Engström Die Mitternachtsrose
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-86278-972-6
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mittsommerhochzeit
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Reihe: MIRA Taschenbuch
ISBN: 978-3-86278-972-6
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Noelles größter Traum wird wahr, als sie an der Hochzeitstorte der Prinzessin mitarbeiten darf! Bis sie auf Schloss Drottingholm einen verhängnisvollen Fehler macht: In einem geliehenen Festkleid läuft sie dem attraktiven Graf Pilkvist in die Arme ...
Pia Engström liebt das wunderbare Schweden über alles - das ist wohl auch der Grund, warum sie den Handlungsort für ihre Geschichten hier ansiedelt. Dennoch packt ihren Mann und sie ab und an das Fernweh, und sie haben schon Reisen in einige entlegene Winkel der Erde unternommen. Die Liebe zur ländlichen Umgebung hat sie jedoch nie vergessen, und so verbringt sie möglichst viel Zeit in der freien Natur. Schon als kleines Mädchen wusste sie, was sie später einmal werden wollte: Prinzessin oder Schriftstellerin. Da der erste Wunsch sich nur schwerlich realisieren ließ, hat sie umso härter daran gearbeitet, sich zumindest den zweiten zu erfüllen - inzwischen mit beachtlichem Erfolg.
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1. KAPITEL
Die mit grüner Patina überzogenen Kupferdächer der drei Flügel von Kronborg Slott funkelten im klaren nordischen Sonnenschein. Der Himmel über Lovö, der Insel im Mälarsee vor den Toren Stockholms, strahlte so blau, dass es schon fast unwirklich erschien.
Näherte man sich dem Wohnsitz der schwedischen Königsfamilie über die Kronborgsbron – der Brücke, die die Insel mit dem Festland verband –, spiegelte sich die zartgelbe Barockfassade des Schlosses im tiefblauen Wasser, und die unzähligen Fenster glitzerten im Sonnenlicht.
Hinter einem dieser Fenster lag ein kleiner, schlicht eingerichteter Raum, in dem sich zwei Frauen aufhielten.
“Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?” Eva Tusmundsson, die kleinere der beiden, bedachte ihre Freundin Noelle mit einem fast schon ehrfürchtigen Blick.
Noelle Rosenblad, die in der Hofkonditorei arbeitete, drehte sich noch einmal vor dem riesigen Spiegel hin und her, der sich vom Boden bis fast hinauf zur Decke spannte. Der duftige lavendelfarbene Stoff des Kleids für eine der Brautjungfern, die am 19. Juni die Kronprinzessin von Schweden zum Traualtar begleiten würden, schwang bei jeder Bewegung mit. Für einen Moment konnte sie es selbst nicht glauben.
Sie trug das Kleid nur, weil ihre Freundin Eva, die als Schneiderin bei Hofe arbeitete, sie darum gebeten hatte. Eine der Brautjungfern war erkrankt. Da Noelle eine ähnliche Figur besaß, sprang sie nun für sie ein, damit Eva letzte Änderungen vornehmen konnte.
Die Korsage schmiegte sich eng an den Oberkörper und betonte Noelles schlanke Figur vorteilhaft. Der weite Rock ließ sie sehr weich und weiblich erscheinen. Zu dem Ensemble gehörte noch ein zarter, fast durchsichtiger und mit Perlen bestickter Schal, den Eva ihr um die Schultern drapiert hatte.
Noelle schüttelte den Kopf. Ihr war, als würde sie einer Fremden gegenüberstehen. Noch nie hatte sie sich für besonders schön gehalten. Hübsch anzusehen vielleicht – aber schön? Diese Beschreibung traf eher auf ihre ältere Schwester zu. Milla arbeitete ebenfalls für das schwedische Königshaus, hielt sich jedoch zurzeit auf Kungliga Slott, der offiziellen königlichen Residenz in Stockholm, auf. Ihr Teint war wie Milch und Honig, und um das seidige blonde Haar beneidete Noelle ihre große Schwester insgeheim schon seit ihrer Kindheit.
