E-Book, Deutsch, 786 Seiten
Reihe: LEDA im GMEINER-Verlag
Englert Friesische Macht
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8392-6528-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 786 Seiten
Reihe: LEDA im GMEINER-Verlag
ISBN: 978-3-8392-6528-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lothar Englert ist in Brühl/Köln geboren und lebt in Aurich/Ostfriesland. Er war Berufsoffizier, ist verheiratet und hat zwei Töchter. Neben Satiren, Gesellschafts- und Kriminalromanen hat er vor allem historische Romane veröffentlicht. Besondere Beachtung fand seine dreibändige Ostfriesland-Saga, deren erster Band auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand.
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Ouvertüre
Esens, Harlingerland, Frühjahr 1396
Der Lachs war so zart, dass sie ihn mit dem Löffel essen konnten. Das war auch nötig, denn der britannische Mönch und sein alter Freund, dieser hünenhafte holländische Schollenbrecher, hatten längst nicht mehr den Biss früherer Jahre. Ihre Zahnreihen lichteten sich wie die Bäume eines Waldsaums bei heftigem Sturm. Das Alter kannte keine Gnade, es riss hart an Haaren und Knochen und hinterließ Wüstungen, die auch den Mund nicht schonten. »Gottlob ist das Schlucken nicht von den Zähnen abhängig«, pflegte William bei einem guten Glas Wein zu sagen, und der Lange nickte dann beifällig. Jedenfalls, der Fisch zerfiel auf der Zunge. Er stammte aus der Ems, war etwas kleiner als seine Artgenossen etwa vom Rhein, aber nicht minder köstlich. Die Herrin hatte ihn in einem Bett aus Rainfarn und Zwiebel gedünstet, dann gut mit Salz bestreut, er fächerte sich rosig auf und seine Lamellen überzog ein feiner, silbriger Schmelz. Man aß gut im Hause tom Diek, und niemand schätzte es mehr als seine Gäste.
»Es ist alles verwachst!«, brummte der lange Adriaan mit Grabesstimme, doch das hinderte ihn nicht, sich ein stattliches Stück von dem Fisch über die Lippen zu schieben. Die anderen schwiegen. Der Dominikaner wischte sich mit dem Mahltuch über das Kinn, und der Hausherr schenkte Wein nach. »Verratzt und verschissen!«, fuhr der Lange fort, undeutlich, denn sein Mund war gut gefüllt. So konnte er nur reden, weil die Herrin die Stube verlassen hatte, Tomma tom Diek kümmerte sich um die Nachspeise, sie hörten sie mit den Mägden nebenan bei der Esse, wie sie mit ihrer warmen Stimme Anweisungen gab. »Hunde sind sie, Hunde und Dreckschweine!«, schob der Hüne nach, indem er erneut zulangte. »Man sollte sie alle in Scheiße ersäufen, am besten in ihrer eigenen, einen nach dem anderen!«
Magnus tom Diek setzte den Weinkrug ab, als wäre der höchst zerbrechlich, nicht dickwandig und aus gebrannter Erde, um das Getränk kühl zu halten, sondern aus zartem kölnischem Glas.
»Nun lass das Maulen, mein langer holländischer Adriaan, und schiebe den Salmon herüber. Er ist nämlich nicht nur für dich!«, rührte sich Bruder William. Er sprach den Namen des Fischs in seiner Mutterzunge, seine Sprache klang nach den vielen Jahren im Lande wie die eines Großbauern, der von irgendwoher zugereist war.
Der lange Holländer bedachte den Mönch mit einem schrägen Blick, doch seine Augen waren voller Wärme. »Du wirst auf deine alten Tage verfressen, mein Freund!«
»Die heilige Schrift verbietet es nicht, ordentlich zu essen. Und kalter Fisch schmeckt nach owlshit!«, konterte der Mönch und schob seinen Löffel in das Fleisch. Auch William nutzte die Abwesenheit der Herrin zum sprachlichen Abstecher in die Gasse einer finsteren Vorstadt. »Oilenscheißa!«, schob er nach, lehnte sich genüsslich kauend zurück, schnaufte wohlig und legte seine Hände auf den Bauch, es waren noch immer die eines Kindes.
»Ich nehme an, dass ihr auf eurer Insel derlei gelegentlich esst. Oder woher weißt du sonst, wie Eulenscheiße schmeckt?«, erkundigte sich Adriaan in beißendem Spott und legte dabei ein Gebiss frei, in dem Löcher gähnten.
Der Mönch winkte ab und tastete nach seinem Pokal. Es gab ganze zehn davon im Hause tom Diek, Magnus hatte sie von einem venezianischen Flaschner erstanden.
Jetzt ließ der Schollenherr ein leises Lachen hören. Magnus war froh, dass seine Frau nicht am Tisch saß. »Gemach, Freunde! Ich wundere mich über euch. Ihr könnt wie Fürsten tafeln und wie Gassenvolk reden. Und umgekehrt. Wenn Tomma zurückkommt, seid Fürsten. Sprachlich. Und lasst noch etwas Fisch übrig!«
Der Lange tat erstaunt, aber seine verwilderte Miene sagte das Gegenteil. »Gibt es da einen Zusammenhang zwischen dem Futter hier und unserer Rede?«
»Natürlich!«, nickte William verschlagen. »Und wenn er Fürstenzungen will, soll er uns Wurzeln auftischen!«
Der Holländer war entsetzt. »Was redest du töricht, Mönch?«, während der Hausherr sich sofort erhob.
»Das kann auf der Stelle geschehen!«, sagte Magnus, und dann lachten sie alle.
Der Harlinger Magnus tom Diek war eher ein Kaufherr. Anders als seine Vorväter verdiente er sein Silber mit dem Umschlag von Waren, teurem Wolltuch und edlen Pferden, die er auch selber züchtete, und lebte nicht mehr durch den Ertrag seiner Scholle. Immerhin saß er auf eigenem Grund, Land, das die Familie seit Generationen besaß, und das sein Vater Enno an den Brokmannen Ocko tom Brok verloren hatte. Nicht etwa durch schlechte Wirtschaft. Es war ein übles Geflecht von Unglück und Machtgier gewesen, das sich über die tom Diek geworfen, sie gelähmt und gefesselt hatte, und von ihren Feinden, namentlich dem ehrgeizigen Clan der Hylmerisna, kalt genutzt worden war. Auch die Landgemeinde Aurich hatten die sich inzwischen unter den Nagel gerissen. Erst ihm, Magnus, und seinem im letzten Winter plötzlich verstorbenen Bruder Ayderd war es gelungen, das Anwesen in Esens und auch den Hof von Ochtersum mit seinen fetten Äckern und Wiesen wieder in den Besitz der tom Diek zu bringen. Sie hatten Glück gehabt und klugen Handel getrieben, und dann, im Spätherbst anno 93, war Widzelt tom Brok, Ockos Erbe und unehelicher Sohn, in Esens aufgetaucht und hatte die Ländereien zum Kauf angeboten. Für die ungeheure Summe von zweitausend Mark Bremer Silber. Klamm war er gewesen, der Brokmanne, wie schon sein Vater, und das Geld hatte er gebraucht, um Krieg zu führen gegen seine ostfriesischen Feinde, die mit ihm darum stritten, das Land unter ihre Knute zu bringen. Auch wie sein Vater.
Nur kurz hatten die tom Diek gezögert, dann eingeschlagen, und das Geschäft war gemacht. Natürlich wusste Magnus, wozu der Brokmanne das Silber nutzen würde. Es würde Klingen kaufen, Pfeile und Schussbolzen bezahlen, fremde Waffenknechte ins Land holen, die für den Brokmannen fochten, also schmutziges Geld werden, aber das hatte keine Rolle gespielt. Entscheidend war die Gelegenheit gewesen, das Stammland der tom Diek wieder in den Besitz der Familie zu bringen. Anno 95 schließlich war Widzelt tom Brok wieder in Esens erschienen, diesmal hatte er einige seiner Kumpane bei sich, wilde Gesellen, Raubgesindel, Gesocks aus dem Sächsischen, das ehrliche Kaufleute auf See überfiel, um ihnen ihre Habe zu nehmen. Figuren wie Klaus Störtebeker und Michel Gödecke waren darunter, Männer, die nicht zögerten, ihren Willen mit Gewalt durchzusetzen. Und dabei Blut fließen zu lassen.
