E-Book, Deutsch, 311 Seiten, eBook
Dunkake Der Einfluss der Familie auf das Schulschwänzen
2010
ISBN: 978-3-531-92298-0
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Theoretische und empirische Analysen unter Anwendung der Theorien abweichenden Verhaltens
E-Book, Deutsch, 311 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-92298-0
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Ob Pippi Langstrumpf, Tom Sawyer oder Emils Detektive, schulschwänzende Kinder und Jugendliche sind in der klassischen Literatur oft Abenteurer, die durch ihre Taten und Erlebnisse den Leser zum Schmunzeln bringen. Was im 18. und 19. Jahrhundert noch humoristisch beschrieben wurde, hat Anfang des 21. Jahrhunderts einen anderen Tenor. Schulschwänzen wird zum Medienere- nis. So schreibt der Kölner Stadtanzeiger 'Alles ging den Bach runter - Kinder schwänzen zunehmend die Schule' (Ksta 15. 07. 2002), die Süddeutsche Zeitung titelt 'Schulsport Blaumachen' (Süddeutsche Zeitung 15. 02. 2000), und dem WDR zufolge liegt das 'Schwänzen im Trend' (WDR 22. 02. 2002), Spiegel Online betont 'Schwänzer sind Störenfriede' (Spiegel 22. 02. 2002) und der Fokus warnt 'Schulschwänzer riskieren Lehrstelle' (Fokus 13. 05. 2007). Trotz der Tatsache, dass in vielen Medienberichten von einer Zunahme des Sch- schwänzens berichtet wird, ist unklar, ob diese Aussage zutrifft oder nicht, denn letztlich fehlen repräsentative Daten, die eine solche Darstellung zulassen w- den. Auch die relativ abgesicherten Kenntnisse über eine Zunahme der Anz- gen und Bußgeldbescheide (Bundesministerien des Innern und der Justiz 2001: 1 557 oder Bezirksregierung Düsseldorf 2001) sagen nichts über die Entwicklung des Schulschwänzens aus, da auch angenommen werden kann, dass sich nur das Anzeigenverhalten verändert hat, nicht aber das eigentliche Schwänzen. Ferner hängt die Zahl der Bußgeldbescheide auch von behördeninternen Regelungen ab, die sich auf die Meldepraxis der Schulen auswirken können, ohne dass sich die Verbreitung des Schulschwänzens verändert haben muss.
Dr. Imke Dunkake ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Soziologie an der Universität zu Köln.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Danksagung;6
2;Inhaltsverzeichnis;7
3;Abbildungsverzeichnis;10
4;Tabellenverzeichnis;13
5;1 Einleitung;15
6;2 Schulpflicht, Absentismusforschung und Schulschwänzen als abweichendes Verhalten10;23
6.1;2.1 Die historische Entwicklung der Schulpflicht;23
6.2;2.2 Die Entwicklung der Absentismusforschung;28
6.3;2.3 Definition „Schulschwänzen“;32
6.4;2.4 Schulschwänzen als Form abweichenden Verhaltens;38
6.5;2.5 Abweichendes Verhalten in der Jugendphase;41
7;3 Die Familie: Definition und Funktion;44
7.1;3.1 Definition „Familie“;44
7.2;3.2 Familiale Funktionen: Ihre Wurzeln und ihre Entwicklung;46
7.2.1;3.2.1 Die Sozialisation;50
7.2.2;3.2.2 Die soziale Platzierung;53
7.2.3;3.2.3 Der emotionale Spannungsausgleich;54
7.2.4;3.2.4 Die Familie und ihre „Restfunktion“;56
8;4 Stand der Forschung: Eine Zusammenfassung der gebnisse quantitativer Studien zum Einfluss familialer Faktoren auf das Schulschwänzen;60
8.1;4.1 Familiale Strukturmerkmale;64
8.1.1;4.1.1 Geschwisteranzahl;64
8.1.2;4.1.2 Familienstruktur;68
8.1.3;4.1.3 Sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie;71
8.1.4;4.1.4 Stadtviertel, Schulen und Wohnsituation;77
