E-Book, Deutsch, 180 Seiten
Eichenberg / Auersperg Chancen und Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche
2., überarbeitete Auflage 2024
ISBN: 978-3-8444-3209-1
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Ratgeber für Eltern, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen
E-Book, Deutsch, 180 Seiten
ISBN: 978-3-8444-3209-1
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Digitale Medien haben in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen eine hohe Bedeutung. Dabei gehen mit der Nutzung moderner Medien sowohl Chancen als auch Risiken einher. Eltern, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen stehen vor der Herausforderung, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen konstruktiv zu fördern. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn Erwachsene wissen, was Heranwachsende heute im Internet bzw. mit ihrem Smartphone tun.
Die Neubearbeitung des Ratgebers gibt zunächst einen Überblick über die Nutzungspraxis verschiedener Medien: Welche Medien werden heute von Kindern und Jugendlichen zu welchem Zweck und vor allem mit welchen Effekten genutzt? Anschließend werden aus entwicklungspsychologischer Perspektive die Potenziale moderner Mediennutzung für die Bereiche Identitätsentwicklung, Aufbau und Pflege sozialer Beziehungen, Lernen, Spielen, Informationsaustausch und Meinungsbildung sowie zur Unterstützung bei typischen Problemen im Jugendalter dargestellt. Den Chancen, die mit der Nutzung digitaler Medien verbunden sind, werden mögliche Risiken durch exzessive, dysfunktionale, selbstschädigende und deviante Nutzungsweisen gegenübergestellt (z.B. Internetsucht, Informationsüberflutung, Cybermobbing, sexuelle Gewalt). Auf der Basis wissenschaftlicher Befunde werden konkrete Hilfestellungen in Form von Checklisten, Fallbeispielen und Verhaltenstipps zum Umgang mit modernen Medien gegeben. Eltern, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen erhalten in diesem Ratgeber altersspezifische Hinweise für eine sinnvolle Vermittlung von Medienkompetenz in Familie und Schule.
Zielgruppe
Eltern, Lehrkräfte, Schulpsycholog*innen, Pädagog*innen, Erzieher*innen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Entwicklungspsychologie Pädagogische Psychologie
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Pädagogische Psychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Pädagogik: Sachbuch, Ratgeber
Weitere Infos & Material
|32|2 Chancen digitaler Medien für Kinder und Jugendliche
Neben allen Gefahren, die durch eine populärwissenschaftliche Aufbereitung viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, bieten digitale Medien auch eine Fülle an Chancen für Kinder und Jugendliche. Im Folgenden werden die Chancen vorgestellt, die unter der Perspektive wichtiger Entwicklungsaufgaben in dieser Altersgruppe eine besondere Bedeutung haben. 2.1 Identitätsentwicklung
Ein wichtiger Teil der Entwicklung von Jugendlichen ist die Ablösung von den Eltern und die verstärkte Orientierung an Gleichaltrigen. Heute spielen digitale Medien bei dieser Ablösung insofern eine große Rolle, als soziale Medien stark zum Aufbau und zur Pflege sozialer Beziehungen genutzt werden. Jugendliche entwerfen und vermitteln in sozialen Medien ein Selbstbild, das von Gleichaltrigen aufgenommen und rückgemeldet wird. Anders als klassische Sozialisationsstätten wie die Schule sind Kommunikationsstrukturen hier sehr häufig unbeeinflusst von Erwachsenen. Jugendliche können sich über soziale Medien also zum ersten Mal unbeobachtet ausprobieren und sehen, wie die von ihnen entworfene