Fischer | Mein Föhr | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Fischer Mein Föhr

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-86648-835-9
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Bei ihrer ersten Föhr-Reise war Susanne Fischer die Insel ziemlich egal – es ging nur um ihre heimliche Liebe, den Mann, der am Fähranleger wartete. In den folgenden Jahren aber wurde auch Föhr selbst zur großen Liebe der Autorin. Den Südstrand, das Goting-Kliff, das gemütliche Städtchen Wyk oder die Bauerndörfer beschreibt sie mit ihrem typischen Witz, der vor den eigenen touristischen Albernheiten nicht haltmacht. Doch sie sucht auch andere Perspektiven, spricht mit Alteingesessenen, Zugezogenen, Kreativen, jungen Müttern. Sie schreibt über die Geschichte des Badelebens, die Artenvielfalt im Watt und den Glücklichen Matthias, der einst mehr Wale fing, als in ein Menschenleben passen. Susanne Fischer nimmt uns mit auf eine Insel, die alles in verschwenderischer Fülle bietet: Sonne, Wind, Regen. Trost in sämtlichen Lebenslagen. Und Friesentorte.
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Auftakt
Der Schlund aus schwarzem Wasser zwischen Schiffsbug und Anleger. Es schwappt an die Spundwand. Die langen Algen tanzen hin und her. Der riesige Metallriegel am Bug des Schiffes wird hochgeklappt, der auf See verhindert hat, dass die Autos von der Fähre ins Meer kippen. Vor den Fahrzeugen all der Urlaubswilligen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen tut sich ein Abgrund auf, in dem kleine Wellen strudeln und schäumen, als warteten sie auf Futter. Aber niemand merkt etwas, während sich die Autorampe langsam auf das Schiff senkt, niemand zögert und zaudert. Außer mir. Familien mit kleinen Kindern und Rentnerpaare mit Hunden haben schon den Urlaub im Blick auf der gemütlichen Autofähre. Hinter dem Abgrund beginnt die Insel. Taxen und der Inselbus warten im herbstlichen Nieselregen. Auch ein paar freundliche Gastgeber holen die Gäste ab, die ohne Auto nach Föhr unterwegs sind. Und ein Mann steht da etwas abseits, der einen großen, bunt gestreiften Schirm hält. Unter dem Schirm wäre noch Platz für mich. Es ist der Mann, den ich neuerdings liebe. Auf dem Weg zur Fähre vorher muss ich mich beeilen. Ich habe eine weite Anreise und kenne den Weg nicht genau. Noch nie war ich auf Föhr, einer Insel, die in meinem privaten Atlas der piepegalen Inseln eher unter ferner liefen verzeichnet ist. Ich reiste nach Amrum und Sylt. Was sollte ich da auf Föhr? Es konnte ja nur blöder sein. Kaum Dünen und viel Watt. An den anderen Inseln schätzte ich das Dänemark-Gefühl, Dünengras und Nordseewellen – Erinnerungen an ewige Sommerferien im Kindheitsparadies. Föhr hat so was nicht, hatte ich mal gehört. Wenn ich die Fähre verpasse, kehre ich um, verspreche ich mir. Was ich gerade tue, ist Wahnsinn. Na, das ist vielleicht doch ein zu großes Wort, schließlich neige ich nicht zur Dramatik, nicht einmal in dramatischen Situationen. Eigentlich ist es nur der ganz normale Unsinn verheirateter Menschen, die sich spontan in andere verheiratete Menschen verlieben. Nur verlieben sie sich leider selten in den Menschen, mit dem sie schon verheiratet sind. Dann wäre ja alles ganz einfach. Wenn es die Menschen also erwischt – und niemand, egal welchen Alters, sollte sich in Sicherheit wähnen! –, entpuppen sie sich entweder als Wunder an Moral und Vernunft, sodass niemand etwas von dem