E-Book, Deutsch, 230 Seiten
Dzeba / Maier / Markey Psychotherapeutische Erstversorgung: Sprechstunde, Akutbehandlung und Gruppengrundversorgung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-11987-9
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit Kommentar zur Richtlinie und Hinweisen zur praktischen Ausgestaltung
E-Book, Deutsch, 230 Seiten
ISBN: 978-3-608-11987-9
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thersa Dzeba, Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin (VT) im Psychotherapeutischen Gesundheitszentrum in München.
Weitere Infos & Material
Sarah M. Quaatz und Michael Zaudig
2
In diesem Kapitel erfahren Sie, …
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was die Psychotherapie-Richtlinie unter den neu eingeführten drei Versorgungsziffern psychotherapeutische Sprechstunde (PTS), psychotherapeutische Akutbehandlung (PTAB) und gruppenpsychotherapeutische Akutbehandlung (GPGV) konkret versteht,
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was das für den Behandler in der Praxis bedeutet und
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welche Effekte seit Einführung dieser neuen Abrechnungsziffern bereits beobachtet werden können.
Zum 1. April 2017 ist die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossene Reform der ambulanten Vertragspsychotherapie in Kraft getreten. In dieser umfassenden Strukturreform wurde die Psychotherapie-Richtlinie grundlegend geändert (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2017). Mit der Einführung der psychotherapeutischen Sprechstunde, der Akutbehandlung und Möglichkeiten der Rezidivprophylaxe sollte eine Flexibilisierung der Therapieangebote erreicht, außerdem das Antrags- und Gutachterverfahren vereinfacht und Gruppentherapien gefördert werden (Multmeier, 2017):
Während die psychotherapeutische Sprechstunde (PTS) die Diagnostik und Indikationsstellung zum Ziel hat, gilt die psychotherapeutische Akutbehandlung (PTAB) als eine möglichst zeitnahe psychotherapeutische Intervention im Anschluss an eine Sprechstunde. Sie dient insbesondere der Besserung akuter psychischer Krisen- und Ausnahmezustände bzw. der vorbereitenden Stabilisierung vor Durchführung anderer Behandlungen oder Maßnahmen (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2024).
Im Februar 2021 trat eine weitere Änderung der Psychotherapie-Richtlinie in Kraft. Neben der Verwendung von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGA) und Vereinfachungen im Gutachterverfahren hatte sie eine weitere Förderung der Gruppentherapie zum Ziel (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2020). Die deshalb neu eingeführte gruppenpsychotherapeutische Grundversorgung (GPGV) stellt ein neues Angebot für Patienten in der Gruppe dar. Sie dient der strukturierten Vermittlung und weiteren Vertiefung von grundlegenden Inhalten der ambulanten Psychotherapie (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2024).
In diesem Kapitel werden diese drei neuen Versorgungsziffern (PTS: 35151, PTAB: 35152 und GPGV: 35173) auf Grundlage der Psychotherapie-Richtlinie zunächst vorgestellt, zentrale Inhalte zusammengefasst und mit Querverweisen zu anderen Abschnitten der Richtlinie versehen sowie kommentiert. Anschließend soll ein Überblick über den Gesamtablauf der psychotherapeutischen Erstversorgung gegeben werden sowie ein erster Einblick darüber, welche Effekte seit Einführung der Strukturreform zu beobachten sind.
2.1
Die psychotherapeutische Sprechstunde (PTS) dient der Diagnostik und Indikationsstellung. Sie ist eine wesentliche Voraussetzung auf dem Weg zu einer zielgerichteten und indikationsgemäßen Psychotherapie. Man kann also sagen: Ohne Sprechstunde keine Psychotherapie!
Der Ablauf der PTS wird in den Psychotherapie-Richtlinien (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2024) im Paragraphen 11 ausführlich beschrieben:
»§ 11 Psychotherapeutische Sprechstunde
(1) 1Patientinnen und Patienten haben einen Anspruch auf eine psychotherapeutische Sprechstunde (Sprechstunde) als zeitnahen niedrigschwelligen Zugang zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. 2Die Sprechstunde dient der Abklärung, ob ein Verdacht auf eine krankheitswertige Störung vorliegt und weitere fachspezifische Hilfen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung notwendig sind. 3Vor einer Behandlung gemäß den §§ 12, 13 und 15 haben Patientinnen und Patienten eine psychotherapeutische Sprechstunde in Anspruch zu nehmen; dies gilt nicht in den in Absatz 7 bestimmten Fällen. 4Übergangsweise werden die Regelungen in Satz 3 sowie in Absatz 7 bis zum 31. März 2018 ausgesetzt.« (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2024, S. 9)
Kommentar: Jeder versicherte Patient hat einen Anspruch auf maximal drei PTS (jeweils 50 Min.), die immer vor der Behandlung (also vor einer probatorischen Sitzung (§ 12), einer psychotherapeutischen Akutbehandlung (PTAB; § 13) oder einer Behandlung mit einem anerkannten Psychotherapieverfahren (psychoanalytisch begründete Verfahren, Verhaltenstherapie oder Systemische Therapie; § 15) erfolgen soll, zeitnah und ohne große Hürden zugänglich.
