E-Book, Deutsch, 464 Seiten
Ebbert Den Traum im Blick
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-72780-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman aus dem Film-Berlin der 30er Jahre
E-Book, Deutsch, 464 Seiten
ISBN: 978-3-347-72780-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Berlin 1930. Der 20-jährige Alexander bricht sein Medizinstudium ab, um Journalist zu werden, er will so berühmt werden wie Erich Kästner. Als er bei einer Filmpremiere Marlene Dietrich erlebt, hat er eine Idee. Er wird sich an ihre Fersen heften und von ihrem Ruhm profitieren. Leider reist sie nach Hollywood ab. Aber da ist die junge Schauspielerin Herti Kirchner aus seiner Heimatstadt Kiel. Es sieht ganz danach aus, als könnte sie der nächste große Filmstar werden. Alexander beobachtet die Kielerin und lässt keine Gelegenheit aus, mehr über sie und ihre Pläne zu erfahren. So, wie sie ihrem Traum folgt, Schauspielerin zu werden, jagt er seinem Traum nach. Da holt ihn die Zeitgeschichte jäh auf den Boden der Tatsachen zurück. 'Den Traum im Blick' ist der neue Roman von Birgit Ebbert, Hagener Autorin und Expertin für Erich Kästner. In ihre Geschichte hat sie Ereignisse aus Politik und Kultur der 30er-Jahre eingebunden. Inspiriert wurde sie zu dem Roman von den Briefen der Filmschauspielerin Herti Kirchner, die in jener Zeit tatsächlich mit Erich Kästner liiert und auf dem Weg zu einer erfolgreichen Schauspielerin war.
Dr. Birgit Ebbert ist seit über 15 Jahren als freie Autorin tätig und schreibt für verschiedene Verlage Romane, Kinder- und Jugendbücher, Lernhilfen, Ratgeber und Erinnerungsgeschichten. Sie wuchs im Münsterland auf, lebte einige Jahre in Stuttgart und Bochum und betrachtet heute Hagen als ihre Wahlheimat. Nach einem Studium in Münster und Bonn mit dem Abschluss als Diplom-Pädagogin arbeitete sie fast 20 Jahre in Bildungseinrichtungen und promovierte in Bonn neben ihrer Berufstätigkeit mit einer Arbeit über Erich Kästner, dabei studierte sie zusätzlich zu Pädagogik und Psychologie noch Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik. Der erste Kinderroman von Birgit Ebbert erschien 2012 im Arena Verlag, es war "Miekes genialer Anti-Schüchternheitsplan" über ein Mädchen, das auf witzige Weise Strategien sucht, um ihre Schüchternheit zu überwinden. Der erste Roman der Autorin für Erwachsene war "Brandbücher", ein Roman über die Bücherverbrennung 1933 in Münster, der 2013 im Gmeiner Verlag veröffentlicht wurde. Die Autorin hatte sich über 10 Jahre mit dem Thema beschäftigt und unter www.buecherverbrennung.de die erste Website zu dem Thema ins Netz gestellt. Seit 2015 liegt ein Schwerpunkt ihres Schreibens bei "Erinnerungsgeschichten", Geschichten, die Menschen helfen, sich an vergangene Ereignisse oder persönliche Erlebnisse zu erinnern, z. B. "Leibgerichte" (Verlag an der Ruhr 2015) oder "Unvergessene Sportidole" (Verlag an der Ruhr 2016). Aus ihrer Leidenschaft für das Papier falten hat sich zudem ergeben, dass 2017 mit "PapierZen - Entspannen mit Papier" der erste Kreativratgeber erschienen ist und sie seither einige weitere Bücher in dem Bereich verfasst hat.
Autoren/Hrsg.