ganzen Quatsch bemerkt. Dann wäre wiederum alles ganz einfach. Oder sie werden zu sehnsuchtstriefenden Geiseln ihrer Emotionen, die eine Menge geordnetes Leben durcheinanderbringen und andere Leute unglücklich machen. Und zwar nicht irgendwelche Leute, sondern genau die, die ihnen am nächsten sind. Kinder. Ehepartner. So jemand will ich nicht sein. Zu meiner Überraschung gehöre ich trotzdem zur zweiten Kategorie. Obwohl ich nicht mehr sechzehn bin, sondern Mitte vierzig, verwandele ich mich in irgendetwas Unberechenbares. Keine Ahnung, in was genau, aber eine Superheldin ist es jedenfalls nicht, die mir aus dem Spiegel entgegensieht. Zu meiner neuen gefühlsseligen Existenz gehört die Leidenschaft für abergläubische Rituale. Wenn mir auf dem Weg zur Arbeit kein rotes Auto begegnet, hat er sich auch in mich verliebt. Und falls ich die Fähre nach Föhr verpasse, kehre ich einfach um, und alles ist sofort zu Ende. Muss ich erwähnen, dass mir auf dem Weg ins Büro seit Jahren zuverlässig immer nur ein schwarzer BMW entgegenkommt? Ich wohne auf dem Land und habe es nicht weit. Und übrigens kann ich eine teuflische Autofahrerin sein, wenn es darauf ankommt. Die letzten Kilometer vor Dagebüll ziehen sich in die Länge. Dort legen die Fähren nach Föhr und Amrum ab. Schon ab Heide/Holstein trottelt die Karawane der Autos in gedrosseltem Tempo über die Landstraßen. Heide wirbt mit dem größten Marktplatz Norddeutschlands oder der Welt oder des Universums, ich habe es vergessen. Mit dieser mäßigen Verlockung wird mich das Städtchen nicht von meinem Vorhaben abbringen. Eiderstedt ist aber dann schon so sehr »Land am Meer«, dass mir ganz warm ums Herz wird. Der weite Himmel ist tröstlich, auch wenn er heute nur graue Schlieren zu bieten hat. Immer habe ich das Gefühl, eigentlich hierherzugehören, wobei ich lange glaubte, es läge daran, dass die meisten meiner Vorfahren jahrhundertelang als Bauern und Handwerker in Dithmarschen und Eiderstedt gelebt haben, bis um 1900 die erste Generation nach Hamburg und Kiel zog und anfing, Städterdinge zu tun. Aus Bauernsöhnen wurden Lehrer, Ärzte und Angestellte. Wesselburen, Meldorf, Tönning, Garding, Witzwort, alle diese Ortsnamen kenne ich aus den Erzählungen von Mutter und Großmutter (besonders der letzte hat es mir natürlich angetan – in Witzwort hat meine Mutter als Kind Urlaub bei Verwandten gemacht). Das, so bildete ich mir ein, machte mich zu einer nahezu Einheimischen. Inzwischen ahne ich, dass sich viele Menschen in der Nähe des Meeres wohlfühlen, egal, woher ihre Familien stammen – zum Beispiel alle die, die gerade in ihren Autos vor mir herzuckeln. Es scheint mehr eine Typfrage zu sein, ob man die Nordsee mag. Während ich über den Deich hinter Bredstedt fahre und dann durch die niedlichen Straßendörfer, will ich aber glauben, dass ich mehr hierhergehöre als die anderen. In Ockholm halte ich beim Küstenkaufmann im Alten Pastorat an, den es heute längst nicht mehr gibt. Das Haus steht auf einer Warft und sieht so norddeutsch aus wie überhaupt nur möglich. Ich brauche sehr dringend Schokolade und etwas zu trinken, sonst kann ich nicht weiterfahren. In Wahrheit will ich der Fähre die Möglichkeit geben, ohne mich zu starten. Dann darf ich in mein verheiratetes Leben zurück und muss niemanden unglücklich machen. Außer mich selbst, und das kann ich bestimmt aushalten. Ich muss nur die Fähre verpassen, mehr ist es ja nicht. Mit Schokolade und Mineralwasser