Ernst | Tagebuch eines Dichters | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 417 Seiten

Ernst Tagebuch eines Dichters


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1190-3
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 417 Seiten

ISBN: 978-3-8496-1190-3
Verlag: Jazzybee Verlag
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Paul Ernst, unter seinen Zeitgenossen einsam und im Wesentlichen kaum verstanden, pflegte sein Erleben und Erfahren überpersönlich zu betrachten, im Zusammenhang mit unserem gemeinsamen Schicksal und unseren Aufgaben zu sehen, und so entsprach es ihm, daß er gewissermaßen ein öffentliches Tagebuch führte, in dem er Gedanken und Erlebnisse seiner Tage in Zeitungsaufsätzen ganz allgemeinen Inhaltes festhielt. Zu diesen größtenteils im parteilosen roten 'Tag' erschienenen Aufsätzen war die äußere Veranlassung meist geringfügig, oft nur eine Buchbesprechung oder eine Tagesbegebehnheit, aber durch die Art, wie der Dichter eine aufgenommene Frage mit siner Wirklichkeitsanschauung erfüllt und bis in ihre Tiefen treibt, gibt er ihrer Erörterung etwas über den Einzelanlaß und die eigene Zeit hinaus Bedeutsames. Die Auswahl und Anordnung der vorliegenden Aufsätze traf Paul Ernst erst auf seinem Gut Sonnenhofen in Oberbayern, wo er von 1918 bis 1925 lebte. (aus wikipedia.de)

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Es wird oft genug festgestellt, daß die Gegenwart die Wissenschaft pflegt und unterstützt, nicht nur durch alle möglichen Einrichtungen und durch eine geschickte Organisation der wissenschaftlichen Arbeit, sondern auch durch sofortige Anerkennung und Belohnung hervorragender Leistungen, welches dann die Leistungsfähigkeit bedeutender Leute naturgemäß steigert; Fälle, wo durch Fachneid außergewöhnliche Personen unterdrückt werden, sind außerordentlich selten, denn dem ja allgemein menschlichen Fachneid und dem Wunsch Gleichstrebender, Neuartiges nicht aufkommen zu lassen, steht das lebhafteste Interesse der gesamten Gesellschaft gegenüber.

Im Mittelalter sehen wir den entgegengesetzten Zustand. Nicht nur fehlen alle heutigen wissenschaftlichen Einrichtungen; es wird auch ein entschiedener Druck von den verantwortlichen Vertretern der Gesellschaft auf die Wissenschaft ausgeübt durch Verschweigen der Leistungen und selbst durch Verfolgen der Persönlichkeiten.

Im Mittelalter aber und in allen aristokratischen Zeiten sehen wir eine starke Anteilnahme der Gesellschaft für die Kunst; und in einer Weise, die uns heute unbegreiflich erscheint, fehlt die eigentlich elende Kunst vollständig; denn zwar gibt es bessere und geringere Künstler, auch wohl einmal einen ganz schlechten, aber das, was man heute Kitschiers nennt, fehlt vollständig. In der Gegenwart dagegen herrschen in der öffentlichen Meinung jedesmal die Kitschiers von höherer oder niederer Ordnung, und die wirklichen Künstler müssen indessen in der Dunkelheit, in Mangel an Anerkennung und Lohn schaffen, können also nicht das leisten, was sie unter anderen Verhältnissen leisten würden. Und man halte nicht entgegen, daß es ja offenbar Zeiten gibt, in welchen keine künstlerisch schöpferischen Genies geboren werden; eine Anzahl künstlerisch schöpferischer Genies sind doch in den letzten Geschlechtern aufgetreten; mag man ihre Kraft noch so gering ansetzen, immerhin waren sie doch etwas, während die gleichzeitigen Größen des Publikums nichts waren; und kein einziger von ihnen wurde gefördert, alle wurden mehr oder weniger unterdrückt.

