Foster Der Waisenstern
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-13361-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Homanx-Zyklus - Roman
E-Book, Deutsch, Band 8, 0 Seiten
Reihe: Die Homanx-Reihe
ISBN: 978-3-641-13361-0
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nachdem er als Waisenkind von Mutter Mastiff, einer schlauen Händlerin, auf dem Sklavenmarkt von Drallar gekauft wurde, schlägt Flinx sich als Gedankenleser durch – kein Trick, denn er ist telepathisch begabt. Damit tut er niemandem etwas zuleide, aber trotzdem wird er ständig von dunklen Mächten bedroht. Flinx glaubt, dass seine unbekannte Herkunft, seine Eltern, etwas damit zu tun haben könnten. Alles deutet darauf hin, dass er von der Erde stammt. Flinx will es genau wissen und macht sich auf die Reise zum Ursprungsplaneten der Menschheit …
Alan Dean Fosters Arbeiten sind breit gefächert und reichen von Science Fiction und Fantasy über Horror und Krimis bis zu Western. Er schrieb Romane zu »Star Wars« und den ersten drei Alien-Filmen sowie Vorlagen für Hörbücher, Radio und die Story des ersten Star-Trek-Films. Alan Dean Foster lebt heute mit seiner Familie in Prescott, Arizona.
Weitere Infos & Material
2
Die Tür zum Zentralschacht des Turmes öffnete sich, als der einzige andere, der sich noch im Raum befand, zu fliehen versuchte. Aber statt einer leeren Liftkabine fand er sich einer Gestalt von gargantuesken Proportionen gegenüber, die ihn wie ein Spielzeug hochhob und ihm den Nadler abnahm. Der Neuankömmling machte die Waffe wirkungslos, indem er sie einfach in einer Faust zerdrückte, die die Gewalt einer hydraulischen Presse hatte. Nollys Finger, die den Kolben des Nadlers umfasst hielten, erlitten ein ähnliches Geschick, und seinen Lippen entrang sich ein kurzer Schmerzensschrei, ehe ihn gnädige Bewusstlosigkeit einhüllte.
Small Symm duckte sich, um nicht gegen den Torbogen zu stoßen, und ließ die reglose menschliche Gestalt zur Seite fallen. Gleichzeitig ließ sich eine lange dünne Kreatur auf Flinx’ Schulter nieder, und eine feuchte Zungenspitze leckte an seinem Ohr. Flinx griff nach hinten, kratzte den Minidrach am Kopf und fühlte, wie er sich entspannte. »Danke, Pip.«
Dann stand er auf, ging um den Tischsafe herum und spielte mit den Schaltern an der anderen Seite. Gleich darauf war es ihm gelungen, den ganzen Raum zu erhellen. Wo Nanger zusammengebrochen war, lag das teure Mobiliar zerschmettert und verbogen herum. Seine Leiche, die bereits anfing zu erstarren, lag wie hingeworfen über einem verbogenen Stuhl. Die reglose Gestalt seines Begleiters zierte den Eingang. Aus seiner zermalmten Hand rann Blut. »Ich hab’ mich schon gefragt, wann du hier auftauchen würdest«, meinte Flinx zu Symm gewandt.
»Das war schwierig«, entschuldigte sich der Barbesitzer, dessen Stimme aus dem tiefsten Innern seines mächtigen Brustkastens zu dröhnen schien. »Dein Minidrach war ungeduldig und verschwand plötzlich, als ich mit ihm nicht Schritt halten konnte. Wie hat er dich denn gefunden?«
Flinx warf einen liebevollen Blick auf den schuppigen Kopf seines Lieblings. »Er hat meine Angst gerochen. Beim Wasser des Lebens, laut genug habe ich sie ja ausgestrahlt.« Er hielt ihm die immer noch mit Handschellen gefesselten Hände hin. »Kannst du da etwas machen? Ich muss zu Challis.«
Symm warf einen Blick auf die Handschellen, und milde Überraschung trat auf sein Gesicht. »Ich hatte nie gedacht, dass du Rachegefühle kennst, Flinx.«
Er nahm eines der schmalen Bänder zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte vorsichtig zu. Das Metall zersprang mit einem explosiven ›Pop‹. Kurz darauf war auch Flinx’ andere Hand frei.
