E-Book, Deutsch, Band 11, 152 Seiten
Reihe: Edition Theophanie
Ehmer Heilige Bäume
3. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-49395-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Baumkulte im Alten Europa
E-Book, Deutsch, Band 11, 152 Seiten
Reihe: Edition Theophanie
ISBN: 978-3-347-49395-7
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Manfred Ehmer hat sich als wissenschaftlicher Sachbuchautor darum bemüht, die großen kulturgeschichtlichen Zusammenhänge aufzuzeigen und die archaischen Weisheitslehren für unsere Zeit neu zu entdecken. Seine thematischen Schwerpunkte sind Hermetik, Neuplatonismus, westliche Mysterien, Theurgie, spirituelle Ökologie, Kultplätze und Mutter-Erde-Verehrung in Europa. Seit 2023 veröffentlicht der Autor seine Werke in dem von ihm gegründeten Verlag Theophania.
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Die heiligen Bäume der Kelten
Eiche, die zwischen zwei Ufern wächst,
Verdunkelt sind Himmel und Berg.
An seinen Wunden erkenne ich,
Dass es Llew ist, der dort sitzt.
Eiche, die im Erdreich des Hochlandes wächst:
Ist sie nicht nass vom Regen?
Sind nicht hingegangen über sie
Neun mal zwölf Gewitter?
In ihren Ästen trägt sie Llew Llaw Gyfes.
Eiche, die an einem Abhang steht,
Groß und mächtig anzuschauen.
Ich wünsche mir,
Dass Llew auf meinen Knien sitzt.22
Eichenkult im Alten Europa
Die Römer sprachen – wie etwa Ovid – von der Eiche als dem „gebreiteten Baume des Jupiter“, im Norden galt die Eiche als der geweihte Baum des Gottes Thor, der bei den weiter im Süden lebenden Germanen als Donar verehrt wurde; im fernen Baltikum war die Eiche der Kultbaum des Donner- und Gewittergottes Perkunas, und die Griechen behaupteten von ihrem Helden Odysseus, „er sei nach Dodona gegangen, um den Rat des Zeus aus dem Gipfel der Eiche zu lauschen“ (Odyssee XIV, 317). Dodona – so heißt ein hochgelegener dichtbewaldeter Ort bei Epirus im Norden Griechenlands, wo einst ein heiliger Eichenhain stand, dem Hauptgott Zeus und der Titanin Dione geweiht. Die Eichen zu Dodona konnten jedoch weissagen, denn es hieß, dass im Rauschen ihrer Blätter die Stimme des Göttervaters ertönte und den Ratschluss der Götter verkündete.
Älter als das Orakel zu Delphi, älter noch als die Kultstätten des Zeus zu Olympia und Epidauros, älter vielleicht gar als die Mysterien von Eleusis und Samothrake, stellt Dodona zweifellos das älteste Orakel auf hellenischem Boden dar, „dessen Einzelheiten uns anmuten, als sprächen wir von einem nordischen alten Götterkult unserer eigenen Heimat“ (Thassilo von Scheffer)23. Priesterinnen weilten auch am heiligen Ort zu Dodona, drei an der Zahl, denen die Aufgabe zukam, die aus dem Rauschen der Eichbäume empfangene Stimme des Zeus so zu deuten, dass sie Sterblichen verständlich würde. Dieses Priesteramt in der Hand von weisen Frauen bildet wohl den Überrest einer matriarchalen Urreligion, die vor der Einwanderung der indogermanischen Griechen etwa 1600 bis 1200 v. Chr. im gesamten südlichen Mittelmeergebiet sowie auf Kreta und in Kleinasien bestanden haben muss.
Das Orakel zu Dodona, in klassischer Zeit längst von anderen Orakelstätten – vor allem Delphi – verdrängt und zur Bedeutungslosigkeit herabgemindert, stellt das Überbleibsel eines ureuropäischen Eichenkultes dar, der zweifellos auf die unbekannte Religion der vorindogermanischen Bevölkerung Europas zurückgeht. Herodot nimmt daher ganz richtig an, dass Dodona einst den Pelasgern, den ursprünglichen Bewohnern Griechenlands, als Kultstätte gedient habe: „Früher opferten die Pelasger den Göttern und beteten zu ihnen, wie ich in Dodona gehört habe, ohne sie bei Namen zu nennen; denn ihre Namen kannten sie noch gar nicht. Erst viel später lernten sie die aus Ägypten stammenden Namen der verschiedenen Götter kennen, und noch weit später den des Dionysos. Nachher befragten sie der Götternamen wegen das Orakel in Dodona, angeblich das älteste und damals das einzige Orakel in Griechenland. Ihre Frage aber, ob sie die aus der Fremde stammenden Namen der Götter annehmen sollten, bejahte das Orakel, und seitdem rufen sie bei ihren Opfern die Götter mit Namen an. Später haben das dann auch die Griechen von den Pelasgern angenommen.“24
Ob im Süden oder im Norden, im Westen oder im Osten Europas – überall im Abendland und im Vorderen Orient wurde die Eiche als Symbol des Königtums verehrt; überall wurde sie auch demselben frühjahrszeitlichen Regen-, Donner- und Gewittergott zugeordnet, heiße er nun Jupiter oder Thor. Die in der Türkei vorkommende immergrüne Stein- oder Korkeiche galt bei den Hethitern, dem wohl ältesten indogermanischen Kulturvolk – mindestens seit 1600 v. Chr. in Zentralanatolien ansässig – als heiliger Baum; sie durfte daher nicht gefällt werden. Wenn der König Bauholz brauchte und zu diesem Zweck Bäume fällen wollte, musste zuvor der Wettergott um Erlaubnis gefragt werden25. Im osteuropäischen Raum, besonders bei den Balten, gab es einen ausgeprägten Eichenkult. Die Eiche, dem zeusgleichen Donnergott Perkunas zugeschrieben, besaß ebenfalls weissagende Kraft, und kultische Feste wurden ihr zu Ehren aufgeführt.
