Waffe für das antike Griechenland. Der Verdacht fällt ausgerechnet auf Stephanos Cousin Philemon, den er nicht mehr gesehen hat, seit der junge Mann für einen Mord in einer Tavernenschlägerei schuldig gesprochen und für mehrere Jahre ins Exil verbannt wurde. Ein Irrtum? Eine tragische Verwechslung? Stephanos, das neue Oberhaupt der Familie, muss herausfinden, was wirklich geschehen ist, und Philemon vor Gericht verteidigen. Verzweifelt wendet der junge Mann sich an seinen Lehrer und Mentor, den Philosophen Aristoteles.

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II Ein Mord in Athen


Ich wanderte durch die verlassenen Straßen, und imRhythmus meiner Schritte löste sich langsam die innere Anspannung. Der leichte Wind, der kurz vor Sonnenaufgang aufkommt, war kühl, und ich war froh um das wollene Himation[3], das ich über meinem dünnen, ärmellosen Chiton[4] trug. Die Vögel begannen zu singen, und ich glaubte vereinzelt die Schreie der Möwen zu hören. Ich dachte an Philemon, wie er sich auf irgendeinem Schiff versteckte, und als ich an dem kleinen Altar des Poseidon vorbeikam, sprach ich ein Gebet für meinen Cousin und gelobte, ein Opfer darzubringen. Niemand wusste schließlich, wo Philemon zurzeit war … und vielleicht war er auf See. Ich hatte für ihn schon oft zu Zeus, dem Beschützer aller Fremden und Wanderer, gebetet.

Die leichte Brise wurde kühler, und aus den Gärten stieg Feuchtigkeit auf, die jedoch kaum mehr nach Sommer und auch noch nicht ganz nach dem Herbst roch. Dann wurde der Himmel im Osten langsam grau, und die Umrisse des Hügels Lykabettos tauchten aus dem Dunkel auf. Ein schmaler safrangelber Streifen am Horizont kündigte den nahen Morgen an. Ich sah jetzt die Straße und den kleinen Altar des Vaters der Eupatriden[5] deutlich vor mir. Dahinter liegt das Viertel, in dem so viele reiche und adelige Bürger leben. Die fensterlosen Frontseiten der großen Villen wirkten nicht länger düster und drohend, sondern hellgrau im ersten Morgenlicht. In Gedanken beschäftigte ich mich noch immer mit dem Sonnenaufgang und versuchte, mich an die passenden Verse Homers zu erinnern, als mich plötzlich ein greller Aufschrei und ersticktes Rufen zusammenfahren ließen. Die Schreie kamen aus dem Haus, das unmittelbar vor mir lag.

Dann stürzten vor mir zwei Männer aus dem gegenüberliegenden Haus und liefen in Richtung der Schreie über die Straße.

Das Hoftor des betreffenden Hauses stand offen. Als ich es schließlich erreichte, rannten die beiden anderen Männer bereits über den Hof zur Haustür. Im Hof stand ein Sklave, der aufgeregt von einem Bein auf das andere hüpfte und mit verzerrtem Gesicht aus Leibeskräften brüllte: »Man hat den Herrn getötet! Man hat den Herrn getötet!« Als ich an ihm vorbeilief, unterließ er es, mich nach meinem Namen zu fragen, und fuhr fort, wie ein Wahnsinniger zu schreien, was er im Augenblick wohl für seine oberste Pflicht hielt. Ich folgte den beiden Männern, einem untersetzten Bürger und seinem Haussklaven, zur inneren Tür. Dabei hörte ich, wie andere hinter mir eintraten. Ich kann nicht sagen, was mich veranlasste, in dieses Haus zu gehen. Es war wie ein innerer Zwang. Plato berichtet an irgendeiner Stelle, dass Sokrates die Geschichte eines Mannes erzählt, der wusste, dass hinter einer bestimmten Mauer die enthaupteten Leichen erst kürzlich Hingerichteter lagen. Er wollte daran vorbeigehen, brachte es jedoch nicht fertig und sah sich weinend das Schreckliche an. Sicher sind es nicht die Augen, sondern irgendwelche niedrigen Instinkte des Menschen, die beim Anblick so furchtbarer Dinge Befriedigung empfinden. So muss es auch bei mir gewesen sein – obwohl ich ja im Gegensatz zu dem Mann, von dem Sokrates erzählt, keine Ahnung hatte, wohin ich ging und was mich dort erwartete.

