Ernst | Saat auf Hoffnung | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 217 Seiten

Ernst Saat auf Hoffnung


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1189-7
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 217 Seiten

ISBN: 978-3-8496-1189-7
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In 'Saat der Hoffnung' erzählt Ernst die Geschiche einer Familie im Harz. Nachdem das von ihnen betriebene Bergwerk unrentabel geworden ist werden die Probleme täglich mehr. Bis es zu einem Aufstand der Arbeiter kommt ...

Ernst Saat auf Hoffnung jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material



Herr Steinbeißer ging mit Kurt zum Förderschacht. Ein heftiger Sturm wehte in den hohen Buchen; sich reibende Zweige knarrten, trockenes Holz brach ab und stürzte nieder, Blätter wirbelten und sanken. Wie die beiden in das Gaipelhaus traten, kam ihnen der Aufseher entgegen und begrüßte sie; sie sahen, wie er mit verlegenem Gesichtsausdruck ein Neues Testament in die Tasche steckte.

Herr Steinbeißer sagte, es komme ihm vor, als ob das linke Rad oben trocken laufe; er nahm die Ölkanne und ging mit Kurt zur Treppe. Der Aufseher trat vor ihn hin, wollte ihm die Kanne aus der Hand nehmen und sprach: »Wem die Kuh gehört, der packt sie beim Schwanz.« »Na, mir gehört ja eben die Kuh,« sagte lächelnd Herr Steinbeißer. »Hier bin ich der Aufseher, und wenn etwas nachzusehen ist, so ist das meine Sache,« erwiderte der Mann. »Es ist gut, ich weiß, daß Sie Ihre Pflicht tun,« sagte Herr Steinbeißer und wollte ihn aus dem Wege schieben; aber der Aufseher wich nicht und erklärte: »Das ist keine Arbeit für Sie. Der Turm pendelt oben zehn Zoll; wenn Sie heruntergeblasen werden, dann bin ich schuld daran.« »Sie können auch nichts weiter, wie sich festhalten,« sagte der Herr. »Wenn mir mein Herr den Vorwurf macht, daß ich das Rad trocken laufen lasse, so muß ich nach oben, das ist meine Pflicht,« erwiderte der Mann hartnäckig und fuhr fort: »Wenn ich in meinem Beruf sterbe, so hat das so sein sollen, dafür bin ich der Aufseher hier, und meine Familie ist versorgt.«

Herrn Steinbeißer schwoll die Ader auf der Stirn über den Widerspruch, er stampfte mit dem Fuß auf und rief: »Holen Sie sich Ihren Abkehrschein.« »Gut,« erwiderte der Mann und ließ die beiden nun vorbei; »wenn ich entlassen bin, so habe ich ja hier nichts mehr zu sagen«; dann ging er in seine Stube, deren Tür er krachend zuschlug, indessen die beiden hochstiegen. »Du mußt den Mann wiedereinstellen, nachher; er ist ja im Recht, und er ist immer ein ordentlicher Kerl gewesen,« sagte Herr Steinbeißer zu Kurt.

Auf der halben Höhe des eisernen Turmes, über dem Dach des Gaipels, war in das eiserne Gerüst eine kleine Kammer aus gewelltem Eisenblech mit Glasscheiben an allen vier Seiten vernietet. Hier ruhten die beiden eine Weile aus von dem anstrengenden Steigen. Schon waren sie über den Wipfeln der Buchen; der Sturm drückte mit furchtbarer Gewalt auf den kleinen Kasten, in welchem sie standen; sie fühlten das leise Schwanken des Gerüstes, hörten das Surren der Räder oben, das Rasseln und Klappen in den eisernen Stangen und Trägern, das Heulen, Zischen und Pfeifen des Sturmes.

