ForumWort / Klimkowsky / Stone | Von Höhenflügen und Abstürzen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 158 Seiten

Reihe: Edition Drachenfliege

ForumWort / Klimkowsky / Stone Von Höhenflügen und Abstürzen

Himmelhoch – Abgrundtief
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95996-216-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Himmelhoch – Abgrundtief

E-Book, Deutsch, 158 Seiten

Reihe: Edition Drachenfliege

ISBN: 978-3-95996-216-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Aufstiege mit eigenen Schwingen oder per verzaubertem Fahrstuhl, aus machtbesessenem Übermut oder reiner Freude. Abgestürzt von felsigen Klippen oder aus rosa Wolken, um dann liegenzubleiben, ein neues Leben zu wagen oder gar am tiefsten Meeresboden weiter zu existieren?

Die 13 Autor:innen des ForumWort Berlin loten in dieser Anthologie die Extreme zwischen Aufstieg und Fall aus. In ihren Kurzgeschichten, die sich zwischen Mystik, Fantasy, magischem Realismus und Science-Fiction bewegen, tummeln sich Feen, Vögel und andere Geflügelte, finstere Gestalten, Geister der Vergangenheit, eine KI, Heilerinnen und Todbringer – und sogar Nazis.

Und manchmal sprießen im Moment tiefster Verzweiflung auch Flügel ...

Mit Texten von: Cleo Belien, Hanna Bertini, Ulrich Conrad, Anne Danck, Laszlo Hartmann, June Is, Dr. Ilkay Koparan, Slavica Klimkowsky, Sylvia Krupicka, Andrea Maluga, Debsi Peps, Nicole Pfeiffer und Deborah B. Stone