Als Flinx sein rechtes Handgelenk rieb, konnte er keine Spur entdecken – nichts, das einen Hinweis auf den schier unerträglichen Schmerz gab, den er empfunden hatte.
Er überlegte, wie er auf die Anklage seines Freundes reagieren sollte. Wie sollte er diesem gutmütigen Hünen die Wichtigkeit von Challis erklären? »Ich glaube, Challis weiß etwas über meine wirklichen Eltern. Darüber kann ich nicht einfach hinweggehen.«
Die unerwartete Bitterkeit in Symms Antwort verblüffte ihn. »Was bedeuten sie dir schon? Was haben sie für dich getan? Ihretwegen hat man dich wie einen Besitz behandelt, wie ein Stück Vieh. Wenn Mutter Mastiff nicht gewesen wäre, dann wärst du jetzt ein Sklave, würdest vielleicht jemandem wie diesem Challis gehören. Deine wirklichen Eltern – du schuldest ihnen nichts, am allerwenigsten aber die Befriedigung, ihnen zu zeigen, dass du überlebt hast!«
»Ich weiß nicht, unter welchen Umständen sie mich verließen, Symm«, konterte Flinx. »Ich muss es erfahren und sie kennenlernen. Ich muss.«
Der Barbesitzer, selbst Waise, zuckte die mächtigen Schultern. »Du bist eben ein Idealist, Flinx.«
»Und du ein noch größerer«, gab der Junge zurück, »und deshalb wirst du mir helfen.«
Symm murmelte etwas Unverständliches, vielleicht einen Fluch. Dann fragte er: »Wohin ist er verschwunden?«
Flinx deutete auf die Geheimtür, und Symm lehnte sich prüfend gegen die Wand. Die Scharniere gaben überraschend leicht nach. Dahinter entdeckten sie einen kurzen Korridor, der zu einem kleinen Privataufzug führte, welcher sie schnell ins Erdgeschoss des luxuriösen Turmes trug.
»Wie bist du denn überhaupt reingekommen?«, fragte Flinx seinen Freund. Symms Mundwinkel zuckten. »Ich hab’ den Sicherheitsbeamten gesagt, dass ich einen Passierschein hätte, das ist ja in diesen Wohntürmen üblich.«
»Hat denn keiner ihn sehen wollen?«
Symm verzog keine Miene. »Würdest du das? Ein Wächter hat es getan, und ich glaube, er wird durchkommen, wenn er vernünftig behandelt wird. Vorsichtig jetzt!«, warnte er, als der Lift zum Stillstand kam. Zur Seite geduckt sprang er hinaus, als die Tür sich öffnete. Aber niemand erwartete sie. Sie befanden sich vielmehr in einer Garage, der anzusehen war, dass sie erst seit kurzem leerstand.
»Halt deine Riesenohren offen«, riet Flinx leise. »Sieh zu, ob du herausfinden kannst, wohin Challis geflohen ist. Ich werde das auf meine Weise versuchen …«
Als sie die Garage durch das offenstehende Tor verließen, hielt niemand sie auf, obwohl verborgene Augen sie beobachteten. Aber die Besitzer dieser Augen waren dankbar, die beiden gehen zu sehen.
»Bist du sicher, dass die nicht noch hier sind?«, wollte Symm wissen. »Jemand könnte ja den Wagen weggeschafft haben, um uns abzulenken.«
Flinx antwortete mit jener entnervenden Bestimmtheit, die Symm nie begreifen würde, die hinzunehmen er sich aber angewöhnt hatte. »Nein, die sind nicht mehr in dieser Umgebung.«
Außerhalb der letzten Schutzmauer des Wohnparks trennten die beiden sich. Es gab keine Formalitäten, kein Händeschütteln. Zwischen den beiden bedurfte es dieser Äußerlichkeiten nicht.
»Wenn du etwas hörst, dann lass es mich in Mutter Mastiffs Laden wissen«, instruierte Flinx den Riesen. »Was auch geschieht, ich halte dich über meine Pläne auf dem laufenden.«
Während er sich seinen Weg durch die konzentrischen Kreise des Marktes bahnte, hüllte er sich dicht in seinen Umhang. Die letzten Tropfen des morgendlichen Regens fielen gerade. In der Ferne machte eine stets hoffnungsvolle Sonne Anstalten, hinter den tiefhängenden schweren Wolken aufzugehen.
