E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Fässler / Steiner Himmelsstürmer
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-451-82347-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Berufungsguide zum Ordensleben
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-451-82347-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie finde ich meinen Weg im Leben, treffe die richtigen Lebensentscheidungen? Diese Fragen kennen alle jungen Menschen. Pater Thomas und Pater Philipp aus dem Schweizer Kloster Einsiedeln führen diese Fragen weiter und geben jungen Männern Orientierung, die eine Berufung zum Ordensleben prüfen. Welche Gemeinschaft passt für mich? Was gibt mir Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein? Die beiden Autoren erzählen von ihrem Berufungsweg, weitere Ordensleute bringen die Perspektive ihrer jeweiligen Gemeinschaft ein. Junge Männer, die sich von einem Leben im Kloster angesprochen fühlen, erhalten Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
2
Was ist »Berufung«?
Als Christen glauben wir, dass Gott einen jeden von uns zu einer bestimmten Aufgabe berufen hat. Doch nicht nur das: Er hat uns zugleich auch mit den dafür notwendigen Fähigkeiten ausgerüstet – oder zumindest mit den Anlagen, um uns diese anzueignen. Dabei liegt es an uns, herauszufinden, welcher Weg es nun ist, der für uns bestimmt ist, wo wir uns entfalten können und wie wir ein Leben führen, das wir als erfüllt empfinden. Denn wer meint, er müsse unbedingt Ordensmann werden, dazu aber gar nicht berufen ist, wird sein Glück bestimmt genauso wenig finden wie jemand, der nicht den Schritt in eine Ordensgemeinschaft wagt, obwohl dies seine Berufung wäre, und stattdessen diesen oder jenen Beruf ausübt. Dabei gibt es – und das ist wichtig – keine Berufung, keinen Weg, der an sich besser wäre als der andere. Es gibt nur Wege, die zu dir passen, und solche, die es nicht tun. Jeder von uns weiß, wie wesentlich, ja unumgänglich die Frage nach dem eigenen Lebensweg ist. Deshalb ist es wichtig, dass du dir genügend Zeit für sie nimmst und du völlig ehrlich mit dir bist. Schließlich geht es um nichts weniger als um dein Leben! Es ist tragisch, dass so viele Menschen aus irgendwelchen Gründen nicht das tun, wozu sie eigentlich berufen wären – dass beispielsweise jemand mit einer künstlerischen und kreativen Ader nur deshalb Banker wird, weil er sich auf diesem Weg einen besseren Verdienst verspricht. Und wie viele Leute machen einfach das, was in ihrem Umfeld allgemein als gut und erstrebenswert gilt? Dabei steht das Leben in einem Orden – sei es für sich selbst oder für andere – heute bei vielen nicht gerade an oberster Stelle, wenn es darum geht, eine Liste mit erstrebenswerten Lebensoptionen zu erstellen. Es steht aber auch nicht ganz unten. Es steht vielmehr nirgendwo. Denn für die meisten Menschen ist ein solcher Lebensentwurf überhaupt kein Thema, weil er ihnen schlicht unbekannt ist. Der Weg in eine Ordensgemeinschaft ist für die meisten unserer Zeitgenossen außerhalb des Vorstellbaren, völlig »out of the picture«. Wenn wir vor großen Fragen stehen, ist es jeweils hilfreich, wenn wir zuerst einmal das große Ganze betrachten, bevor wir anschließend zu den Einzelheiten gehen. Diesen Weg wollen deshalb auch wir in der Frage nach der eigenen Berufung einschlagen. Denn für welchen konkreten Pfad wir uns auch immer entscheiden: So oder so sind wir als Christen aufgrund unserer Taufe dazu berufen, Zeugen der Gegenwart Gottes unter uns zu sein – für seine Liebe und Treue zu uns Menschen. Dies tun wir durch die Art und Weise, wie wir leben, wie wir anderen begegnen, wie wir sprechen. In alledem sollte für andere die Liebe erfahrbar sein. Denn die Liebe ist unsere allererste Berufung: die Liebe zu Gott, zu unseren Nächsten und zu uns selbst. Wenn diese Grundberufung unser Leben prägt, dann bleiben wir als »Himmelsstürmer« auf Kurs – und zwar auf unser letztendliches Ziel hin, für immer bei Gott zu sein und (so würden wir Theologen es ausdrücken) unser Heil zu erlangen, heilig zu werden. Das ist die Grundberufung, die wir mit allen Menschen teilen, ob Mann oder Frau, unabhängig von Nationalität, Alter, Beruf und sonstigen Merkmalen. Darüber hinaus hat nun aber jeder von uns – wie erwähnt – auch eine je eigene Berufung. Sie ist etwas ganz Persönliches und Spezifisches. Ja, selbst jeder Ordensmann hat wieder eine ganz eigene Berufung. Denn selbst wenn wir alle denselben Habit tragen und dieselbe Tagesstruktur miteinander teilen, so tun wir doch nicht alle dasselbe oder tun es zumindest nicht auf dieselbe Art, haben wir doch alle ganz unterschiedliche Interessen und Charismen geschenkt bekommen. Wieso nun aber Gott diese auf jenen Weg, andere wiederum auf einen anderen Weg, ja wieso er einige – vielleicht auch dich – auf den besonderen Weg seiner Nachfolge als Ordensmann gerufen hat und andere wiederum nicht, bleibt sein Geheimnis, uns verborgen, wenngleich wir es auch aus der Bibel kennen, etwa von der Erzählung vom Besessenen von Gerasa, der Jesus nach seiner Heilung nachfolgen wollte: »Er ließ es aber nicht zu, sondern sagte zu ihm: Geh nach Hause zu den deinen und erzähle ihnen, was der Herr Großes an dir getan und wie er sich deiner erbarmt hat« (Markus 5,19). Eines aber wissen wir mit Bestimmtheit: Die je eigene Berufung mitsamt dem Prozess, sie zu entdecken, sollte Freude auslösen und gewiss keine Angst. Bisher haben wir wie ganz selbstverständlich den Begriff »Berufung« verwendet. Was aber ist genau darunter zu verstehen? Offensichtlich hat das Wort etwas mit »Ruf« bzw. »rufen« zu tun, wie dies etwa auch aus dem französischen (»la vocation«) oder englischen Ausdruck dafür (»vocation«) deutlich wird, die sich beide vom lateinischen Wort für »rufen« (»vocare«) herleiten lassen. Ein Ruf beinhaltet drei Elemente: den Rufenden, den Gerufenen sowie den konkreten Inhalt. Im religiösen Kontext sehen wir im Rufenden Gott, der uns Menschen als Gerufene adressiert – jeden Einzelnen von uns persönlich. Der Inhalt des Rufes ist unsere ebenso persönliche Bestimmung, unser Weg, den Gott für uns vorgesehen und vorbereitet hat. Dies ist in den meisten Fällen nicht der Weg als Ordensmann. Allerdings kennen wir heute das Wort »Berufung« vor allem in genau dieser Engführung als »geistliche Berufung«. Dabei erfuhr auch dessen Inhalt eine deutliche Überhöhung: »berufen« wird so schon fast zu einem Synonym von »heiligmäßig«. Ja, man hat den Eindruck, perfekt sein zu müssen, um sich als »berufen« verstehen zu dürfen. Im Bewusstsein der eigenen Fehler und Schwächen traut man sich so kaum, an einen Ordenseintritt überhaupt nur zu denken, weil man sich als ungenügend empfindet. Biblische Berufungsgeschichten