»Die passen zusammen wie der Arsch auf den Trichter!«, hatte der Lange in seiner üblichen Art beschieden, knapp, klar und zutreffend.
Der kleine Mönch hatte es etwas milder ausgedrückt, »Die Kloake zieht das Gewürm!«, hatte William nickend bestätigt, und Magnus hatte zu allem geschwiegen, mit einem Zug um den Mund, der auf vornehme Art zugleich Abscheu und Distanz spiegelte. Ganz so hätte es schon sein Großvater getan, dem Magnus im Übrigen immer ähnlicher wurde.
Als der Brokmanne an jenem denkwürdigen Sonntag in Esens auftauchte, suchte er Verbündete gegen seinen schärfsten Widersacher im Land, den Rüstringer Edo Wiemken, mit dem er sich nun schlug, der aber deswegen keinen Deut besser war als der Brokmanne. Und wieder waren die tom Brok bereit, für ihre Ziele uralte Tabus zu brechen, Regeln zu verletzen, die den Friesen seit jeher als unantastbar, ja heilig galten. Sie scharten fremde Bewaffnete um sich, wie es schon Keno Hylmerisna für richtig gehalten hatte, boten zur Stärkung ihres Rückens auswärtigen Fürsten brokmannischen Grund zum Lehen an, wie es Ocko tom Brok anno 81 tat, um den Herzog von Baiern auf seine Seite zu ziehen, und ließen Abschaum wie diese Seeräuber sogar in der Kirche von Marienhafe Quartier beziehen. Widzelt tom Brok hatte so entschieden, mit der üblichen flagranten Kälte seiner Sippe, und ein Sturm der Empörung war durch das Land gegangen, freilich ohne an den Tatsachen auch nur ein Jota zu ändern. Und nicht nur das; Widzelt hatte sich mit Folkmar Allena verbündet, dem Osterhusener, der seinen, Widzelts, Vater Ocko noch bis aufs Blut bekämpft hatte. Ja, und nun, an diesem Sonntag auf der Tenne der tom Diek, unterstand sich der Brokmanne, eben jenen Bruderschaft anzubieten, eine Kumpanei gegen den Rüstringer Focko Ukena, aber da hatte er auf Granit gebissen. Den Vater konnte man noch zwingen, Enno tom Diek hatte sogar Heerfolge geleistet, aber nur, um das Land der Familie wieder in den Besitz seiner Söhne zu bringen. Das war Geschichte, aus und vorbei, die Harlinger hielten ihre Scholle und Schluss. »Niemals mehr«, hatte Magnus dem Brokmannen beschieden, »nie wieder wird ein tom Diek für Euch zum Eisen greifen!«
Doch damit war Ostfriesland nicht befriedet. Im Gegenteil. Das Hauen und Stechen war in vollem Gange. »Verfluchte Saubande!«, knurrte der Lange finster, an seinem Kinn klebte eine Fischschuppe.
»Reg dich ab, Adriaan!«, versetzte der Mönch mit leichtem Lächeln. Seine Augen suchten den schon recht gefledderten Lachs ab, er wählte mit Bedacht ein saftiges Stück und stieß seinen Löffel hinein. »Es war doch klar, dass sie aufeinander einschlagen würden. Jeder Blinde konnte das kommen sehen und sogar ich, ein alter, dicker Seelenpfleger von einer fernen Insel voller Ziegen und Schafe, wie du zu sagen pflegst, hat es vorhergesagt.«
»Ja doch, Mann, es war zu sehen und zu fürchten, aber das macht die Sache nicht besser, oder wie?!«, fauchte der Holländer.
»Adriaan hat recht!«, sagte der Schollenherr trocken. Magnus tom Diek langte über den Tisch und zog die...