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Deborah B. Stone
Nur ein nutzloser Flügel
Gold-orange schwebten die von der Morgenröte getupften Wolken unter ihr, als Ariyah sich mit kräftigen Flügelschlägen in den Himmel schraubte, höher und höher hinauf. Der Wind blies ihr das lavendelblaue Haar aus dem Gesicht und brachte die feine und doch so robuste Membran ihrer Flügel zum Beben. Ein wohliger Schauer lief von ihren Handgelenken, wo die schimmernden Flughäute ansetzten, bis zu den unteren Rippenbögen, an denen sie endeten. Ihr gesamter Körper vibrierte im Einklang mit der Kraft des Windes. Was könnte schöner sein als Fliegen? Ihr blieb noch Zeit, bis sie ihren Wachdienst antreten musste. Zeit, in der sie den neuen Tag begrüßen konnte, wie es ihr beliebte, um mit dem Wind zu spielen, der jeden Muskel ihres Körpers vor Lebendigkeit prickeln ließ. Ariyah beendete ihren Aufstieg und setzte zum Sturzflug an, die Flügelarme eng an den Körper geschmiegt. Erst auf der Höhe des gezahnten Felskammes glitt sie in einen sanfteren Sinkflug, denn in der Nähe der Felsen gab es unberechenbare Aufwinde, die ihre volle Konzentration erforderten. Schon spürte sie die schattige Kühle und die strudelnden Winde, die durch die Felsen bliesen und an ihren Flughäuten zupften. Das Geheimnis bestand darin, gerade um so viel zu verlangsamen, dass sie nicht gegen die Felsen prallte, aber genug Schwung behielt, um nicht zum Spielball der Zuglüfte und Aufwinde zu werden. Doch Ariyah gehörte zu den begabtesten jungen Wächterinnen, sie ritt die Lüfte, seit sie dem Staubalter entwachsen war und hielt sich seitdem nur zum Schlafen und Essen auf dem Erdboden auf. Nun näherte Ariyah sich einer Felskuppe. Vor wenigen Wochen hatte sie hier einen Steinadler-Horst entdeckt. Die riesige Vogelmutter wachte scharfäugig über ihre Brut, doch Ariyah ließ es sich nicht nehmen, bei ihren Flügen regelmäßig vorbeizusehen. Es musste ihr doch noch einmal gelingen, einen Blick auf die kleinen Federbälle zu erhaschen, die dort zu Königinnen und Königen der Lüfte heranwuchsen. Heute war es unruhig im Nest. Ariyah wurde mit Gekrächze und Flügelschlagen empfangen. Doch nicht sie selbst war der Grund für die Aufregung: Zwei der Steinadlerküken hackten mit ihren scharfen Schnäbeln auf das dritte im Nest ein. Schon war sein flaumiges Federkleid blutverklebt. Noch wehrte es sich, doch während Ariyah zusah, erlahmte sein Widerstand sichtlich. Es war nur eine Frage von wenigen Augenblicken, bis es der Übermacht erliegen würde. Mit letzter Kraft gelangte es auf den Rand des Nestes, wankte einen Moment auf dem Ring aus Zweigen und verlor dann den Halt. Es stürzte in die Tiefe. Kläglich schlug es mit den Stummelflügeln. Ohne die Schwungfedern, die ihm erst in einigen Wochen wachsen würden, war es noch völlig flugunfähig. Ariyah ließ alle Vorsicht fahren. Ungebremst jagte sie die letzten Meter auf die Felskante zu. Dabei steuerte sie einen Punkt unter dem Horst an und fing das wie ein Stein herabfallende Adlerkind auf. Sie schaffte es zwar, im letzten Moment abzudrehen, sodass ihr Kopf die Felsen nur streifte, doch ihre linke Schulter und ihr Arm durchzuckten reißende Schmerzen. Rote Flecken wirbelten vor ihren Augen, fast besinnungslos schlingerte sie Richtung Erde, das Küken an die Brust gepresst. Schließlich gelang es ihr mühsam, mit dem rechten Flügelarm den unkoordinierten Fall etwas abzubremsen. Der Schmerz in ihrer linken Seite war einer wattigen Taubheit gewichen, doch sie versicherte sich immer wieder, dass der kleine Adler noch sicher unter dem gefühllosen Flügelarm festgeklemmt war. Unsanft landete sie auf der mit dürrem Gras bewachsenen Fläche vor den Wohnhöhlen. Ihr Bauch schrammte über den Untergrund und Sand stob auf. Mit aufgerissenen Augen eilten ihr Caelie und Nuvola vom Höhleneingang, wo sie gewacht hatten, entgegen. »Ariyah! Wo greifen sie an?« Nuvola ging als Anführerin gleich in den Verteidigungsmodus. »Kein Angriff«, keuchte Ariyah und spuckte Staub. »Ein verletzter Adler. Bitte helft ihm. Und mein Flügel ...« Mühsam stemmte sie sich auf die Knie und wies mit dem Kinn auf das zerzauste Bündel an ihrer Brust. Ihre gefühllosen Finger zu öffnen, gelang ihr nicht. »Wir müssen sie sofort zu Heilerin bringen!« Caelie zerrte Ariyah hoch und zum Höhleneingang. Durch von Kristallen matt erleuchtete Gänge humpelte Ariyah auf ihre Flugschwester gestützt zur Kammer der Heilkundigen. Sie taumelte hinein und die Geruchsmischung von ranzigen, süßlichen und bitteren Aromen, die sie in der Höhle überfiel, brachte Ariyahs Magen dazu, sich zu heben. Überall von der Decke hingen Büschel aus Kräutern und Wurzeln und jede Oberfläche war mit Tiegeln und Schalen bedeckt. Heilerin schlurfte heran. Sie war eine ältere gebeugte Frau, bleich wie alle Höhlen-Staublinge. Sanft, aber bestimmt bog sie Ariyahs Hand auf. Das blutige Federbündel legte sie achtlos auf einen Tisch neben sich. Ariyah protestierte: »Er braucht Hilfe!