Drerup | Kontroverse Themen im Unterricht. Konstruktiv streiten lernen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 159 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

Drerup Kontroverse Themen im Unterricht. Konstruktiv streiten lernen

[Bildung und Unterricht] - Drerup, Johannes - Streitkultur; Debatten; Demokratie-Erziehung - 14095
Originalausgabe 2021
ISBN: 978-3-15-961889-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

[Bildung und Unterricht] - Drerup, Johannes - Streitkultur; Debatten; Demokratie-Erziehung - 14095

E-Book, Deutsch, 159 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

ISBN: 978-3-15-961889-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dass im Unterricht offen kontrovers diskutiert wird, ist - im Rahmen der Demokratieerziehung - notwendig und selbstverständlich. Angesichts wachsender gesellschaftlicher Polarisierung wird allerdings zunehmend unklar, welche Themen in dieser Form behandelt werden können und wie angemessenes Verhalten bei problematischen Einstellungsmustern aussieht. Wie umgehen mit Migrations- und Klimafragen, mit Verschwörungstheorien oder geschichtsrevisionistischen Äußerungen? Johannes Drerup entwickelt eine praktische Orientierungshilfe für ein zunehmend unübersichtliches Handlungsfeld. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Johannes Drerup ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der TU Dortmund und Gastprofessor an der Freien Universität Amsterdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u. a. in der Erziehungs- und Bildungstheorie, der Pädagogischen Ethik und der Theorie und Praxis von Demokratieerziehung und demokratischer Bildung.

