Emezi | Süßwasser | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 285 Seiten

Emezi Süßwasser


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7325-6045-5
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 285 Seiten

ISBN: 978-3-7325-6045-5
Verlag: Eichborn
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Akwaeke Emezi erkundet in ihrem von Kritik und Publikum gefeierten Debütroman SÜSSWASSER wie es ist, ein gespaltenes Ich zu haben. Und sie zeigt gleichzeitig, wie wir alle unsere verschiedenen Identitäten laufend konstruieren. Ein Buch von wilder Energie und schlangenartiger Eleganz - die Geburt einer neuen ungebändigten literarischen Stimme.
Ada wächst im Süden Nigerias auf. Sie ist ein sprunghaftes und schwieriges Kind und ein Quell steter Sorge für ihre Eltern. Adas verschiedene Ichs kommen immer wieder zum Vorschein und rücken vor allem nach ihrem Umzug in die USA immer stärker in den Vordergrund. Nach einem traumatischen Übergriff nimmt Adas Leben eine dunkle und gefährliche Wendung.

'SÜSSWASSER ist reine Perfektion: sexy, sinnlich, magisch, weise. Eines der umwerfendsten Debüts, die ich je gelesen habe.' Taiye Selasi, GUARDIAN

'Außergewöhnlich und mutig, poetisch und verstörend.' NEW YORK TIMES

'Eine ungeheuer kraftvolle und sehr besondere Einwanderungsgeschichte.' Edwidge Danticat, NEW YORKER



Akwaeke Emezi ist eine igbo-tamilische Autorin und eine Künstlerin zwischen den Welten. Sie wuchs in Nigeria auf und absolvierte ihren Master in Verwaltungswissenschaften an der New York University. Im Jahr 2017 gewann sie den Commonwealth Short Story Prize für Afrika. Ihr Texte wurden unter anderem von Chimamanda Adichie ausgewählt und lektoriert und von vielen literarischen Magazinen veröffentlicht. Süßwasser ist ihr Debütroman und wurde von Buchhandel und Kritik in den USA gefeiert.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Kapitel Eins


Ich habe viele Leben in diesem Körper gelebt.

Ich habe viele Leben gelebt, bevor sie mich in
diesen Körper gesteckt haben.

Ich werde viele Leben leben, wenn sie mich
aus ihm herausholen.

Wir


Das erste Mal, als unsere Mutter uns holen kam, haben wir geschrien.

Wir waren zu dritt, und sie eine Schlange, aufgerollt auf den Badezimmerfliesen, wartend. Aber wir hatten die letzten fünf Jahre damit verbracht, unserem Körper zu glauben – wir dachten, unsere Mutter sei jemand anderes, ein dünner Mensch mit geschminkten Wangen und einer großen, dick beglasten Brille. Also haben wir geschrien. Die Grenzen sind nicht so klar, wenn man neu ist. Es gab eine Zeit, bevor wir einen Körper hatten, als er sich noch selbst erschuf, Zelle für Zelle in dieser dünnen Frau, als er sorgfältig Organe entwickelte, ein System. Wir zogen ein und aus, um zu sehen, wie es dem Fötus ging, rauschten pfeifend durch das Wasser, in dem er trieb, im Takt der Lieder, die die dünne Frau sang, katholische Loblieder ihrer Familie, deren Körper als Asche in den Mauern einer Kathedrale in Kuala Lumpur lagerten. Welch ein Vergnügen, den gesungenen Rhythmus der Musik zu stören, ihn um den Fötus zu wickeln, bis er vor Freude strampelte. Manchmal haben wir den dünnen Körper der Frau verlassen, um hinter ihr herzuschweben und das Haus zu erkunden, in dem sie wohnte, wir folgten ihr durch die muschelblauen Wände, wir schauten ihr dabei zu, wie sie Teig zu runden Formen knetete und unter ihren Händen Chapatis blubberten.

Sie war klein, mit dunklen Augen und dunklen Haaren, mit hellbrauner Haut, und ihr Name war Saachi. Sie war das sechste von acht Kindern, geboren am elften Tag des sechsten Monats, in Malakka, auf der anderen Seite des Indischen Ozeans. Später flog sie nach London und heiratete einen Mann namens Saul, in einem weißen Sari, der wie Schneegestöber aussah, mit Schleier und Blumen. Saul war ein forscher Mann mit verwegenem Lächeln und tiefbrauner Haut, mit dichten, kurz geschnittenen schwarzen Spulen auf dem Kopf. Er sang Jim Reeves in einem übertriebenen Bariton, sprach fließend Russisch und hatte Latein gelernt, und er tanzte Walzer. Es lagen zwölf Jahre zwischen ihnen, und dennoch, das Paar war schön, es passte gut zusammen, sie bewegten sich mit Anmut durch die graue Stadt.