versehen, trete ich dann ordentlich aufs Gaspedal, sobald die Orte hinter mir liegen. Jetzt gibt es nur noch Deich und Landschaft. Ich spüre, dass ich hierhergehöre, auf das Küstenland, wo noch meine Ururgroßeltern lebten. Nach Föhr gehöre ich auf keinen Fall. Es fühlt sich so an, als ob das Schicksal irgendwie gewonnen hätte, wenn ich jetzt doch dorthin fahre. »Schicksal« ist übrigens eine Erfindung von Menschen, die die Verantwortung für ihr eigenes Handeln nicht so wahnsinnig gern übernehmen wollen, doch daran denke ich jetzt lieber nicht. Nach ein paar weiteren Kilometern lande ich auf dem sogenannten Inselparkplatz vorm Fähranleger Dagebüll. Mein Koffer ist ausgebeult, weil ich eine ganze Bettdecke dabeihabe, für den Fall, dass ich übernachten sollte. Denn der Mann, der in einer guten Stunde am Anleger in Wyk stehen wird, hat nur eine Ferienwohnung für eine Person gebucht, weil ich nicht vorgesehen war, weder in der Wohnung noch in seinem Leben. Das Ganze ist ein großes Chaos. Wieso muss man nach Föhr reisen, wenn man doch schließlich auch zu Hause Mist bauen kann? Ich weiß es nicht. Mit meinem idiotisch schweren Koffer habe ich es immerhin in den Shuttlebus vom Parkplatz zur Fähre geschafft. Zu meiner Qual fährt er nun aber nicht ab, und nach einer gefühlten halben Stunde, also in Wahrheit etwa fünf Minuten später, frage ich die Mitreisenden, ob es nicht endlich losgeht und ob wir die Fähre auch bestimmt noch erreichen. Die meisten anderen Fahrgäste mustern mich Föhr-Anfängerin herablassend, weil sie nicht verstehen, warum sich eine Mittvierzigerin benimmt wie eine Fünfjährige. Wenn man schon reist, sollte man es auch können, sagen ihre nordseeblauen Augen. Nach dem hundertfünfzigsten Inselurlaub werde ich genauso cool sein, versprochen. Eine junge Frau erbarmt sich und erklärt mir, dass der Shuttle genau passend zu den Fähren fährt und auf dem tristen Parkplatz einfach so lange wie möglich auf die letzten Nachzügler wartet. Ach, wie ist die Welt doch gut eingerichtet, hier in Dagebüll Mole. Mein Puls bleibt aber trotzdem an der Oberkante, denn vom Shuttleparkplatz aus kann man die Fähre noch nicht einmal sehen. Ein Deich liegt dazwischen. Gibt es dieses Schiff überhaupt? Dauernd trennt hier irgendwer irgendwas von irgendwas anderem: Ein Deich trennt Land und Meer, Bus und Fähre, das Wasser trennt Land und Insel, und der ganze Kram trennt Mensch und Mensch. Ob das schon mal jemandem aufgefallen ist? Anders gefragt: Wurde sonst schon mal jemand wegen einer Nordseefähre hysterisch? Endlich wirft dann der Busfahrer den Diesel an und fährt die paar Hundert Meter über den Deich zu den drei Seebrücken. Kurz darauf stehe ich mit einem Teebecher im Oktoberwind auf dem Oberdeck. Den Nieselregen spüre ich kaum. Die Fähre tuckert im geschützten Wasser zwischen Oland, Langeneß und Föhr langsam vor sich hin; es ist Ebbe. Die Sandbänke links und rechts der Fahrrinne scheinen mir bedrohlich nahe, aber es riecht nach Meer und Sand, was mich kurz mit meiner Idiotie versöhnt. Nordsee versöhnt mich...


Susanne Fischer, 1960 in Hamburg geboren, studierte Germanistik und Politikwissenschaften in ihrer Heimatstadt. Heute leitet sie die Arno Schmidt-Stiftung in Bargfeld und schreibt Romane und Kinderbücher. Für ihre monatliche Kolumne in der taz auf der Satire-Seite »Die Wahrheit« wurde sie mit dem Ben-Witter-Preis ausgezeichnet.


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