E-Book, Deutsch, 185 Seiten
Engel Herr Lorenz Stark
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1166-8
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 185 Seiten
            ISBN: 978-3-8496-1166-8 
            Verlag: Jazzybee Verlag
            
 Format: EPUB
    Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Roman ist zweifelsohne Engels größter Erfolg. Herr Lorenz Stark ist ein Kaufmann zu Hamburg, schon bei Jahren, in dem Rufe, ein Sonderling, aber dabei ein äußerst braver Mann zu sein. Durch eigenen Fleiß und verständige Gewerbsamkeit reich geworden, lebt er einfach, aber anständig, und wie es sein Platz in der Gesellschaft fordert. Die Fehler, deren dieser vortreffliche Mann nicht wenige hatte, und die denen, welche mit ihm leben mußten, oft sehr zur Last fielen, waren so innig mit den besten seiner Eigenschaften verwebt, dass die einen ohne die andern kaum bestehen zu können schienen. Weil er in der Tat klüger war als fast alle, mit denen er zu tun hatte, so war er sehr eigenwillig und rechthaberisch; weil er fühlte, daß man ihm selbst seiner Gesinnungen und Handlungen wegen keinen begründeten Vorwurf machen könnte, so war er gegen andere ein sehr freier, oft sehr beschwerlicher Sittenrichter.
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Sieh, sieh! sagte der Alte. Kommt's so herum? Fein genug!
Aber Sie wollen vielleicht, daß Wittwen nur lauter schwache, gebrechliche Männer heirathen sollen; Krückenstößer, wie diesen Wrak, die zu Nichts weiter taugen, als fremder Leute Kindern Brod zu verschaffen? – Die armen Wittwen! –
Ei nicht doch! nicht doch! Wenn sie nur selbst noch nicht alt sind – – denn das gesteh' ich Dir! eine Heirath zwischen einem jungen Manne und einem alten Weibe ist mir zuwider. –
Das ist sie wol Jedem. – Nein; meine Wittwen sind so im Anfang der zwanzig, sind überdies noch brav, gefällig, haushälterisch, fromm – –
Aber häßlich; nicht wahr?
Behüte Gott! Eher schön.
Nun, was fragst Du denn lange? – Gib sie an wen Du willst, an die jüngsten und die wackersten Männer! Ich bin es herzlich zufrieden. –
Brav, Väterchen! Herrlich, Väterchen! dachte die Tochter: wir wollen Dir dieses Wort zu seiner Zeit wieder vorhalten. Es geht Dich näher an, als Du wol denkst. – Und nun machte sie sich auf leichten Füßen davon, um nach Art braver Eheweiber, die für den Mann ihres Herzens keine Geheimnisse haben, dem ihrigen alles Vorgefallene zu berichten.
Ist wol nicht möglich! – sagte Herr Stark, als Monsieur Schlicht mit der Nachricht hereintrat, daß Madame Lyk ihn zu sprechen wünsche. – Er wird sich verhört haben, mein lieber Schlicht. Meinen Sohn wird sie sprechen wollen.
Nein, Sie! Sie! Ich habe ausdrücklich gefragt.