und präsentierte Identität bei anderen ankommt. Welche Gefahren sich hieraus ergeben können, wird in Kapitel 3 eingehend diskutiert. Sicher ist, dass dieser Prozess wesentlich für die Formung der Identität ist. Auf Plattformen wie Instagram haben Jugendliche eine Bühne, auf der sie Gedanken und Ideen austauschen können und von Menschen auf der ganzen Welt Rückmeldung erhalten können. Soziale Beziehungen können trotz Distanz aufrechterhalten oder aufgebaut werden, es kommt zu Gruppenbildung, die über das Austauschen von Fotos, Musik usw. verstärkt wird, und es entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl, das Pubertierenden in einer oft verwirrenden und orientierungslosen Zeit Rückhalt bietet. Dem Aufnehmen und Posten von Fotos von sich selbst in sozialen Netzwerken kommt hier eine besondere Bedeutung zu (mehr dazu in Kapitel 2.1.1). |33|Im digitalen Raum Teil einer sozialen Gruppe zu sein, kann Möglichkeiten zur Identitätsentwicklung eröffnen, die offline nicht zur Verfügung stehen. Herausfordernde Elemente der Identitätskonstruktion wie die Anerkennung der eigenen Sexualität, wenn sie von der wahrgenommenen Norm abweicht, können in Online-Communitys thematisiert werden (Bates et al., 2020). LGBTQ+-Jugendliche können in Online-Communitys Gelegenheit haben, sich in neuen Rollen auszuprobieren und sich auszutauschen (Craig et al., 2021). Der breitere soziokulturelle Erfahrungsraum, den das Internet bietet, kann zur Entfaltung der Identität beitragen. „Safe spaces“, die laut einer qualitativen Studie von Bates et al. (2020) in Online-Communitys bestehen, können dabei unterstützend wirken. Zugehörigkeit, die einer Person wegen vorherrschender Vorurteile oder gar Diskriminierung im unmittelbaren sozialen Umfeld verwehrt wird, kann online als Teil einer Queer-Community erfahren werden. Auf „Selfies“ (vgl. Kapitel 2.1.1) werden Aspekte des Selbst kommuniziert und über gruppenspezifische Symbole dargestellt. Eine Theorie, die begreifbarer macht, was bei der Selbstdarstellung über Social Media vorgeht, ist die Theorie der symbolischen Selbstergänzung, die gerade im Zusammenhang mit Online-Communitys spannende Erkenntnisse bietet. Zentral für die Theorie der symbolischen Selbstergänzung ist die Vorstellung, dass das Selbst eine dynamische, agierende Entität ist, nach deren Entwicklung und Gestaltung Menschen streben. Spezifische Handlungen und Äußerungen machen die Erreichung eines selbstgewählten Ziels möglich. Menschen haben also eine bestimmte Vorstellung davon, wer sie sein wollen und wodurch dieses optimale Selbst symbolisiert werden könnte. Das kann ein bestimmtes optisches Merkmal sein, ein akademischer Abschluss, ein bestimmter Musikgeschmack, Wohlstand, Werthaltungen, Insiderwissen usw. Diese „Symbole einer Selbstdefinition“ sind für eine Person Arbeitsschritte und gleichzeitig Beweise, die sie näher an ihr „Identitätsziel“ bringen. Der Einsatz bestimmter Symbole unterstützt dabei, die Selbstdefinition zu stabilisieren und weiter auszuarbeiten (Gollwitzer et al., 2002). Welche Symbole geeignet sind, um eine bestimmte Selbstvorstellung zu unterstreichen und nach außen zu kommunizieren, wird über die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen wie beispielsweise Online-Communitys verhandelt, wodurch die Symbole zu gesellschaftlich definierten Orientierungspunkten werden (Habermas, 1996). Dabei können Symbole von allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz sein. So sind bestimmte Berufsbilder von sozialen Zuschreibungen betroffen, es können aber auch in kleinen Syste|34|men wie Foren oder