Düffel | Wovon ich schreibe | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Düffel Wovon ich schreibe


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8321-8799-6
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-8321-8799-6
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Worauf kommt es im Leben an? Am Ende sind es die gleichen Dinge, die in ein gutes Buch gehören. Und wie meistert man das Leben? Mit allem, was auch zum Schreiben eines Romans gehört. John von Düffel ist ein dem Leben zugewandter Schriftsteller. Seine Themen, Figuren und Geschichten verfolgt er über den Rand der Buchseite hinaus. In persönlichen Beobachtungen macht er sich nun auf die Suche nach den vielfältigen Berührungspunkten von Literatur und Wirklichkeit, er verknüpft Leben und Schreiben. Die Kunst, Ich zu sagen, ist auf beiden Feldern gefragt, ebenso der Umgang mit Familie, die Bewegung, die verschiedenen Formen von Zeit. Und erstaunlich viele Deutungsmuster aus der Literatur lassen sich auf den ganz privaten Alltag übertragen. Was John von Düffel gelingt, ist nicht weniger als eine Poetik des Lebens.

JOHN VON DÜFFEL wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. >Vom Wasser< (1998), >Houwelandt< (2004), >Wassererzählungen< (2014), >Klassenbuch< (2017), >Der brennende See< (2020), >Wasser und andere Welten< (Neuausgabe 2021), >Die Wütenden und die Schuldigen< (2021) und zuletzt
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Literatur und Sport

Der Autor als Sportler, der Roman als Marathon

Literatur und Sport sind unvereinbar, das lernt man schon in der Schule. Die Quälereien des Sportunterrichts und die körperlichen Demütigungen auf dem Pausenhof führen dazu, daß sich die Welt der Heranwachsenden sehr bald in zwei Lager teilt: auf der einen Seite die Athleten und ewigen Sieger, denen keiner etwas anhaben kann, auf der anderen die körperlich Unterlegenen, die sich in abseitigere Bereiche flüchten. Sie werden Mathe-Freak, Tüftler in tageslichtlosen Hobbykellern oder Geisteswissenschaftler. Zumindest zu meiner Zeit war das so.

Meine ersten Erlebnisse im Sportunterricht waren geprägt von ledergesichtigen Turnlehrerinnen, die mich als Grobmotoriker zu gymnastischen Übungen zwangen, die ich nicht einmal theoretisch verstand. Sie sahen aus wie in die Jahre gekommene, unverwüstlich zähe BDM-Mädels, hatten stets eine Trillerpfeife um den Hals und einen Ton am Leib, mit dem sie es als Lageraufseherinnen weit hätten bringen können. Der Faschismus-Verdacht gegenüber jeder Form von sportlicher Betätigung, wie ihn Elfriede Jelinek in ihrem »Sportstück« formuliert, beschlich mich mit achteinhalb.

Sport hat ganz ohne Zweifel etwas mit der Ausübung von Macht, Gewalt und Grausamkeit zu tun, insofern ist er – wie die Literatur – ein Spiegel des Gesellschaftlichen unter den Vorzeichen des Spiels, nur eben in brutalster physischer Unmittelbarkeit. Er wird von den Klammern des Spiels eingefaßt, aber innerhalb dieser spielerischen Parenthese sind die Aggressionen und Ängste, die Kämpfe und Niederlagen bitterer Ernst, und sie sind nicht nur symbolisch, sondern in erster Linie leibhaftig.

Die Frage ist nicht, ob dem Menschen beim Sport Gewalt angetan wird, sondern lediglich von wem. Es gibt Mannschaftssportarten, bei denen der Schmerz meist vom Gegner kommt, es gibt Ausrüstungssportarten wie Golf, bei denen die hauptsächliche körperliche Betätigung darin besteht, das eigene Equipment zu schleppen. Die Art von Sport, die ich auf ihre Beziehung zur Literatur untersuchen will, ist der sogenannte Individualsport, also das gleichsam ins Sportliche hinein verlängerte Einzelkämpfertum des Autors: Laufen, Schwimmen, Ausdauertraining. Auch in diesen Disziplinen werden Kämpfe ausgetragen, Qualen bereitet, Schmerzen zugefügt, aber sie sind gewissermaßen selbstauferlegt, selbstbestimmt. Der Autor als sportlicher Individualist ist in seinem Element, dem ihm eigenen seelisch-körperlichen Haushalt, bestehend aus einem Pensum, das er sich vorgenommen hat, und dem Willen, es zur Wahrung seiner Selbstachtung zu erreichen.