« Regte das Adlerkind sich überhaupt noch oder war alles vergebens gewesen? »Jetzt kümmern wir uns erst einmal um dich!« Caelie drückte Ariyah auf einen Schemel. Heilerin grunzte zustimmend. »Halte mal ihre Schulter, wir müssen sehen, wie schlimm es ihren Flügel erwischt hat.« Sie schnitt Ariyahs Gewand auf und feuchtete dann ein Tuch an. Mit vorsichtigen Strichen wusch sie das Blut von der verletzten Seite. Dann griff sie beherzt zu und breitete Ariyahs Arm aus. Dieser Schmerz! *** Die nächsten Tage verbrachte Ariyah wie im Nebel. Es war jedoch nicht der verheißungsvolle Nebel eines neugeborenen Tages, sondern ein lichtverschluckendes, schweres Grau. »Die Flügelmembran ist völlig zerfetzt, mit dem Fliegen ist es vorbei. Doch mit Geduld und Glück wirst du zumindest den Arm wieder benutzen können«, hatte Heilerin gesagt. Glück? Was wusste dieser Staubling von Glück? Denn bei all ihrem Heilwissen war es das, was Heilerin war: Ein Staubling, der die Ekstase der Schwerelosigkeit nie gekostet hatte. Staublinge waren völlig ohne oder nur mit verkümmerten Flügeln geboren. Einige wenige waren durch Verletzungen flugunfähig geworden, doch diese bedauernswerten Kreaturen wählten zumeist den Freitod oder das Exil. Nein, Ariyah war es unmöglich, Trost daraus zu schöpfen, dass die zerbrechlichen hohlen Knochen in ihrem Arm, die ihr Volk leicht genug zum Fliegen machten, irgendwann heilen würden. Ihr Arm war ihr nur wertvoll als Teil ihres Flügels – und dieser war dahin. Einzig die Pflege des kleinen Adlers, den sie Volo genannt hatte, vermochte es, Ariyah zeitweise aus ihrer Teilnahmslosigkeit zu reißen. Dieses edle Flugwesen musste einfach wachsen und gedeihen, dann war ihr Opfer nicht vergeblich. Der Jungvogel war stets hungrig. Seine Wunden verheilten gut und er wurde mit jedem Tag schwerer, stellte Ariyah fest, während sie ihn seufzend in seinem Tuch vor ihren Bauch band. Nur ihm zuliebe schleppte sie sich täglich aus den Höhlen. Während sie mit ihrem Grabstock an den Feldrainen nach Würmern und anderem Getier stocherte, fiel ein geflügelter Schatten auf sie. Ariyah ließ den Blick gesenkt, als sei sie ganz vertieft in ihre Tätigkeit, bis sie es nicht mehr aushielt und doch unauffällig nach oben blinzelte. Ganz genau konnte sie den Moment bestimmen, in dem die Wächterin sie erkannte: ein kurzes Stocken im Flügelschlag, ein allzu beiläufiges Höhergleiten. Erträglicher waren da fast die mitleidigen oder abschätzigen Blicke der sonnenverbrannten Feld-Staublinge. Wen interessierte schon, was die dachten? Doch dass die Frauen und Männer, die all die Jahre ihre Flug-Gefährtinnen und -Gefährten gewesen waren, betreten wegsahen oder sich höher in die Lüfte schwangen, wenn sie sich näherte, verklumpte Ariyahs Magen. Caelie war die Einzige aus ihrer Wache, die sie noch besuchte. Alle anderen hatten es vorgezogen, höfliche Grüße ausrichten zu lassen. Ariyah machte ihnen nicht ernsthaft einen Vorwurf, wie könnte sie? Niemand hielt sich gerne vor Augen, dass das Glück des Fliegens zerbrechlich war. Und doch zerdrückte es ihr die Brust und nahm ihr die Luft zum Atmen. Der Verlust der Schwerelosigkeit und die Missachtung ihrer ehemaligen Gefährtinnen schmerzten weit mehr als die körperliche Wunde. Sie hielt Volo eine Handvoll erdiger Würmer und Larven vor den Schnabel. Er zumindest würde sich bald wieder aus dem Staub, in den sie gestürzt waren, erheben können. *** Am nächsten Morgen wurde Ariyah unsanft aus dem Schlaf gerissen. Köchin stand in ihrer Schlafhöhle und leuchtete ihr mit einer Kristalllampe ins Gesicht. »Aus den Decken! Heilerin sagt, du bist wieder gesund. Da du keine Wache mehr halten kannst, musst du dich anderweitig nützlich machen. In der Küche können wir gut ein weiteres Paar Hände brauchen.« Sie blickte auf Ariyahs nutzlose Linke und Ariyah sah das spöttische Funkeln in ihren Augen. »Oder auch nur eine Hand, in deinem Fall.« Mitgefühl oder Rücksichtnahme hatte sie von der Frau, die alle nur Köchin nannten, eindeutig nicht zu erwarten. Nun, sie war schließlich nicht auf die Güte von Staublingen angewiesen. Ariyah rappelte sich wortlos hoch und warf Köchin einen auffordernden Blick zu. Diese gackerte. »Immer noch hochmütig, ja? Nun, wir werden schon sehen, wie lange Breiwächterin sich noch für was Besseres hält.« Damit verschwand sie endlich durch die Tür und Ariyah konnte sich...



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