Febel | Schöpfung Plan B | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 284 Seiten

Febel Schöpfung Plan B

Fünfzehn Kurzgeschichten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-347-35038-0
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Fünfzehn Kurzgeschichten

E-Book, Deutsch, 284 Seiten

ISBN: 978-3-347-35038-0
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Diese Kurzgeschichten speisen sich aus dreierlei Quellen: Zum Ersten aus der Gattung der Science-Fiction (hier geht es natürlich um die Begegnung mit anderem Leben in anderen Welten), zum Zweiten aus der fantastischen Erzählung (die sich zum Beispiel im vorgestellten Reich der Azteken abspielen mag) und zum Dritten in der sogenannten »Wirklichkeit« - doch in dieser geschehen ebenfalls ungewöhnliche Dinge: Die taktile Wahrnehmung einer jungen Frau spielt verrückt, der Präsident einer Pazifikinsel nimmt die Bibel eindeutig zu ernst oder ein Amokschütze erhält bei seiner Tätigkeit ungewöhnlichen Beistand. Kurzgeschichten haben mich schon immer fasziniert: Sie führen eine zentrale Idee konzise und vollständig aus, sind sprachlich aus einem Guss, lassen mit wenigen Requisiten und unmittelbar Ort und Zeit der Handlung erstehen, münden in eine unerwartete Pointe und lassen sich in einem Rutsch lesen, weil sie ein steiles Gefälle haben, das nicht von überflüssigen Ausschmückungen gebremst wird. - Ich hoffe, zumindest einiges davon ist mir gelungen.

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Kommunizierende Röhren

»Au! Du tust mir weh!«, schimpfte Jennifer.

»Halt still!« Die Mutter rupfte mit der Bürste durch das verfilzte Haar ihrer Tochter, das, nachdem sie den Zopf aufgelöst hatte, auf einer Seite herabhing wie ein Wasserfall und Jennifers Gesicht bis auf die Nase verbarg. »Kannst du denn nicht einmal so lieb sein wie deine Schwester?«

Brigitta, die Schwester, sah den beiden zu und grinste.

Endlich war Jennifers blonder Schopf geglättet und in einzelne Strähnen zerteilt, auf denen sich nun die Lockenwellen abbildeten, jedes einzelne Haar im Dienst der gesamten Struktur.

Als Nächstes trennte die Mutter die Haarfläche in drei gleiche Teile, als müsse drei Läusevölkern je ein gerechter Anteil zugewiesen werden, und begann, den langen und dicken Zopf auf Jennifers linker Seite wieder zu flechten. »Niemals«, rief sie dabei, »niemals dürft ihr beide zugleich euren Zopf auflösen. Habt ihr gehört?«

»Jaja«, maulten die Zwillinge.

Das sagte sie immer.

»Jennifer links«, leierte Brigitta, »und …«

»… Brigitta rechts«, ergänzte Jennifer.

»Und wenn ich dir den Zopf abschneide, Jenni, schnipp schnapp?«, rief Brigitta plötzlich, während sie der Mutter ins Flechtwerk an der Zwillingsschwester Kopf fuhr. »Vielleicht sogar im Schlaf?«

»Dann tu ich’s auch bei dir – im selben Schlaf«, antwortete Jennifer träge. Dieser Spaß war schon x-mal gemacht und nicht mehr lustig.

»Untersteht euch!«, sagte die Mutter. »Wie sollte ich euch dann auseinanderhalten?«

»Du bist i-hich! Ich bin du-hu!«, trällerte Brigitta, während sie um ein vermeersches Motiv herumhopste: die Zopfflechterin. »Auseinanderhalten? Ach, ganz einfach«, sagte sie dann und deutete auf Jennifer, deren Zopf nun wieder gebunden war – prall, wie mit etwas gefüllt und genau so lang wie jener der Schwester …

»Jetzt du, Brigitta, komm kämmen!«, rief die Mutter dazwischen.

»Ganz einfach: Sie ist doof und ich nicht.«

»Du bist gemein«, heulte Jennifer und holte mit beiden Armen zu einem Schubs aus, doch ihre Schwester entzog sich.

»Kinder!«, schimpfte die Mutter, »vertragt euch! Ich hab euch doch beide lieb«, während sie einen Arm um Brigitta legte.

»Beide lieb«, wiederholte diese triumphierend, als habe der Satz in Wirklichkeit eine ganz andere Bedeutung.

»Und jetzt ist Schluss«, rief die Mutter, drückte Brigitta auf den Stuhl und machte sich nun an ihrem, dem rechts angesetzten Zopf zu schaffen.

Jennifer saß auf dem Boden, blickte nicht zu den beiden auf, und ihr kleiner Zeigefinger wühlte in den Maschen des Teppichs.

»Wie kann man so verschieden sein und so gleich aussehen«, stöhnte die Mutter. »Manchmal denke ich ja«, lachte sie dann, »ihr habt sogar genau gleich viele Haare.«

»Hunderttausende sind’s bei mir. Legion«, sagte Brigitta, sich wie immer gewählt ausdrückend.

»Wo hast du denn das wieder gelesen, Kind?«, fragte die Mutter.

»Ach, irgendwo«, lachte Brigitta und hielt still.

»Viele«, stimmte Jennifer zu.

»Aber ich hab mehr«, sagte Brigitta.

»Nein, ich!«

»Na ja, dieses eine vielleicht«, rief Brigitta, griff ihrer Zwillingsschwester blitzschnell in den Schopf und riss ihr ein Haar aus.