8.1.5;4.1.5 Migration;79
8.2;4.2 Kulturelles und soziales Kapital;83
8.3;4.3 Innerfamiliale Merkmale;88
8.4;4.4 Abweichendes Verhalten der Familienmitglieder und andere Einflussfaktoren;94
8.5;4.5 Zusammenfassung des Forschungsstandes;95
9;5 Theoretische Grundlagen: Eine Synthese der Theorien abweichenden Verhaltens und familiensoziologischer;98
9.1;5.1 Die Familie im Spiegel der Theorien abweichenden Verhaltens;98
9.1.1;5.1.1 Anomietheorie;100
9.1.2;5.1.2 Sozialökologische Kontexteffekte;101
9.1.3;5.1.3 Etikettierungsansatz;103
9.1.4;5.1.4 Lerntheorie;104
9.1.5;5.1.5 (Soziale) Kontrolltheorie;105
9.1.6;5.1.6 (Psychologische) Kontrolltheorie;106
9.2;5.2 Abweichendes Verhalten im Kontext der Familienforschung;109
9.3;5.3 Konzepte theoretischer Integration;111
9.3.1;5.3.1 Integration theoretischer Konzepte (conceptual integration);112
9.3.2;5.3.2 Integration theoretischer Aussagen;112
9.4;5.4 Integrative Modelle für die Erklärung des familialen Einflusses auf das Schulschwänzen;115
10;6 Die Kontrolltheorie nach Sampson und Laub;117
10.1;6.1 Theoretische Grundlagen der Kontrolltheorie80;117
10.1.1;Trennung der Eltern und Tod eines Elternteils;123
10.1.2;Sozioökonomischer Status;125
10.1.3;Kinderzahl;126
10.1.4;Migrationshintergrund;127
10.1.5;Wohnortwechsel;128
10.1.6;Berufstätigkeit der Mutter;129
10.2;6.2 Stichprobenbeschreibung;132
10.3;6.3 Fehlende Werte;134
10.4;6.4 Auswertungsstrategien und statistische Analysemethoden;138
10.4.1;1. Messmodelle und konfirmatorische Faktorenanalyse;139
10.4.2;2. Strukturmodell;142
10.5;6.5 Operationalisierung des häufigen Schulschwänzens;147
10.6;6.6 Operationalisierung familialer Strukturmerkmale;153
10.7;6.7 Operationalisierung familialer Bindungsfaktoren;154
10.8;6.8 Prüfung der Messmodelle;160
10.9;6.9 Bivariate und multivariate Ergebnisse;162
10.9.1;6.9.1 Bivariate Ergebnisse: Familiale Strukturmerkmale, innerfamiliale Merkmale und häufiges Schulschwänzen;162
10.9.2;6.9.2 Multivariate Ergebnisse;168
10.10;6.10 Erweiterung des Modells um den Einfluss der Peers und der Schule;178
10.11;6.11 Operationalisierung der Anbindung an deviante Peers und der Anbindung an die Schule;180
10.12;6.12 Diskussion;196
11;7 Anomietheorie144;200
11.1;7.1 Erweiterung der Anomietheorie um eine Handlungstheorie;206
11.2;7.2 Ergänzung der Anomietheorie auf der Mesoebene;208
11.2.1;7.2.1 Schlechte Schulleistungen als Resultat eines geringen kulturellen Kapitals;209
11.2.2;7.2.2 Schlechte Schulleistungen als Resultat eines geringen sozialen Kapitals;211
11.3;7.3 Stichprobenbeschreibung der PISA-Studie 2000;217
11.3.1;1) Erweiterung der Stichprobe auf nationaler Ebene;218
11.3.2;2) Inhaltliche Ergänzungen;219
11.4;7.4 Fehlende Werte;220
11.5;7.5 Operationalisierung der abhängigen Variablen;221
11.6;7.6 Operationalisierung der unabhängigen Variablen;223
11.6.1;Sozioökonomischer Status und Kontrollmerkmale;223
11.6.2;Soziales Kapital;224
11.6.3;7.6.1 Erziehungsstile als Merkmal der elterlichen Kontrolle;228
11.6.4;7.6.2 Die Clusteranalyse als Verfahren der Ermittlung verschiedener Erziehungsstile;230
11.6.5;Kulturelles Kapital;233
11.6.6;Schulleistungen;239
11.6.7;Alternativen zum Schulbesuch;239
11.7;7.7 Konfirmatorische Faktorenanalyse: Die Darstellung der Messmodelle;240
11.8;7.8 Ergebnisse;244
