E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Franke Der Konzern
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-99012-890-9
Verlag: Hollitzer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-99012-890-9
Verlag: Hollitzer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stefan Franke, geboren 1967, ist Schriftsteller und Inhaber einer Werbeagentur. Er lebt und arbeitet in Klosterneuburg. Zuletzt erschienen die Erzählung 'Die Welt zwischen Null und Eins' (2017) und der Roman 'Verborgene Welten oder Die Reise zum verlorenen Ich' (2019).
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2
Am nächsten Morgen betrat Köhler ausgeruht und guter Dinge den Speiseraum. Das Buffet war atemberaubend und die kulinarische Vielfalt der Inbegriff eines frivol luxuriösen, endlos köstlichen Frühstücks, das dem Hungrigen einen Vorgeschmack auf das Paradies versprach. Köhler begnügte sich jedoch mit einem Oolong-Tee und zwei Eiern im Glas. Nachdem er die Zeitung gelesen hatte, wollte er sich zur Konzernzentrale fahren lassen. Doch der unsägliche Winterberg, den er im Frühstücksraum erst gar nicht wahrgenommen hatte, setzte sich unaufgefordert an seinen Tisch.
»Ich freue mich auf Ihren ersten Arbeitstag, Herr Doktor.«
»Und ich freue mich auf mein Honorar«, antwortete Köhler, »das stattlich ausfallen wird, davon ist auszugehen.«
»Über die Bezahlung kann ich Ihnen keine Auskunft geben, aber es gab in finanziellen Angelegenheiten noch nie einen Grund zur Klage.«
Winterberg saß Köhler ziemlich nahe, doch nicht so nahe, dass es ungehörig gewesen wäre.
Köhler blickte beiläufig aus dem Fenster.
Vor dem Hotel parkten einige schwarze Limousinen, die dazugehörigen Chauffeure standen tatenlos herum und rauchten.
»Was für Aufgaben haben Sie eigentlich sonst noch wahrzunehmen, abgesehen einmal von Ihrem Assistenzposten im Vorstand?«, fragte Köhler gelangweilt.
»Nun, wie soll ich es erklären, eigentlich nicht sehr viele, wenn man von einigen Telefonaten und der Teilnahme an Meetings absieht, um ehrlich zu sein, kümmere ich mich nur um das Hotel. So ist auch der Vorstand auf mich aufmerksam geworden. Fleiß ist das oberste Gebot und wird stets vom Konzern gefördert«, antwortete Winterberg verlegen.
Köhler lachte.
Die Worte Winterbergs schienen einstudiert zu sein, er war einfach eine lachhafte Figur.
»Ein Hotelier also, das ist doch ganz ausgezeichnet. Werden Sie meine neuen Mitarbeiter auch gut im Hotel unterbringen?«
Winterberg schaute verlegen zu Boden, rückte näher an Köhler heran und sagte: »Eigentlich ist das Hotel ausgebucht, aber ich werde mich sofort darum kümmern. Ganz sicher, Herr Doktor, werde ich ein paar Zimmer zur Verfügung stellen können, machen Sie sich da keine Sorgen. Aber werden Ihre Leute nicht Tag und Nacht arbeiten?«
»Das hat Sie nicht zu interessieren, aber davon einmal abgesehen haben Sie recht, es könnte sein, dass sie zeitweise auch in der Zentrale übernachten.«
Winterberg runzelte die Stirn und rückte näher.
»Sollte ich sie vorwiegend in der Zentrale benötigen, wird es auch vernünftiger sein, wenn sie gleich dort bleiben, aber ich fürchte, dass sie sich nicht wohl fühlen werden.«
»Kennen Sie den Konzern denn so gut, Herr Doktor?«, fragte Winterberg.
»Ich kenne viele Konzerne, da gleicht einer dem anderen, also kenne ich sie alle, da wird mich nichts überraschen können.«
Köhler stand auf, da ihm die Nähe Winterbergs unangenehm zu werden begann. Die Gespräche mit dem Dicken waren außerdem nicht sehr befruchtend und gingen ihm allmählich auch auf die Nerven. Winterberg erhob sich ebenfalls.