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April 1930 Alexander wippte in seinem Theatersessel und sah sich immer wieder um. Er konnte kaum fassen, dass er als Pressevertreter im Gloria-Palast saß und auf den Beginn der Premiere des Films Der blaue Engel wartete. Er war ein glühender Verehrer von Marlene Dietrich, seit er den ersten Film mit ihr gesehen hatte. Dieses schöne und zugleich undurchschaubare Gesicht, diese Haltung, diese Figur, die sie in jedem Film aufs Neue einsetzte und leicht wandelte, um ihren Rollen eine besondere Kraft zu verleihen. Nun saß er hier, unerkannt zwar, aber er wollte kein Alfred Kerr sein, der immer am selben Platz saß und damit fast zu einem Teil der Inszenierung wurde. Auch die Manieriertheiten von Herbert Ihering, der aufstand und das Publikum grüßte, ehe der Vorhang sich öffnete, waren Alexander fremd. Er genoss es, als Journalist zwischen den Zuschauern zu sitzen und ihre Eindrücke ganz direkt mitzubekommen. Genau das hatte sich zu seinem Markenzeichen entwickelt. Nach seiner ersten Theaterkritik hatte der Redakteur zwar gemurrt, er solle keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Einschätzung des Stückes schreiben. Vermutlich war ihm der Bezug zu Tucholsky aufgestoßen. »Der Mann ist überbewertet, völlig überbewertet!«, hatte er in dem nächtlichen Gespräch nach Abgabe des Beitrags mehrfach betont. Trotzdem war der Artikel abgedruckt worden und am nächsten Tag sprach man in Berlin darüber, dass dieser Neue, dieser Aha, den Zuschauern aufs Maul schaute und ihre Ansichten in die Zeitung brachte. Das brachte Leser und Leser brachten Auflage. Seitdem durfte Alexander als freier Journalist eine Premiere nach der anderen besuchen. Der Redakteur machte keinen Unterschied zwischen Film und Theater, nur den Sport klammerte er zu Alexanders Leidwesen aus. Aber seine Artikel über den Bergfilm Die weiße Hölle vom Piz Palü mit Leni Riefenstahl, Die Königsloge mit Alexander Moissi und Camilla Horn, Melodie des Herzens mit Willy Fritsch und Die Nacht gehört uns mit Hans Albers hatten großen Zuspruch gefunden. Das war alles Vergangenheit, jetzt zählte nur die Gegenwart und die hieß Marlene. Es gab keinen Film mit ihr, den er nicht gesehen hatte. Der blaue Engel war ihr erster Tonfilm und er war dabei und würde endlich ihre Stimme hören, Marlene sehen und vielleicht sogar interviewen. Die Redaktion hatte der Filmgesellschaft mitgeteilt, dass er ein Gespräch wünschte. Eine Antwort hatten sie nicht bekommen, aber so leicht würde er sich nicht abwimmeln lassen. Spätestens auf der Premierenfeier, zu der er als Journalist eingeladen war, würde er sie ansprechen. Alexander konnte kaum erwarten, dass der Film begann. Er ärgerte sich über das Getuschel hinter sich. Waren denn nicht alle so erwartungsvoll wie er? Er drehte sich um und sah, wie Papierblätter die Runde machten. Wurden etwa jetzt schon Autogrammkarten verteilt? Er schob seinen Notizblock zwischen die Knie und streckte seinen Arm nach hinten aus, um ein Papier zu erhaschen. Etwas zu bereitwillig schob ihm jemand eines in seine Hand, mit Autogrammkarten waren die Menschen geiziger. »An das Publikum!«, stand auf dem Zettel. »Achtung! Gefahren des Tonfilms! Tonfilm ist Kitsch! Tonfilm ist Einseitigkeit! Tonfilm ist wirtschaftlicher und geistiger Mord! Lehnt den Tonfilm ab!« Nachdenklich steckte er das Flugblatt in seine Tasche. Für ihn war der Tonfilm eine Chance, die Stimme seiner geliebten Marlene zu hören. Er bezweifelte, dass der Ton negative Folgen haben könnte, hatte allerdings bisher nicht darüber nachgedacht. Jetzt war keine Zeit, weiter darüber zu sinnieren, die ersten Töne der Filmmusik erklangen und auf der Leinwand war der Vorspann zu sehen: Der blaue Engel nach einem Roman von Heinrich Mann. Alexander lehnte sich zurück, nahm Notizbuch und Bleistift in die Hand und ermahnte sich, dass er nicht nur zum Vergnügen im Kino saß, was er schnell vergaß, weil ihn die Vorzüge des Tonfilms gefangen nahmen. Emil Jannings mimte nicht nur den widersprüchlichen Professor, man hörte auch, wie er mit sich kämpfte. »Es ist lange her, dass man sich um mich geprügelt hat«, sagte Marlene Dietrich als Lola Lola, sachlich, dankbar, echt. Für diese Frau würde sich auch Alexander prügeln. Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt Wer von uns hat nicht den Professor Unrat von Heinrich Mann gelesen und sich heimlich darüber gefreut, wie der Lehrer in die Fänge einer leichten Dame gerät? Aus eben diesem Stoff wurde nun ein Tonfilm, an dem die erste Garde der Filmbranche mitgewirkt hat. Ein Ufa-Film mit Hollywood-Regisseur Josef von Sternberg und unserem internationalen Star Emil Jannings, der überzeugend und erstmals mit Stimme im deutschen Film den Herrn Professor gab. Aber eigentlich haben wir von ihm nur am Rande Notiz genommen. Gefesselt hat uns die Darstellerin der Lola Lola. Marlene Dietrich, die vorher kleine Rollen bei Max Reinhardt und in verschiedenen Filmen gespielt hat. In mancher Theaterkritik wird sie gar nicht erst erwähnt, bekannt wurde sie, als sie mit Harry Liedtke in Ich küsse Ihre Hand, Madame von Robert Land spielte. Ab jetzt kennt man Marlene Dietrich, ihr freches Lachen, ihre langen Beine, ihre Locken und ihre Sinnlichkeit. Sogar Ohrwürmer kann sie einem in den Kopf trällern. »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«, sang sie auf der Bühne. Ob das die Gedanken des Komponisten Friedrich Hollaender waren, der diesen Chanson und drei andere Lieder für den Film geschrieben hat? In jedem Fall hat der Film uns ins Herz getroffen. (aha) Nach der Aufführung versuchte Alexander wie viele andere auch, ein Autogramm von Marlene Dietrich zu bekommen. Er verließ das Theater als einer der letzten Besucher, weil er einige Zeit brauchte, um aus der Traumwelt des Films in die Wirklichkeit zurückzukehren, so ergriffen war er von ihrem Liebreiz, ihrer dekadenten Art in ihrer Rolle als Lola und von dem engelsgleichen Klang ihrer Stimme. Als er endlich das Kino verließ, sah er gerade noch, wie sein Idol in einen Wagen stieg. »Sie fährt zum Bahnhof«, hörte er neben sich eine aufgeregte Frauenstimme. »Sie macht sich auf den Weg nach Amerika.« »Unsere Marlene reist nach Hollywood«, sagte ein Kollege, der unversehens mit seiner Kamera neben Alexander auftauchte, um einen Schnappschuss von der Schauspielerin zu erhaschen. Enttäuscht suchte Alexander einen anderen Darsteller, um wenigstens einen kleinen O-Ton für seinen Artikel zu bekommen. Hollywood! Das war für ihn unerreichbar, dabei hätte genau das seine Chance auf einen Durchbruch und große Aufträge sein können. Wieso hatte er den Termin nicht besser vorbereitet? Wieso hatte er sich nicht früher als Redakteur beworben? In den letzten Jahren hatte es so viele Filmpremieren mit Marlene Dietrich gegeben, da hätte er sicher mit ihr sprechen können. Dann hätte jeder gewusst, dass er der Experte in Sachen Marlene war. Auch im Ullstein-Verlag hätte man ihn und seinen Kontakt zu schätzen gelernt. Was hatte er stattdessen getan? Vorlesungen über den menschlichen Körper und seine Unvollkommenheiten, über Hygiene und anderen überflüssigen Kram besucht. Er schüttelte sich, als ihm sein letzter Tag an der Universität einfiel. In den letzten fünf Monaten war er zum ersten Mal in seinem Leben richtig glücklich gewesen. Der einzige Wermutstropfen war, dass seine Eltern ihn weiterhin an der medizinischen Fakultät wähnten. Beim Weihnachtsbesuch hatte er sich herausreden können und das Thema von der Uni auf die schönen Geschenke und den Kieler Dorfklatsch gebracht. Leider war die Tochter des Dachdeckermeisters, von der seine Mutter mit einem empörten Unterton sprach, nicht in Berlin, sondern in Salzwedel. In Kiel redete man in einer Mischung aus Bewunderung und Entsetzen davon, dass das Mädchen sich mit 16 Jahren ein Engagement in Salzwedel gesucht hatte, ohne den Vater vorher zu informieren. Alexander hatte die Informationen seiner Mutter in einem Artikel verarbeitet, für den im Tempo bisher allerdings kein Platz war. Der große Traum eines kleinen Mädchens Wann genau die kleine Herta begonnen hat, davon zu träumen, Schauspielerin zu werden, wissen wir nicht, aber mit 15 Jahren hat sie 1928 ihr Debüt im Stadttheater Kiel. In der Saison darauf spielte sie neben Dankwar Werner das Tippfräulein Susie Sachs in dem Lustspiel Arm wie eine Kirchenmaus von Ladislas Fodor. Ihre Sehnsucht nach der Bühne war so stark, dass sie gegen den Willen ihres Vaters an den Vereinigten Stadttheatern von Uelzen, Salzwedel und Wittenberge vorsprach und ein Engagement bekam. Da war sie gerade 16. Ob ihre Mutter, die bereits 1924 verstorben ist, den Tatendrang der Tochter aufgehalten hätte? Vater Kirchner und die Tanten, in deren Obhut die Herta aufwuchs, sahen die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Sie wollten, dass es ihrem Nesthäkchen gut ging und sorgten sich angesichts der Unsicherheit...