Die meisten schulsportlichen Traumatisierungen sind hingegen Erlebnisse äußerster Fremdbestimmung: das Gezwungenwerden zu etwas und das beschämend offensichtliche Versagen vor den Augen der anderen. Gerade im Scheitern ist Sport gnadenlos. Anders als im Deutschunterricht ist das Ungenügen in der Turnhalle objektiv und auch für den Dümmsten zu erkennen. Man wird Letzter beim Wettlauf, schafft die Übung am Barren nicht, hängt wie ein nasser Sack am Reck oder steht bei der Aufteilung der Fußball-Mannschaften mit gesenktem Kopf da und wird von niemandem ins Team gewählt.

Schulsport ist angewandte Sozialkunde, eine gesellschaftliche Repressionsübung und wehrsportliche Lektion am eigenen Leib: Rangordnungen bilden sich heraus, eine Art Rudelhierarchie, geformt durch die physische Stärke der einen und die Schwäche der anderen, Macht- und Ohnmachtgefühle.

Die ganze Grausamkeit des Sportunterrichts kam mir neulich noch einmal zu Bewußtsein, als ich Notizen kritzelnd im Park saß und eine Schülergruppe im Dauerlauf vorbeikam, ein Feld von keuchenden, krakeelenden, laut schwatzenden Vierzehnjährigen. Nur ein kleiner, dicklicher Junge schleppte sich mit deutlichem Abstand hinterher. Der Sportlehrer blieb, auf der Stelle trabend, zurück, heftete sich dann an die Fersen des Nachzüglers und trieb ihn immer wieder mit dem Zuruf an: »Hopp, Hopp! Komm, komm! Alles eine Frage des Willens! Alles eine Frage des Willens!«

Das war falsch. Es war natürlich keine Frage des Willens, es war eine Frage des Körpers, und dieser Junge hatte nicht die geringste Chance.

Ich möchte nicht wissen, was für Alpträume er vom Sportunterricht hatte. Fest steht, daß in diesen Schulstunden mehr noch als sonst knallhart und unwiderruflich Zugehörigkeiten definiert werden. Und ob man dazugehört oder nicht, ist eben keine Frage des Willens. Es wird am Körper, an seiner Kraft und Leistungsfähigkeit festgemacht sowie später am Zeugnis. Keine Schulnote ist so sehr Ehrensache wie die Sportzensur. ›Sport 1, Deutsch 4 bis 5‹, mit einem solchen Zeugnis ist man ein Held. Umgekehrt scheint ein Germanistikstudium unausweichlich für all jene, bei denen es heißt, ›Sport 4, Deutsch 2 +‹. So trennen sich die Wege.

Man kann diese ersten schulsportlichen Erfahrungen hochrechnen und sich vorstellen, daß einigermaßen wortgewandte Menschen wie Autoren in der Lage sind, diese Sporttraumatisierungen der frühen Jahre zu verarbeiten, daraus eine sportfeindliche Philosophie zu entwickeln und sie in die Selbststilisierung ihres Dichterbildes einfließen zu lassen. Und damit bin ich bei dem ersten kritischen Punkt im Verhältnis von Literatur und Sport: die Dichterbilder, die Autorenstilisierungen, die Mythen, die Schriftsteller von sich selbst in die Welt setzen. Sie alle weisen weitgehend vom Sport weg. Und auch Bertolt Brecht, der vielzitierte, der sich mit Max Schmeling ablichten ließ und wie ein Tabubrecher die Nähe zu den großen proletarischen Sportereignissen suchte, war zwar ein Sportfreund im passiven Sinne und hat sich Boxkämpfe mit großer Begeisterung angesehen, aber ein Sport-As war er bekanntlich auch nicht gerade. Das Bild des Sportlers ist und bleibt mit dem Dichterbild schwer zu vereinbaren. Die einen sind die Athleten des Körpers, die anderen sind gleichsam die Athleten des Geistes, aber dazwischen gibt es so gut wie keine Verbindung.