11.8.1;7.8.1 Bivariate Ergebnisse: Die Beziehungen des SES und der Kontrollvariablen zu den Merkmalen des sozialen und kulturellen Kapitals;245
11.8.2;7.8.2 Bivariate Ergebnisse: Direkte Beziehungen des SES, des Sozial und Kulturkapitals zum häufigen Schulschwänzen;250
11.8.3;7.8.3 Multivariate Analysen;255
11.9;7.9 Diskussion;273
12;8 Fazit und Ausblick;280
13;Literatur;287
14;Anhang;309
Schulpflicht, Absentismusforschung und Schulschwänzen als abweichendes Verhalten.- Die Familie: Definition und Funktion.- Stand der Forschung: Eine Zusammenfassung der Ergebnisse quantitativer Studien zum Einfluss familialer Faktoren auf das Schulschwänzen.- Theoretische Grundlagen: Eine Synthese der Theorien abweichenden Verhaltens und familiensoziologischer Aspekte.- Die Kontrolltheorie nach Sampson und Laub.- Anomietheorie.- Fazit und Ausblick.
6 Die Kontrolltheorie nach Sampson und Laub (S. 121-122)
Das vorliegende Kapitel beginnt mit einer theoretischen Erörterung der sozialen Kontrolltheorie Sampson und Laubs (1993, Kap. 6.1). Hieran knüpft die Beschreibung des verwendeten Datensatze – der „MPI-Schulbefragung 1999“ – an (Kapitel 6.2), gefolgt von der Darstellung des methodischen Vorgehens (Kapitel 6.3) und den Operationalisierungen der abhängigen und unabhängigen Variablen (Kapitel 6.4 bis 6.8). In Kapitel 6.9 folgen die bivariaten und multivariaten Ergebnisse. In Anlehnung an Sampson und Laub (1993) wird das Modell um die Komponenten „Einfluss der Peers und der Schule“ erweitert. Die Ergebnisse werden in Kapitel 6.10 diskutiert.
6.1 Theoretische Grundlagen der Kontrolltheorie
Die Forschungsliteratur, insbesondere die angloamerikanische, weist eine Vielzahl von Publikationen auf, in denen sowohl familiale Strukturmerkmale, wie z.B. die Familienkonstellation oder die Familiengröße, als auch innerfamiliale Komponenten, wie die Kommunikationsstrukturen oder das Interesse der Eltern am Kind, untersucht wurden.
Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass familiale Effekte dabei je nach der Art des delinquenten Verhaltens durchaus variieren können (z.B. Nye 1958, Rankin 1983). Charakteristisch für das Forschungsfeld zum abweichenden Verhalten von Jugendlichen war lange Zeit die getrennte Betrachtung der Wirkung familialer Strukturmerkmale und innerfamilialer Komponenten (Lösel und Linz 1975, Rosen 1985).
Mit den Worten Rosens löste sich die „structure versus function controversy“ (1985: 553) Mitte der 1950er Jahre langsam auf, da durch die Arbeiten von Glueck und Glueck (1950) sowie Nye (1958) nachgewiesen werden konnte, dass es zwischen beiden Merkmalsgruppen relevante Zusammenhänge gibt. Es waren insbesondere Vertreter der Kontrolltheorie, die der Frage nachgingen, welchen Einfluss die Familie auf die Delinquenzentwicklung hat und wie verschiedene familiale Merkmale miteinander zusammenhängen.
Das starke Interesse an der Familie resultiert aus der kontrolltheoretischen Annahme, dass die Bindung zu primären Bezugspersonen – wie den Familienmitgliedern – eine entscheidende Rolle für die Ausbildung konformer oder abweichender Normen und Werte spielt. Von den Kontrolltheoretikern war es neben Reiss (1951) und Nye (1958)81 vor allem Hirschi (1969), der nachdrücklich auf den Einfluss der Familie verwies und sie als zentrale Kontrollinstanz in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte.