Fallé | Diese glühenden Sonnen | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Fallé Diese glühenden Sonnen

Roman | Zwischen Träumen und Wahrheit: Ein mitreißender Coming-of-Age-Roman über Freundschaft, Familie und den Aufbruch in ein neues Leben
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98941-101-2
Verlag: Gutkind Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman | Zwischen Träumen und Wahrheit: Ein mitreißender Coming-of-Age-Roman über Freundschaft, Familie und den Aufbruch in ein neues Leben

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-98941-101-2
Verlag: Gutkind Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine aufregende literarische Entdeckung - ein warmer, energiegeladener Coming-of-Age-Roman Iro kommt vom Dorf in der Elfenbeinküste in die brodelnde Metropole Abidjan. Doch schnell verbringt er mehr Zeit mit seinem selbstbewussten Kommilitonen Thierry als mit dem Studium literarischer Klassiker. Auf dem Markt verkaufen sie gemeinsam T-Shirts, träumen von einem Leben ohne materielle Sorgen und von einer Zukunft voller Licht. Als sein Vater stirbt, holt die Scham über die eigene Familie Iro ein: Ist sein Vater der Versager, für den er ihn immer gehalten hat? Oder gibt es noch eine andere Wahrheit? Ein preisgekrönter Roman über die Suche nach dem Glück in einem Land im Aufbruch. »Mit großer Sensibilität erzählt Nincemon Fallé von den Frustrationen der afrikanischen Jugend und von einer komplizierten Freundschaft.« Nouvel Observateur 

 Nincemon Fallé lebt als Grafikdesigner in Abidjan, in der Elfenbeinküste. Für sein Debüt wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
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1. | IRO


Ich habe es meinem Bruder lange übel genommen. Als ich mein Leben noch in seinem Schatten verbrachte, schien mir alles auf dieser Welt an seinem Platz zu sein. Ich existierte, um in seine Fußstapfen zu treten. Ich sah die Last nicht, die er trug, sah nicht das Zaudern in seinen Schritten. Ging er weiter, ging auch ich. Ich war sicher, dass diese Rollen auf ewig fortbestehen würden. Ein endloser Marsch durch die Wüste, so sah er unser Leben. Aber eines Tages beschloss er, meine Hand loszulassen und weiterzugehen, ohne sich umzudrehen, egal, ob der Sand mich unter sich begraben oder die unerbittliche Sonne Asche aus mir machen würde.

Seither trotze ich dieser Sonne. Ich hielt durch, manchmal rann mir der Schweiß in die Augen, doch ich trocknete mir unermüdlich das Gesicht, es war wichtig, nicht abstoßend zu wirken. Dutzende T-Shirts lagen in der Beuge meines Ellbogens, um sie den Vorübergehenden zu präsentieren. Schon seit einer halben Stunde wedelte ich mit einem blauen Shirt, einem der schönsten, die ich an diesem Tag zu bieten hatte. Andere junge Männer priesen mehr oder weniger stolz ihre Waren an, die ganze Straße hinunter, die sich Adjamé Liberté nannte. Hier fand man alles, Blusen, Jacken, Jeans und andere Hosen, Schuhe.

Solange die Gbakas und Busse, die sich hier drängten, uns dabei nicht störten, machten wir Jagd auf jeden Kunden. Menschenmassen kamen und gingen, ein Heidenlärm, aber nur wenige waren unterwegs, um etwas zu kaufen, die übrigen musste man überzeugen, sich ihnen an die Fersen heften, ihnen die Kleidungsstücke in die Hände legen, damit sie gezwungen waren, sie anzusehen. All diese Bemühungen konnten mit einem Schlag zu Staub zerfallen, wenn sie fragten: »Wie viel?«, und die Antwort ihnen nicht gefiel. Na ja, so lange sie nicht mit rasender Geschwindigkeit das Weite suchten, folgten wir ihnen und verhandelten mit allen erdenklichen Argumenten. Komplimente waren am effizientesten, und die waren Thierrys Spezialität.