Als unser Körper mit dem ihren verwoben war, waren sie bereits nach Nigeria gezogen, und Saul arbeitete für das Queen Elizabeth Hospital in Umuahia. Sie hatten schon einen kleinen Jungen, Chima, der drei Jahre zuvor in Aba zur Welt gekommen war, aber für dieses Baby (für uns), für dieses Baby war es wichtig, dass sie nach Umuahia zurückkehrten, wo Saul geboren worden war und sein Vater vor ihm und dessen vor ihm. Das Blut folgt den Wegen, fließt in die Erde, es ölt die Tore, lässt das Gebet Fleisch werden. Später würde es noch eine weitere Tochter geben, die in Aba zur Welt kam, und Saul würde beiden Mädchen in seinem Bariton vorsingen, ihnen zeigen, wie man den Walzer tanzt, und auf ihre Katzen aufpassen, als sie ihn verließen.

Doch bevor die Mädchen geboren wurden, wohnten sie (die dünne Frau und der forsche Mann) in einem großen Haus im Ärzteviertel, dem Ort mit dem Hibiskus draußen und dem Muschelblau drinnen. Saachi war Krankenpflegerin, eine pragmatische Frau, und so standen die Chancen bei den beiden gut, dass das Neugeborene leben würde. Wenn wir dieses Hauses müde wurden, flatterten und schwirrten wir umher, spielten auf dem Anwesen und beobachteten die Ranken der Yamswurzeln, wie sie nach oben krochen, zu den Stöcken, die sie stützten, wir beobachteten, wie die Maisgrannen ausdorrten, während sie reiften, wir beobachteten das Anschwellen der Mangos, und wie sie fleckenweise gelb wurden, bevor sie herabfielen. Saachi saß da und schaute Saul dabei zu, wie er zwei Eimer mit diesen Mangos füllte und sie zu ihr brachte. Sie aß sie ganz, die Haut, das feuchte Fleisch, bis ihre Zähne an den Kernen schabten, als wären sie trockene Knochen. Aus den Übrigen machte sie Mangomarmelade, Mangosaft, Mangoalles. Sie aß zehn bis zwanzig von ihnen, jeden Tag, dann einige von den großen Avocados, die sie um ihren Kern herum in Scheiben schnitt, um das weiche Fruchtfleisch zu löffeln, es zu verschlingen. Und so wurde unser Fötenkörper gefüttert, und wir besuchten ihn, und wenn wir ihrer Welt müde geworden waren, verließen wir sie und gingen in unsere. Damals, damals waren wir noch frei. Es war so einfach zu verschwinden, entlang der bitteren Kreideströme.

In diesen Queen-Elizabeth-Tagen fuhren sie Taxi mit einem Mann, der den Innenraum seines Autos mit dem Spruch Keine Abkürzung zum Erfolg zugeklebt hatte. Immer dieselben Worte, die dicker wurden durch die Schichten von übereinandergeklebten Stickern, einige blätterten ab, andere waren glänzend neu. Jeden Tag ließ Saachi ihren kleinen Jungen, Chima, mit seiner Nanny daheim zurück, und der Taxifahrer fuhr sie von ihrem Anwesen zu Sauls Klinik im Dorfzentrum. An diesem Morgen (dem Tag, an dem wir starben und geboren wurden) setzten während der Fahrt über die verschlungenen roten Straßen ihre Wehen ein. Der Fahrer wendete sofort, ihren gekeuchten Anweisungen folgend, und er brachte sie stattdessen zum Aloma Hospital. Als ihr Körper uns rief und sich selbst herauspresste, waren diese Sticker alles, worauf sich Saachi konzentrieren konnte, es wimmelte von ihnen, um die Sitze herum, sie erinnerten sie daran, dass es den kurzen Weg nicht gab.