Von klein auf war Noelle die am praktischsten Veranlagte der drei Rosenblad-Schwestern gewesen, die Bluejeans jederzeit einem Rock vorzog. Statt Highheels trug sie Turnschuhe. Die störrischen dunkelbraunen Locken bändigte sie, indem sie morgens ein paarmal mit den Fingern hindurchfuhr und sie dann mit einem einfachen Band am Hinterkopf zusammenfasste.
Und jetzt das!
Diese Frau im Spiegel wirkte so unglaublich sinnlich und weiblich, dass es Noelle fast den Atem raubte. Ob die Sache mit Felix wohl auch so katastrophal verlaufen wäre, wenn …
Sie schüttelte den Kopf und drängte den Gedanken an ihren Exfreund zurück in den hintersten Winkel ihres Unterbewusstseins, wo er zumindest für den Moment keinen Schaden anrichten konnte. Doch sie wusste nur zu gut, dass sie diesen Erinnerungen auf Dauer nicht entkommen konnte. Obwohl es nun schon fast ein halbes Jahr zurücklag, tat es immer noch sehr weh. Dabei schmerzte ihr gebrochenes Herz weitaus weniger als ihr verletzter Stolz.
“Du siehst einfach umwerfend aus!”, erklärte Eva strahlend, dann seufzte sie. “Eine Schande eigentlich, dass eine andere das Kleid zur Hochzeit der Kronprinzessin tragen wird. Es ist wie für dich gemacht!”
Doch Noelle winkte ab. “Ist mir nur recht”, erwiderte sie. “Das hier ist für eine Märchenprinzessin gemacht, und ich bin, ganz gleich, was ich trage, einfach nur Noelle. Und jetzt beeil dich, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!”
Zuerst schien Eva noch etwas sagen zu wollen, dann aber nickte sie. “Also gut, fangen wir an.” Sie griff nach einer Dose mit Stecknadeln und begann, einige Änderungen abzustecken. “Danke noch mal”, sagte sie nach einer Weile. “Es ist wirklich lieb von dir, dass du so spontan einspringst. Ohne deine Hilfe hätte ich jetzt ein Problem.” Gerade als sie eine weitere Nadel aus der Dose nahm, flog die Tür zur königlichen Schneiderei auf und Jonas Bengtsdotter, einer der Küchengehilfen, stürmte hinein.
Als er Noelle erblickte, wurden seine Augen groß. “Wie siehst du denn aus?” Ungläubig schüttelte er den Kopf. “Du musst sofort mitkommen!”
“Was ist los?”, fragte Noelle alarmiert.
“Ich hab vergessen, im Ofen nach den Böden für deine Limonencremetörtchen zu schauen.” Er hob bedauernd die Schultern. “Jetzt sind sie allenfalls noch als Briketts zu gebrauchen!”
“Oh nein!” Erschrocken schnappte Noelle nach Luft. “Die Törtchen sind für das Bankett heute Abend!”, rief sie verzweifelt.
Ohne weiter nachzudenken, lief sie los.
“Warte, du kannst doch nicht …” Den Rest von Evas Worten hörte Noelle nicht mehr, weil sie bereits zur Tür hinaus war und den Gang entlang rannte. Sie musste unbedingt sofort zurück in die Küche, um zu retten, was noch zu retten war! Falls es dazu überhaupt noch irgendeine Möglichkeit gab.
Diese Frage stellte Noelle sich immer wieder, während sie den langen Korridor hinuntereilte. Um etwas Zeit zu sparen, verließ sie den Dienstbotentrakt des Schlosses und nahm die Abkürzung durch die Eingangshalle mit ihren prachtvollen Deckengemälden und den nördlichen Drabantensaal, der früher als Wachstube gedient hatte. Sie benutzte diesen Weg öfter, um Eva während ihrer Pausen einen Besuch abzustatten. Aber noch nie war er ihr so endlos erschienen wie heute.