»Au!«

»Und jetzt ist es weg, das überzählige, und wir sind wirklich gleich – von außen zumindest. Genau gleich.«

Jennifer fiel nichts ein, das sie hätte entgegnen können, als hemme sie wieder einmal eine fremde Kraft beim Denken, und fing an zu weinen. Doch in ihrem Inneren, mit noch spärlichem Wort- und Gedankenschatz, begann sich etwas zu formen. Eine Wut? Ein Plan? Ein Entschluss?

Natürlich würde die Mutter die beiden auch ohne Zopf auseinanderhalten können, jedenfalls meistens, und zwar anhand ihrer in der Tat sehr unterschiedlichen geistigen und sprachlichen Fähigkeiten. Dies aber widerstrebte ihr eigentlich, wollte sie doch, wie alle Mütter, ihre Kinder genau gleich begabt wissen und genau gleich stark lieben. Beides aber traf nicht zu. Brigitta war hochintelligent, ja brillant, überschäumend vor Ideen, viel zu weit für ihr Alter, gesprächig und witzig. Jennifer dagegen war nichts von alledem. Erstere schrieb schon fließend, dachte sich Briefe aus, Einkaufslisten oder kleine Geschichten von Bären und Robotern, füllte Heft auf Heft, ohne zu klecksen, während Jennifer immer noch einzelne Buchstaben nachfuhr, mit Mühe, deren Rundungen in das gestrichelte Liniennetz ihres Arbeitsheftes einzupassen suchte, dabei die Zunge wie einen Joystick mitführend. Dies alles allerdings, wie man so sagt, mit links, denn sie war Linkshänderin. Waren die Zwillinge also aktiv, und zwar eine geistige Tätigkeit betreffend, und tollten nicht etwa auf dem Spielplatz herum, dann war es ein Leichtes, sie auseinanderzuhalten.

Doch leider hatte diese Sache einen Haken, denn manchmal schwiegen die Mädchen stunden- oder gar tagelang, versanken in einer für andere unzugänglichen Welt und kippten aus dem alltäglichen Kinderuniversum heraus, kopfüber wie Taucher beim Sprung ins Meer. Dann hockten sie in einer Ecke des Zimmers oder unter dem Tisch und sprachen kein Wort, bis der Vormittag in den Nachmittag überging, und noch länger, strichen einander über die goldenen Zöpfe, bis diese vor Fett glänzten, und senkten die Häupter wie zwei Loreleys oder Rapunzeln. Gleich zwei reizvolle Aufstiege in zwei verschiedene Turmgemächer lockten da. Was würde nur geschehen, wenn die Sache mit den Jungs losginge!

Aber so weit war es noch nicht.

Die zwei Mädchen saßen am Boden und spielten mit einem Berg von Bausteinen, die man auf verschiedene Weise ineinanderstecken konnte. Brigitta ließ Türme und Mauern einer Burg emporwachsen, während Jennifer einen Satz Plastikritter und -fräulein aus ihrer Verschweißung befreite und dann auf dem Teppich vor der Burg umherführte.

»Ich will auch einen Turm dranbauen«, sagte sie mit aller Kraft, denn wieder spürte sie etwas Unerklärliches, das sie hemmte und ihre Worte dehnte, als spräche sie in ein Gelee, das die Luft ersetzt hatte, draußen im Raum wie auch in Mund und Lunge.

Brigitta schüttelte den Kopf. »Der fiele doch sowieso gleich wieder in sich zusammen«, plapperte sie, sah an Jennifer vorbei und klemmte weiter Stein an Stein: »Schau, wie schön ich das mache! So was kannst du nicht.«

»Kann ich doch.«

»Kannst du nicht, Jenni. Und weißt du auch, warum?«

»Warum?«

»Es verhält sich so«, erklärte Brigitta: »Als wir noch zusammengewachsen waren, an dieser einen kleinen Stelle – du weißt schon, Mama hat es uns erzählt, igitt! –, da wurde alles, was in uns drin ist, immer wieder hin- und hergeschüttelt, so wie die Sachen in Mamas Handtasche, verstehst du? Einmal war die ganze Intelligenz bei mir drüben und dann wieder bei dir. Danach ist vielleicht alle Dummheit für eine Weile auf meine Seite gerutscht – aber dann wieder zurück. Zum Glück. Ach, das reimt sich ja … und genau in dem Moment, als der Doktor uns dann auseinandergeschnitten hat, tja, da hast du einfach Pech gehabt, hast nur die schlechten Sachen abgekriegt, die Tempotaschentücher und Handschuhe und alten Fahrkarten, vielleicht noch den kaputten Schirm – und ich den roten Lippenstift und die Geldbörse! Und die gebe ich nicht wieder her. Haha!«

Jennifer brauchte eine Weile, um das Bild zu verstehen. Sie fasste sich an die Stelle am Hinterkopf, dorthin, wo man die Säuglinge einst getrennt hatte – bei ihr links hinter dem Zopf, bei Brigitta rechts. Sie spürte nichts. Dort soll die Handtasche entzweigeschnitten worden sein? »Vielleicht sind wir ja doch noch verbunden«, sagte Jennifer langsam und mehr zu sich als zu ihrer Schwester.

»So’n Quatsch«, lachte die kluge Brigitta, während in der ach so unverrückbaren Wirklichkeit etwas vorging.

Aber was?

Ein wichtiger Klebstoff – so schien es Jennifer –, der die Dinge an ihrem angestammten Platz halten sollte, wurde mürbe und begann zu bröckeln wie schlechter Mörtel in einer Wand. In der Wand eines Gefängnisses, grübelte sie. – Meines Gefängnisses. Sie erhob sich, trat dabei die Burg um, ohne es zu bemerken, und ging weg.

Brigitta quengelte, doch Jenni reagierte nicht, lief durch die Küche und die Stufen in den rückwärtigen Garten hinab, ohne zu wissen, wo sie war oder was sie tat, setzte sich auf die...



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