Drerup | Kinder, Corona und die Folgen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 138 Seiten

Drerup Kinder, Corona und die Folgen

Eine kritische Bestandsaufnahme
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-593-45094-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine kritische Bestandsaufnahme

E-Book, Deutsch, 138 Seiten

ISBN: 978-3-593-45094-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die im Zuge der Covid-19-Pandemie getroffenen politischen Entscheidungen und ihre Folgen für Kinder und Jugendliche sind Gegenstand anhaltender, oftmals erbittert geführter politischer und pädagogischer Kontroversen. Je länger die Pandemie andauert, desto deutlicher zeichnet sich ab, dass es in vielen Fällen Kinder und Jugendliche sind, die durch sie besonders hart belastet werden. In seinem Buch zeichnet Johannes Drerup die einschneidenden Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie für Kinder und Jugendliche nach und entwickelt auf dieser Grundlage eine ethisch begründete Kritik an der deutschen Corona-Politik. Hierdurch leistet er einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Debatte darüber, wie sich die Situation junger Menschen in Deutschland - nicht nur in Zeiten der Pandemie - verbessern lässt.

Johannes Drerup ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Bildungstheorie an der TU Dortmund und Gastprofessor an der Freien Universität Amsterdam. Seine Forschungsinteressen liegen u.a. in den Bereichen der Erziehungs- und Bildungsphilosophie, der Philosophie der Kindheit und der Pädagogischen Ethik.
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Einleitung


Die Folgen der im Rahmen der Covid-19 Pandemie getroffenen politischen Entscheidungen für Kinder und Jugendliche sind Gegenstand anhaltender, oftmals erbittert geführter politischer Kontroversen. Je länger die Pandemie andauert und je mehr wir über ihre Auswirkungen auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen wissen, desto deutlicher zeichnet sich ab, dass es in vielen Fällen Kinder und Jugendliche sind, die dadurch besonders hart belastet wurden und die auch längerfristig unter diesen Belastungen leiden werden. Auch wenn die Pandemie Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Altersstufen und sozioökonomischer Lebenslagen in sehr unterschiedlicher Weise getroffen hat und die Möglichkeiten, die Herausforderungen der Krise zu meistern, sehr ungleich verteilt sind, kann man sich daher der generellen Diagnose des Soziologen Hartmut Rosa anschließen, wonach »die Jungen […] die größten Verlierer, die Opfer der aktuellen Coronapolitik sind«1. Für diese Diagnose sprechen u.a. die Auswirkungen gravierender Defizite allgemeiner Grundbildung infolge der Schulschließungen und die Vergrößerung bestehender Bildungsungerechtigkeiten, physische und psychische Beeinträchtigungen von Gesundheit und Wohlergehen, eingeschränkte Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung, Ungewissheiten des Übergangs in das Beschäftigungssystem und damit verbundene begründete Ängste vor Arbeitslosigkeit2 und last but not least der Anstieg häuslicher Gewalt in der Pandemie. Am Ende, so auch der Sozialisationstheoretiker Klaus Hurrelmann, lässt sich prognostizieren: »Alle Generationen sind betroffen, aber die jungen Generationen leiden besonders.«3

Die mit diesen Befunden verbundenen ethischen und politischen Fragen werden mittlerweile überall in Deutschland und der Welt diskutiert, und zwar nicht nur in der medialen Öffentlichkeit und Wissenschaft, sondern auch an Küchentischen, in Schulen und Kitas, Parks und Kneipen: Wie sollte das Schulsystem auf künftige Wellen reagieren und was lässt sich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen? Sollen wir die Schulen und Kitas offenlassen oder erneut schließen? Welche Folgen hat dies für Fragen der Bildungsgerechtigkeit und der sozialen Gerechtigkeit? Wie lassen sich Kinder und Familien aus sozial schwächeren Milieus effektiv unterstützen? Wie lassen sich die Zukunftsaussichten der am härtesten von der Pandemie betroffenen Jugendlichen verbessern? Wie soll man mit Impfverweigerern in und außerhalb pädagogischer Institutionen umgehen? Kann es überhaupt legitim sein, die Grundfreiheiten einiger Bevölkerungsgruppen – zum Beispiel von Kindern und Jugendlichen – zugunsten des Gesundheitsschutzes anderer Gruppen einzuschränken?

Diese und ähnliche – mittlerweile allzu alltägliche – Fragen und Kontroversen sind das Thema dieses Buchs. Anspruch und Ziel des Buchs ist es, eine empirisch informierte, ethisch begründete Bestandsaufnahme und Kritik der Corona-Politik und ihrer Folgen für Kinder und Jugendliche in unterschiedlichen Lebenslagen zu entwickeln. Damit soll ein Beitrag zur öffentlichen Debatte geleistet werden, der die wichtigsten Problemlagen in der gebührenden Klarheit auf den Punkt bringt und konstruktive und realisierbare Vorschläge zur Diskussion stellt, wie die Situation von Kindern in Deutschland während und nach der Pandemie verbessert werden kann.