Rings um ihn herrschte reges Leben. Dies war eines der Handelszentren des Commonwealth, und die Geschäfte liefen rund um die Uhr.
Flinx kannte eine große Zahl der Bewohner dieser Welt-in-einer-Welt auf den ersten Blick. Manche waren wohlhabend und groß, mache arm und groß. Einige wenige waren keine Menschen, und viele waren weniger menschlich als andere, obwohl alle von sich behaupteten, derselben Rasse anzugehören.
Als er an der Bude des Süßwarenverkäufers Kiki vorbeikam, blickte er entschlossen geradeaus. Es war noch zu früh und sein Magen war für Schokolade noch zu leer. Außerdem hatte sich sein Innenleben noch nicht ganz von den Nachwirkungen von Challis’ scheinbar harmlosem Juwel erholen können. Also kaufte er sich beim Vorsitzenden Nils einen kleinen Laib Roggenbrot, der mit Nussbutter bestrichen war.
Nils der Lebensmittelhändler war ein Mann um die vierzig und von höchst selbstbewusstem Auftreten. Alle nannten ihn den »Vorsitzenden«. Er regierte seine Ecke des Marktplatzes mit dem Auftreten eines Diktators und argwöhnte nie, ob er diese Macht auch besaß, weil seine Kollegen Spaß daran hatten, diese harmlose Verrücktheit zu erdulden. Aber seine Backwaren waren durch und durch echt. Flinx biss kräftig von dem dreieckigen Laib ab und freute sich an dem herrlichen Geschmack der gehackten Nüsse und der zerlassenen Butter.
Ein Blick zum Himmel ließ es immer noch möglich erscheinen, dass die Sonne durchkam, etwas, das in dem meist von Wolken verhangenen Drallar als Seltenheit galt.
Als er seine kurze Mahlzeit beendet hatte, lenkte Flinx seine Schritte durch ein Viertel mit hübschen dauerhaften Läden – ein Viertel, das sich wesentlich von den primitiven Hütten und Läden unterschied, in denen er seine Kindheit verbracht hatte. Als er das erste Mal den Vorschlag gemacht hatte, den Laden in diese Gegend zu verlegen, hatte Mutter Mastiff sich lautstark widersetzt. »Ich wüsste ja gar nicht, wie ich mich dort verhalten sollte«, hatte sie argumentiert. »Was verstehe ich denn davon, wie man mit reichen Leuten umgeht?«
»Glaub’ mir, Mutter« – beide wussten, dass sie nicht seine leibliche Mutter war, aber sie nahm bei mindestens der Hälfte aller Waisen in Drallar Mutterstelle ein –, »die sind genauso wie deine alten Kunden, nur dass sie mehr Zaster haben. Außerdem, was sollte ich denn sonst mit all dem Geld tun, das Malaika mir aufgedrängt hat?«
Schließlich hatte er sich gezwungen gesehen, den Laden zu kaufen und sie so mit einem fait accompli zu konfrontieren. Sie schimpfte stundenlang mit ihm, als er es ihr erzählte – bis sie das Ladenlokal schließlich sah. Zwar fuhr sie auch dann noch fort, sich in finsteren Prophezeiungen zu ergehen und alles schlechtzumachen, was er ihr zeigte – die teure Ware, die schöne Wohnung im Obergeschoss, die automatischen Küchengeräte –, aber ihr Widerstand brach mit der erwarteten Schnelligkeit zusammen.
Aber zwei Dinge lehnte sie immer noch ab. Das eine betraf ihre selbstgemachte Kleidung – eine esoterische Collage aus Perlen, Glocken und Stoff, wie man sie sich exotischer kaum vorstellen kann. Das andere betraf den kleinen Lift, welcher das eigentliche Ladengeschäft mit der Wohnung darüber verband. »Wenn ich einmal diese Treppe nicht mehr schaffe«, ereiferte sie sich, »dann kannst du mich auch einbalsamieren und ausstopfen lassen und mich in einem Raritätenladen ins Schaufenster stellen.« Und um ihre Entschlossenheit unter Beweis zu...




