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E-Book, Deutsch, Band 2525, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Ebert-Schifferer Caravaggio

E-Book, Deutsch, Band 2525, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-76444-8
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Caravaggio (1571–1610), einer der berühmtesten und einflussreichsten Maler des europäischen Barock, erregte bereits zu Lebzeiten mit innovativen, lebensnahen Darstellungen in dramatischer Licht- und Schattenführung großes Aufsehen. Sybille Ebert-Schifferer, exzellente Kennerin von Caravaggios Werk, gelingt es überzeugend, die klischeebehaftete Biographie dieses eigenwilligen Künstlers neu in den Blick zu nehmen und im Kontext seiner Zeit zu verstehen.

Caravaggios Gemälde beeindrucken noch heute durch ihre psychologische Authentizität und kühne Naturnähe. Diese Naturnähe hat bereits Caravaggio selbst im Sinne eines marktgerechten 'Self-Fashioning' behauptet und damit die Weichen für seine spätere, oft allzu einseitige Rezeption gestellt. Sybille Ebert-Schifferer gelingt es meisterhaft, die Klischee-Schichten, die sich über die Jahrhunderte angelagert haben, zu durchdringen und mit kritischer Vorsicht ein überzeugendes Bild des Künstlers zu entwerfen.
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I Der Kunstlose
Michelangelo Merisi erkannte «keinen anderen Meister an als das Modell» und er scheine «ohne Kunst der Kunst nachzueifern …», so beschreibt der einflussreiche Kunsttheoretiker Giovan Pietro Bellori Caravaggios Bildherstellungsverfahren und fügt an anderer Stelle hinzu: «Und indem er jede andere Regel ablehnte, betrachtete er es als höchste Kunstfertigkeit, nicht der Kunst verpflichtet zu sein». Damit war ein Klischee festgeschrieben, das viele Jahrhunderte lang die Sichtweise auf Person und Werk Caravaggios bis in die moderne Kunstwissenschaft hinein bestimmte: Ein Künstler, der Kunst «nicht kann», der rebellisch alle Regeln ablehnt, ja auf den Kopf stellt, dem die Gabe der Erfindung fehlt und der daher darauf angewiesen ist, ein lebendes Modell vor sich zu haben: «Wenn er das Modell nicht vor Augen hatte, blieben seine Hand und sein Geist leer». Denn auch zeichnen, so Bellori, habe Merisi nicht gekonnt – und tatsächlich ist uns bislang ja keine einzige Zeichnung von seiner Hand bekannt. Bellori verwendet das Wort disegno, einen schon zu seiner Zeit zentralen Begriff der Kunsttheorie und Künstlerausbildung, der außer dem physischen Zeichnen auch die geistige Erfindungskraft meint. Wem disegno fehlt, so daher die gängige akademische Auffassung, der ist gar kein Künstler. Das hat in den vergangenen fünfzig, sechzig Jahren zu einer Flut von Literatur und sogar zu technischen Versuchsanordnungen geführt, die zu eruieren suchten, wie der Maler seine Modelle auf die Leinwand bannte. Es wurden Projektionstechniken imaginiert, ja sogar prä-photographische chemische Verfahren unterstellt und angenommen, dass mit dem Pinselstiel in die nasse Farbe eingebrachte Ritzungen, die mit Streiflichtuntersuchungen sichtbar werden, dazu dienten, das Modell am nächsten Tag wieder dieselbe Position finden zu lassen. Forschungen der letzten fünfzehn Jahre haben solche Vorstellungen stark relativiert und wenig plausibel erscheinen lassen, doch hat sich der ältere Wissensstand derart verbreitet und popularisiert, dass schwer dagegen anzukommen ist. Das gilt ebenso für die Vorstellung, Caravaggio sei ein Mörder