Für die Verehrung ihrer Götter benutzten die europäischen Urvölker ursprünglich heilige Haine, nicht aber gemauerte Tempel; und diese Haine bestanden nicht selten aus Eichen. So gab es beispielsweise einen geheiligten Hain der Jagdgöttin Artemis auf der Insel Delos. Aber die ausladende Kraft, der formvollendete Wuchs und die majestätisch-numinose Würde des Eichbaums formen einen Gesamteindruck, der sich als allgemeingültig und überzeitlich der Seele einprägt, sodass die Eichenverehrung als Grundhaltung zu allen Zeiten möglich scheint. Wer gewissermaßen die Wesenheit der Eiche geschaut hat, wer in mystischer Einung in den Lebensstrom dieses Baumes hinein getreten ist, der wird auf immer ein Eichenverehrer und Eichenwissender bleiben, mag er nun ein keltischer Druide der europäischen Eisenzeit sein oder ein Mensch des 21. Jahrhunderts. Auch in heutiger Zeit, nicht nur zur Zeit der Kelten und Germanen, besteht die Möglichkeit eines spirituell erweiterten Baum-Erlebens.
Als Baumbegeisterter und Eichenjünger bekannte sich übrigens auch der Dichter Friedrich Hölderlin (1770 –1843), einer der bedeutendsten Geister der deutschen Romantik, der sich zutiefst hineinfühlen konnte in die Vorstellungswelt der antiken Völker. Ein „Volk von Titanen“, so nennt Hölderlin die Eichen und dichtet ihnen folgenden Hymnus:
Aus den Gärten komm‘ ich zu euch, ihr Söhne des Berges! Aus den Gärten, da lebt die Natur, geduldig und häuslich, pflegend und wieder gepflegt, mit den fleißigen Menschen zusammen.
Aber ihr Herrlichen! steht wie ein Volk von Titanen, in der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel, der euch nährt‘ und erzog, und der Erde, die euch geboren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen, und ihr drängt euch, fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel untereinander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute, mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen. Könnt‘ ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich, das von Liebe nicht lässt, wie gern würd‘ ich unter euch wohnen! 26
Nemeton – der Hain der Druiden
Die westindogermanischen Kelten und Germanen haben es von jeher abgelehnt, ihren Göttern steinerne Tempel zu errichten; denn die Götter wohnten in den Großen Wäldern, und das Götterwirken konnte im Naturgeschehen erlebt werden. Deshalb schreibt der römische Berichterstatter Tacitus: „Übrigens glauben die Germanen, dass es mit der Hoheit der Himmlischen unvereinbar sei, Götter in Wände einzuschließen und sie irgendwie menschlichem Gesichtsausdruck anzunähern; sie weihen Lichtungen und Haine und geben die Namen von Göttern jener weltentrückten Macht, die sie allein in frommen Erschaudern erleben.“27
Das hier Gesagte gilt nicht nur für die Germanen, sondern auch für die Kelten. Als Kultort diente ihnen ein heiliger Eichenhain, Nemeton genannt. Über den Begriff des Nemeton, verwandt mit dem lateinischen nemus für „Lichtung“, sagt der bekannte Keltenforscher Jean Markale: „Die Kelten waren davon überzeugt, dass man einen Gott oder die Götter nicht an einer bestimmten Stelle festhalten kann; sie glaubten vielmehr, dass sich die Welt der Menschen an bestimmten symbolischen oder realen Orten für die Welt der Götter öffnet und umgekehrt. Der nemeton war dieser Ort heiligen Austauschs zwischen Götter- und Menschenwelt; es konnte nicht nur eine Waldlichtung sein, sondern auch ein ganzer Wald, die Spitze eines Hügels oder eine Insel im Meer.“28
Der Nemeton bildete bei den Kelten also den Mittelpunkt des religiösen Lebens: ein geweihtes Stück Wald mit einer Lichtung in der Mitte, die genug Raum bot für größere Versammlungen oder Feierlichkeiten. Nach außen hin war das in der Regel viereckige Waldrevier durch Holzpalisaden oder durch Erdwälle streng abgegrenzt. Überreste solcher Wallanlagen hat man bis heute in großer Zahl gefunden: die meisten im Voralpenraum zwischen Südwestdeutschland und Österreich, wohl der eigentlichen Stammheimat der Kelten, aber auch im östlichen...




