E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Engstrand Code: Elektra
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-95854-852-7
Verlag: Mixtvision Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geheimnisbewahrer
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-95854-852-7
Verlag: Mixtvision Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ausgerechnet an Halloween finden Malin und Orestes einen weiteren alten Brief und die Suche nach dem Rutenkind wird immer mysteriöser. Unheimliche Dinge geschehen, unerklärliche Ereignisse nehmen ihren Lauf ... Dieses Mal ist Orestes' kleine Schwester Elektra in ein Geheimnis verstrickt. Kann sie Teil der Lösung sein oder ist sie Teil des Rätsels? Mystik pur! Der zweite Teil der erfolgreichen Schweden-Trilogie - zum Mitfiebern und Miträtseln.
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2.
Ich stand mit pochendem Herzen wie angewurzelt da. Die neun leuchtenden Gesichter schwebten geradeaus weiter Richtung Wohnzimmer. Sie bewegten sich langsam im Kreis, wie bei einem stummen Tanz. Ich konnte nicht sagen, ob sie jung oder alt waren. Ihre Augen wirkten wie schwarze Löcher und ihre Lippen bewegten sich langsam, als ob sie irgendetwas wispern würden. Ich konnte regelrecht spüren, wie mir die Haare im Nacken zu Berge standen!
Dann traf ein gleißendes weißes Licht meine Augen und blendete mich.
Der Schein wurde schwächer, ich blinzelte und erkannte ein bleiches Gesicht mit einer unglaublich ernsten Miene ganz nah vor mir. Dieses Gesicht schwebte nicht im Raum, sondern gehörte zu einem Körper in Anzughose und Hemd und hatte glatt gekämmtes dunkles Haar. Es war irre, wie ordentlich Orestes aussah, selbst wenn ich spätabends noch bei ihm zu Hause hereinplatzte.
Abgesehen davon ist er Elektras großer Bruder und außerdem mein Kumpel. Er geht in meine Klasse und ist ein ziemlich spezieller Charakter. Die Einzige, die ihn in seiner Eigenheit vielleicht noch übertrifft, ist seine Mutter. Nur dass die wiederum auf eine komplett gegenteilige Art speziell ist.
Orestes hatte eine riesige Taschenlampe in der Hand. Diese richtete er jetzt auf meine Füße statt mitten in mein Gesicht. In der anderen Hand hatte er einen großen Eimer, der mit Wasser gefüllt war. Jedenfalls vermutete ich das, konnte es aber in der Dunkelheit nicht so gut sehen.
»Ich musste Mama versprechen, nicht die Deckenlampe einzuschalten«, meinte er nur. Elektra klammerte sich fest an sein Bein und er strich ihr mit der Taschenlampenhand über den Kopf, sodass der Lichtkegel hierhin und dorthin durch den Raum zuckte.
»Du darfst nicht ganz allein rüber zu Malin gehen, Elektra!«, sagte er streng. »Das weißt du doch!«
Eines der Geistergesichter kam plötzlich näher und es stellte sich heraus, dass ein schwarz gekleideter Körper dazugehörte. Dunkler Stoff verbarg den Großteil des Kopfes, war aber nicht lang genug, um das unglaublich lange, helle Haar der Gestalt zu bedecken. Aber ich war erst wirklich sicher, wer sich darunter verbarg, als ich die warme Stimme hörte.
»Hallo, Malin«, sagte Orestes’ Mutter. »Wir halten heute Abend eine Séance. Bist du dabei?«
Auf einmal war ich in der Wirklichkeit zurück. Die schwebenden Gesichter schwebten natürlich gar nicht wirklich. In Wahrheit gehörten sie zu einigen dunkel gekleideten Leuten in einem dunklen Raum. Jeder von ihnen hielt ein kleines Windlicht in der Hand. Und das erleuchtete das Gesicht von unten, sodass es gespenstisch aussah, ungefähr so, wie wenn man jemanden mit einer Taschenlampe erschreckt.
Im Windlicht von Orestes’ Mutter brannte ein Teelicht mit einer kleinen, kümmerlichen Flamme.