Im Weggehen fiel Köhler ein dunkles Porträt auf. Es zeigte das Bild eines etwa sechzigjährigen Mannes. Etwas Düsteres, Unangenehmes ging von dem Gemälde aus. Der Mann auf dem Bild hatte buschige, graue Augenbrauen und einen stechenden Blick, der dem Betrachter, wohin er sich auch bewegte, zu folgen schien.
»Wer ist das? Der Firmengründer?«, fragte Köhler.
Er stand jetzt unmittelbar vor dem Porträt und schaute es ganz genau an.
»Korrekt«, sagte Winterberg, »das Bild zeigt den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden.«
»Offenbar ein Patriarch.«
»Richtig. Ein beinharter Machtmensch, der über Leichen ging. Von nichts kommt eben nichts.«
»Das ist nicht zu übersehen, ein Mann von großem Einfluss. Furchteinflößend und böse.«
»Das trifft es auf den Punkt«, sagte Winterberg, der jetzt großes Unbehagen ausstrahlte.
»Haben Sie etwa auch vor dem neuen Vorstandsvorsitzenden Angst?«, fragte Köhler verwundert.
»Ich halte John A. Bannon für sehr mächtig, daher habe ich großen Respekt und, wenn man so will, vielleicht auch Angst.«
»Sie sind vielleicht ein Hasenfuß«, sagte Köhler lachend, aber Winterberg stimmte nicht ein, sondern sagte nur: »Alle Vorstandsmitglieder sind mächtig!«
»Wenn man nur laut und polternd genug auftritt, gehen Sie schon vor Angst in die Knie. Oder etwa nicht?«
Winterberg sagte nichts.
»Wahrscheinlich haben Sie auch vor mir Angst.«
Köhler schaute ihn mit abschätzigem, spöttischem Blick an. Dann winkte er ihn verschwörerisch zu sich heran und sagte nach einer kurzen Pause leise: »Puh!« Winterberg zuckte verärgert zusammen und ging ein wenig auf Distanz. Köhler schüttelte sich vor Lachen.
»Sie halte ich nicht für mächtig, infolgedessen habe ich auch keine Angst, ich finde Ihr Benehmen einfach nur arrogant und ungehobelt.«
»Dann bin ich ja einigermaßen beruhigt«, sagte Köhler und ließ Winterberg allein zurück.
In der Lobby holte er sich noch die Financial Times, hinterlegte seinen Zimmerschlüssel und trat durch eine Drehtür hinaus auf die Straße.
Die Luft war klar, die Nebel hatten sich gelichtet, alles war ganz ruhig. Nun sah er die Konzernzentrale deutlich umrissen in der Ferne, beeindruckend auch von hier. Von dieser Perspektive aus entsprach die Zentrale seinen Erwartungen. Ein gewaltiger Turm ragte in den Himmel, der alles überstrahlte. Eine glitzernde Machtdemonstration, die ihresgleichen suchte. Köhler stieg in eine der wartenden Limousinen, der Chauffeur fuhr sofort los, aber je näher sie dem Turm kamen, desto mehr enttäuschte ihn dieser Prunkbau. Es war doch nur ein Büroturm wie viele andere, sagte er sich, ausgezeichnet vielleicht dadurch, dass der Glaspalast alle anderen Gebäude – wie auch alles, was er bisher gesehen hatte – um ein Vielfaches überragte. Er dachte kurz an seinen letzten Auftrag; er war in Asien in einem ähnlichen Turm beschäftigt gewesen, nur eben in einem deutlich weniger hohen. Doch irgendetwas war – abgesehen von der Größe – an diesem Gebäude anders. So wie es sich zeigte, war es nicht nur gewaltig, sondern auch merkwürdig in der Bauweise und geheimnisvoll im Anblick, da es den Anschein erweckte, der Turm wäre ein lebendiges Wesen. Köhler spürte eine ungeheure Anziehungskraft, die von dem Bauwerk auszugehen schien. An der Außenwand des Turms waren Hunderte Aufzüge zu sehen, die mit hoher Geschwindigkeit auf und ab rasten. Bis zur Turmspitze sah man nicht, sie war von einer dichten Wolkendecke umgeben. Es mussten Tausende Menschen sein, die in das Gebäude strömten, wohlgeordnet, ohne jede Hektik, scheinbar voller Zuversicht und in fast militärischem Gleichschritt. Merkwürdig war, wie gleichmäßig und ruhig alles ablief – abgesehen von den Uniformierten natürlich, die nervös und wild gestikulierend herumliefen und die Menschen regelrecht in das Gebäude hineintrieben.
Irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl, dass sie sich mit dem Auto im Kreis bewegten. Es ging nicht wirklich vorwärts. Aber es war auch ein langer, komplizierter Weg, auf einer schier unendlich scheinenden achtspurigen Autobahn. Ein Dickicht an Hinweistafeln, bedruckt mit mikroskopisch kleiner Schrift, erstreckte sich vor ihnen. Der Chauffeur fuhr die schwere Limousine zügig und konzentriert, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt kamen sie nicht näher an die Zentrale heran. Die Autobahn führte nicht direkt zum erhofften Ziel, sie brachte sie nur in die Nähe, gerade so nahe, dass Köhler meinte, die Ankunft stehe knapp bevor, aber völlig überraschend bog sie dann wieder ab. Und wenn sie sich auch von der Zentrale nicht wirklich entfernten, so fanden sie doch nicht die ersehnte Abzweigung. Ungeduldig wartete Köhler ab. Er fühlte sich jetzt doch nicht ganz auf der Höhe, spürte eine leichte Müdigkeit in sich aufsteigen, die eine geistige Trägheit nach sich zog, was ihn nicht weiter störte, obwohl es dafür eigentlich noch viel zu früh am Morgen war. Auch wunderte ihn die Dauer der Fahrt nicht, er nahm alles mehr oder weniger gedankenverloren zur Kenntnis.
Die schwarze Limousine fuhr mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch den Morgen, etwas zu schnell, wie ihm schien, aber doch so, dass man die vorüberziehende Landschaft gut betrachten konnte. Die Augen auf die Konzernzentrale gerichtet, spürte Köhler, wie sich der Wagen wieder langsam von ihr entfernte; doch es kümmerte ihn nicht, da ihn die Müdigkeit jetzt vollständig erfasst hatte und er dankbar für eine kurze Ruhepause war. Er blickte noch einmal Richtung Turm, der jetzt im vollen Licht erstrahlte und von Schwärmen dunkler Vögel umkreist wurde. Seine Augenlider wurden immer schwerer, schließlich nickte er ein.
Als er seine Augen wieder öffnete, hielt der Wagen vor einer Raststätte. Der Chauffeur bemerkte sofort, dass Köhler aus dem Dämmerschlaf erwacht war und öffnete zuvorkommend die Tür. Köhler stieg aus und stand mit seinen feinen Maßschuhen in tiefem Schnee. Er blickte kurz auf seine goldene Omega, ein Statussymbol, das er sich geleistet hatte, damit er jeden Tag an seine Erfolge erinnert wurde, sozusagen Motivation und Genugtuung zugleich. Die Luft war kalt und er hatte schon wieder Kopfschmerzen. Mit staksigen Schritten ging er auf den Eingang zu. Ohne zu zögern öffnete er die Tür und stand in einem großen Raum, der hell erleuchtet war. Das Lokal war gut besucht. Einige Gäste saßen an der Theke und tranken Kaffee, andere waren rund um die Tische in Gespräche vertieft. Niemand kümmerte sich um den neuen Gast. Mehrere Bildschirme hingen an den Wänden, die Highlights eines Wrestling-Kampfes...




