Flacke | Jeanne | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Flacke Jeanne

Das kurze Leben der Jungfrau von Orléans
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8387-4599-2
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Das kurze Leben der Jungfrau von Orléans

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-8387-4599-2
Verlag: Baumhaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Mit gerade vierzehn Jahren hört Jeanne d'Arc zum ersten Mal Stimmen, hat sie Visionen. Engel und Heilige befehlen ihr, Frankreich von den Engländern zu befreien. Schon mit sechzehn Jahren verlässt sie daraufhin ihre Familie. Ihr Aufstieg ist legendär: Vom einfachen Bauernmädchen zur charismatischen Heeresführerin, bis zur zutiefst Gedemütigten, die schließlich mit kaum neunzehn Jahren als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird.

In diesem historischen Roman bleibt man ganz nah an der Protagonistin - ihre Kompromisslosigkeit und Entschlossenheit wird junge Leserinnen mitreißen.

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Domrémy im Jahre des Herrn 1429,
im neunzigsten Jahr des Krieges zwischen dem
französischen Königreich und England

Jeanne schreckte hoch, jemand rüttelte an ihrer Schulter und riss sie aus dem Schlaf. Verwirrt blinzelte sie in flackerndes Kerzenlicht. Helle Flecken tanzten über die grob verputzten Wände ihrer Schlafkammer. Jetzt beugte sich der Vater über sie, die buschigen Brauen wölbten sich fast bis zu seinen Augen hinunter, das strohige Haar war noch ungekämmt.

»Du hast gesprochen, Jeannette! Du hast wieder im Traum rumgeplappert.« Unwirsch schüttelte er sie. »Bist du irre? Völlig übergeschnappt? Ein Bauernmädchen, das französische Truppen anführen will? Haben dir etwa teuflische Dämonen deinen Größenwahn eingeflößt?«

Jeannes Mutter, die neben ihm stand, fuhr ihm sanft über die Schulter. »Lass sie, Jacques, ich bitte dich! Sie hat geträumt. Es war doch nur ein Traum!«

»Steh endlich auf!«, donnerte er weiter. »Hörst du nicht? Die Kühe blöken! Es ist Zeit zum Melken. Oder willst du, dass ihre Euter platzen? Und die Schafe müssen auf die Weide. Die Lämmer und Böcke brauchen dich. Nicht die französischen Truppen der Armagnacs. Was für ein hirnrissiges Gerede. Ein Schwachsinn sondergleichen.« Wutentbrannt stapfte er aus der schmalen Schlafkammer.

Die Bäuerin legte besorgt die Hand auf Jeannes erhitzte Stirn und seufzte. »Mein kleines Mädchen! Was soll nur werden? Wie willst du jemals einen Bräutigam finden. Bei solchen Trugbildern …«

»Maman, das sind keine Trugbilder. Und erst recht keine Dämonen!« Das Heu in der Matratze raschelte, als Jeanne sich aufsetzte. Mit großen Augen sah sie die Mutter an. »Ich sehe sie wirklich, die Heiligen.«

»Oui, ma petite. Im Traum!«, antwortete Isabell, die auch Romée gerufen wurde. So wie diejenigen, die nach Rom wanderten oder auf große Pilgerfahrt gingen. »Nur im Traum.« Es waren leise Worte, doch füllten sie die Schlafkammer ganz aus und hallten unwirklich nach.

Die Bäuerin senkte die Lider und drückte Jeannes Hand fest an ihre Lippen. Jetzt war es still. Nur dumpfes Stimmengewirr der Brüder drang von oben aus ihrer Schlafkammer zu ihnen herunter. Es roch brenzlig, das Brennholz im Kamin neben dem Hoffenster war wohl entzündet worden. Jeanne schluckte. Der beißende Geruch brannte ihr in der Kehle.