Als er mich in diesen fliegenden Handel eingeführt hatte, stand ich erst einmal in der Ecke, schüchtern, hin- und hergerissen zwischen meinem Wunsch, jemand zu sein, der sich zu helfen weiß, und der Sorge, ich würde mich bloß lächerlich machen. Ich erinnere mich, dass er mir ein T-Shirt in die Hand drückte, bevor er ohne ein weiteres Wort verschwand, so als ginge er davon aus, dass ich wisse, was zu tun sei, während ich vor Verlegenheit wie gelähmt war. Er hatte mir einen Blick zugeworfen, der zu sagen schien: »Entweder du traust dich, oder du brauchst nicht mehr auf meine Hilfe zu zählen.« Diese verschlossene Miene, dieser unnachsichtige Blick. In diesem Moment schoben sich die Züge meines Bruders Oulahi über die von Thierry, aber ich hielt die Tränen zurück. Wie hätte das ausgesehen? Wie der kleine Junge, der ich niemals aufgehört hatte zu sein.

Also zwang ich mich, diesen jungen Mann nicht aus den Augen zu lassen, neunzehn Jahre alt wie ich, in Bewegung zu bleiben unter dieser glühenden Sonne, zu singen und zu lachen, während ich den Vorbeigehenden ein Kleidungsstück in die Hände legte, Komplimente zu machen und noch mehr Komplimente, schließlich zu verkaufen und noch mehr zu verkaufen. Ohne dass ich mir dessen bewusst gewesen wäre, hatte meine Angst einer gewissen Bewunderung Platz gemacht, und endlich bemerkte ich auch all die anderen jungen Leute, die im selben Augenblick die gleichen Gesten ausführten und das gleiche Ziel verfolgten: verkaufen und irgendwie klarkommen.

Bevor ich nach Abidjan gekommen war, hatte ich mir eine Art gigantisches, furchteinflößendes Chaos vorgestellt, in dem jeder seinen eigenen Krieg führte. Die Bilder, die auf wundersame Weise ihren Weg in unsere alten Fernsehgeräte fanden, die Fotos in den Geschichtsbüchern und die Erzählungen derer, die regelmäßig in die Stadt fuhren, hatten mich überzeugt, dass dort alles möglich war, kein Traum zu groß, kein Wunder, das sich nicht mit Hartnäckigkeit und Geduld vollbringen ließ. In Adjamé kam die Stadt diesem Bild, das ich mir von ihr gemacht hatte, am nächsten. Die Welt, die hier vor mir lag, war meine, je eher ich das akzeptierte, desto eher würde ich sie wieder verlassen.

Bei jenem ersten Mal gelang es mir nicht, das einzige T-Shirt zu verkaufen, das ich bei mir trug. Thierry und ich haben viel darüber gelacht, aber ich gab mir das Versprechen, dass es mir nie wieder passieren würde. Vier Monate später hatte die Sonne nichts von ihrer Kraft eingebüßt.

Seit einer Weile kam es immer wieder vor, dass ich plötzlich erstarrte. Mitten in der Menge versank ich in einer Art leerem Raum in meinen Gedanken. Mein Herz zog sich zusammen und begann hektisch zu schlagen, meine Augen füllten sich mit Tränen. Meist rempelte mich jemand an, oder Thierry schlug mir auf den Rücken, aber diesmal dauerte meine Lethargie länger, und ich wurde beinahe von einem Gbaka über den Haufen gefahren. Thierry kam angerannt und verfluchte gleichzeitig den Busfahrer und meine Dummheit. Niemand beachtete uns, solche Szenen waren in Adjamé an der Tagesordnung.

»Alles klar? Woran denkst du, Alter? Was soll ich mit deiner Leiche machen, wenn du hier krepierst?« In seiner Stimme schwangen zugleich Freundschaft und Autorität mit.

»Schon okay«, antwortete ich, ohne große Überzeugung.

»Hast du immer noch Hunger, oder was? Du übertreibst, wir kommen gerade vom Daba bei Adja.«

»Das ist es nicht.«

»Dann wach auf, Kumpel. Ich geh wieder rüber.«

Ich sah ihm nach, wie er sich entfernte, seine athletische Statur, die schmale Taille, der entspannte Gang. Zweifelte er jemals? Kannte er das Gefühl, dass sein Herz sich zusammenzog? Würde er verstehen, was ich empfand, wenn ich mich ihm anvertraute? Würde er verstehen, dass ich mir vorkam, als ob meine Existenz sich mit jedem Tag weiter auflöste? Ich wusste es nicht, und ich wollte es auch nicht wissen. Ich wollte nicht mehr, dass man mich von oben herab betrachtete, ganz egal, wie sehr ich litt.

