Elliott | Flüstern mit Megafon | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 400 Seiten, eBook

Elliott Flüstern mit Megafon


1. Auflage, neue Ausgabe 2015
ISBN: 978-3-0369-9319-5
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 400 Seiten, eBook

ISBN: 978-3-0369-9319-5
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Wege von Ralph und Miriam könnten unterschiedlicher kaum verlaufen. Der Psychotherapeut und Familienvater Ralph führt ein scheinbar glückliches Leben, bis er seine Frau Sadie auf seiner Geburtstagsparty mit ihrer besten Freundin in flagranti erwischt. Schlimmer noch: Dank Twitter scheint außer ihm bereits die ganze Welt über die wahren Gefühle seiner Frau Bescheid zu wissen. Während Ralph wutentbrannt das Weite sucht, verlässt am anderen Ende der Stadt auch Miriam ihr Haus – das erste Mal seit Langem. Nach Jahren der Isolation wagt sie endlich den Schritt hinaus in die Welt. Mitten im Wald treffen sie und Ralph aufeinander. Was als zaghafte Begegnung beginnt, entwickelt sich zu einer unerwarteten Freundschaft und stellt das Leben der beiden komplett auf den Kopf.
Rachel Elliott erzählt mit viel Witz und Tempo von verborgenen Sehnsüchten, dem Wunsch, neu anzufangen, und dem befreienden Gefühl, aus alten Mustern auszubrechen.

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2

MOVE OVER DARLING


Treacle ist überall, auf Ralphs Beinen, seinen Armen, seinem Bauch. Treacle, die rote Katze, ist gelangweilt von Ralphs Untätigkeit und verlangt nach ihrem Frühstück. Sie tappt auf dem Schlafsack auf und ab, klettert über die Kurven und Kanten ihres neuen Besitzers, fahndet nach einem Lebenszeichen.

Treacle war verloren und allein, eine Streunerin im Wald, zottig und mager. Dann ist sie Ralph Swoon über den Weg gelaufen, der ebenfalls verloren und allein war. Jetzt haben sie sich gegenseitig, sich und eine wackelige alte Bretterbude mitten im Wald, durch deren Ritzen das Licht dringt.

Er hat Treacle eine Büchse Sardinen gekauft.

Es ist eine Liebe, die nach Fisch riecht, aber dennoch eine echte Liebe.

Ralph schält sich aus seinem Schlafsack. Er trägt noch seine Kleider von gestern. Nachdem er sich mit den Fingern durch die Haare gefahren ist, öffnet er die Tür des Bretterverschlags und geht zu dem Blätterhaufen, den er zu seiner Toilette erkoren hat. Treacle sitzt unterdessen auf der Türschwelle und wartet. Sie hat sich bereits an diesen Teil des gemeinsamen Tagesablaufs gewöhnt und weiß, dass Ralph gleich wieder hineinschlurfen und ihr ein wenig Futter aus der Büchse auf den gesprungenen Teller kippen wird, der im Verschlag auf dem Boden steht. Dann wird er in seinen Schlafsack zurückkehren und sie auffordern, sich zu ihm zu gesellen. Gestern haben sie noch drei Stunden zusammen im Schlafsack weitergeschlafen. Allerdings hat Treacle hin und wieder die Augen geöffnet, um sich zu vergewissern, dass Ralph noch atmet.

Ihrer Katzenlogik zufolge hat er sich in den Wald geschleppt, um zu sterben. Warum sonst hätte er am 4. August um halb zwölf Uhr nachts plötzlich ohne Gepäck, ohne Habseligkeiten, abgesehen von einem Geldbeutel, einem Handy und einer Gitarre, hier auftauchen sollen?

Aber die Katze irrt sich.

Er ist nicht hergekommen, um zu sterben.

Vor einer Woche hat Ralph noch an der Frühstückstheke in seiner Küche gesessen und seiner Frau und seinen beiden halbwüchsigen Söhnen im Garten gelauscht. Sadie und Arthur spritzten gerade die Beine ihres neuen Welpen mit dem Schlauch ab, während Stanley ihnen dabei zusah.

»Dieser Hund stinkt«, beschwerte sich Arthur.

»Das ist doch nur Matsch. Hilf mir lieber mit dem Schlauch«, entgegnete Sadie.

»Er ist dein Hund, Mum.«

»Jetzt fang nicht wieder damit an.«

»Wer hat ihn denn angeschleppt?«

»Ich habe ihn für dich und Stan gekauft. Du wolltest doch immer einen Hund.«

»Ich wollte einen Hund, als ich sechs war. Du bist zehn Jahre zu spät dran.«

»Ach, lass mich in Ruhe.«

Arthur grinste, während der Welpe zappelnd versuchte, dem kalten Wasser zu entgehen und stattdessen mit dem Schlauch zu spielen.