Eine solche merkwürdige Erscheinung muß doch Ursachen haben; vielleicht liegen diese Ursachen im Bau der Gesellschaft, und vielleicht können wir die Gesellschaft, in welcher wir leben, und welche wir für die naturgemäße halten, besser verstehen, wenn wir diese Ursachen zu erkennen vermögen.

Wenn man von bürgerlicher oder adeliger Gesellschaft spricht, so meint man, daß diese Gesellschaft nicht nur ihre herrschende Klasse im Bürgertum oder im Adel hat, sondern auch, daß diese herrschenden Klassen der ganzen Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken, indem ihre Empfindungen die allgemeinen Empfindungen der Völker sind. In der adeligen Gesellschaft gibt es nur wenige Vornehme, aber auch der letzte Tagelöhner teilt in irgendeiner Weise die Empfindungen seiner Herren; in der bürgerlichen Gesellschaft empfinden auch die Könige und vornehmen Herren bürgerlich.

Es gibt natürlich viele Unterschiede zwischen adeligem und bürgerlichem Empfinden: welcher kann der in diesem Fall wichtige sein?

Die gesellschaftliche Stellung der Künstler ist in adeliger und bürgerlicher Gesellschaft ganz verschieden. Die ausübenden Künstler, Schauspieler, Musiker und dergleichen, von denen hier im übrigen nicht die Rede sein soll, sind in adeligen Gesellschaften verachtet und bilden einen Stand, welcher dem der Gaukler und Dirnen nahe steht; Baumeister, Bildhauer und Maler gelten als Handwerker, deren Geschicklichkeit man schätzt, die man im übrigen aber durchaus zu den »Leuten« rechnet; die Dichter haben als Dichter keine besondere Stellung, sondern ihre Stellung richtet sich nach ihren sonstigen gesellschaftlichen Eigenschaften, man rechnet sie zu den Gauklern und Seiltänzern, oder sie gehören zu den Bürgern, Kriegern, vornehmen Herren und Vertretern der Kirche.

Heute gelten die Künstler jeder Art als eine Art von Menschen, welche hoch über dem durchschnittlichen Bürgertum stehen; soweit man bei dem gesellschaftlichen Durcheinander heute überhaupt ordnen kann, muß man sie jedenfalls den höheren Schichten der Gesellschaft zurechnen und nicht mehr den mittleren oder gar dem Bodensatz.

Nun kann man sagen, daß eine gute gesellschaftliche Stellung dem Talent schadet. Eine Schauspielerin, die heute Abend an der Tafel einer Exzellenz glänzt, kann unmöglich morgen die Balkonszene in der »Julia« gut spielen. Und mutatis mutandis geht es den anderen, nicht ausübenden Künstlern gerade so. Aber damit verschiebt man nur die Frage, denn man sagt damit ja nichts anderes, als daß heute in den Künsten talentlose Leute im Vordergrund stehen; eine Schauspielerin, die wirklich Talent hat, wird keinen Ehrgeiz nach Exzellenzentafeln äußern; jeder wirkliche Künstler ist am glücklichsten, wenn er mit äußeren Ehrungen möglichst verschont wird, damit er seine Zeit und Kraft für seine Arbeit verwenden kann und seine Erholung in der ihm angenehmen Weise zu suchen vermag, nämlich unter Leuten, die irgendwie durch Temperament, Gesinnungen, Empfindungen seinesgleichen sind.

In der adeligen Gesellschaft weiß jeder durchaus, was er ist, und dadurch weiß er auch, was er nicht ist. Jeder hat Menschen über sich, jeder aber, außer den Leuten, die draußen stehen, hat auch noch Menschen unter sich; und dieses Letztere ist viel wichtiger als das Erstere, denn aus diesem Umstand ergibt sich ein unerschütterliches Selbstbewußtsein in bezug auf das, was man ist. Der letzte Flickschuster hat gern tausend Staffeln der gesellschaftlichen Leiter über sich, wenn er, nur sicher sein kann, daß er drei, vier Staffeln unter sich hat. Ehrgeiz und Eitelkeit der Einzelnen, und der Ehrgeiz war damals ebensogroß wie heute die Eitelkeit, wenden sich dadurch vom Gesellschaftlichen ab auf das Persönliche und damit mehr oder weniger Sittliche. Die Frau des Flickschusters darf nicht so schöne Kleider tragen wie die Frau des Kaufmanns, aber der Flickschuster kann in seiner Art ein ebenso tüchtiger oder noch tüchtigerer Mann sein wie der Kaufmann.

