E-Book, Deutsch, 118 Seiten
Friedell / edition Die Reise mit der Zeitmaschine
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7504-3580-3
Verlag: BoD E-Short
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)
E-Book, Deutsch, 118 Seiten
ISBN: 978-3-7504-3580-3
Verlag: BoD E-Short
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Egon Friedell (1878-1938) wurde in Wien geboren. In seiner Schulzeit galt er als notorischer Störenfried, sein Abitur bestand er erst im vierten Anlauf. Im Jahr 1900 nahm er das Studium der Philosophie auf, das er 1904 mit einer Dissertation über Novalis abschloss. Friedell arbeitete in den folgenden Jahren als Journalist und Schriftsteller, außerdem war er als Regisseur, Beleuchter und Schauspieler tätig. In den späten 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts begann er mit der Arbeit an seiner dreibändigen "Kulturgeschichte der Neuzeit", die lange Zeit als Standardwerk gelten sollte. Egon Friedell starb durch eigene Hand, als SA-Männern ihn in seiner Wohnung in Wien verhaften wollten.
Autoren/Hrsg.
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Einleitung: Eine ungewöhnliche Korrespondenz
1. Brief
Mr. H. G. Wells, London
Wien, am 3. Februar 1908
Hochgeehrter Meister!
Ein begeisterter Verehrer, ja Verschlinger Ihrer sämtlichen Werke gestattet sich, eine bescheidene Anfrage an Sie zu richten, die Sie hoffentlich nicht allzu sehr belästigt. Sie haben in Ihrem vor längerer Zeit erschienenen prachtvollen Roman „Die Zeitmaschine“ einen Gelehrten geschildert, der mit einem Apparat seiner Erfindung in die vierte Dimension, nämlich in die Zeit, zu reisen vermag. Er versucht es zunächst nach vorne: in die Zukunft, und die Schicksale, die ihm dabei widerfahren, sind von Ihnen mit einer dichterischen Phantasie ausgesponnen, die jeden Leser entzücken muss. Er kehrt zurück, erzählt seine Erlebnisse, besteigt bald darauf wieder den Apparat, um in die Vergangenheit zu reisen – und hier bricht der Roman ab. Sie sagen: „Der Zeitreisende verschwand. Und, wie jedermann heute weiß: er ist niemals zurückgekehrt. Wir können nichts tun als uns darüber wundern. Wird er jemals wiederkommen? Vielleicht ist er, als er in die Vergangenheit zurückwirbelte, unter die blutdürstigen behaarten Wilden der frühen Steinzeit geraten oder in die Tiefen des Kreidemeers oder unter die grotesken Saurier, die riesigen Eidechsenungetüme der Jurazeit. Vielleicht promeniert er eben jetzt – wenn ich mir überhaupt eine Vermutung erlauben darf – auf einem von Plesiosauriern bevölkerten Korallenriff oder am Ufer eines einsamen Salzsees der Triasperiode.“
Nun aber sind seit dem Erscheinen des Romans bereits einige Jahre verflossen, während deren ich oft und angestrengt über jene Reise in die Vergangenheit gegrübelt habe. Es gibt meiner Ansicht nach hier nur zwei Möglichkeiten. Entweder: In Ihrem Bericht steckt ein Körnchen Wahrheit; in diesem Falle wäre es doch immerhin denkbar, dass man von dem seltsamen Mann inzwischen Nachricht bekommen hätte. Oder aber: Er ist überhaupt eine freie Erfindung Ihrer genialen Feder – warum zögern Sie dann solange mit der Fortsetzung der Erzählung, die doch nur von Ihrer Willensentschließung abhängt? Und es spricht alles dafür, dass diese letztere Annahme die zutreffende ist, sogar das Verhalten des Zeitreisenden selber und noch mehr das seiner Umgebung. Der Zeitreisende sagt einmal: „Wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen . . . ich glaube selber nicht recht an alle diese Dinge“, und ein andermal: „Nein, ich kann nicht verlangen, dass Sie das alles glauben. Nehmen Sie es für eine Lüge – oder eine Prophezeiung. Denken Sie: Ich habe es in meinem Laboratorium geträumt. Kurz: Nehmen Sie es als Roman; aber was halten Sie davon?“ Und der „Herausgeber“ Mr. Blank (allem Anschein nach der klügste und seriöseste des Kreises) erwidert seufzend: „Wie schade, dass Sie kein Romanschreiber sind!“, und erklärt auf dem Heimweg das Ganze für eine „amüsante Lüge“. Und ein Journalist, „ein ernster schüchterner Mann mit einem Bart, der den ganzen Abend lang den Mund nicht auftut“ (Sie verschweigen seinen Namen leider ebenso wie den des Zeitreisenden), hüllt sich in vielsagendes Schweigen. Aber selbst gesetzt, es gäbe den Zeitreisenden, was ja trotz allem immer noch möglich ist, und er hätte seine Zeitreise wirklich vollführt, was mir nach allem mehr als unwahrscheinlich vorkommt, dann hätten Sie erst recht die Obliegenheit, alles, was Sie über ihn in Erfahrung bringen konnten, genau zu berichten, und wenn Sie nichts in Erfahrung bringen konnten, wenigstens dies zu berichten. Es ist das ganz einfach eine Pflicht gegen Ihre unzählbaren Bewunderer, zu denen ich zu zählen bitte
Ihren sehr ergebenen
Egon Friedell.
P. S. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir, Sie auch um ein Autogramm zu ersuchen. Aber bitte keinen bloßen Namenszug, sondern einen schönen, recht langen Sinnspruch, der noch nicht im Druck erschienen ist.
