Dorner | Eine letzte Mail | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Dorner Eine letzte Mail

Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-21337-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-641-21337-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im April 1999 lernt Juliane in Paris Leander kennen. Zweieinhalb Tage verbringen sie zusammen. 4320 Minuten. Zweieinhalb perfekte und unvorstellbar romantische Tage.

Wieder zurück in Deutschland, im beschaulichen Tübingen, in der Realität, schreibt Juliane ihm E-Mails. Sie will ihn unbedingt wiedersehen, ihn besser kennenlernen, mehr Zeit mit ihm verbringen. Auf ein Leben gesehen, sind zweieinhalb Tage einfach zu wenig. Doch nichts, keine Reaktion … Jahrelang. Und das obwohl sie ihm wieder und wieder ihr Herz ausschüttet. Ihre Mails werden zu einer Art Tagebuch.

Die Antwort folgt nach vierzehn Jahren. Leander ist inzwischen Diplomat, lebt in Istanbul und möchte Juliane wiedersehen. Doch möchte sie das auch noch? Nach all der Zeit?

Ein moderner Briefroman über die Lieben eines Lebens, über Verluste und die Lust des Neuanfangens.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Von:Juliane Bauer

Betreff:zweieinhalb Tage Paris

Datum:26. April 1999 12:21:01 MESZ

An:Lysander

Lieber Leander,

vor meinem Fenster blüht ein Kirschbaum, genau wie vor deinem winzigen Apartment im Marais. Allerdings ist er nur halb so groß, denn Tübingen ist auch nur halb so groß wie Paris … Einen Zweig habe ich abgerissen, der liegt nun auf den beiden Opernkarten.

Dass wir auf dem Brunnenrand im Garten des Palais Royal saßen, ist nicht einmal zwei Tage her. Was ist inzwischen nicht alles passiert! Erinnerst du dich noch? Hinter dir spielten ein paar ältere Männer unter den Bäumen Boules. Genau genommen waren es fünf und einer, der auf einer Parkbank geschlafen hat. Eigentlich haben sie gar nicht gespielt, sondern sich nur gestritten. Einer hat den anderen ununterbrochen mit dem Zeigefinger auf die Brust getippt. Schließlich ist ein kleiner Junge durch das Spielfeld gelaufen und hat die Kugeln mit dem Fuß weggekickt. Weißt du, was die Männer gemacht haben? Sie haben gelacht. Einfach nur gelacht. Am liebsten hätte ich jeden von ihnen umarmt. Du hast währenddessen die Libération durchgeblättert, weil die Le Monde ausverkauft war. Plötzlich hast du meine Hand genommen und mich gefragt, ob ich schon einmal in der Oper gewesen sei … Ich musste dich einfach küssen in dem Moment, wegen deiner braunen Augen, wegen der Boule-Spieler, wegen Paris, der Oper, wegen allem. Das war ein vollkommener Moment. Das war das Glück. Die zwei und der halbe Tag mit dir. Ich werde das nie, nie, nie im Leben vergessen. Ich schwöre mit der Hand auf den Tickets.

Seit halb sieben am Morgen bin ich wieder zu Hause. Dennoch habe ich das Gefühl, das Wichtigste in Paris zurückgelassen zu haben. Vielleicht steckt es hinter dem gelben Vorhang mit den Mottenlöchern neben deinem Bett. Oder in deinem nach Lavendel duftenden Kleiderschrank. Oder zwischen den neuen Schuhen und dem Klarinettenkoffer. Oder in der Krone des Kirschbaums, die man von deinem Bett aus sehen kann.

Es war tapfer von dir, trotz meiner überstürzten Abreise mit zum Bahnhof zu kommen. Obwohl das den Abschied noch schwerer gemacht hat, mir zumindest. Dass du mir nur die Hand gegeben hast, tat in dem Moment so weh! Und dann bist du gegangen. Aber ich habe dich ja verstanden, schließlich war ich diejenige, die nicht gleich ehrlich zu dir gewesen war. Aber es war einfach zu schön. Aber – aber – aber.

Hast du dich noch einmal umgedreht? Ich weiß es nicht, denn ich war dafür zu feige. Zu feige zu bleiben, zu feige zu gehen. Wahrscheinlich hast du inzwischen das Bett frisch bezogen und die violette Zahnbürste in den Müll geworfen. Wahrscheinlich hast du mich auf dem Weg zur Uni heute Morgen schon vergessen.