gewesen, dessen krimineller Charakter sich in seinen Werken spiegele. Diesem Aspekt, der sich ebenfalls bei Bellori findet, ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Belloris Sammlung von Künstlerviten erschien 1672, also 62 Jahre nach Caravaggios Tod. Die darin enthaltene Caravaggio-Biographie wurde als erste verfasst, sie war bereits 1645 vollendet, und sie ist nicht voraussetzungslos. Ihr Autor kannte sehr gut die handschriftlichen Aufzeichnungen, die Giovan Battista Agucchi zwischen 1607 und 1615 verfasst hatte, um die Malerei seines Bologneser Landsmannes Ludovico Carracci und seiner Vettern Annibale und Agostino kunstkritisch anzupreisen. Bereits dort wird Caravaggio mit dem attischen Bildhauer Demetrios verglichen – eine Parallele, die auch Bellori zieht –, der die Idealschönheit ganz hinter sich gelassen habe, um nur die Naturähnlichkeit wiederzugeben. Bellori kannte auch die Künstlerbiographien, die der Maler Giovanni Baglione 1642 in Druck gab. Dazu muss man wissen, dass Baglione ein erbitterter Gegner Caravaggios war und gegen diesen 1603 wegen Beleidigung vor Gericht zog; darauf wird noch einzugehen sein. Bei allem Bemühen Bagliones um eine sachliche Aufzählung der Werke Merisis scheint doch, insbesondere bei der Schilderung seines Charakters, von der Bellori viel übernimmt, die Antipathie durch. Es gibt ein Exemplar des Buches von Baglione mit Randnotizen Belloris, aus denen hervorgeht, dass Letzterer dessen Informationen mit denen des Malers Gasparre Celio verglich und ergänzte. Celio hat 1614 ein Vitenmanuskript datiert, das er aber bis 1640 laufend überarbeitete. Diese früheste bislang bekannte Caravaggio-Biographie wurde erst vor wenigen Jahren von Gaetano Gandolfi entdeckt. Sie ist kurz und auch nicht zuverlässiger als die anderen; aus einer extrem konservativen akademischen Position heraus enthält sie Kritik, die sich auch bei Baglione wiederfindet, so dass davon auszugehen ist, dass Baglione sie kannte. Er war jedenfalls beleidigt, dass er in Celios Vitensammlung nicht vorkam – Celio konnte Baglione noch weniger als Caravaggio ausstehen. Auch bei Baglione, wie bei Bellori, wird Caravaggio vorgeworfen, es habe ihm an Urteilskraft gefehlt, das Gute auszusuchen; damit habe er die Malkunst ruiniert, da die jungen Maler nach ihm deshalb das disegno vernachlässigt hätten und nur noch der Natur folgten. In die gleiche Kerbe schlägt der aus Florenz stammende Maler Vicente Carducho (Carducci), der 1633 in Madrid einen Kunsttraktat publizierte und Caravaggio zwar als ein «Monster an Begabung und Natürlichkeit» anerkennt, das aber völlig ohne künstlerische Grundlagen und Kunstkenntnisse und daher geradezu der «Antichrist» der Malerei gewesen sei. Einig sind sich aber Agucchi, Baglione und Bellori darin, Merisi als hervorragenden Koloristen zu loben. Dennoch merkt man Belloris Text an, dass er aus dem Staunen nicht herauskommt angesichts dieser Bilder, wegen der Naturnähe, die er darin erkannte. So billigt er Caravaggio doch ein Verdienst um die Malerei zu: Es sei «wahr, dass die Maler, die von der Natur abgekommen sind, eines (Künstlers) bedurften, der sie auf den richtigen Weg zurückbrachte». Naturnachahmung war durchaus ein grundlegendes Erfordernis der Kunst, doch dabei war alles Schmutzige, Deformierte und Hässliche, das in der Natur nun einmal vorkommt, auszusortieren und nur das Schöne auszuwählen, um es mit Urteilskraft zu einem Kunstschönen zu idealisieren. So hatten es