Ralph war gegen die Anschaffung eines Hundes gewesen. Hatten sie nicht auch ohne dieses haarige Baby schon genug Probleme? Denn etwas anderes war ein Hundewelpe letztlich nicht. Aber wie üblich hatte sich Sadie durchgesetzt. Sie hatte argumentiert, dass die Aufgabe dem ewig schlechtgelaunten und gelangweilten Arthur guttun würde. Er würde sich entspannen, lernen, Verantwortung zu übernehmen, mehr an die frische Luft kommen. Als Teenager braucht man morgens einen Grund, sich aus dem Bett zu quälen, hatte sie gesagt, sonst schläft man den ganzen Tag und die ganze Nacht, während das Leben an einem vorbeizieht wie ein fader Traum. Das kommt mir bekannt vor, hatte Ralph gedacht.

»Pass auf, dass er kein Wasser in die Ohren kriegt«, warnte Sadie. »Das mögen Hunde nicht.«

»Warum springt er dann ständig in den Fluss?«

»Weil Spaniels gerne schwimmen. Sie schwimmen ja nicht unter Wasser.«

Arthur ließ den Schlauch auf den Boden fallen. »Er ist jetzt sauber. Ich gehe rein.«

»Er ist überhaupt nicht sauber. Guck doch mal, da ist noch überall Dreck.«

Während der Welpe zitternd zwischen ihnen stand, funkelten sich Arthur und Sadie wütend an. Stanley war lediglich unbeteiligter Zuschauer, zumal er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Dass diese abschweiften, passierte ihm immer wieder, seit Joe Schwartz ihn letzten Freitag heftig geküsst und danach die Treppe hinaufgeführt hatte, sich neben ihm aufs Bett gesetzt, sich die Converse-Turnschuhe abgestreift und seine Haare zurückgeworfen hatte, um ihm zu sagen: Du bist wunderbar, Stan. Echt, ich finde dich absolut wunderbar.

Joe aus Kanada. Ein Adonis. Mit magischen Fähigkeiten. Er schaffte es, die keifenden Stimmen von Arthur und seiner Mutter so leise zu stellen, dass Stanley sie kaum noch hörte. Es ging um einen schmutzigen Hund, um irgendein Problem, das sein Bruder hatte.

»Ich bin gerade nicht besonders angetan von dir, mein Lieber«, sagte Sadie.

»Ach, echt?«, gab Arthur zurück.

»Du redest mit mir, als wäre ich das Letzte. Was hast du für ein Problem?«

»Ich habe überhaupt kein Problem.«

»Dann geh und mach mir einen Kaffee. Stan kann mir mit dem Hund helfen. Stan, bist du noch bei uns?«

Arthur stapfte mit schlammigen Stiefeln durch die Küche und tippte etwas auf seinem iPhone.

Arthur Swoon @artswoon

Mum ertränkt neuen Hund im Garten bitte Tierschutzverein verständigen

Mark Williams @markwills249

@artswoon Echt? Doch nicht die BEZAUBERNDE Sadie! Ich glaub dir kein Wort

Arthur Swoon @artswoon

@markwills249 Hör auf du PERVERSER das ist meine Mutter! Total uncool dass mein Dad in seinem Alter noch Kapuzenpullis anzieht

Mark Williams @markwills249

@artswoon Vielleicht Midlife-Crisis? Ich sag nur ein Wort: MILF

Bei der Geburt der Zwillinge hatte Ralph noch nicht einmal sein Grundstudium abgeschlossen – er war zwanzig Jahre alt, eher faul und weltfremd. Er hatte es sich nicht ausgesucht, seine Söhne Arthur und Stanley zu nennen, ihm wären Mark, Michael oder Christopher lieber gewesen. Aber er hätte es niemals riskiert, mit Sadie über ein derart wichtiges Thema zu streiten. Es ging ihnen gut in ihrer Beziehung, sie waren glücklich, er konnte sie jederzeit verlieren. Das war der unausgesprochene Kern ihres Zusammenseins. Sechzehn Jahre später stritten sie nur noch, und beim Anblick ihres in die Einfahrt biegenden Minis, dessen Rückbank mit Zeitungen und noch eingeschweißten Gedichtsammlungen übersät war, wurde ihm regelmäßig mulmig.

Sollte einem mulmig werden von der eigenen Frau? Vielleicht am Anfang der Beziehung, wenn man noch Schmetterlinge im Bauch hatte und ein drängendes Verlangen spürte. Aber nach sechzehn Jahren? Was hätte sie gesagt, wenn sie davon gewusst hätte?