»Normalerweise tragen wir lange Kerzen in den Händen«, erklärte sie, als sie bemerkte, wie ich das Windlicht anstarrte. »Aber das wollte Orestes nicht.«
»Weil letztes Jahr der Feueralarm losgegangen ist!«, rief Orestes aufgebracht.
»Jaja«, gab seine Mutter zurück. »Aber mit diesen kleinen Teelichten ist es nicht annähernd so stimmungsvoll!«
»Es wird ja wohl reichen, dass ihr richtige Kerzen in den Kerzenständern habt!«, meinte Orestes.
»Schon gut …«, erwiderte seine Mutter. Sie klingt immer so lieb, dass ich gar nicht verstehe, wie Orestes je wütend auf sie sein kann.
»Wofür … wofür soll das gut sein?«, fragte ich unsicher. Dass Orestes’ Mutter – Mona heißt sie übrigens – mysteriöse Sachen macht, ist keine Überraschung. Aber was sie diesmal damit bezwecken wollte, wusste ich wirklich nicht.
»Wir werden mit denen auf der anderen Seite reden«, erklärte Mona. »Mit den Toten. Die, die in der Geisterwelt leben. Die Geister sind uns, wie du sicher weißt, gerade heute Nacht besonders nah! Vielleicht willst du auch mit jemandem auf der anderen Seite sprechen?«
»Äh, nee«, erwiderte ich und schluckte schwer. Zum Glück kenne ich niemanden, der tot ist. »Aber vielleicht kann ich einfach nur zuschauen?«, fragte ich. Mona nickte.
Orestes warf mir einen Blick zu, der bedeutete: »Bist du komplett übergeschnappt?«
Normalerweise verzieht sich Orestes in sein Zimmer und macht die Tür hinter sich zu, wenn seine Mutter ihre Sachen macht. Séancen oder Reinkarnationsyoga, na ja, eben alles, was auf dem Schild steht, und noch ein bisschen mehr. Orestes verabscheut das alles.
Aber jetzt leistete er mir doch Gesellschaft auf dem Sofa im Wohnzimmer, auf das wir uns unter der Bedingung, keinen Mucks zu machen, setzen mussten. Elektra kauerte sich dicht neben Orestes. Ich machte mir eine gemütliche Kuhle zwischen all den weichen Kissen und verkroch mich quasi darin. Orestes stellte den Wassereimer dicht neben sich auf den Boden und knipste die Taschenlampe aus, als seine Mutter ihn darum bat. Es war nun fast ganz finster im Raum.
Die schwarz gekleideten Teilnehmer der Séance setzten sich im Kreis auf den Boden und stellten ihre kleinen Windlichter vor sich ab. Mona ging mit ihrem Teelicht herum und zündete die Kerzen an, die überall aufgestellt waren: auf dem Tisch, in den Regalen und auf den Fensterbrettern. Sie trug einen Vers vor, während sie die Kerzen anzündete:
»Nacht und Tag …« Sie zündete zwei Stumpenkerzen auf dem Schreibtisch an. »… Sonne und Mond …« Sie entzündete zwei Kerzen im Fenster, die auf Flaschenhälsen steckten. »… Vogel und Fisch …« Die Kerzen auf dem Couchtisch, an dem wir saßen. »… Wasser und Berg … Schwarz und Weiß … Seid willkommen, die ihr kommen wollt.«
Nachdem eine Kerze nach der anderen angezündet war, warfen sie einen schwachen Schein um sich und machten mehr und mehr vom Raum sichtbar. Monas »unnütze Dinge« traten hervor, schimmerten und warfen seltsam geformte Schatten. »Unnütze Dinge« nenne ich all die merkwürdigen Sachen, die Mona im ganzen Haus aufgestellt hat. Das kann alles sein, Federn oder kleine Zweige, Glasscherben oder Metallstückchen. Kleinkram, den man zu nichts gebrauchen kann. Deswegen glaube ich, dass sie auf irgendeine Art magisch sein müssen, aber ich weiß nicht, wie. Jetzt blitzten im Kerzenschein Statuen von Gottheiten mit jeder Menge Arme auf, er fiel auf seltsame Steine und Bilder und wurde von Prismen und Spiegeln zurückgeworfen. Schatten und Funkeln erwachten überall. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Obwohl mir klar war, dass ich in Orestes’ Wohnzimmer saß, in einem ganz gewöhnlichen Haus in Lerum, und dass Mona bloß ein paar Kerzen angezündet hatte, war mir so, als ob sich der ganze Raum verändert hatte, sich verschob und an den Rändern verschwamm.