Hm! Also mich? In der That? – Nun, so führe Er sie gegenüber in das Besuchzimmer. Ich werde erscheinen. – Was in aller Welt kann das sein? Wie komme ich zu einer so galanten Visite? – Es ist ja wol kaum halb zehn – indem er nach seiner Uhr sah; – und die Frau ist schon auf? ist schon angezogen? hat schon ihre Chocolade getrunken? Das ist ja ganz außer der Regel! – Er trat seiner Gewohnheit nach vor den Spiegel, um sich den Stutz gerade zu rücken. – Wirst schon wieder schief zu stehen kommen, sagte er lächelnd; aber mein guter Stutz – – Glück werden wir ohnehin nicht mehr machen. Wir sind zu alt, und sind zu sehr außer der Mode. – –
Ich sollte erröthen, sagte die Wittwe, die durch das Studium einer ganzen langen Nacht keinen besseren Eingang hatte ersinnen können; ich sollte wegen der Störung und des Zeitverlustes, die ich verursache – –
Die Verlegenheit und die Furcht der guten Frau hatten ihre Stimme so sehr gedämpft, daß der Alte, der nach Art der Schwerhörigen ihr scharf in's Gesicht sah, und dadurch ihre Verlegenheit noch vermehrte, nur aus der Bewegung ihrer Lippen abnahm: sie müsse reden. Auch das Zurückstoßen des Stutzes ließ ihn nur ein leises, undeutliches Murmeln, keine eigentlichen Töne vernehmen. – Ich muß Sie bitten, fing er jetzt an, mir eine Schwachheit des Alters zu Gute zu halten; ich habe, wenn die Witterung kalt wird, einen Fluß auf dem rechten Ohre, der aber Gott Lob! so arg nicht ist, daß ich, wie mein Nachbar, ein Hörnchen mit mir herumtragen dürfte. Haben Sie nur die Gefälligkeit, ein wenig lauter zu reden, und ich werde Sie hören.
Diese Aufforderung zum Lautreden vermehrte das Herzklopfen der Wittwe, die schon so des Athems wenig genug, und dabei ein Anliegen hatte, das seiner Natur nach nicht wollte geschrieen werden. Es kam ihr äußerst gelegen, daß eben jetzt Herr Stark sie zum Niedersitzen auf das altmodische, rohrgeflochtene Kanapee einlud; denn kaum erhielt sie bei ihrer heftigen inneren Bewegung sich auf den Füßen. Es gelang ihr jetzt, dem alten Herrn zu bedeuten, daß ihre große Verpflichtung gegen seinen würdigen Sohn, der durch lange mühsame Arbeit sie aus einer höchst unangenehmen Verwirrung gezogen, ihr ein gerechtes Vertrauen auch gegen den Vater einflöße und daß sie hoffe – – Hier sank ihr die Stimme wieder; und Herr Stark brachte nicht heraus, was sie denn hoffe: daß er nämlich gleiche Großmuth beweisen, und wenn sie von diesem oder jenem ihrer Gläubiger gedrängt werden sollte, ihr seinen einsichtsvollen Rath und selbst seine thätige Unterstützung nicht versagen werde. Er bezog die Paar Wörter, die er verstand: Großmuth, Rath, Unterstützung, noch immer auf seinen Sohn, und deutete, weil sie jetzt auch von Dank sprach, ihre Hoffnung blos dahin, daß er ihren Besuch gütig aufnehmen, und sich ihren Dank für die ihr erwiesene Hülfe werde gefallen lassen. Dem gemäß erwiderte er zu nicht geringem Erstaunen der Wittwe, daß sie sich in ihm ganz an den Unrechten wende, indem er Alles, was sein Sohn für sie gethan, erst spät hinterher erfahren, und daß er also ihren Dank unmöglich annehmen könne. – Unsere jungen Herren, sagte er, pflegen die Väter nicht zu ihren Vertrauten zu nehmen; sie fürchten, daß man jede Art von Eröffnung als schuldige Rechenschaft von ihrem Thun und Lassen ansehen werde; und sich einem solchen Zwange zu unterwerfen, sind sie ganz und gar nicht gemeint. –
Die Wittwe rang in einer ziemlich langen, ängstlichen Pause mit sich selbst, wie sie das nehmen, und ob sie im Gespräche fortfahren oder es abbrechen solle. Sie konnte kaum anders, als das trockne Hinweggehen über den Hauptpunkt in ihrer Anrede für ein geflissentliches Ausbeugen und Ablehnen zu nehmen; und was der Vater vom Sohne sagte, schien sogar das Betragen desselben zu mißbilligen. Indessen war es möglich, daß Herr Stark nur übel gehört hatte; und so raffte sie sich zusammen, um auf einem anderen Wege das Gespräch wieder einzuleiten. – Die Doctorin, sagte sie, habe ihr die Freundschaft gerühmt, die ehemals zwischen Herrn Stark und ihrem verstorbenen Schwiegervater, dem alten Lyk, geherrscht habe; und sie lebe der Hoffnung – –