»Du löst Übelkeit in mir aus, Schatz.«

»Du in mir auch.«

»Hm, was machen wir denn da? Trockene Kekse, Salzstangen, Magentablette?«

Er zog einen Vollkornkeks aus der Packung und schaltete den Wasserkocher ein. Im Garten erzählte Sadie Stanley gerade von einer Ausstellung, die sie ihm gern zeigen wollte – vielleicht könnten sie ja am Nachmittag zusammen hingehen? Nach einer kurzen Pause folgte die unausweichliche Zurückweisung: Geht leider nicht, tut mir leid, Mum.

»Warum nicht?«

»Weil ich später fürs Kino verabredet bin.«

»Kannst du nicht ein anderes Mal ins Kino?«

»Du könntest doch mit Kristin in die Ausstellung gehen.«

»Ich will die Ausstellung nicht mit Kristin sehen, ich wollte sie dir zeigen.«

»Aber Kristin interessiert sich für Kunst.«

»Jetzt hör endlich auf mit Kristin!«

Kristin Hart. Die Patentante der Jungen. Sie und ihre Lebensgefährtin Carol waren der Inbegriff des zufriedenen, harmonischen Paares, was Sadie gleichzeitig faszinierte und nervte – umso mehr, seit sie sich immer wieder dabei ertappte, wie sie an Kristin im Bett dachte, Kristin unter der Dusche, Kristin beim Stretching vor der morgendlichen Joggingrunde. Eine vorübergehende Verwirrung, mehr war es nicht, die Sexualisierung einer alten Freundin. Allerdings ganz schön aufwühlend.

Ralph schloss die Augen.

Er sah flackernde Lichter, farbige Blöcke.

Gelb, schwarz, rotbraun.

Die Unterhaltung im Garten hatte aufgehört. Es folgte ein Moment der Stille.

Ja, Stille.

Er atmete aus, spürte, wie seine Schultern herabsanken.

Ihm fiel auf, dass sich seine verkrampften Finger zu Fäusten geballt hatten.

»Mann, habe ich miese Laune«, knurrte Sadie und marschierte in die Küche, dicht gefolgt vom Cockerspaniel. »Ich brauche einen Kaffee.«

»Ich mach dir einen.«

»Dieser verdammte Hund treibt mich in den Wahnsinn. Heute Nachmittag kannst du mit ihm rausgehen.«

»Eher nicht.«

»Und warum nicht? Ich muss das Essen und die Getränke für morgen besorgen. Dauert bestimmt eine Ewigkeit.«

Seine Geburtstagsparty – schon wieder etwas, was er nicht gewollt hatte. Aber die Party war nicht wirklich für ihn. Sadie umgab sich gern mit so vielen Leuten wie möglich, um seine anhaltende Anwesenheit besser ertragen zu können.

»Was weißt du über Stans Freundin?«, fragte sie kurz darauf, während sie den letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse nahm und sich von dem Hund das Gesicht ablecken ließ.

»Bist du sicher, dass er eine Freundin hat?«

»Ich hoffe, sie ist nicht so langweilig wie das Mädchen, das er letzten Monat zur Grillparty mitgebracht hat.«

»Die war doch vollkommen in Ordnung.«

»Er hat aber etwas Besseres verdient als...


Elliott, Rachel
Rachel Elliott, 1972 in Suffolk geboren und in den Midlands aufgewachsen, ist Autorin und Psychotherapeutin. Ihre Kurzgeschichten wurden für zahlreiche Preise nominiert, u. a. für den Dundee International Book Prize. Heute lebt und arbeitet die Autorin in Bath, »Flüstern mit Megafon« ist ihr erster Roman.

Kilchling, Verena
Rachel Elliott, 1972 in Suffolk geboren und in den Midlands aufgewachsen, ist Autorin und Psychotherapeutin. Ihre Kurzgeschichten wurden für zahlreiche Preise nominiert, u. a. für den Dundee International Book Prize. Heute lebt und arbeitet die Autorin in Bath, »Flüstern mit Megafon« ist ihr erster Roman.

Rachel Elliott, 1972 in Suffolk geboren und in den Midlands aufgewachsen, ist Autorin und Psychotherapeutin. Ihre Kurzgeschichten wurden für zahlreiche Preise nominiert, u. a. für den Dundee International Book Prize. Heute lebt und arbeitet die Autorin in Bath, »Flüstern mit Megafon« ist ihr erster Roman.

Verena Kilchling übertrug für Kein & Aber neben Francesca Segal bereits Romane von Nicola Upson, Hannah Tinti, Dinaw Mengestu, André Aciman und Calla Henkel ins Deutsche.



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