E-Book, Deutsch, Band 3
Eliot Middlemarch. Band 3
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96130-413-4
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Codicill | Die Witwe und die Ehefrau
E-Book, Deutsch, Band 3
Reihe: George Eliot´s MIDDLEMARCH in vier Bänden
ISBN: 978-3-96130-413-4
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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ERSTES KAPITEL.
This figure hath high price: 't was wrought with love
Ages ago in finest ivory;
Nought modish in it, pure and noble lines
Of generous womanhood that fits all time
That too is costly ware; majolica
Of deft design, to please a lordly eye:
The smile, you see, is perfect – wonderful
As mere Faience! a table ornament
To suit the richest mounting. Dorothea verließ das Haus selten ohne ihren Gatten; nur gelegentlich fuhr sie, wie es jede drei Meilen von einer Stadt entfernt wohnende wohlhabende Frau von Zeit zu Zeit zu thun pflegt, allein zur Stadt, um Einkäufe zu machen oder Bedürftige zu besuchen. Zwei Tage nach jener Scene in der Eibenbaumallee beschloß sie eine solche Fahrt in die Stadt zu benutzen, um womöglich Lydgate zu sprechen und ihn zu fragen, ob ihr Gatte wirklich durch neue Symptome, die er ihr verheimlicht habe, beunruhigt worden sei und ob er darauf bestanden habe, die volle Wahrheit über seinen Zustand zu erfahren. Sie empfand es fast wie eine Schuld, daß sie sich über diese Punkte bei einem Andern unterrichten wollte; aber die Furcht vor jener Unwissenheit, die sie ungerecht oder hart machen könnte, ließ sie alle Skrupel überwinden. Dafür daß sich in dem Gemüthe ihres Gatten eine Krisis vollzogen habe, hatte sie die sichersten Anzeichen; schon am Tage nach jener Scene hatte er eine neue Methode in der Anordnung seiner Notizen zu befolgen angefangen und hatte Dorothea in einer ganz neuen Weise bei der Ausführung seines Planes beschäftigt. Die arme Dorothea mußte sich mit unendlicher Geduld waffnen. Es war ungefähr vier Uhr Nachmittags, als sie nach Lydgate's Hause in Lowick-Gate fuhr und in ihrer Besorgniß, ihn nicht zu treffen, wünschte, sie möchte ihm vorher geschrieben haben. In der That war er nicht zu Hause. »Ist Frau Lydgate zu Hause?« fragte Dorothea, welche, so viel sie wußte, Rosamond nie gesehen hatte, sich jetzt aber erinnerte, daß Lydgate verheirathet sei. Ja, Frau Lydgate war zu Hause. »Ich möchte aussteigen und Frau Lydgate sprechen, wenn sie mich gütigst empfangen will. Wollen Sie sie fragen, ob Frau Casaubon sie auf einige Minuten sprechen könne?« Als der Diener ins Haus gegangen war, um die Bestellung auszurichten, hörte Dorothea durch das offene Fenster Musik, einige Töne einer männlichen Stimme mit darauf folgender passagenreicher Clavierbegleitung. Aber die Begleitung brach plötzlich ab und der Diener kam mit der Antwort zurück, daß Frau Lydgate sich sehr freuen würde, Frau Casaubon zu sehen. Als sich die Thür des Salons öffnete und Dorothea eintrat, boten die beiden Frauen einen Contrast dar, wie er in der Provinz zu einer Zeit, wo sich die verschiedenen Gesellschaftsklassen noch wenig mit einander vermischt hatten, nichts Seltenes war. Eine kundigere Feder würde genauer zu sagen wissen, was für ein Stoff es war, den Dorothea heute wie täglich in jenen milden Herbsttagen trug: ein dünner weißer weicher Wollenstoff, der dem Gefühl und dem Auge gleich wohlthuend war. Es schien immer frisch gewaschen zu sein und nach frischen Hecken zu duften und hatte die Form eines Ueberwurfs mit nachlässig herabhängenden weiten Aermeln. Und dennoch würde ihr Costüm, wenn sie als Imogen oder Tochter Cato's vor einen erwartungsvollen Zuschauerkreis getreten wäre, ganz passend erschienen sein; Grazie und Würde umflossen ihre Glieder und ihren Hals, und der große Hut, den die Frauen damals zu tragen verurtheilt waren, schien über ihren treuen Augen und ihrem einfach gescheitelten Haar kein sonderbarerer Kopfputz als der goldene Reif, den wir einen Heiligenschein nennen. Im gegenwärtigen Fall hätten die beiden Zuschauer keine dramatische Heldin mit größerem Interesse erwarten können als Frau Casaubon. Für Rosamond war sie eine jener, von der Middlemarcher Sterblichkeit unberührten Provinzialgottheiten, deren Erscheinung und Benehmen ihr bis auf die leisesten Züge des Studiums werth erschienen. Ueberdies empfand Rosamond es nicht ohne Genugthuung, daß Frau Casaubon Gelegenheit haben würde, sie zu studiren. Was hilft es uns, distinguirt zu sein, wenn wir nicht von den competentesten Richtern gesehen werden? Und seit Rosamond bei Sir Godwin Lydgate die schönsten Complimente geerntet hatte, war sie über den Eindruck, den sie auf Leute aus der guten Gesellschaft machen müsse, völlig beruhigt. Dorothea reichte Lydgate's anmuthiger junger Frau mit ihrer gewohnten einfachen Freundlichkeit die Hand