Auf dieses Wort, welches Herr Stark vollkommen verstand, gab er die passende Antwort, daß er den alten seligen Lyk von seiner Kindheit an gekannt und schon in den ersten Schuljahren sein Freund gewesen; daß sie nachher ihr ganzes Leben hindurch in sehr enger Verbindung gestanden, und daß sie gewiß in vorkommendem Falle ihre gegenseitige herzliche Freundschaft sich auf's Thätigste würden bewiesen haben. – Aber, sagte er, so ein Fall kam, Gott Lob! nicht vor; wir hielten Beide unsere Geschäfte in guter Ordnung, und verschlemmten und verschleuderten nicht: und wo das ist, da ereignen sich die Umstände nicht leicht, in welchen der Freund dem Freunde einen ausgezeichneten Dienst leisten oder wol gar eine Aufopferung für ihn machen könnte. –
Wenn gleich diese Anmerkung nichts weniger als Schmeichelei sein sollte, so hatte sie doch bei weitem den Sinn nicht, den die Wittwe ihr gab, und den sie nach dem obigen Mißverstande – oder jetzt kaum mehr Mißverstande – fast gezwungen war, ihr zu geben. Sie glaubte einen bitteren Vorwurf über die Unordnung zu hören, die ihr verstorbener Mann in seine Geschäfte hatte einreißen lassen, glaubte sich zum zweiten Male empfindlich zurückgewiesen, und erblaßte und erröthete im Gefühl ihrer peinlichen Lage eins um das andere. Herr Stark, der ohne Brille nicht scharf mehr sah, ward von ihrem Zustande Nichts inne.
Sie haben, fing er nach einigen Secunden wieder an, den guten alten Schwiegervater wol nicht mehr gekannt?
Nie – sagte ihm ein stilles, schwaches Kopfschütteln der Wittwe.
Und seine Frau, die alte redliche Mutter Lyk, wol eben so wenig?
Eben so wenig – sagte ihm ein abermaliges Kopfschütteln; denn die Wittwe, der das Herz immer voller und schwerer ward, war nicht im Stande zu reden. –
Hätte Herr Stark von der jetzigen wirklich bedrängten Lage der Wittwe, und besonders von ihrer Absicht auf ihn nur die mindeste Ahnung gehabt, so würde er, bei seiner wahrhaft großmüthigen Denkungsart und seiner Achtung für Unglückliche, ihrer sorgfältig geschont und jedes seiner Worte genau bewacht haben; aber so hielt er, in seiner Unwissenheit über beides, es gar nicht für übel gethan, wenn er ihr von seinen Gedanken über ächten weiblichen Werth eine kleine Eröffnung machte. – Sie haben, sagte er, viel verloren, Madame; Sie hatten eine sehr vortreffliche Schwiegermutter. – Freilich war sie im Grunde nur Hausfrau; aber mehr zu sein kam ihr auch nie in den Sinn: der Mann, glaubte sie, gehöre der Welt; die Frau dem Mann und den Kindern. Das war so der ehemalige alte Glaube, worin man die Töchter erzog, und wobei nun freilich die Mädchen nicht so fein und niedlich wie jetzt, aber dafür desto braver und wirthschaftlicher, und einem Manne, der an sein Fortkommen dachte, desto lieber und werther wurden. Der alte Lyk sagte mir oft, daß er diese herrliche Frau als seinen besten Segen von Gott betrachte, und daß er ohne sie bei weitem nicht in so guten Umständen sein würde, als er es wäre. Er liebte und achtete sie ungemein; auch wol mit deswegen, weil sie ihm viele Ehre machte; denn sie galt in der ganzen Stadt für die beste und erfahrenste Wirthin, und war für unsere Weiber in jeder häuslichen Angelegenheit das allgemeine Orakel. – Dabei war sie nichts weniger, als peinlich, oder gar mürrisch: Sie hätten sehen sollen, Madame, mit wie einnehmender Freundlichkeit sie den Gästen entgegen kam, die der alte Lyk fast jedesmal von der Börse mit sich brachte; wie sie sich freuen...




