E-Book, Deutsch, 803 Seiten
edition / London Klassiker der ofd edition: Burning Daylight - Lockruf des Goldes
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7504-2429-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neu bearbeitete Ausgabe - zweisprachig: deutsch/englisch
E-Book, Deutsch, 803 Seiten
ISBN: 978-3-7504-2429-6
Verlag: BoD - Books on Demand
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Erfahrene Autorinnen und Autoren stehen für die hohe Qualität der ofd edition. Neben Klassikern befindet sich eine Vielzahl von weiteren Themenbereichen im Programm. Das Angebot wird kontinuierlich ausgebaut.
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Kapitel 1 - 8
Kapitel 1
Es war ein stiller Abend im Tivoli. Am Schanktisch, der sich über eine Seite des großen schindelgedeckten Raumes hin erstreckte, stand ein halbes Dutzend Männer, von denen zwei sich gerade über die Heilkraft von Fichtennadeltee und Zitronensaft bei Skorbut stritten. Die Unterhaltung war schleppend, und Pausen mürrischen Schweigens unterbrachen sie. Die anderen hörten kaum zu. In einer Reihe, der Mauer gegenüber, standen die Spieltische. Der Crap-Tisch war verlassen, ein einziger Mann saß am Pharaotisch und spielte. Nicht einmal die Roulettekugel rollte, und der Croupier stand an dem knisternden, rot glühenden Ofen und sprach mit einem hübschen, dunkeläugigen jungen Weib, das von Juneau bis Fort Yukon als die „Jungfrau“ bekannt war. Drei Mann saßen bei einem Dauerpoker, spielten aber nur mit kleinen Einsätzen und ohne Begeisterung, weil sie keine Zuschauer hatten. Auf der Diele des Tanzbodens, der hinter dem Raum lag, walzten drei Paare trübselig zu den Klängen einer Geige und eines Klaviers.
Nicht, dass Circle City verlassen oder dass das Geld knapp gewesen wäre. Die Goldgräber waren von Moosehide Creek und anderen Fundorten im Westen zurück, die Sommerausbeute war gut gewesen, und die Taschen der Leute waren schwer von Staub und Nuggets. Klondike war noch nicht entdeckt, auch hatten die Goldgräber noch nicht gelernt, was sich durch tiefes Schürfen und die Anwendung von Feuer erreichen ließ. Im Winter wurde nichts geschafft, man pflegte, während der langen, arktischen Nacht in großen Lagern wie Circle City zu überwintern. Man verschlief die Zeit, die Taschen waren gut gefüllt, und Geselligkeit gab es einzig und allein in den Wirtschaften. Und doch war Tivoli verlassen, und die Jungfrau, die neben dem Ofen stand und gähnte, ohne die Hand vorzuhalten, sagte zu Charley Bates: „Wenn nicht bald etwas Leben in die Bude kommt, geh' ich zu Bett. Was ist denn nur los? Ist das ganze Lager ausgestorben?“
Bates machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern drehte sich mürrisch eine Zigarette. Dan MacDonald, der Pionier der Gastwirte und Spieler am oberen Yukon, Besitzer des Tivoli und aller seiner Spieltische, wanderte verloren durch den weiten leeren Raum und erblickte die beiden am Ofen.
„Jemand gestorben?“, fragte ihn die Jungfrau.
„Sieht so aus“, lautete die Antwort.
„Dann jedenfalls das ganze Lager“, beendete sie das Gespräch und gähnte wieder.
MacDonald nickte grinsend und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als die Tür weit aufgerissen wurde und ein Mann in der Öffnung erschien. Ein Hauch von Kälte, der sich in der Wärme des Raumes zu Dampf verdichtete, umwogte seine Knie, lief über den Boden, wurde immer dünner und verschwand schließlich einige Meter vom Ofen entfernt. Der neu Angekommene nahm den Reisigbesen vom Nagel an der Tür und bürstete sich den Schnee von den Mokassins und den langen Strümpfen. Man hätte ihn für einen großen Mann halten können, wäre nicht ein riesiger Kanadier von der Bar zu ihm getreten.