Ich sollte es jedoch bald erfahren, denn ich folgte den beiden anderen durch die innere Haustür und eine zweite Tür in ein Zimmer. Mein erster Eindruck war, dass es sich um einen ziemlich großen, spärlich erleuchteten Raum handelte, in dem sich außer mir noch fünf Personen … drei Athener Bürger und zwei Sklaven … befanden. Doch ich muss mich korrigieren. Es waren sechs Personen im Zimmer, fünf Lebende und ein Toter. Dort in der Mitte auf dem Fußboden lag der Hausherr in einer Verfassung, in der er kaum mehr in der Lage war, Gäste zu empfangen. Es handelte sich um den achtbaren Bürger Boutades, aus der Großfamilie der Etiboutadiden. Boutades, ehemaliger Chorege[6], Finanzier einer Triëre[7] und einflussreicher Bürger, lag auf dem Rücken auf dem Fußboden. Sein Körper war von der Hüfte abwärts unnatürlich verrenkt, wobei beide Knie seitwärts gedreht waren. Boutades trug einen weißen – oder besser: ursprünglich weißen – Chiton, der jetzt von Blut getränkt war. Sein glasiger Blick war unverwandt zur Decke gerichtet, und in seiner Kehle steckte ein Pfeil.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich wie in Trance auf den Toten gestarrt habe. Obwohl mir leicht übel war, blieb ich im Zimmer und wäre sicher wie angewurzelt auf einem Fleck stehen geblieben, wenn nicht laufend noch mehr Leute hereingekommen wären und mich weitergeschoben hätten. Vorsichtig tastete ich mich an der Wand entlang bis zum Fenster. Ich spürte einen Tisch hinter mir, registrierte im Unterbewusstsein, dass eine Amphore daraufstand, und passte auf, dass ich nichts umstieß. Die Neuankömmlinge drängten sich an der Wand neben der Tür zusammen, sodass wir einen respektvollen Kreis um die Zimmermitte bildeten.

Beim Anblick von Boutades hatte ich zuerst das Gefühl gehabt, um mich herum sei es vollkommen still. Doch ich muss mich getäuscht haben, denn als ich aus meiner Erstarrung erwachte, hörte ich aus dem Inneren des Hauses das schrille Klagen der Frauen und das Gebrüll des Sklaven im Hof, der sich offensichtlich noch immer nicht beruhigen konnte. Dann wurde mir bewusst, dass eine der Personen, die sich bei meiner Ankunft bereits im Zimmer befanden, ein dunkelhaariger, breitschultriger Mann war, der auf der gegenüberliegenden Seite des Toten stand und leidenschaftlich gestikulierte und redete.

»Wer hat das getan? Wer hat den Bruder meines Vaters ermordet? Die Rache der Götter möge den Verbrecher treffen!«

Natürlich war dieser Mann Polygnotos, der Neffe von Boutades. Er war nur vier Jahre älter als ich und trotzdem bereits eine bekannte Persönlichkeit in Athen. Als Junge war er ein guter Sportler und Schüler gewesen. Seinen Reichtum hatte er nicht selbst erworben, sondern er hatte das Vermögen seines Vaters geerbt. Und in letzter Zeit sprach man davon, dass er hoffte, bald ein öffentliches Amt zu bekleiden, und dass ihm diesen Wunsch wohl niemand verwehren würde. Polygnotos hatte sich erst kürzlich durch seine Bereitschaft hervorgetan, das Amt des Choregen für das nächste Fest des Dionysos zu übernehmen. Vorausgesetzt, die Vorstellung wird ein Erfolg, erwirbt sich derjenige, welcher die Geldmittel für eine dieser aufwendigen Veranstaltungen bereitstellt, lebenslänglichen Ruhm und beweist außerdem, dass er einer der wohlhabendsten Bürger Athens ist, denn die Kosten für die Großen Dionysien[8] werden nicht in Drachmen[9], sondern in Talenten[10] berechnet. Als Junge hatte ich Polygnotos wegen seiner Ausdauer beim sportlichen Spiel und seiner Beredsamkeit in der Diskussion bewundert. Eigentlich hätte ich ihn sofort erkennen müssen, aber das Zimmer war schlecht beleuchtet, und Persephone[11] hatte meinen Blick getrübt. Im Übrigen sah der starke Polygnotos an jenem Morgen kaum wie der braun gebrannte muskulöse Junge aus, den ich einst gekannt hatte. Sein Haar war zerzaust, an dem hastig übergeworfenen Chiton fehlte wie beim Hemd eines Sklaven eine Schulterspange, sein Gesicht war im grauen Morgenlicht leichenblass, und er zitterte vor Trauer und Zorn an sämtlichen Gliedern.