Sie konnten sehr weit sehen von ihrer schwankenden Stelle aus; über die kleinen Häuser und Gärten im Tal, wo die Arbeiter wohnten, in die Ebene hinaus bis zu einem entfernten Gebirgszug, auf dessen äußerster Höhe die Ruine einer alten Kaiserpfalz deutlich zu erkennen war. Lange sah sich Steinbeißer das alles an; darauf ging er zu einem anderen Fenster, aus dem er in den Wald hineinblicken konnte; losgerissene trockene Blätter wirbelten in der Luft; auch das dritte Fenster ging auf den Wald; vom vierten Fenster aus sah man in den oberen Abschnitt des Tales, die beiden Drahtseile entlang, zu dem Hause, in welchem seit vielen Geschlechtern die Familie gewohnt, in welchem er selber den größten Teil seines Lebens verbracht hatte.

»Ich bin doch undankbar gewesen,« sagte er. »Mein Leben war mir gleichgültig geworden. Aber ich habe doch etwas schaffen können, und ich glaube, daß es richtig ist, was ich gemacht habe. Man muß vom Zufälligen und Einzelnen loskommen. Wir sind ja doch alle zufällig, und ich bin nicht anders, wie jeder einzelne von diesen Leuten, die da unten wohnen. Aber wenn man irgendwie in eine bedeutende Stellung kommt, so überschätzt man leicht seine eigene Wichtigkeit, und was man durch die Tatsache geleistet hat, daß man nun einmal in dieser Stellung war, das hält man für eigene Leistung. Dankbar muß man sein, wenn man in solcher Stellung hat sein dürfen, ich aber bin doch eigentlich im Grunde hochmütig gewesen.

Wie wunderbar ist das nicht; vor tausend Jahren lebten hier einige rohe Menschen, die vielleicht gebändigt wurden durch einen Aberglauben, der von ihrem Priester ausging; denn was eigentlich das Christentum sagen wollte, das verstand ja wahrscheinlich noch nicht einmal der Priester. Dort in der Ferne, in jener Burg, war zuweilen der Kaiser mit seinen Beamten; er mußte wohl weite Gedanken haben, damals sind wohl die Herrscher die bedeutendsten Menschen ihrer Zeit gewesen, denn sie waren die einzigen, die viel zu überblicken hatten. Wie einsam mag ihm zwischen den ungebildeten Rittern, dem rohen Volk gewesen sein! Ob er sich seiner Aufgabe bewußt war, daß er auf vielen Wegen die Menschen einsichtiger machen sollte? Damals rollten plumpe Wagen mit Rädern aus einem Bohlenstück geschnitten, von Kühen gezogen; heute jagt dort unten ein Kraftwagen vorbei. Ich habe wohl früher gedacht: das bedeutet ja doch nichts; macht denn das äußere Wohlergehen einen Unterschied aus! Ich hatte gedacht: Meine Arbeit ist doch eigentlich einerlei; sind denn die Menschen anders, wenn sie sich besser ernähren können, haben sie dann eine andere Seele? Und auf die Seele kommt es ja doch an. Zuweilen schien mir sogar, daß das Wohlergehen ihrer Seele schädlich ist. Aber jetzt sehe ich ein: das waren falsche Gedanken. Wir müssen das Zufällige und Einzelne vergessen. Wie die Menschen reicher geworden sind, haben sie doch auch angefangen, das Christentum zu verstehen, dann sind sogar Menschen über das Christentum hinausgekommen. Es sind heute so freie Menschen möglich, wie selbst noch vor hundert Jahren nicht möglich waren. Und wenn meine Arbeit auch nur war, daß einige tausend Menschen, die früher in Unordnung lebten, nun in Ordnung leben und kleinem Behagen; aus ihnen wird doch irgend etwas Höheres wieder kommen, das ich nicht ahnen kann, aber für das meine kleine Arbeit eine Voraussetzung gewesen ist. Nun sieh« – und er zeigte Kurt mit der Hand weit in die Ebene hinaus – »dort sollen Güter gekauft werden und aufgeteilt, viele neue Häuser sollen gebaut werden, in jedem soll eine Familie wohnen und ordentlich leben, die Kinder ehrlich erziehen und suchen weiterzukommen. Das hilft, das hilft. Die Menschen kommen doch höher. Sie steigen langsam, aber sie steigen. Ja, ich habe nicht umsonst gelebt. Ohne mich wohnte hier ein elendes Volk ohne Hoffnung und Zukunft, ohne mich würde dort in der Ebene keine Ansiedlung geschehen; heimatlose Polen würden da weiter pflügen und hacken, ohne zu wissen, weshalb sie arbeiten. Aber nun werden dort Leute leben, die höher kommen können. Ja, ich bin undankbar gewesen, daß ich nicht immer glücklich war; ich habe ein glückliches Leben geführt, und alles Leid, das ich getragen, das sehe ich mit dankbarem Gemüte nun ein, war nötig für mich, daß ich eine solche Arbeit ergriff, denn sonst hätte ich gelebt wie andere auch, die viel Geld verdienen und töricht ausgeben. Ich bin dankbar, Kurt, ich bin dankbar, denn ich habe ein Leben führen dürfen, wie es selten einem Menschen beschieden ist.«