»Wer bin ich schon?« Solche Fragen von Menschen, die sich als alles andere denn als außergewöhnlich oder gar als »auserwählt« empfanden, kennen wir auch aus der Bibel. So fragt etwa Mose, der von Gott dazu berufen wurde, sein Volk aus Ägypten ins Gelobte Land zu führen: »Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und die Israeliten aus Ägypten herausführe?« (Exodus 3,11). Die Antwort, die er daraufhin von Gott hört, gilt auch für uns: »Ich werde mit dir sein« (Exodus 3,12). Diese Antwort stärkt, ja baut auf: »Hab keine Angst – ich bin bei dir!« Auch der Prophet Jeremia hört sie, der sich zuerst ebenfalls vor der Aufgabe drücken will, zu der ihn Gott berufen hat, indem er sagt: »Mein Gott, mein Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin noch so jung« (Jeremia 1,6). Doch auch ihm verheißt Gott: »Fürchte dich nicht […]; denn ich bin mit dir« (Jeremia 1,8). Wen hat sich Gott da eigentlich erwählt, wen hat er berufen? Es sind keinesfalls perfekte Menschen ohne Makel. Mose etwa war ein aufbrausender Totschläger. Und auch die Jünger Jesu waren keineswegs vollendete Menschen. Vielmehr finden sich auch unter ihnen solche, die mit dem Schwert dreinschlugen (Johannes 18,10 f.) oder vor Zorn Feuer auf die Erde fallen lassen wollten (Lukas 9,54). Und in der bittersten Stunde Jesu flohen alle von ihnen, ließen ihren Freund und Meister im Stich, ja verleugneten ihn gar. Von Treue ist da keine Spur zu sehen. Dennoch hat sie Jesus in seine Nachfolge berufen. Interessant ist dabei zu beobachten, wie er bei der ersten Begegnung mit ihnen ihre Neugierde zu wecken versucht, wie dieses Leben mit ihm wohl aussehen könnte. »Wo wohnst du?«, wird er beispielsweise von zwei seiner ersten Jünger gefragt (Johannes 1,38). »Kommt und seht!«, antwortet er, im Sinne von: »Macht euch selbst ein Bild, findet es selbst heraus!« Auch in dir scheint Gott die Neugierde geweckt zu haben, wie das Leben in der Nachfolge Jesu aussehen könnte. Und auch dich heißt er, dies selbst herauszufinden. Bleiben wir doch noch etwas bei der Bibel. Dieses Buch ist nämlich voll von Berufungsgeschichten, sowohl das Alte als auch das Neue Testament. Eine der schönsten dieser Erzählungen ist jene, wie Gott den jungen Samuel ruft (1 Samuel 3,1–21). Wir geben sie hier im Folgenden wieder, zumindest ihren Anfang, ohne die darauffolgende konkrete Botschaft Gottes: »Der junge Samuel aber versah den Dienst des Herrn unter den Augen Elis. Zu jener Zeit war ein Wort des Herrn selten; Visionen kamen nicht häufig vor. Aber eines Tages geschah es, dass Eli an seinem gewohnten Platz schlief. Seine Augen waren allmählich schwach geworden und er konnte nicht mehr sehen. Die Lampe Gottes war indes noch nicht erloschen. Samuel schlief im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes stand. Da rief der Herr den Samuel. Der antwortete: Hier bin ich, lief dann zu Eli hin und sagte: Hier bin ich; du hast mich ja gerufen. Jener erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen; leg dich wieder schlafen. Da ging er weg und legte sich schlafen. Der Herr aber rief wiederum: Samuel! Und Samuel stand auf, ging zu Eli und sagte: Hier bin ich; du hast mich ja gerufen. Jener antwortete: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn; leg dich wieder schlafen! Samuel hatte nämlich den Herrn noch nicht kennen gelernt und er hatte noch nie eine Offenbarung des Herrn empfangen. Nun rief der Herr wiederum, zum dritten Mal, den Samuel. Der stand auf, ging zu Eli und sagte: Hier bin ich; du hast mich ja gerufen. Da merkte Eli, dass es der Herr war, der den Knaben rief....