»Und außerdem: Einen Bräutigam … will ich nicht«, fügte sie noch leiser hinzu. »Ich will rein bleiben, will nicht von derben Händen angefasst werden. Maman, es ist eine unerträgliche Vorstellung für mich, dass ein Mannsbild meine nackte Haut berühren will!«

»Jeannette! Ich bitte dich, hör auf! Im Namen des Herrn!«, flehte ihre Mutter. Das Licht der Kerze aus Rindertalg spiegelte sich in ihren tränennassen Augen. »Ich weiß, du hast bis spät in der Nacht das Kleid für Madame Bertrand bestickt. Aber jetzt steh auf! Ich werde dir Milch erhitzen. Für den Getreidebrei …«

»Jeannette! Wo bleibst du denn?«, hallte die verärgerte Stimme von Bauer d’Arc zu ihnen herüber.

»Kümmere dich bitte um das Vieh!« Die Bäuerin blickte zur Kammertür, derbe Tritte polterten die steile Holztreppe herunter. »Pierre muss doch den Stall ausmisten. Und Jean Furchen in die verwüsteten Felder ziehen.«

»Und Jacquemin?« Jeanne verzog das Gesicht, als sie Knötchen aus den Haarsträhnen kämmte, um neue Zöpfe zu flechten. »Warum kommt er nicht und hilft uns nach dem letzten Überfall?«

»Noch schaffen wir es allein.« Die Bäuerin versuchte zu lächeln. Sie wirkte erschöpft. Fein verästelte Lebenslinien durchzogen die Haut unter den Augen. Die hellen Wimpern flatterten, als sie versuchte, die Tränen wegzudrücken. Verschämt wischte sie sich über die Wangen. »Lass deinen Bruder bei seiner Familie. Vergiss nicht, er hat auch schon Kinder.«

Jeanne schlüpfte schnell in ihr langes Leinenkleid, in die Wollstrümpfe und zu großen Holzschuhe, die an der Spitze mit getrockneten Gräsern ausgestopft waren.

In der Bauernküche hockten Pierre und Jean mit Bauer d’Arc am langen Esstisch und löffelten Getreidebrei aus einer Holzschüssel. Im Herd flackerte ein offenes Feuer, darüber hing von der Decke herab eine schwere Kette, in die ein geschmiedeter Eisentopf eingehakt war.

»Na, Schwesterlein?« Pierre grinste breit. »Wolltest du wieder Soldat spielen? Ich schnitze nachher ein Holzschwert, dann kannst du schon mal üben.«

»Wir stellen dir auch ’ne Strohpuppe auf.« Ihr großer Bruder Jean nickte ihr spöttisch zu, dunkle Haare hingen ihm zottelig in die Stirn. »Mit ’ner verbeulten Blechschüssel auf dem Kopf. Als Helm. Das ist dann der Engländer.«

»Ja, grandios!« Pierres Stimme kiekste, er verlor gerade die hohe Stimme seiner Kinderjahre »Der Engländer hat ja sowieso nur Stroh im Kopf.«

»Und dann schwingst du dich – allez hopp – auf unseren alten Gaul und metzelst die feindlichen Angreifer nieder.« Jean schüttelte seine struppigen Haare und reckte gewichtig den Kopf, als wäre er Befehlshaber eines Soldatentrupps. Dann ließ er die Fingerspitzen über die Tischplatte tanzen, um das Trappeln eines Pferdes nachzuahmen und brüllte: »À l’attaque! À l’attaque!«

»Ruhe jetzt!« Bauer d’Arc schlug so deftig mit der Faust auf den Eichentisch, dass es krachte. »Ein für allemal: Ich will von diesem Unsinn nichts mehr hören! Habt ihr verstanden?«

Der Wind wehte frisch, als Jeanne vor das Haus trat. Draußen war es noch düster. Spärlicher Lichtschein fiel aus dem Küchenfenster und verfing sich an den überstehenden Dachschindeln des Halbgiebels, der sich an der Gartenseite niedersenkte.

Es roch nach dem frischen Holz der aufgestapelten Scheite, nach Dung und warmer Erde. Jeanne sog den Duft tief ein, den der Morgentau zum Leben erweckt hatte. Sie liebte diesen Geruch, auch den herben der Ginstersträuche. So, wie die raue und spröde Hügellandschaft um Domrémy mit ihren Eichen, Uferbirken und Pappeln. Und genauso, wie diese Erde, die der böige Wind auslaugte und zerbröselte. Und wie ihr Heimatland am Flussbett der Meuse, die sich im Sommer oft träge durch die Niederung schlängelte, im Frühjahr aber mit dem Schmelzwasser der Berge über die Ufer trat und knorrige Äste, Gestrüpp und Weideland gurgelnd mit sich riss.