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[7]Einleitung
Konstruktiv streiten zu lernen ist ein zentrales Ziel demokratischer Erziehung und Bildung. Die Diskussion kontroverser Fragen und Streitthemen gilt als demokratische Praxis par excellence und zugleich als wichtige praktische Methode, um demokratiepädagogische Leitziele wie z. B. personale Autonomie, Respekt und Toleranz zu erreichen. Indem Schülerinnen und Schüler miteinander im Unterricht über kontroverse Fragen diskutieren, lernen und erfahren sie – so die Idee und das Ideal –, was es bedeutet, in einer liberalen Demokratie zusammenzuleben, und worauf eine funktionstüchtige Demokratie angewiesen ist. Sie lernen, über die Plausibilität und Geltung von Gründen zu diskutieren, dabei fragwürdige Überzeugungen zu überprüfen und Konsensmöglichkeiten abzuschätzen, aber auch mit Dissens zu leben und sich trotz Meinungsverschiedenheiten wechselseitig als freie und gleichberechtigte Personen zu respektieren. Die pädagogische Initiation in die Praxis des demokratischen Streits soll sie dazu befähigen, sich gemeinsam auf eine sachlich angemessene, zivile und tolerante Art und Weise über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu verständigen.1 In öffentlichen Schulen2 stellt die Diskussion politisch [8]relevanter Themen – also solcher Themen, die sich auf Fragen und Probleme des Zusammenlebens in liberalen Demokratien beziehen3 – eine fächerübergreifende Aufgabe dar, die sich sowohl aus theoretischen als auch aus praktischen Gründen nicht nur auf den Politikunterricht oder nur auf gesellschaftswissenschaftliche Fächer (etwa Wirtschaft oder Geschichte) beschränken lässt. Diskussionen über kontroverse Fragen von politischer Bedeutung können praktisch in allen Fächern aufkommen und sind daher für alle Fächer relevant, sei es nun den Philosophie- und Ethikunterricht (Debatten über Sterbehilfe), den Biologieunterricht (Debatten über Evolution oder Sexualität), den Religionsunterricht (Debatten über Religionsfreiheit oder die Freiheit der Rede) oder den Deutschunterricht (in dem – zunächst themenungebunden – die mündliche Debatte und die schriftliche Erörterung eingeübt werden). Demokratische Erziehung und Bildung sind also Aufgaben, die sich nicht auf einzelne Fächer beschränken lassen. Hitzig geführte gesellschaftliche Debatten machen weder vor Fächergrenzen noch vor den Schultoren halt und finden auf die eine oder andere Weise ihren Weg in den Klassenraum, der kein politikfreier Raum ist. [9]Es ist daher wenig verwunderlich, dass auch Fragen des angemessenen Umgangs mit kontroversen Themen im Unterricht selbst ein umkämpfter Gegenstand von wissenschaftlichen und öffentlichen Kontroversen sind: Wie sollen z. B. Lehrkräfte mit konfliktbeladenen und polarisierenden Themen wie Klimawandel, Migration oder geschichtsrevisionistischen Postulaten von rechtspopulistischen Politikern im Unterricht umgehen? Wie können Schüler lernen, konstruktiv mit solchen Streitthemen umzugehen? Folgt aus der Etablierung von rechtspopulistischen Argumentationen in öffentlichen Debatten, dass diese im Unterricht gleichberechtigt mit anderen politischen Positionen diskutiert werden müssen? Dürfen Lehrerinnen und Lehrer ihre eigene politische Meinung im Unterricht offenlegen? Können oder sollen sie politisch neutral bleiben? Wie sollten sie sich zu politischen Konflikten verhalten, wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit im Unterricht? Diese Fragen verweisen auf eine Reihe von politischen und pädagogischen Herausforderungen, die in den letzten Jahren insbesondere aufgrund der Erfolge rechtspopulistischer Parteien an gesellschaftspolitischer Brisanz gewonnen haben und in der Folge zum Gegenstand einer breiten wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte gemacht worden sind. So wird in der Öffentlichkeit z. B. vermehrt über die politische Neutralität von Lehrerinnen und Lehrern und über Indoktrinationsvorwürfe diskutiert. Es wird öffentlich Druck auf Lehrkräfte ausgeübt, denen politische Parteilichkeit vorgeworfen wird (etwa Dienstaufsichtsbeschwerden der AfD in Hamburg, die Einrichtung von Online-Portalen zur Meldung AfD-kritischer Lehrerinnen [10]und Lehrer im Rahmen der Aktion »neutrale Schule« sowie auch die kürzlich wieder entbrannte Diskussion über Berufsverbote für Lehrer).4 Diese Entwicklungen, die in ähnlicher Weise auch in anderen Ländern in und außerhalb Europas beobachtet werden können (z. B. Costa 2020), führen unweigerlich auch zu Spannungen zwischen den Gepflogenheiten der öffentlichen politischen Debatte, den Aufgaben von Schulen und dem professionellen Ethos mitsamt den Rationalitätsstandards, die Lehrerinnen und Lehrer bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beachten haben. Sie haben unter den Lehrkräften zu einigen Verunsicherungen und zu Orientierungsbedarf bezüglich des Umgangs mit kontroversen Themen im Unterricht geführt.5 In der Debatte zu diesen Problemvorgaben geht es im Kern um die Fragen, wie begründet entschieden werden kann, welche politisch und gesellschaftlich relevanten Themen von Lehrkräften kontrovers, d. h. mit offenem Ausgang und mit Bezugnahme auf ein Spektrum von gleichermaßen angemessenen und legitimen Sichtweisen unterrichtet und diskutiert werden sollen, und welche nicht, und was hieraus in unterrichtspraktischer Hinsicht folgt. Diese Diskussion wird im deutschsprachigen Raum üblicherweise mit Referenz auf den sogenannten »Beutelsbacher Konsens« (in nuce: alle Themen, die in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert werden, sollten auch im Unterricht [11]kontrovers diskutiert werden) und international mit Bezug auf die sog. Kontroverse über Kontroversitätsgebote6 geführt. Im Mittelpunkt stehen Probleme der Festlegung von angemessenen Kriterien zur Unterscheidung von kontroversen und nicht-kontroversen politischen Themen und Antworten auf die Fragen, ob, warum und wie diese Themen in öffentlichen Schulen dargestellt und vermittelt werden sollten (und faktisch vermittelt werden). Vorgeschlagen wurden verschiedene Kriterien: Auf Basis eines verhaltensbezogenen Kriteriums sollen z. B. alle in Öffentlichkeit und Politik kontrovers diskutierten Themen auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden. Verteidiger epistemischer, auf rationale Rechtfertigung von Wissen und Erkenntnis ausgerichteter Kriterien wenden dagegen ein, dass dies nur für hinreichend rational und empirisch begründete Positionen gelten dürfe. Für die folgende Auseinandersetzung mit Kontroversen im Unterricht sind daher drei systematische Grundfragen leitend: Warum sollten kontroverse Themen im Unterricht behandelt werden? Welche Themen sollten im Unterricht kontrovers diskutiert werden und welche nicht? [12]Wie sollte mit kontroversen Themen im Unterricht pädagogisch-praktisch umgegangen werden? Um diese Fragen beantworten zu können, werde ich zuerst die theoretischen und empirischen Grundlagen der Kontroverse über Kontroversitätsgebote darstellen und diskutieren. Sodann werde ich meine eigene Position in dieser Kontroverse vorstellen und erläutern und einen Orientierungsrahmen für den Umgang mit kontroversen Themen im Unterricht entwickeln, der zur Klärung der relevanten theoretischen Problemvorgaben beitragen und als praktische Orientierungshilfe für Lehrerinnen und Lehrer dienen soll. Für mein Plädoyer für eine vermehrte Einführung und Verwendung dialogorientierter Formate im Umgang mit Kontroversen nutze ich empirisch informierte Debatten über Möglichkeiten und Schwierigkeiten schulischer Demokratieerziehung in unterschiedlichen Schulsystemen. Last but not least möchte ich so dazu beitragen, dass Debatten über Kontroversen im Unterricht die öffentliche Resonanz finden, die ihrer bildungspolitischen Relevanz angemessen ist. Zu den einzelnen Kapiteln: Der Band ist in zwei Hauptteile gegliedert, die einerseits zentrale theoretische Problemvorgaben und Leitorientierungen der Kontroverse über Kontroversitätsgebote (Kap. 1) und andererseits praktische Herausforderungen und Beispielfälle zum pädagogischen Umgang mit kontroversen Themen im Unterricht vorstellen und diskutieren (Kap. 2). In Kapitel 1 stelle ich zunächst (1.1) demokratietheoretische und -pädagogische Grundlagen und Grundbegriffe vor und rekonstruiere historische Hintergründe und zentrale Topoi der Kontroverse [13]über Kontroversitätsgebote (u. a. zur Genese und Rezeption des Beutelsbacher Konsenses). An nationalen und internationalen Beispielen lässt sich zeigen, wie man mit kontroversen Themen in sich historisch wandelnden soziopolitischen Kontexten in Schulen umgegangen ist und was man daraus für aktuelle Debatten lernen kann. Das Kapitel 1.2 versucht zu klären, welche normativen und empirischen Gründe für die Diskussion kontroverser Themen im Unterricht sprechen, welche Erziehungsziele und Wirkungserwartungen damit verbunden werden können. In Kapitel 1.3 werden nach einer kurzen Einführung in Grundannahmen der Kontroverse über Kontroversitätsgebote drei der wichtigsten Kriterien auf den Prüfstand gestellt, die zur Unterscheidung von kontrovers und nicht kontrovers zu behandelnden Themen vorgebracht wurden. Diese Kriterien – das verhaltensbezogene Kriterium, das Kriterium der politischen Authentizität und das epistemische Kriterium – können, so die Argumentation, die ihnen zugeschriebenen Orientierungsfunktionen und Rechtfertigungsleistungen...



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