In der Zwischenzeit wurden wir abgerissen, durch diese Tore gezerrt, über einen Fluss und durch die Hintertür des Schoßes der dünnen Frau in das sich kräuselnde Wasser gestoßen, in dem der kleine schlafende Körper trieb. Es war an der Zeit. Als der Fötus in ihrem Bauch wohnte, war uns Freiheit vergönnt gewesen, aber er würde jetzt allein sein, nicht mehr Fleisch in einem Haus, sondern ein Haus für sich, für sich selbst, und wir waren die, die darin leben sollten. Wir waren die warmen, dumpfen Schläge von zwei Herzen gewohnt, getrennt von Wänden aus Fleisch und Flüssigkeit, wir waren die Möglichkeit des Gehens, des Zurückkehrens gewohnt, an den Ort, von dem wir gekommen waren, frei, wie Geister es sein sollten. Herausgegriffen und in das trübe Bewusstsein eines kleinen Kopfes gesperrt werden? Wir weigerten uns. Das wäre Wahnsinn.

Der dünne Körper dieser Frau neigte zu schnellen Geburten. Der Junge, das erste Kind, war innerhalb einer Stunde zur Welt gekommen, und ein Jahr nach unserer Geburt würde das dritte Kind nur zwei Stunden benötigen. Wir, diese Mitte, hielten den Körper sechs Stunden lang fest, gegen das Ziehen. Keine Abkürzungen.

Es war der sechste Tag im sechsten Monat.

Irgendwann stachen die Ärzte eine Nadel in Saachis Körper und ernährten sie durch einen Tropf, unseren Widerstand mit Medikamenten bekämpfend, um den Körper hinauszuzwingen, der unserer wurde. Und so wurden wir durch diese fremdartige Geburt gefangen, durch diese fleischliche Abscheulichkeit, und sind hier gestrandet.

***

Wir kamen von irgendwoher – alles kommt von irgendwoher. Wenn dieser Übergang von Geist zu Fleisch beendet ist, sollten die Tore eigentlich wieder geschlossen werden. Das wäre barmherzig, alles andere grausam. Vielleicht hatten die Götter es vergessen; manchmal sind sie so zerstreut. Nicht aus Böswilligkeit – zumindest nicht für gewöhnlich. Aber am Ende sind sie Götter, und sie kümmern sich nicht um das, was mit Fleisch passiert, vor allem, weil es so langsam und langweilig ist, fremdartig und grob. Sie schenken ihm nicht viel Aufmerksamkeit, außer, wenn es gesammelt, organisiert und beseelt wird.

Als sie (unser Körper) sich in die Welt hinaus gekämpft hatte, glitschig und lauter als ein Dorf aus Stürmen, blieben die Tore offen. Wir hätten inzwischen in ihr verankert sein müssen, schlafend in ihren Membranen, mit ihrem Bewusstsein verbunden. Das wäre der sicherste Weg gewesen. Aber weil die Tore offen standen und nicht verschlossen waren gegen die Erinnerung, waren wir verwirrt. Wir waren beides gleichzeitig, alt und neugeboren. Wir waren sie, und doch nicht. Wir waren nicht bei Bewusstsein, aber wir waren am Leben – genau genommen bestand das Hauptproblem darin, dass wir ein deutlich unterscheidbares Wir waren, statt ganz und ausschließlich sie zu sein.

Hier war sie also: ein dickes Baby mit dichten, schwarzen Haaren. Und dort waren wir, Kleinkinder in dieser Welt, blind und hungrig, uns teilweise an ihr Fleisch klammernd, und den Rest von uns zogen wir in Strömen hinter uns her, durch die offenen Tore. Wir wollten immer glauben, dass es eine Leichtsinnigkeit der Götter gewesen war und keine absichtliche Nachlässigkeit. Aber was wir denken, spielt kaum eine Rolle, auch angesichts dessen nicht, was wir für sie sind: ihr Kind. Sie sind unergründlich – jeder, der bei Verstand ist, erkennt das –, und so zärtlich zu ihren eigenen Kindern wie zu euren. Vielleicht sind sie es zu uns sogar noch weniger, denn eure Kinder sind nur schwache Fleischsäcke mit einer zeitlich begrenzten Seele. Wir aber, auf der anderen Seite – ihre Kinder, Schlüpflinge, kleinen Götter, ?gbanje –, wir können so viel mehr Schrecken ertragen. Nicht, dass es von Bedeutung wäre – es war klar, dass sie (das Baby) wahnsinnig werden würde.

Wir schliefen weiter, aber mit offenen Augen, immer noch eingerastet in ihren Körper und ihre Stimme, während sie heranwuchs, in diesen ersten langsamen Jahren, in denen alles und nichts geschieht. Sie war launisch, klug, eine schwankende Sonne. Brutal. Sie hat viel geschrien. Sie war pummelig und schön und wahnsinnig, wenn irgendjemand weise...



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