„Hallo, Daylight!“, grüßte er. „Bei Gott, das ist eine Freude für wehe Augen!“
„Hallo, Louis, wann bist Du denn hergeweht?“, erwiderte der Ankömmling. „Komm, lass uns was trinken und erzähl' von Bone Creek. Na, Ihr Hundsfötter, her mit den Pfoten. Wo ist Dein Kompagnon? Ich bin auf der Suche nach ihm.“
Ein anderer Riese löste sich von der Bar und schüttelte ihm die Hand. Olaf Henderson und der Franzosen-Louis, denen Bone Creek gemeinsam gehörte, waren die beiden größten Männer im Land, und der neu Eingetroffene, wenn auch nur einen halben Kopf kleiner, erschien wie ein Zwerg zwischen ihnen.
„Hallo, Olaf, Dich such' ich gerade“, sagte der mit Daylight Angeredete. „Morgen ist mein Geburtstag, und ich hab mir vorgenommen, Euch alle zu werfen – klar? Dich auch, Louis! Komm und trink etwas, Olaf, ich erzähle Euch alles.“
Seine Ankunft schien den Raum mit Wärme zu erfüllen. „Burning Daylight!“, rief die Jungfrau, die erste, die ihn erkannte, als er nun ins Licht trat. Charley Bates' ernste Züge erhellten sich bei seinem Anblick, und MacDonald trat zu den dreien an der Bar. Es war, als hätte die Ankunft Burning Daylights den ganzen Raum heller und heiterer gestimmt. Die Kellner liefen, Rufe ertönten, Lachen erklang. Und als der Geiger nach einem Blick ins Vorzimmer zum Klavierspieler bemerkte: „Burning Daylight ist da“, kam sofort Schwung in den Walzer, und die Tänzer wirbelten herum, als ob es ihnen wirklich Freude machte. Sie wussten von früher her, dass es keine Langeweile gab, wenn Burning Daylight anwesend war.
Der wandte sich von der Bar ab und sah das Mädchen am Ofen und den verlangenden Blick, den sie ihm zum Willkommen zuwarf.
„Hallo, Jungfrau, altes Mädel“, rief er. „Hallo, Charley. Was ist denn los mit Euch? Ihr macht ja Gesichter, wie sieben Tage Regenwetter! Kommt her, alle Mann, und lasst uns trinken! Her mit Euch, Ihr lebendigen Leichen, und sagt, was für Gift Ihr haben wollt! Alle Mann her! Heute bin ich dran! Ich gebe einen aus! Morgen werde ich dreißig, und dann bin ich ein alter Mann. Die Jugend ist vorbei. Verstanden? Also kommt! Her mit Euch!“
„Warte mal, Davins“, rief er dem Bankhalter am Pharaotisch zu, der seinen Stuhl vom Tisch zurückgeschoben hatte. „Lass sehen, wer ausgeben will, Du oder ich!“
Er zog einen Beutel aus der Rocktasche, der schwer von Goldstaub war, und setzte ihn auf die hohe Karte. „Fünfzig“, sagte er.
Der Bankhalter drehte zwei Karten um. Die hohe Karte gewann. Er kritzelte den Betrag auf ein Stück Papier, der Wäger an der Bar wog für fünfzig Dollar Staub in der Goldwaage ab und schüttete ihn in Burning Daylights Beutel. Im Tanzsaal war es unterdessen still geworden, die drei Paare steuerten, von dem Geiger und dem Klavierspieler gefolgt, auf die Bar los, und Daylight bemerkte sie.
„Her mit Euch!“, schrie er. „Her mit Euch und sagt, was Ihr haben wollt. Heute bin ich dran, und eine solche Nacht kommt nicht sobald wieder. Her mit Euch, Ihr Siwashes und Lachsfresser! Heute bin ich dran, das sag' ich Euch – –“
„Eine verflucht räudige Nacht“, fiel Charley Bates ein.
