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E-Book, Deutsch, 142 Seiten
Esche / Göltzner / Klein Sinn gesucht - Gott erfahren Basisschulung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7615-7087-6
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fit für Erlebnispädagogik im christlichen Kontext
E-Book, Deutsch, 142 Seiten
ISBN: 978-3-7615-7087-6
Verlag: Neukirchener
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Henry Esche ist leitender Jugendbildungsreferent der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Seit 2011 arbeitet er zudem in verschiedenen Kontexten als Wildnis- und Erlebnispädagoge mit dem Fokus auf Bildungsprozesse in der Kinder- und Jugendarbeit. Seine Schwerpunkte liegen in der Konzeption, Durchführung und Weiterentwicklung partizipativer Bildungsformate für junge Menschen in kirchlichen und außerschulischen Kontexten.
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Was ist Erlebnispädagogik und was will sie?
Die Erlebnispädagogik ist ein vielschichtiges pädagogisches Konzept, das sich gar nicht so leicht definieren lässt. Es gibt jedoch einige pädagogische Grundgedanken und Grundprinzipien, die wir in der Basisschulung und in diesem Handbuch vorstellen wollen.
Im Kern wird Erlebnispädagogik heute als ganzheitlicher Bildungsansatz verstanden, der darauf abzielt, Menschen nicht nur auf der kognitiven Ebene anzusprechen, sondern sie ganzheitlich in ihrer Persönlichkeit zu fordern und fördern. Oft wird der erlebnispädagogische Ansatz daher in der Trias von „Kopf, Herz und Hand“ zusammengefasst. Diese drei Dimensionen, auch übersetzt mit Denken, Fühlen und Handeln, stehen ganz in der Tradition des Schweizer Pädagogen J.H. Pestalozzi (18./19. Jahrhundert). Der Mensch lernt und wächst demnach nicht nur durch die intellektuelle Auseinandersetzung (Kopf) mit einem Thema, sondern durch die Einbeziehung seiner emotionalen Kompetenzen (Herz) und praktischen Fähigkeiten (Hand). Was ist damit gemeint? Das werden wir weiter auffächern und uns so einer Definition der Erlebnispädagogik annähern:
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Kopf (Denken): Erlebnispädagogische Methoden regen die Teilnehmenden dazu an, Situationen und Verhaltensweisen zu analysieren und neue Wege und/oder Lösungen (individuell und gruppenspezifisch) zu entwickeln. Dabei sollen vielfach neue Perspektiven eingenommen und gewonnen werden. Erlebnisse und daraus resultierende Erkenntnisse können und sollen im Entwicklungsprozess auf unterschiedliche Lebenssituation abstrahiert (transferiert) werden.
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Herz (Fühlen): Ein wesentlicher Aspekt der Erlebnispädagogik ist es, emotionale Prozesse in das Lernen zu integrieren, zu beleuchten und zu verstehen. Durch intensive Herausforderungen werden Emotionen angesprochen und die Selbstwahrnehmung für diese geschärft (u.a. durch den Abgleich mit der Fremdwahrnehmung). Gefühle wie bspw. Freude, Stolz oder Angst werden aktiv reflektiert und bewusst gemacht, was zur persönlichen Weiterentwicklung beiträgt (Stichwort „emotionale Kompetenz“).
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Hand (Handeln): Erlebnispädagogik ist im höchsten Maße handlungsorientiert und aktivierend. Die Teilnehmenden lernen, indem sie aktiv und praktisch miteinander interagieren. Ob bei einem Klettererlebnis, einer kooperativen Gruppenübung oder einer Übernachtung in der Wildnis. Das praktische Tun und Erleben steht im Mittelpunkt.
Damit hätten wir nun bereits einige Grundlagen für die moderne Erlebnispädagogik festgehalten. Als Zwischenfazit lässt sich sagen, dass Erlebnispädagogik weit über das bloße kognitive Vermitteln von Wissen („Frontload“) hinausgeht. Im Mittelpunkt steht das direkte und oft ganzheitliche Erleben von Situationen, die eine tiefgreifende persönliche Entwicklung und Stärkung sozialer Kompetenzen ermöglichen. Herausforderungen, sowohl individueller als auch gruppenspezifischer Natur, sind dabei zentrale Elemente. Sie offenbaren nicht nur persönliche Stärken und Entwicklungspotentiale, sondern verdeutlichen auch die Wechselwirkungen innerhalb der Gruppe.
Betrachten wir beispielhaft den Teamentwicklungsprozess einer Schulklasse. Selbstverständlich könnte dieser auch im Klassenzimmer – auf eher kognitiver Ebene – thematisiert werden. Ein erlebnispädagogischer Ansatz hingegen nutzt ein verändertes Setting außerhalb des Klassenzimmers und bezieht unmittelbare Erfahrungen auf weiteren Ebenen ein. So können die Themen der Klasse zum Beispiel im Rahmen eines Abenteuertages im Wald aufgegriffen werden – in einem bewusst gestalteten Setting, das durch Spannung, Herausforderung und Abwechslung eine hohe intrinsische Motivation erzeugt. Indem die Gruppe vor ungewohnte und motivierende Herausforderungen gestellt wird, wird der Teamentwicklungsprozess nicht nur theoretisch besprochen, sondern kann direkt erlebt, reflektiert und aktiv bearbeitet werden. Ein solcher Perspektivwechsel kann zu wertvollen Aha-Momenten führen („So haben wir das noch nie gesehen!“) und damit nachhaltige Veränderungen ermöglichen. Die Erlebnispädagogik geht davon aus, dass unmittelbare und ganzheitliche Erfahrungen im veränderten Setting dazu beitragen, persönliche und gruppendynamische Fragestellungen sichtbar zu machen und gewinnbringend zu thematisieren.