»Oh, Zeus!«, rief er mit erstickter Stimme. »Sieh dieses Verbrechen und übe Rache an denen, die mir, meinem Haus und meiner Familie solches Leid zugefügt haben! Verflucht sei der Mörder!«

»Weißt du, wer es getan hat?«, erkundigte sich Eutikleides, der korpulente Bürger, der im Haus gegenüber wohnte. Mir fiel ein, dass er entfernt mit der Sippe von Boutades verwandt sein musste. Im Zwielicht wirkten Eutikleides’ schlaffe Backen talgig grau, doch seine Stimme klang fest.

»Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Polygnotos aufgebracht. »Ein Verbrecher! Ein Schuft, der im Schutz der Dunkelheit arbeitet!«

»Beruhige dich, Polygnotos«, sagte der alte Telemon. »Die Zeit der Rache kommt noch.« Telemon, der neben Polygnotos stand, war offensichtlich als einer der Ersten am Ort des Verbrechens eingetroffen. Das sah ihm ähnlich, denn er interessierte sich stets brennend für alle Neuigkeiten. Obwohl er kaum älter als Boutades war, hieß er allgemein nur der »alte Telemon«, denn er war hager, hatte dünnes Haar und wirkte bereits reichlich senil. Dazu hinkte er, und die Kinder nannten ihn den »alten Klumpfuß«. Polygnotos schenkte Telemon keine Beachtung, sondern stammelte weiter Verwünschungen vor sich hin und raufte sich mit einer Hand das Haar.

»Ja, Polygnotos, bleib ruhig«, riet auch Eutikleides. »Überlass das Jammern und Klagen den Frauen. Jetzt ist nicht die Zeit für Tränen. Sag uns lieber, was passiert ist … was du weißt … damit wir den Fall dem Basileus[12] melden und den Archon[13] informieren können.«

»Ich weiß schon Bescheid«, meldete sich Telemon eifrig zu Wort. »Ich bin als Erster hier gewesen … und zwar kurz nachdem der arme Boutades sein Leben ausgehaucht hat. Polygnotos hat mir alles erzählt, und ich habe gesehen …«

»Ich möchte die Geschichte aber lieber von Polygnotos persönlich hören«, unterbrach ihn Eutikleides. »Junge!«, wandte er sich dann an den Sklaven. »Geh in die Küche und bitte, dass man Brot und Wein für deinen Herrn bereitstellt. Er wird diesen Ort des Grauens bald verlassen, um etwas zu sich zu nehmen.«

Ich hatte das Gefühl, dass Eutikleides zuerst nahe daran war, Brot und Wein in dieses Zimmer...


Doody, Margaret
Margaret Doody, geboren 1939 in Saint John, Kanada, studierte in Großbritannien, Kanada und den USA und lehrte an der University of Notre Dame in Indiana Literatur. 1978 veröffentlichte sie den ersten Band ihrer historischen Krimireihe um Aristoteles. Die Idee, ihre Liebe zur Geschichte und zu Detektivgeschichten zu vereinen, kam ihr, nachdem sie für eine Besprechung mit einem Studenten noch einmal Aristoteles’ Rhetorik gelesen hatte und sich dann mit einem Krimi ins Bett legte. »Jemand sollte eine Geschichte über Aristoteles als Sherlock Holmes schreiben«, dachte sie. Und dann wurde ihr klar, dass dieser jemand sie selbst sein könnte.



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