sozialen Plattformen symbolhafte Orientierungspunkte beobachtet werden. Schulklassen haben unter Umständen völlig verschiedene Symbole, die vom Erfahrungsraum abhängen und Unbeteiligten, z.?B. Eltern oder dem Lehrpersonal, völlig undurchsichtig erscheinen. Es bedarf eines sozialen Raums, ob nun online oder offline, damit die Symbole der Selbstdefinition zur Kenntnis genommen werden können. Sie haben innerhalb sozialer Gruppen kommunikative Funktionen und dienen als Hinweis darauf, dass die Person, die sie zur Schau stellt, ihren auf ihr Selbst bezogenen Zielen mit Erfolg nachgeht. Dass das Publikum dieser Anstrengungen die Symbole tatsächlich als Nachweis für den Erfolg des Individuums wahrnimmt, ist zweitrangig, solange das Individuum sich der Wirksamkeit seiner sozialen Realisierungsanstrengung sicher ist (Gollwitzer et al., 2002). Bildorientierte Communitys wie Instagram oder TikTok bieten eine besonders einfache Gelegenheit, über Symbole und gesellschaftlich festgelegte Codes zu kommunizieren, die für eine bestimmte soziale Gruppe verständlich und bedeutungsvoll sind. Mithilfe der einfachen, durchkomponierten und schnell erfassbaren Bildsprache wird auf den Besitz relevanter Symbole hingewiesen, wobei neben Dingen auch die Kommunikation von Bildung, Abenteuerlust, Mut, Status, Freundschaften oder anderen für die Person relevanten Inhalten bedeutsam sind. Die Teilnahme an einem Konzert wird so über den Konzertbesuch hinaus bedeutsam: Das TikTok-Video dazu zeigt den Musikgeschmack der Person und damit eventuell verbundene Insiderqualitäten oder Werthaltungen, für die die Musik stehen kann. Durch die ebenfalls abgebildete Gesellschaft wird bewiesen, dass die Person sozial kompetent ist und Freundschaften knüpfen konnte, und schließlich steht der Konzertbesuch für einen bestimmten aktiven, genussfreudigen Lebensstil. Darüber hinaus könnte in so einem Video durch bestimmte Verhaltensweisen wie Mitsingen oder Tanzen auch noch etwas über die Persönlichkeit der abgebildeten Person verraten werden, was ihr zum positiven Selbstmanagement dient. Durch die Kenntnisnahme durch andere wird diese Darstellung nach Gollwitzer et al. (2002) zur sozialen Tatsache. Daraus kann sich ein positiver Aspekt dieser Art der Nutzung sozialer Medien ergeben: Die Kommunikation bestimmter Werthaltungen und Ziele auf sozialen Plattformen kann demnach dabei unterstützen, diese Ziele zu erreichen und tatsächlich ins Selbstbild zu integrieren. Durch die Selbstdarstellung könnten sich also gewünschte und wünschenswerte Verhaltensweisen und Erlebensweisen festigen und in die Identitätskonstruktion mitaufgenommen werden. |35|2.1.1 Selfies Als 2013 das Wort „Selfie“ zum Wort des Jahres gekrönt wurde, ließ es sich nicht mehr leugnen: Das Selbstporträt ist der größte Fotografietrend unserer Zeit. Gerade für Kinder und Jugendliche ist es selbstverständlich, sich zum Teil mehrmals am Tag selbst zu fotografieren und diese häufig stark bearbeiteten Bilder ins Netz zu stellen, wo sie durch den Freundes- und Bekanntenkreis, aber auch von völlig Fremden beurteilt und kommentiert werden. Dieser auf den ersten Blick eitle, aber harmlose Zeitvertreib rückt immer mehr ins Interesse der Forschung. Welche Mechanismen stecken hinter der großen Lust zur Selbstpräsentation? Welche sozialen Prozesse werden durch das Teilen und schonungslose Kommentieren dieser Selbstdarstellungen ausgelöst? Ist das häufige Aufnehmen und Posten von Selfies gar Ausdruck psychischer Probleme? Selfies: Hintergrundwissen Das einfache „Selfie“ ist ein Selbstporträt, das die fotografierende Person ohne...