Mit diesem ersten Impuls zum „Denken, Fühlen und Handeln“ im Hinterkopf, möchten wir tiefer eintauchen und eine tatsächliche Definition aus der Fachliteratur betrachten. Diese liefern uns Heckmair und Michl in ihrem Grundlagenwerk „Erleben und Lernen“ (2018). Einige der zuvor genannten Aspekte finden sich darin wieder und werden innerhalb dieser Definition sinnvoll ergänzt.
„Das Konzept der Erlebnispädagogik will als Teildisziplin der Pädagogik junge Menschen durch exemplarische Lernprozesse und durch bewegtes Lernen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen – vornehmlich in der Natur – stellen, um sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und sie zu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten.“[1]
Erlebnispädagogik stellt das Lernen durch aktives Erleben in den Vordergrund. Sie ermöglicht es den Teilnehmenden, durch direktes Erfahren statt durch bloße theoretische Wissensvermittlung zu lernen. Unserer Ansicht nach macht dies das Konzept auch für junge Menschen so attraktiv: Die Partizipation ist durch den praktischen, handlungsorientierten Ansatz meist recht niederschwellig und zugleich attraktiv (spannende Methoden).
Lernen in der Erlebnispädagogik geschieht innerhalb exemplarischer und „inszenierter“ Lernsituationen mit Ernsthaftigkeitscharakter. Was ist damit gemeint? Wir können uns die „Lernsituationen“, also bspw. eine Kooperationsübung, vorstellen wie eine Straße: Die Teilnehmenden bewegen sich auf dieser Straße. Die Straße, also die Lernsituation, ist durch klare Regeln und Strukturen (vergleichbar mit Leitplanken) begrenzt. Die Leitplanken sind die Regeln der Übung und die Vereinbarungen des gemeinsamen Miteinanders. Sie bieten Orientierung und geben den Teilnehmenden Sicherheit, ohne die Ernsthaftigkeit der Situation zu mindern (also so gestaltet, dass sich Aufgabe und Anforderung wie ein natürlicher Sachzwang ergeben und die Teilnehmenden die Situation als realitätsnah und bedeutungsvoll erleben). All das haben wir in einer klassischen Kooperationsübung. Aus diesem Grund sprechen wir von exemplarischen Lernprozessen: Sie spiegeln die reale Welt in einem geschützten Rahmen wider, einer Art „kleiner exemplarischer Kuppel der Realität“[2]. Die Teilnehmenden werden in eine Lernsituation geführt, in der sie sich beweisen und eigene Lösungswege finden. Diese Erfahrungen übertragen sie reflektierend (s. Reflexions- und Transfermodelle) auf ihren (gemeinsamen) Alltag, sodass der Lernprozess als Modell für zukünftige Herausforderungen dient.
Im Zentrum stehen, zumindest im Kontext der Kinder- und Jugendarbeit, junge Menschen, die durch erlebnispädagogische Ansätze in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden. Die Methoden lassen sich jedoch auch flexibel auf andere Altersgruppen anwenden.
Die Lernprozesse in der Erlebnispädagogik basieren auf Herausforderungen, die sowohl körperliche, mentale als auch soziale Fähigkeiten der Teilnehmenden ansprechen. Diese ganzheitliche Herangehensweise fördert das Wachstum auf verschiedenen Ebenen, ohne eine Priorisierung oder Hierarchisierung dieser Bereiche vorzunehmen. Die Herausforderungen existieren gleichwertig nebeneinander, auch wenn sich der Fokus individuell oder gruppenspezifisch (sowie thematisch) verschieben kann.
Es ist wichtig bereits hier zu betonen (eine Vertiefung erfolgt an Tag 2, s. „Vertrauensübungen Block I“ und „Vertrauensübungen Block II“), dass jede Herausforderung von den Teilnehmenden unterschiedlich wahrgenommen wird. Was für die Einen scheinbar „einfach“ oder „problemlos“ zu bewältigen ist, kann für Andere eine erhebliche Hürde darstellen. Diese Subjektivität des Erlebens, auf Basis bisheriger Erfahrungen im Leben, verdeutlicht die Vielschichtigkeit von erlebnispädagogischen Prozessen. Für uns als Trainingsleitung im Kontext der Gruppenarbeit bedeutet dies in der Konsequenz: Wir dürfen mit maximalem Fingerspitzengefühl vorgehen und bedenken, dass wir nicht in unsere Teilnehmenden „hineinschauen können“. Erst das Offenlegen und Thematisieren der Erlebnisse, bspw. über gezielte Fragen, kann hier Klarheit bringen. Besonders im Bereich emotionaler Herausforderungen bleiben viele individuelle, emotionale Prozesse unsichtbar und (zunächst) verborgen. Die sichtbaren Anteile der emotionalen Prozesse mögen klein erscheinen („das war doch scheinbar eine ganz einfache Herausforderung für ihn“), während die tieferen, emotionalen Prozesse oft verborgen bleiben („das war absolut krass für mich“).