»Mein himmlischer Vater, ich danke dir!« Mit glänzenden Augen schaute sie hinüber zum Gotteshaus. »Ich danke dir so sehr, dass ich hier geboren bin.«

Das Grundstück ihrer Familie stieß gleich an die Einfriedung der Pfarrkirche. Gräulich hob sie sich mit ihrem Glockenturm vor dem Himmel ab, der sich jetzt ganz allmählich bläulich und türkis verfärbte.

Jeanne lief mit dem Holzeimer hinüber zum Stall. Das trübe Licht der Stalllaterne fiel auf halb eingetrocknete Kuhfladen, über denen fette Fliegen surrten. Sie hockte sich auf einen Schemel und stellte den Holzkübel unter eine der Kühe, die bereits ungeduldig mit den breiten Vorderklauen scharrten. Dann griff sie nach den Zitzen, schloss Daumen und Zeigefinger zu einem Ring und die übrigen Finger nacheinander zu einer Faust, um die Milch aus dem prall gefüllten Euter zu drücken. Ein deftiger Strahl zischte in den leeren Holzeimer, kleine Tropfen spritzten hoch. Der frische Geruch von warmer Kuhmilch zog ihr in die Nase. Jeanne betrachtete die frische Milch in dem Bottich, auf der sich nach jedem zischenden Strahl kleine Blasenberge wölbten, die dann allmählich wieder in sich zusammensackten.

Das Königreich Frankreich von den Engländern befreien! Jeannes Hände zitterten. Es war ein seltsames Gefühl, das jedesmal in ihr aufwallte, wenn dieser Gedanke sich in ihr verfing: Aufwühlend und unwirklich. Drängend und verwirrend. Viel zu verwirrend.

Noch immer hielt sie der Traum dieser Nacht wie betäubt, sie fühlte sich wie unter einer Glasglocke gefangen. Noch immer sah sie den Himmel, der aschgrau verhüllt war und von silbernen Lichtpfeilen aufgerissen wurde. Tausende von Schwertspitzen tanzten einem unsichtbaren Ziel entgegen. Die Geräusche erloschen, die Schwerter lösten sich auf und wurden eins mit dem trüben Grau. Dann riss der Dunst auf. Und da war es wieder: Dieses Licht von unerklärlicher Schönheit. Und die wundersame Stimme: »Jeanne! Gib ihnen den Glauben zurück. Und den Willen, unbesiegbar zu sein. Nimm das Banner und …« An dieser Stelle hatte der Vater sie geweckt.

Das französische Königshaus zum Sieg führen? Was für ein wahnwitziger Gedanke! Sie sollte die königstreuen Truppen der Armagnacs gegen die Burgunder führen, die sich mit den verhassten Engländern verbündet hatten? Jeanne schüttelte wieder ungläubig den Kopf.

Ihr Heimatdorf Domrémy lag am Rande Lothringens und grenzte unmittelbar an Feindesland. Auch hier häuften sich kriegerische Überfälle burgundischer Söldnertruppen. Wie oft schon hatten die Sturmglocken der Dorfkirche geläutet und sie zur Flucht beschworen. Wie oft war bei der Rückkehr das Dorf von Freischärlern ausgeplündert, so manches Haus zerstört und die Felder verwüstet. Oder die Roggenähren hatten lichterloh gebrannt, eine lodernde Feuerfront, die gierig nach Nahrung suchte. Zurück war dann nur schwarze Erde geblieben. Und wie oft war Vieh, das wegen des überhasteten Aufbruchs nicht fortgetrieben werden konnte, erbeutet oder geschlachtet worden. Abgestochene Schweine oder Ziegenkadaver lagen dann in ihren blutigen Eingeweiden. Die besten Fleischbrocken waren herausgeschnitten und als Proviant fortgeschleppt. Und jedesmal heulten Wölfe auf, gleich neben dem Dorf, in den dunklen Gassen, hinter den Ställen. Sie...



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