Ich hielt ein T-Shirt in der Hand, das ich den Passanten anbot, als ich meinen Namen hörte. Ich durchkämmte die Menge mit meinem Blick und blieb bei einer jungen Frau hängen, die auf der anderen Straßenseite stand, in einem kurzen weißen Kleid. Dani lächelte mich an. Ein steter Strom von Autos floss die Straße entlang und ließ uns in unregelmäßigen Abständen die Möglichkeit, einander anzusehen. Während der kurzen Zeitspanne dazwischen schrie mein Geist mir zu, abzuhauen, aber mein Körper verweigerte aus Stolz jede Bewegung, bloß meine Augen begannen, das Weite zu suchen.

Eine kleine Gruppe Fußgänger hatte sich auf der anderen Seite der Straße gesammelt und überquerte sie schließlich, ohne sich vor dem Wahnsinn der Fahrer zu fürchten. Dani kam auf mich zu. Ihre helle Haut hatte nichts von ihrem Strahlen verloren. Das runde Gesicht war umrahmt von ihrer Lockenmähne. Sie sah noch immer aus wie ein kleiner Engel. Erst als sie mir gegenüberstand, bemerkte ich, dass ihr Blick noch genauso verächtlich war, der einzige Riss in ihrer Maske aus Freundlichkeit.

Sie nahm mich in den Arm, mein Körper versteifte sich, sie wich zurück.

»Schön dich zu sehen, Cousin. Éric hat mir gesagt, dass ich dich hier finde. Gott sei Dank musste ich nicht lange suchen.«

Eine falsche Traurigkeit schwang in ihrer Stimme mit, doch in ihrem Lächeln lag etwas Ehrliches. Irgendetwas stimmte nicht. Als ich sie so sah, war ich versucht, alles zu vergessen. War nicht schlussendlich das, was ich für das Ende der Welt gehalten hatte, bloß das Ende einer Etappe gewesen?

»Wie geht’s dir? Die Sonne hat dich dunkler gemacht, und du bist ziemlich dünn geworden, aber du siehst immer noch gut aus. Wie machst du das bloß? Du hast mir gefehlt, weißt du das? Ich muss oft an unsere Gespräche denken, unsere Witze, … Ich freu mich wirklich, dich zu sehen. Sagst du gar nichts? Nicht mal ein kleines Hallo? Ich stör dich bei der Arbeit, ist es das? Ich kann nicht glauben, dass jemand so Schüchternes wie du so was macht. Wie läuft’s an der Uni?«

Nein, definitiv nein. Sie würde nie mehr dieselbe für mich sein, und es faszinierte mich, wie man so grausam sein konnte, wie ihr nicht einmal die Tragweite ihrer eigenen Worte bewusst war.

»Iro, hast du …«

»Was willst du?«, unterbrach ich.

Sie schwieg, ihr Lächeln erstarb, und sie senkte den Blick. Ein paar Sekunden verrannen.

»Ich muss dir was Wichtiges erzählen«, sagte sie in ernsterem Ton.

»Was denn?«

»Ich sag doch, es ist wichtig, Iro, ich wäre lieber irgendwo, wo es ruhiger ist.«

Die Neugier überwog schließlich.

»Warte hier«, sagte ich, bevor ich zu Thierry ging.

»Wer ist das?«, fragte er.

»Meine Cousine, erklär ich dir später.«

Ich vertraute ihm meinen Berg T-Shirts an und ging zurück zu Dani. Wir setzten uns auf die äußersten Enden einer kümmerlichen Bank, die auf der kleinen Grünfläche am Fuß der Brücke an der Adjamé Liberté stand. Dort ruhten sich ein paar Männer mit ihren Schubkarren aus, ein Verrückter saß auf dem nackten Boden, und ein Stück weiter stapelte sich der Müll. Ich wartete, dass sie etwas sagte, meine Augen starr auf die Straße gerichtet. Ein paar Passagiere hatten den Ticketverkäufer eines Gbaka am Kragen gepackt und forderten ihr Geld zurück unter den geschäftstüchtigen Blicken einiger fliegender Händlerinnen, bereit, eine Fahrkarte gegen ein paar Münzen einzutauschen, mit der Bedingung, ein Kaugummi oder ein Tütchen Wasser dazu zu verkaufen. Dani ihrerseits rang nach Worten, um meine Aufmerksamkeit von dem...



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