„Richtig, mein Sohn“, fuhr Burning Daylight heiter fort, „eine räudige Nacht, aber es ist meine Nacht, siehst Du. Ich bin ein räudiger, alter Wolf. Kannst Du mich heulen hören!“
Und er heulte wie ein einsamer grauer Waldwolf, bis sich die Jungfrau schaudernd ihre hübschen Finger in die Ohren steckte. Eine Minute später wirbelte sie in seinen Armen über den Tanzboden, wo bald darauf mit den drei anderen Mädchen und ihren Partnern ein ausgelassener Virginia Reel im Gange war. Männer und Frauen tanzten in Mokassins, und es dauerte nicht lange, so ging es hoch her. Burning Daylight war der Mittelpunkt, seine Scherze und rauen Späße rissen sie aus der Schlaffheit, in der er sie angetroffen hatte. Der Raum hatte durch sein Kommen gleichsam eine andere Atmosphäre erhalten. Er schien ihn ganz mit seiner Lebensfreude zu füllen. Wer von der Straße hereinkam, spürte es sofort, und als Antwort auf alle Fragen deuteten die Barkeeper nur nach hinten und erklärten: „Burning Daylight ist von der Leine.“ Und die Leute blieben, und das Geschäft blühte. Das Spiel kam in Gang, bald waren alle Tische besetzt, und das Klirren der Jetons und das eintönige Surren der Roulettekugel übertönte gebieterisch den heiseren Lärm von Männerstimmen, Flüchen und schwerfälligem Lachen.
Wenige kannten Elam Harnish unter einem anderen Namen als Burning Daylight – den Namen, den man ihm in der ersten Zeit des Landes gegeben hatte, weil er seine Kameraden mit den Worten „Das Tageslicht brennt“ aus den Betten zu jagen pflegte. Von den Pionieren in jener fernen arktischen Wildnis, wo alle Männer Pioniere waren, wurde er zu den ältesten gezählt. Männer wie Al Mayo und Jack MacQuestion waren zwar vor ihm dagewesen; aber sie waren aus dem Osten von der Hudsonbai über die Rocky Mountains gekommen. Er hingegen hatte den Weg über den Chilkoot- und den Chilkat-Pass erschlossen. Im Frühling 1883, vor zwölf Jahren, war er als achtzehnjähriger Bursche mit fünf Kameraden über den Chilkoot gekommen. Im Herbst war er mit einem zurückgekehrt. Vier waren den Entbehrungen in der rauen, unwirtlichen Wüste erlegen. Und zwölf Jahre lang hatte Elam Harnish Gold gegraben in dem finsteren Polarland.
Und keiner hatte so hartnäckig und ausdauernd gegraben. Er war mit dem Land aufgewachsen, kannte kein anderes Land. Zivilisation war ihm der Traum eines früheren Landes. Lager wie Forty Mile und Circle City waren Weltstädte für ihn. Und nicht allein, dass er mit dem Land aufgewachsen war, er hatte das Land mit geschaffen. Er hatte Geographie und Geschichte dieses Landes gemacht, und die nach ihm kamen, schrieben über seine Fahrten und steckten die Wege ab, die seine Füße gegangen waren.
Helden neigen selten zu Heldenverehrung, aber unter den Bewohnern dieses jungen Landes galt er trotz seiner Jugend als einer der ältesten Helden. In der Zeit war er den meisten voraus. An Taten hatte er sie übertroffen. Und es war bekannt, dass er eine Ausdauer besaß, die selbst den Abgehärtetsten von ihnen umbringen konnte. Dazu kannte man ihn als einen mutigen Mann, einen ehrlichen Mann, als einen Mann ohne Furcht und Tadel.
In allen Ländern, wo das Leben...