Eine dezidiert ethische Analyse und Kritik der Corona-Politik ist deshalb angebracht, weil systematisch ansetzende – der Pädagogischen Ethik zuzuordnende – Perspektiven in der öffentlichen Debatte bis dato kaum präsent sind, obwohl es sich bei den diskutierten normativen Problemen offensichtlich in zentraler Hinsicht um Probleme und Fragen handelt. Zu Kinder und Jugendliche betreffenden ethischen Fragen äußern sich in stetiger Regelmäßigkeit auch Expert_innen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen – etwa der Psychologie, der Medizin oder der empirischen Bildungsforschung –, welche dabei in der Regel keineswegs sparsam mit normativen Bewertungen und Ratschlägen sind. Dies ist zwar grundsätzlich als Beitrag zur öffentlichen Diskussion begrüßenswert, da eine kritische und nicht bloß rezeptive Öffentlichkeit4 in liberalen Demokratien auf die Ergebnisse theoriegeleiteter Forschung für eine vernünftige Meinungs- und Willensbildung angewiesen ist. Kritikwürdig ist jedoch, dass die in diesem Kontext vorgebrachten ethischen Positionierungen in der Regel kaum angemessen theoretisch eingeordnet oder anhand nachvollziehbarer normativer Kriterien begründet und gerechtfertigt werden. Genau hierin aber besteht die Aufgabe einer Analyse aus der Sicht der Pädagogischen Ethik.5 Es gilt die impliziten oder expliziten Kriterien zu rekonstruieren, an denen sich politische Maßnahmen orientieren müssen, und deren Konsequenzen auf den Prüfstand zu stellen.

Der mit der alltäglichen Präsenz der relevanten ethischen Diskussionen über die Situation von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie verbundene Orientierungsbedarf ist offenkundig und wird von unterschiedlicher Seite in der Öffentlichkeit bedient. Das Bedürfnis nach sollte jedoch – gerade dann, wenn es denn mit Orientierung ernst gemeint sein soll – nicht zu der Fehlannahme verleiten lassen, dass es hier einfache ethisch begründete Antworten und Lösungen geben könnte, denn dies dürfte nur eher selten der Fall sein. Im Gegenteil: Pädagogische Ethik hat vielmehr – dort wo es auf Grund des Gegenstands der Analyse angemessen und notwendig ist – die Aufgabe, die Probleme in ihrer Komplexität und mit der gebotenen Distanz in den Blick zu nehmen und damit unweigerlich auch zu »verkomplizieren«6, gerade weil sie sich nicht in jedem Fall ohne weiteres auf nur eine und zudem einfache Art und Weise theoretisch einordnen, bewerten und bearbeiten lassen.

Hieran zu erinnern scheint insbesondere mit Blick auf die öffentliche Debatte über Kinder und Kindheiten in der Pandemie geboten: Problematische Generalisierungen – »die« Kinder als homogene Gruppe gab es vor der Pandemie nicht und sie wird es auch nach der Pandemie nicht geben – und allzu simple, sloganisierte Praxisvorschläge – etwa »mehr Digitalisierung« als pädagogisch-politische Allzweckwaffe zur Bearbeitung aller Probleme dieser Welt – dürften weder in theoretischer noch in praktischer Hinsicht weiterhelfen, und zwar am allerwenigsten denjenigen Kindern und Jugendlichen, die am schlimmsten von den Folgen der Pandemie betroffen sind. Dies gilt auch für einige der Deutungen und Zeitdiagnosen zur Covid-19 Pandemie, die von Vertreter_innen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen vorgebracht wurden und über deren Geltung, Plausibilität und Halbwertszeit man trefflich streiten kann und sollte.7 Insbesondere gegenüber oftmals apokalyptisch getönten und rhetorisch überladenen Krisen- und Verfallsdiagnosen, die als Reaktion auf die Pandemie vorgebracht wurden, ist Skepsis geboten. Methodisch operieren sie in vielen Fällen mit symptomatischen Fehl- und Kurzschlüssen, wenn sie zum Beispiel allein auf Basis anekdotischer Evidenz identifizierte individuelle Problemlagen von Kindern mit hochgradig spekulativen, impressionistischen Gesellschaftsdiagnosen koppeln8, die oft mehr über die subjektive Gemütsstimmung der Theoretiker_innen verraten (nach dem tradierten Muster: Lob der Disziplin! Warum unsere Kinder Tyrannen werden, usf.) als über die Lage, die sie vorgeben zu beschreiben. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für manchmal eher hysterisch anmutende Kritiken, die Maßnahmen der Corona-Politik in kurzschlüssigen historischen Vergleichen mit Diktaturen in Verbindung bringen und so Mängel an methodisch reflektierter historisch-politischer Urteilsfähigkeit dokumentieren, die Unfähigkeit einbeschlossen, positive Leistungen von liberaler Demokratie und ihren öffentlichen Institutionen in der Krise zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen.9 Kritik muss nicht immer konstruktiv sein und darf selbstverständlich auch polemisch geraten. Wenn aber die Kriterien, von denen sie ausgeht, auf eine undemokratische und illiberale Sichtweise schließen lassen bzw. diese jenseits von abstrakten Postulaten10 überhaupt nicht expliziert, geschweige denn begründet oder zur Debatte gestellt werden, dann wird sie selbst kritikwürdig. In kulturpessimistische Großdiagnosen gefasste Dramatisierungsrhetorik – etwa: Maskenpflicht als Kindesmissbrauch und Menschenrechtsverletzung und anderer...



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