Ach ja, eines noch. Drei Minuten nach der Abfahrt hielt der Zug mit einer Vollbremsung. Mehrere Schaffner versammelten sich vor meinem Abteil. Einer machte für den Lokführer eine Ansage, die ich nicht verstanden habe.

Habe ich die Notbremse gezogen? Oder hätte ich sie viel früher ziehen müssen, noch vor der zweiten Nacht? Dieser wunderbaren Nacht zwischen Traum und Wirklichkeit. Hätte ich dir gleich die Wahrheit sagen müssen? Was wäre dann aus dem gemeinsamen Opernbesuch geworden? Was wäre aus dem vollkommenen Moment im Garten des Palais Royal geworden? Hätte ich es dir sagen müssen, bevor du mich gefragt hast, ob ich meine Doktorarbeit an deinem wackligen Küchentisch zu Ende schreiben möchte? Bevor ich gesehen habe, wie du manchmal im Schlaf zusammenzuckst? Bevor du genau die richtige Zeit gezögert hast auf die Frage des Kellners, ob wir ein Paar wären, und dann mit roten Wangen genickt hast, nachdem er sich schon lange den nächsten Gästen zugewandt hatte …

Als der Zug nach einer Viertelstunde wieder anfuhr, wollte ich den Schaffnern zurufen, dass es die falsche Richtung wäre. Stattdessen biss ich mir auf die Lippen. Und schwieg, bis jetzt.

Zweieinhalb Tage Paris. Wir haben exakt 3366 Minuten miteinander verbracht. Vom ersten Blick auf der Brücke über die Seine bis zum Lebewohl am Gare de l’Est. Ich habe es gerade ausgerechnet, wobei ich unser Kennenlernen auf 14.21 Uhr festgelegt habe, weil die 21 meine Glückszahl ist. Also noch nicht einmal zweieinhalb Tage. Das ist nicht viel, auf ein ganzes Leben gesehen. Und viel zu kurz, um mir auch nur ansatzweise vorstellen zu können, was du an einem ganz normalen Montag machst. Recherchierst du wieder in der riesigen Bibliothek an der Seine? Gibt es am Abend wieder etwas von dem Asiaten? Hast du endlich einmal wieder Klarinette geübt?

Im Zug habe ich beschlossen, nie mehr nach Paris zu fahren, um wenigstens die Erinnerung an diese Zeit mit dir nicht zu gefährden. Also nie mehr durch die engen Straßen des Marais laufen, nie mehr im Garten des Palais Royal Boules-Spieler umarmen wollen, nie mehr Hand in Hand auf dem Balkon der Opéra Garnier stehen … Und nie wieder werde ich durch Stuttgart-Degerloch fahren, ohne an den kleinen Leander auf der morschen Schaukel zu denken …

Alles ist so zerbrechlich, ich werde also gut darauf aufpassen müssen, auf diese zweieinhalb Tage. Wenigstens das verspreche ich dir.

Deine Juliane

P.S. Gerade ist eine Nachbarin vor dem Haus stehen geblieben. Sie deutete auf meinen Kirschbaum und sagte zu ihrem Mann: »Der Birnbaum da wird auch bald eingehen, bei dem sauren Regen.« – Du könntest keinesfalls mit einer Frau glücklich werden, die Birnen nicht von Kirschen unterscheiden kann. Damit tröste ich mich jetzt.


Juliane Bauer, M.A.
Rosentalstraße 8
72070 Tübingen

Von:Bianca

Betreff:Flamenco por siempre

Datum:27. April 1999 11:02:21 MESZ

An:Juliane Bauer

Hola chica,

bist du gut in Tübingen angekommen? Und hat sich dein Knäckebrotfreund wenigstens etwas darüber gefreut, dass du wieder da bist? Ich rate es ihm! Eine Woche kann ganz schön lang sein. Das stelle ich mir als Single-Frau zumindest so vor.

Mensch, waren das wilde Tage in Paris. Auch wenn man dich die letzten kaum gesehen hat. Musstest du dir wirklich jedes Bild im Louvre anschauen? Wo hast du eigentlich dauernd gesteckt? Bitte versprich, in Zukunft nicht wieder ohne Erklärung von der Bildfläche zu verschwinden.