Zu den Autoren, die sich ausdrücklich als Anti-Sportler stilisiert haben, gehört auch Thomas Mann. Er hat das Bild eines Dichters entworfen, der seine Produktivität, seine Schaffenskraft nicht aus der Stärke, aus der körperlichen Überlegenheit bezieht, sondern aus der Schwäche. Sein Verständnis von Künstlertum geht aus vom kranken, gesellschaftlich nichtzugehörigen Menschen, der durch den Mangel an Gesundheit, durch sein Nicht-Mitmachen-Können einerseits stigmatisiert, andererseits privilegiert ist, denn aufgrund seiner Außenseiterposition hat er auch einen besonderen Blick auf die Geschehnisse des Lebens. Er beobachtet die Welt aus einem Abstand heraus, aus dem Abstand des Einsamen, Ausgenommenen, und er kann auf diese Weise Dinge sehen, ist für Dinge sensibilisiert, die den anderen in ihrer Geschäftigkeit, im täglichen Machen und Tun verborgen bleiben. Sie laufen mit, er hingegen schaut drauf.

Wir wären also wieder beim Bild des schmächtigen, nicht in die Mannschaft gewählten Jungen, der mit hängenden Schultern am Rand des Spielfelds steht, während die anderen um einen Ball herum toben, oder bei dem fiebrigen kleinen Kerl in seinem Bett, der durch das Fenster mit den zugezogenen Gardinen das Johlen und Gelächter der anderen Kinder hört. Solche Assoziationen stellen sich bei Thomas Manns Beschreibungen von Krankheit, Dekadenz oder Schwäche als literarischer Produktivitätsquelle unweigerlich ein. Und es lohnt sich, auf dieses Dichterbild näher einzugehen, weil damit eine zentrale Frage verknüpft ist: Woher kommt die literarische Produktivität? Welche Rolle spielt dabei der Körper, die physische Verfaßtheit eines Menschen? Ist es, wie Thomas Mann beschreibt, die körperliche Schwäche, die Literatur generiert, oder hat Produktivität auch mit Stärke zu tun?

Ein weiteres gängiges und immer noch gegenwärtiges Dichterbild ist das schon erwähnte Klischee der Boheme, die mit dem Sport auch nichts am sprichwörtlichen Schlapphut hat. Der Bohemien, der sich mit Rotwein und Zigaretten durch die Abende rettet und nachts im späten Vollrausch geniale Zeilen aufs Papier bringt, ist so ziemlich das Gegenteil des Sportlers – man möchte ihn sich auch in Turnhose nicht vorstellen. Doch so abgegriffen es auch wirkt, dieses Bild des Künstlers, der den wehenden roten Schal umgeschlungen hat und sich von vornherein als Sonderling begreift, für den Dabeisein eben nicht alles, sondern für den alles Nicht-Dabeisein ist – dieses Klischee ist nicht nur weit verbreitet, es lebt noch immer und feiert, wie man so schön sagt, fröhliche Urständ.

Eng verbunden mit diesem – neudeutsch ausgedrückt – Image des Dichters ist die Geschichte der Entstehung seines Werks, und diese Geschichte ist heute wichtiger denn je. Gemeint ist die Story nicht des Buches, sondern um das Buch herum, die Legende vom Leben und Schreiben des Autors. Es gibt da die verschiedensten Varianten, angefangen von Charles Bukowski mit seinen semi-biographischen Suff- und Siffgeschichten über Henry Millers erotische Schreib- und Liebesexperimente bis hin zu Charlotte Roches anal-verbalen Feuchtbiotopen. Mythen und Märchen ranken sich um Bücher wie den ersten Band von »Harry Potter«, den die damals arme und mittellose Joan K. Rowling am Kinderwagen ihres Sohnes geschrieben und durch die Straßen von London mit sich herumgeschoben haben soll. Ob das wahr ist oder einfach nur gut erfunden, steht auf einem anderen Blatt.

Man mag davon halten, was man will, Tatsache ist: Der Autor wird zusehends selbst zu einer Geschichte, und die Geschichte seiner Person, seiner...


Düffel, John
JOHN VON DÜFFEL wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. ›Vom Wasser‹ (1998), ›Houwelandt‹ (2004), ›Wassererzählungen‹ (2014), ›Klassenbuch‹ (2017), ›Der brennende See‹ (2020), ›Wasser und andere Welten‹ (Neuausgabe 2021), ›Die Wütenden und die Schuldigen‹ (2021) und zuletzt



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