und sah sie bewundernd an; sie wußte, daß noch ein Herr im Zimmer sei; er stand aber so weit seitwärts entfernt, daß er ihr nur wie eine Figur in Mannskleidern erschien. Der Herr war zu sehr mit der Gegenwart der einen Frau beschäftigt, um über den Contrast der beiden Frauen, welcher für einen ruhigen Beobachter gewiß frappant gewesen wäre, nachzudenken. Beide waren von schlanker Gestalt und ihre Augen standen auf einer Linie; aber man vergegenwärtige sich Rosamond mit ihrer kindlichen Blondheit, mit ihrer wundervollen Krone von Haarflechten, in einem blaßblauen Kleide nach dem neuesten Schnitt, das so vortrefflich saß, daß keine Schneiderin es ohne Aufregung würde haben ansehen können, mit einem großen gestickten Kragen, den alle Beschauer, wie zu hoffen stand, nach seinem Werth zu schätzen wissen würden, mit ihren kleinen reich mit Ringen besetzten Händen und jener bewußten Selbstbeherrschung des Wesens, welche den kostspieligen Ersatz für natürliche Einfachheit bildet. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich von mir haben unterbrechen lassen,« sagte Dorothea. »Ich möchte Herrn Lydgate sehr gern, womöglich bevor ich wieder nach Hause fahre, sprechen, und ich hoffte, Sie würden mir möglicher Weise sagen können, wo ich ihn treffen kann, oder mir erlauben, hier etwas zu verweilen, wenn Sie ihn bald zurückerwarten.« »Er ist im neuen Hospital,« erwiderte Rosamond, »ich weiß nicht gewiß, wie bald er nach Hause kommen wird, aber ich kann nach ihm schicken.« »Wollen Sie mir erlauben, hinzugehen und ihn zu holen?« fragte Will Ladislaw aus dem Hintergrunde hervortretend. Er hatte schon ehe Dorothea ins Zimmer trat, seinen Hut wieder in die Hand genommen. Sie erröthete vor Ueberraschung, reichte ihm aber die Hand mit einem freudigen Lächeln und sagte: »Ich wußte nicht, daß Sie es seien; ich hatte keine Idee davon, daß ich Sie hier sehen würde.« »Darf ich nach dem Hospital gehen und Herrn Lydgate sagen, daß Sie ihn zu sprechen wünschen?« fragte Will. »Man würde ihn noch rascher erreichen, wenn man den Wagen nach ihm schickte,« erwiderte Dorothea; »wollen Sie die Güte haben, dem Kutscher den Auftrag zu geben?« Will wollte eben nach der Thür gehen, als Dorothea, vor deren Geist im Fluge eine Fülle von Erinnerungen vorübergezogen war, sich rasch umwandte und sagte: »Ich danke Ihnen; ich will doch lieber selbst hinfahren. Ich möchte keine Zeit verlieren. Ich will nach dem Hospital fahren und Herrn Lydgate dort sprechen. Bitte entschuldigen Sie, Frau Lydgate, ich sage Ihnen meinen besten Dank.« Sie war ersichtlich von einem plötzlich in ihr aufgestiegenen Gedanken preoccupirt, und sie verließ das Zimmer, ohne recht zu wissen, was um sie her vorging, ohne recht zu wissen, daß Will ihr die Thür öffnete und ihr den Arm bot, sie an den Wagen zu führen. Sie ließ sich führen, sagte aber nichts. Will, der etwas verstimmt und verdrießlich war; wußte auch seinerseits nichts zu sagen. Er war ihr schweigend beim Einsteigen in den Wagen behülflich; sie sagten sich Adieu und Dorothea fuhr davon. Während der fünf Minuten langen Fahrt nach dem Hospital hatte sie Zeit zu einigen für sie ganz neuen Reflektionen. Ihr Entschluß, selbst nach dem Hospital zu fahren, und ihre Preoccupation beim Verlassen des Zimmers entsprangen aus dem plötzlich in ihr wach gewordenen Gefühl, daß sie sich einer Art von Täuschung schuldig machen würde, wenn sie freiwillig noch irgend welchen fernern Verkehr mit Will unterhielte, von welchem sie ihrem Gatten nichts würde sagen können, dem sie ja schon ihr Aufsuchen Lydgate's zu verheimlichen hatte. Dieses Gefühl war das einzige, was sie klar empfunden hatte; aber außerdem hatte sich noch ein vages Unbehagen in ihr geregt. Jetzt, wo sie allein im Wagen saß, vernahm sie mit ihrem innern Ohr wieder die Töne der männlichen Stimme und die Clavierbegleitung, die sie vorhin nicht sehr beachtet hatte, und sie betraf sich darauf, daß es ihr etwas befremdlich vorkam, daß Will Ladislaw seine Zeit bei Frau Lydgate in Abwesenheit ihres Mannes zubringe. Dann aber mußte sie sich wieder erinnern, daß er manche Stunden unter ähnlichen Umständen bei ihr zugebracht habe, was konnte also daran unpassend sein? Aber Will war ein Verwandter Casaubon's und einer, gegen welchen sich freundlich zu erweisen sie verpflichtet war. Und doch hatte es nicht an Anzeichen gefehlt, denen sie vielleicht hätte entnehmen sollen, daß Casaubon die Besuche seines Vetters während seiner Abwesenheit nicht gern sehe. »Vielleicht habe ich es in vielen Dingen versehen,« dachte die arme Dorothea bei sich und mußte ihre Thränen, die ihr an den Wangen herabrollten, rasch trocknen. Sie fühlte sich in ihrer Verwirrung unglücklich, und Will's Bild, das ihr bisher so klar vorgeschwebt hatte, erschien ihr unheimlich getrübt. Aber in diesem Augenblick hielt...