Schließlich setzte sich Mona zu den anderen in den Kreis.
»Die Geister sind uns willkommen«, sang Mona zum Schluss.
Nichts passierte. Niemand rührte sich.
Es war mucksmäuschenstill.
Nach einer ganze Weile sang Mona noch mal: »Die Geister sind uns willkommen.«
Immer noch nichts. Alle saßen still da und starrten in die Mitte des Kreises.
Ich fing schon an, in dem Halbdunkel einzudösen, als plötzlich eine Stimme ertönte:
»Ich bin nun hier.«
Es war Mona. Aber sie sprach nicht mit ihrer normalen, warmen Stimme. Stattdessen klang ihre Stimme monoton, wie von jemandem, der sehr müde war oder versuchte, aus weiter Ferne zu uns zu sprechen. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Konnte es wirklich sein, dass ein Geist durch Mona sprach? Was würde er sagen? Stellt euch mal vor, es wäre wahr, dass man Botschaften von der anderen Seite des Totenreichs empfangen konnte!
Aber wisst ihr was – es war superenttäuschend. Wenn das wirklich eine Botschaft aus dem Jenseits war, die Mona empfangen hatte, kann es dort nicht besonders lustig sein. Oder es musste ein ziemlich verwirrter Geist sein, der da sprach. Alles, was er sagen konnte, wenn er etwas über die andere Seite gefragt wurde, war »Licht« oder »Frieden«. Und als einer der Teilnehmer nach seinem Onkel Arnold fragte, antwortete der Geist nur: »Ich sehe einen Mann mit hellem Haar …«
»Aber Onkel Arnold war glatzköpfig«, erwiderte der, der nach ihm gefragt hatte.
»Die andere Seite ist unergründlich«, gab der Geist nur zurück.
Und so ging es die ganze Zeit weiter.
Wer hätte gedacht, dass ein Geisterbesuch so langweilig sein konnte! Fast noch langweiliger als ein gewöhnlicher Erwachsenenbesuch.
Die Teilnehmer der Séance stellten noch ein paar Fragen, bis die Geisterstimme plötzlich meinte, sie müsse jetzt gehen.
Mona hielt die Augen eine ganze Weile geschlossen. Dann sprach sie wieder mit ihrer normalen Stimme:
»Wir danken den Geistern. Wir danken für diesen Augenblick und bitten um Frieden.« Sie stand auf und nahm ihr Windlicht. Dann ging sie wieder im Zimmer herum und blies alle Kerzen aus. Gleichzeitig standen alle unter Murmeln und Stöhnen wieder aus dem Kreis auf. Bestimmt waren einigen die Beine eingeschlafen, weil sie so lange auf dem Fußboden gesessen hatten. Einen Moment später waren alle wieder auf die Füße gekommen und hielten ihre Windlichter in den Händen. Wieder sah es so aus, als ob ihre Gesichter im Raum schwebten, als alle neun dastanden und sich mit ihren Windlichtern verbeugten. Mona dankte den Geistern noch einmal und alle pusteten ihre Teelichter aus.
Alle bis auf eins. Ein zerfurchtes Gesicht mit schwarzen Augenlöchern war immer noch erleuchtet. Der Mund öffnete sich, bildete einen großen schwarzen Leerraum. Eine Stimme, tief und schauerlich, durchströmte den Raum und erschreckte mich zu Tode.
»Finsternis«, sagte die Stimme. »Finsternis gegen Licht!«
Elektra quiekte und drückte sich gegen meinen...