vom antiken Maler Zeuxis bis zum bewunderten Raffael alle großen Künstler getan. Auf dieser ästhetischen Linie bewegte sich Bellori, und wenn er die Nachfolger Caravaggios als «Naturalisten» bezeichnet, dann ist das abwertend gemeint. «Naturalismus» ist freilich eine Kategorie, die sich auch im Vokabular der modernen Kunstgeschichte etabliert hat. Praktisch, aber vollkommen unscharf, ist es die Schublade, in die Caravaggios Kunst gesteckt wird. Aber wie soll man sie sonst beschreiben? Seine Figuren berühren ja nicht zuletzt deswegen noch heute so viele Menschen, weil ihre Gesten und Empfindungen so lebensnah wirken. Zu zeigen, dass dahinter sehr viel «Kunst» und keineswegs nur Natur steckt, ist ein Anliegen dieses Buches. Sehr ausführlich beschreibt Bellori ein Frühwerk des Künstlers, die Reuige Magdalena (Abb. 6). Sie sei einfach «ein Mädchen auf einem Stuhl sitzend mit den Händen im Schoß, das dabei ist, sich die Haare zu trocknen». Er lobt ausdrücklich «die natürliche Art ihrer Darstellung» und die «Wahrheit der Farbe». Aber ganz so einfach ist es nicht. Die Sünderin hockt auf einem niedrigen Stühlchen in der Haltung einer etablierten Bildformel der Renaissance für Melancholie und Trauer, die sich auf die Antike zurückführen lässt. Die klassische Pose ist nur insofern abgewandelt, als Magdalena ihre Hände kraftlos ergeben in den Schoß gelegt hat: Sie überlässt sich ganz ihrer Reue und Trauer. Dabei wählt der Maler einen Blickwinkel von leicht oben, der die (Selbst-)Erniedrigung der Sünderin auf den Betrachter überträgt, der sich gleichsam herabbeugen muss. Röntgenuntersuchungen zeigen, dass Caravaggio ursprünglich an eine etwas kleinere, fast frontale Darstellung dachte, rechts war noch die zweite Stuhllehne sichtbar; er hat an dieser Komposition intensiv gearbeitet und unter anderem auch den Blickwinkel auf die Figur verändert. Dadurch sind Magdalenas Beine etwas zu kurz geraten – das wäre bei einem physisch dauernd anwesenden Modell wohl kaum passiert. Besonders ausgeprägt ist die fast unnatürliche Nackenlinie, die Caravaggio in dieser Form auch später noch wiederholen wird, immer mit derselben Konnotation: Der Nacken war der Ort größter Verletzlichkeit, aber auch der größten Demut, hatte doch Christus sein Kreuz darauf getragen. Für damalige Betrachter klar erkennbar charakterisiert Merisi seine Magdalena damit als demutsvoll und Christus hingegeben. Die Perlenkette ist beim entschlossenen Abnehmen gerissen; Magdalena hat sich sogar entschieden, auf ihre Haarpracht zu verzichten, soeben abgeschnittene Strähnen hängen ihr in die Stirn. Das alles ist ihr nicht mehr wichtig. Sie hat gerade erschöpft im Weinen innegehalten, eine Träne rinnt ihr noch aus dem rechten Auge. Was ihr geschieht, ist allein durch das flutende Licht angedeutet, ein frühes Beispiel für Caravaggios typischen Lichteinfall von oben links. Das Licht hat hier, wie fast immer bei ihm, eine spirituelle Bedeutung: Es zeigt, wie die Bekehrung soeben einer ehemaligen Prostituierten, als die Magdalena galt, oder einfach einem eitlen Mädchen widerfährt, raum- und zeitlos. Der Maler hat den entscheidenden psychischen Augenblick ...


Sybille Ebert-Schifferer war von 2001 bis 2018 Direktorin an der Bibliotheca Hertziana(Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte) in Rom. Zuvor leitete sie als Generaldirektorin die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.


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