Die PTS ist ein Versorgungsangebot zur frühzeitigen diagnostischen Abklärung. Sie kann als eine Art Screeningprozess verstanden werden. Der Psychotherapeut klärt in diesem Erstgespräch ab, ob eine psychische Störung mit entsprechender Indikation zur Psychotherapie vorliegt. Grundsätzlich gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die als weiteres Vorgehen empfohlen werden können: eine Präventionsmaßnahme, ambulante Psychotherapie, haus- oder fachärztliche Abklärung (psychiatrisch/psychosomatisch), ambulante PTAB, stationäre Behandlung oder auch eine Maßnahme außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, wie z. B. eine Eheberatung in einer Eheberatungsstelle. Darüber hinaus ist zu klären, ob eine Diagnose besteht, aber keine Indikation, oder aber keine Diagnose vorliegt und damit keine weiteren Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Das empfohlene weitere Vorgehen wird auf dem Befundbericht zur Sprechstunde (Formular PTV 11) vermerkt.
Jeder Behandler, der eine Genehmigung zur Abrechnung von Richtlinienpsychotherapie hat, muss seit April 2018 verpflichtend mindestens zwei Sprechstunden à 50 Minuten anbieten (§ 11 Abs. 13). Dies gilt ebenso für Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie, für Ausbildungsinstitute und in bestimmten Fällen auch für ermächtigte Ärzte.
§ 11 (2)
»1Die Therapeutin oder der Therapeut teilen ihr Sprechstundenangebot sowie ihre Erreichbarkeit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung zur Information der Patientinnen oder Patienten mit. 2Es gelten die nachfolgenden Anforderungen.« (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2024, S. 9)
Kommentar: Erreichbarkeit und Sprechstundenangebot sollen für Patienten deutlich werden.
§ 11 (3)
»1Bei Verdacht auf eine seelische Krankheit findet im Rahmen der Sprechstunde eine ODA und, sofern erforderlich, eine DDA nach § 10 Absatz 2 statt. 2Dabei soll auch eine Beratung, Information, Klärung des individuellen Behandlungsbedarfs, eine erste Diagnosestellung und dementsprechende Behandlungsempfehlungen sowie, sofern erforderlich, eine kurze psychotherapeutische Intervention erfolgen. 3Darüber hinaus sollen der Patientin oder dem Patienten, sofern erforderlich, Hinweise auf andere Hilfemöglichkeiten gegeben werden.« (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2024, S. 9)
Kommentar: Es soll eine Orientierende Diagnostische Abklärung (ODA) sowie – sofern erforderlich – eine Differentialdiagnostische Abklärung (DDA) nach § 10 Absatz 2 stattfinden: Beide haben die Diagnostik vor Indikationsstellung für eine psychotherapeutische Maßnahme zum Ziel. Psychotherapie setzt eine ätiologisch orientierte Diagnostik voraus, die die jeweiligen Krankheitserscheinungen erklärt und zuordnet. Voraussetzung für Psychotherapie ist, dass der Krankheitszustand in seiner Komplexität erfasst wird, auch dann, wenn nur die Therapie eines Teilzieles angestrebt werden kann.
In der Regel sind psychometrische Instrumente einzusetzen, die Diagnostik soll im Wesentlichen den Prinzipien des diagnostischen Prozesses unterliegen (Zaudig & Trautmann, 2006), der einen aktuellen psychischen Befund mit Verlaufsbeschreibung, eingebettet in die Krankengeschichte, beinhaltet.
Indikationen sollten orientiert an Leitlinien erstellt werden (Beispiel: Bei der Diagnose einer eindeutigen Zwangsstörung ist die leitliniengemäße Indikation einer Verhaltenstherapie mit Exposition und Reaktionsverhinderung zu berücksichtigen). Diese Abklärung vor Indikationsstellung kann auch andere Maßnahmen als Psychotherapie zur Folge haben.
Die Ergebnisse der Sprechstunde sind in die Beratung der Patienten einzubringen. Weiterführende Informationen hierzu finden sich in Kapitel 3.
§ 11 (4)
»Sprechstunden können entweder als offene Sprechstunde oder als Sprechstunde mit Terminvergabe durchgeführt werden; die Organisation der Sprechstunde bleibt der Therapeutin oder dem Therapeuten überlassen.« (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2024, S. 9)
Kommentar: Es gibt theoretisch die Form offener Sprechstunden sowie Sprechstunden mit Terminvergabe, wobei sich in der Praxis aus organisatorischen Gründen insbesondere zweitere Form bewährt hat.
§ 11 (5)
»1Die Sprechstunde kann als Einzelbehandlung bei Erwachsenen in Einheiten von mindestens 25 Minuten höchstens sechsmal je Krankheitsfall (insgesamt bis zu 150 Minuten) durchgeführt werden; bei Kindern und Jugendlichen als Einzelbehandlung in Einheiten von mindestens 25 Minuten höchstens zehnmal je Krankheitsfall (insgesamt bis zu 250 Minuten). 2Der 2. Halbsatz gilt entsprechend für die Behandlung von Menschen mit einer geistigen Behinderung. 3Voraussetzung für eine weitergehende Behandlung nach den §§ 11a, 12, 13 und 15 ist eine Sprechstunde von mindestens 50 Minuten Dauer.«...