In der bürgerlichen Gesellschaft weiß niemand, was er ist, und so sind dem gesellschaftlichen Ehrgeiz keine Schranken gesetzt. Die Klassen gehen durcheinander, haben keinerlei äußere Kennzeichen; Familien steigen auf und ab in den Klassen, in den Großstädten, bei wichtigen Handlungen des Lebens, in wichtigen Einrichtungen findet eine offenkundige Gleichmachung statt. Da die Menschen trotz aller bürgerlichen Einrichtungen doch verschieden sind, so fühlen sie sich trotz alledem doch auch wieder als verschieden, aber sie haben die Sicherheit dieses Gefühls verloren, denn sie wissen nicht, ob es von den anderen anerkannt wird. Deshalb verteidigt jeder seine gesellschaftliche Geltung, sucht gleichzeitig eine höhere zu erreichen, wehrt sich gegen jeden Anspruch von Überlegenheit bei anderen Menschen. Der Drang zum Höheren wird nun nicht mehr ausschließlich auf das Persönliche gerichtet, er wird zum großen Teil vom Gesellschaftlichen aufgesogen, die Eitelkeit wird immer weniger persönlicher, immer mehr gesellschaftlicher Natur. Aber das Persönliche hängt von uns ab: ein tüchtiger Mensch weiß, daß er tüchtig ist, auch wenn ihn niemand gelten läßt; das Gesellschaftliche hängt von den anderen ab: ob man mich für vornehm hält, das wird von den anderen entschieden, nicht von mir. Dadurch kommt Mißtrauen und Unduldsamkeit in die Menschen gegenüber den anderen Strebenden. Der mittelalterliche Flickschuster ordnete sich gesellschaftlich dem Kaufmann unter, der heutige begehrt auf: ich bin ebensoviel wie er.

Nun gehört es zum Wesen der Kunst, daß sie Herrschaft ausübt. Die Menschen glauben mit ihren Augen die Dinge zu sehen, sich mit ihren Empfindungen zu ihnen zu stellen. Sie irren sich, sie sehen mit den Augen, empfinden mit den Empfindungen früherer Künstler. Das geht bis zum scheinbar Äußerlichsten, bis zum Aufnehmen der Farben in der Natur, bis zum scheinbar Innerlichsten, bis zur Rückwirkung auf seelische Reize. Diese Herrschaft ist gewiß von allen Herrschaften die unschuldigste, die Menschen haben sich ihr stets gern und freudig gebeugt, und ein großer, sicher der reinste Teil des menschlichen Glücks hat in der ruhigen und selbstverständlichen Anerkennung dieser Herrschaft bestanden, und von den großen geistigen Mächten, der Religion, der Liebe und der Kunst, war die Kunst immer die freundlichste und gütigste: sie konnte ja immer nur mit Einwilligung des Menschen wirken. Die heutige Unbotmäßigkeit aber, das Mißtrauen gegen jedes Höhere und gegen jede Herrschaft, die Gleichmachungsbestrebungen, stimmen die Manschen argwöhnisch und bald feindlich gegen die Kunst. Das ist aber immer nur die neue Kunst, die von dieser Gegnerschaft betroffen wird, denn die ältere ist allmählich immer schon in das Bewußtsein eingedrungen und herrscht, ohne daß die Menschen es wissen.

Diese Deutung leuchtet ein, wenn man die Geschichte der neueren Künstler im einzelnen betrachtet, denn man sieht mit Erstaunen, daß unter Umständen eine offene Feindschaft vorhanden ist. Die Olympia Manets, welche jetzt im Louvre als klassisches Bild wirkt und mit Ehrfurcht...



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