Endlich trat sie durch eine schwere Eichentür und gelangte damit wieder in einen Bereich des Schlosses, der nicht für die Öffentlichkeit zugänglich war. Nervös fuhr sie sich mit der Hand durchs Haar. Wenn es stimmte, was Jonas gesagt hatte, war die Arbeit eines ganzen Vormittags dahin! Fridtjof Lundgren würde einen Wutanfall bekommen, wenn er davon erfuhr. Und der Hofkonditormeister war ohnehin nicht besonders gut auf sie zu sprechen …
Der Gang vor ihr zum Küchentrakt des Gebäudes machte einen scharfen Knick nach rechts. Noelle folgte ihm, ohne ihre Schritte zu verlangsamen, als sie plötzlich erkannte, dass ihr aus der anderen Richtung jemand entgegenkam.
“Vorsicht!”, rief sie und versuchte noch auszuweichen, doch es war zu spät. Sie hatte das Gefühl, gegen eine Wand zu prallen. Mit einem erstickten Aufschrei taumelte sie zurück und verlor das Gleichgewicht. Beinahe wäre sie gestürzt, wurde aber im letzten Moment zurückgerissen und fand sich in den starken Armen eines Mannes wieder, der sie um gute zwei Köpfe überragte.
Einen Moment war sie wie erstarrt. Ihr Atem ging stoßweise, und ihre Knie fühlten sich so schwach an, dass sie sich an die Schultern ihres Retters klammern musste, um nicht zu fallen. Aber waren das wirklich Folgen des Zusammenpralls, oder lag es nicht vielmehr an dem männlich herben Duft, der ihr in die Nase stieg?
Hastig befreite sie sich aus der unfreiwilligen Umarmung und trat zwei Schritte zurück.
“Ist bei Ihnen alles in Ordnung?”, erkundigte der Fremde sich. Seine Stimme klang angenehm sanft und warm.
Als Noelle aufblickte, stockte ihr der Atem. Er war unglaublich attraktiv! Dichtes schwarzes Haar umrahmte ein Gesicht, dessen markante Züge auch die Büste einer griechischen Gottheit hätten zieren können. Unter dem eleganten Anzug erahnte Noelle eine muskulöse Figur. Am beeindruckendsten aber waren seine Augen, so blau und tief wie das Wasser des Mälarsees.
“… hoffentlich nicht verletzt?”
Sein fragender Blick holte Noelle in die Realität zurück. Sie schüttelte den Kopf, wie um sich von diesem seltsamen Bann zu befreien, in den er sie gezogen hatte. “Wie bitte?”, erwiderte sie atemlos.
“Ah, Sie können ja doch noch sprechen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, Sie hätten bei unserem kleinen Zusammenstoß Ihre Stimme verloren.” Er lächelte, und die Wirkung dieses Lächelns war einfach umwerfend. Noelles Herz begann zu flattern wie ein Vogel im Käfig, und in ihrem Bauch kribbelte es verdächtig.
Genug jetzt, ermahnte sie sich. Wenn du nicht aufhörst, ihn anzustarren, machst du dich noch komplett lächerlich!
Sie räusperte sich angestrengt. “Ich kann sprechen”, bemerkte sie dann und hätte sich im nächsten Moment am liebsten selbst geohrfeigt.
“Freut mich, das zu hören.” Er schmunzelte. “Mein Name ist übrigens Henrik Albrektson. Sind Sie eine der Brautjungfern für die bevorstehende Hochzeit?”
Es dauerte einen Moment, bis Noelle realisierte, was er da gerade gesagt hatte. Dann sah sie an sich hinab und unterdrückte ein Stöhnen. Oh nein, das durfte doch nicht wahr sein! Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie immer noch das Kleid der Brautjungfer trug.
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als sie erneut zu dem attraktiven Fremden aufsah. “Es tut mir leid, aber ich muss jetzt gehen.”
In Windeseile raffte sie den Rock, wandte sich ab und eilte in die Richtung davon, aus der sie gekommen war. Bis zur nächsten Biegung des Korridors spürte sie noch seinen Blick in ihrem Rücken, dann atmete sie auf.
Doch ihre Erleichterung währte nur einen Moment, da er plötzlich rief. “Warten...