Er reichte Kurt zum Abschied die Hand. Kurt sprach: »Segne mich« und kniete vor ihm hin; Steinbeißer legte ihm beide Hände aufs Haupt und sagte: »Lebe so, daß du einst so in den Tod gehen kannst wie ich.« Kurt erhob sich, sie waren beide plötzlich verlegen geworden darüber, daß sie ihre Gefühle laut geäußert hatten.

Steinbeißer öffnete die Tür nach außen; der Wind drückte gegen sie; er stemmte sich mit der Schulter; sie flog auf und schlug krachend gegen die äußere Wand. Er trat hinaus, der Sturm riß ihm den Hut vom Haupt; Kurt versuchte ihm zu helfen, die Tür wieder zu schließen. Sie wußten beide nicht, weshalb sie sich so mühten, die Tür wieder zu schließen. Die Tür blieb offen, durch die Gewalt des Sturmes an die Wand gepreßt, gegen die sie geschlagen war. Die Glasscheiben waren gesprungen. Da reichte ihm Kurt die Ölkanne, die er vergessen hatte. Steinbeißer nahm sie; aber in dem Augenblick, da sein Finger den Henkel berührte, wurde sein Gesicht totenbleich, die Augen ganz groß und stier; er stieß die Kanne heftig zurück; einen kleinen Augenblick standen sich die beiden still gegenüber, sie waren beide in Angst; dann lachte Steinbeißer gezwungen auf und sagte: »Jedes Leben will sich erhalten,« und nun nahm er die Kanne mit festem Griff, ging außen auf der Plattform von der Tür zu der schmalen eisernen Treppe, die sich innerhalb der vier eisernen Pfeiler des Turmes zwischen den vernieteten Stangen nach oben wand bis zu dem schmalen Eisenblech neben den Achsenlagern der Räder. Kurt sah ihn vor dem Fenster vorbei in die Höhe steigen; die Ölkanne hielt er mit dem kleinen Finger, denn mit beiden Händen mußte er sich am Geländer festklammern. Der Sturm trieb ihm das weiße Haar zur Seite, die Schöße des Mantels; auf seinem Gesicht war nichts zu lesen wie der Gedanke, den Sturm zu überwinden. So ging er nach oben durch das Heulen, Pfeifen, Zischen, Klirren, Schlagen und Klappern zu den sausenden ungeheuren Rädern. Kurt lauschte, er wußte nicht wie lange, Minuten oder Stunden. Sein Herz klopfte ihm laut. Zuletzt knöpfte er den Mantel fest zu, nahm den Hut in die Hand und ging wieder nach unten, den Weg allein zurück, den er vorhin mit dem Vater gegangen. Wie er unten im Gaipel angekommen war, zögerte er einen Augenblick, dann raffte er sich zusammen, trat aus der Tür und schritt um das Haus. Da lag vor ihm der abgestürzte Körper seines Stiefvaters; unentstellt; der kleine Finger hielt noch die Ölkanne fest; die Kapsel hatte sich gelöst...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.