Paris hat mir als Stadt nicht so gefallen. Bisschen arg schnöselig und viel zu teuer. Und erst der Gestank in der Metro – unerträglich!! Nicht gerade der perfekte Ort für einen Flamenco-Workshop. Das nächste Mal geht es besser wieder nach Spanien, olé chica? Nur der Abschlussabend, der war klasse. Besonders, als du auf das französische Gesäusel Karaoke-Flamenco getanzt hast. Der Blick von dem supergockeligen Kellner war unbezahlbar. Wir sind doch eine tolle Gruppe, du, ich, Katti, Flo (na, der weniger) und Erol. Warum bist du eigentlich so schnell aufgebrochen? Das mit den Kopfschmerzen nehme ich dir nicht wirklich ab. Also raus mit der Wahrheit!

Oder hat dich Erol genervt, wie er dir die Zukunft aus seiner Kaffeetasse gelesen hat? Vielleicht sollte er es das nächste Mal mit Bauchtanz probieren. Die nötige körperliche Ausstattung hat er ja …

Das ganze Brimborium mit Tasse umdrehen und deine Kette drauflegen und die Augen verdrehen. Irgendwie hat er es aber auch ernst gemeint, oder? »Du sollst dein Glück packen wie einen davonfliegenden Teppich.« Obwohl das eigentlich sogar ganz süß war, bisschen arg türkisch, aber süß. »Und pack den Prinzen drauf und flieg mit ihm über die Stadt!« Okay, das war vielleicht ein bisschen zu süßklebrig. Trotzdem, ich würde sofort einsteigen. Ob er mir auch die Zukunft vorhersagt? Aber irgendwie habe ich Angst vor dem, was er vielleicht weiß. Die Türken haben für so etwas mehr Begabung, und er meint ja auch, dass du dein Glück in einer großen Stadt in einem fremden Land mit vielen Türmen finden wirst. Vielleicht sogar Istanbul? Ich stell mir das total schön vor, du in weißem Kleid in so einer Moschee!

Ach, ich bin richtig glücklich, dass ich euch zu dem Workshop überredet habe. Das war Flamenco vom Feinsten. Wenn Mercedes wieder einen in Europa gibt, fahre ich sonst wohin. Und ihr dürft auf keinen Fall mit dem Üben aufhören, nur weil ich das Studium geschmissen habe. Versprich mir das! Nie aufgeben! Immer dranbleiben! Mantener la serenidad!

Vielleicht klappt es, dass ich in einem spanischen Lokal jobben kann. Mitten in der Kölner Altstadt. Das wäre für den Übergang gar nicht schlecht.

Puh, die Mail ist ganz schön lang geworden, fast so wie eine von dir.

Besos Bianca

Von:Juliane Bauer

Betreff:Re: Flamenco por siempre

Datum:28. April 1999 20:34:51 MESZ

An:Bianca

Liebe Bianca,

hast du wirklich nicht mitbekommen, dass Erol während des kompletten Flamenco-Kurses an mir herumgebaggert hat? (Das Verb passt in diesem Fall perfekt.) Am Ende hat das wirklich genervt. Wie oft hat er eigentlich jemandem unter die Nase gerieben, dass Erol auf Türkisch Sei-tapfer-wie-ein-Held heißt? Das ist wohl das einzige türkische Wort, das ich mein Leben lang nicht vergessen werde! Der Prinz auf seinem fliegenden Teppich, das war ER, der tapfere Krieger höchstpersönlich. Er hat immer nur sich gemeint!!! Und die große Stadt im fremden Land war...


Dorner, Maximilian
Maximilian Dorner (1973-2023) studierte als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes Dramaturgie an der Bayerischen Theaterakademie und war bis zu seinem Tod im Februar 2023 als Autor, Journalist, Regisseur, Aktivist und Kulturveranstalter tätig. Von 2021 bis 2023 verantwortete er zudem im Münchner Kulturreferat die Stabsstelle »Diversität und Inklusion«. Er war Autor von neun Büchern, für seinen Debütroman »Der erste Sommer« erhielt er 2007 den Bayerischen Kunstförderpreis. Zuletzt arbeitete er, selbst an Multipler Sklerose erkrankt, an einem Buch über das Thema Pflege, das er leider nicht mehr abschließen konnte.Über sein buntes, widersprüchliches Leben schrieb er: »Ich bin mit einem Kabarett-Programm vor dem Bundespräsidenten aufgetreten, habe gemeinsam mit dem Münchner Kardinal in der Frauenkirche bei einer Fernsehübertragung über Zerbrechlichkeit gepredigt und für eine Homestory der ›Bild der Frau‹ nicht vorhandene Blumen gegossen, eine Oper inszeniert und einen Gedichtband getürkt.«



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