2. Brief
Herrn Egon Friedell, Wien
London, am 11. Februar 1908
Mein Herr!
Ihre Hoffnung war trügerisch: Mr. Wells, in dessen Auftrag ich Ihnen schreibe, fühlt sich durch Ihre Anfrage sogar sehr belästigt. Er hält sie für nichts weniger als „bescheiden“. Gibt es etwas Anmaßenderes (als weibliches Wesen kann ich keinen stärkeren Ausdruck gebrauchen) als den Versuch, unter dem Deckmantel der Verehrung fremde Geheimnisse auszuspionieren? Und noch dazu in so manierloser Form! Denn die ebenso unüberlegten wie ungehobelten Ausdrücke: „bewundernswerte Phantasie“, „geniale Erfindung“ und dergleichen, mit denen Sie im Zusammenhang mit Mr. Wells um sich zu werfen belieben, kann dieser doch nur als grobe und aufreizende Beleidigungen empfinden.
Selbst wenn sie nicht von boshafter Absicht diktiert sein sollten, was ich in Ihrem Interesse annehmen will, zeugen sie von einer blamabeln Verständnislosigkeit und sind jedenfalls geeignet, Mr. Wells aufs Tiefste herabzusetzen. Auf solche Verehrer verzichtet Mr. Wells! Wofür halten Sie ihn eigentlich? Sie verwechseln ihn offenbar mit einem Politiker. Deren Beruf ist es, Tatsachen zu erfinden. Und wer erlaubt Ihnen, sein wissenschaftliches Protokoll einen Roman zu nennen? Da verwechseln Sie ihn mit seiner Köchin: die hat Phantasie, wie alle undisziplinierten Gehirne. Mr. G. B. Shaw, der ja bei Euch in Deutschland so beliebt ist, hat allerdings die traurige Kühnheit gehabt, Mr. Wells einen Romantiker zu nennen; er weiß aber nicht, dass er selbst ein unheilbarer Phantast und Lügenverbreiter ist, der unter der täuschenden Emballage des „Realismus“ eine neue Ideologie in unsere Literatur geschmuggelt hat. Oder vielleicht weiß er es sogar, das spräche für seine Intelligenz, aber auch für seine besondere Gefährlichkeit!
Aber wie dem auch sei: Mr. Wells lässt Ihnen sagen, dass alle Dichter der Teufel holen soll! Poesie ist etwas für Kinder und Naturvölker, und selbst die Kinder sollte eine vernünftige Erziehung vor solchem Gift bewahren. Poesie verleitet zur Ungenauigkeit, zur Denkfaulheit, zur Unsittlichkeit. Wer sich systematisch daran gewöhnt hat, nicht bei der Stange der Wahrheit zu bleiben, ja wohl gar einen Ruhm darin erblickt, sie möglichst kühn zu überspringen, wird sehr bald auch in allen anderen Dingen des Lebens die Gewissenhaftigkeit verlieren. „Wer lügt, der stiehlt“, lautet ein allbekanntes Sprichwort; und in der Tat sehen wir, dass alle Dichter stehlen. Eure Klassiker haben unsern Shakespeare bestohlen, und er selber war der König der Diebe. Aber selbst wenn die Dichter gelegentlich einmal ihre eigenen Gedanken abschreiben, ist das noch immer ein sehr billiges Geschäft. Denn etwas zu erdichten ist hundertmal leichter als etwas zu entdecken, und etwas auszuspinnen ist hundertmal bequemer als etwas nachzuprüfen.
Daher hält es Mr. Wells mit Plato, der die Lektüre Homers verbieten wollte, und mit unserem großen Philosophen Mr. Hume, der gesagt hat: Alle Bücher, die keine Angaben über Experimente oder Zahl, Maß und Gewicht enthalten, gehören ins Feuer! Mr. Wells findet die trockenen, aber soliden Ausgrabungsberichte Schliemanns unvergleichlich spannender als die temperamentvollen, aber unsachlichen Faseleien der Ilias und eine Logarithmentafel bedeutend origineller als die ganze Göttliche Komödie.
Aus alledem werden selbst Sie den Schluss zu ziehen vermögen, welche der zwei von Ihnen angenommenen „Möglichkeiten“ allein in Betracht kommt. Von den beiden ist nämlich die letztere (dass es sich um eine freie Erfindung handelt) gar keine; denn ein wissenschaftlicher Berichterstatter, der erfindet, ist ganz einfach unmöglich. Möglich, dass es bei Ihnen zu Hause solche unmöglichen Leute gibt; bei uns nicht. Die Gründe, mit denen Sie Ihre Vermutung stützen, zeigen Ihre ganze Ahnungslosigkeit, wie ich es gelinde nennen will. Die zweifelnden Äußerungen des Zeitreisenden sind selbstverständlich alle ironisch gemeint, und zwar von einer Ironie, die jedes bessere Pferd verstehen müsste!
Was Mr. Blank anlangt, so ist er mit voller Deutlichkeit nicht als der „klügste und seriöseste“, sondern als der bornierteste und oberflächlichste des Kreises geschildert, wofür allein schon sein Beruf bürgt: Haben Sie denn nicht bedacht, dass er Herausgeber einer Zeitung ist, und noch dazu einer großen? Aber Sie scheinen ohne „Konklusionen“ zu lesen (wieder einmal weiblich zart ausgedrückt). Und Ihr dritter Kronzeuge, der Journalist Mr. Anthony Transic, schweigt allerdings den ganzen Abend, aber nicht „vielsagend“, sondern aus purer Dummheit!
Aber auch die andere Eventualität, die Sie ansetzen, trifft in der Form, in der Sie es tun, keineswegs zu. Der Bericht über die Zeitreise enthält nämlich nicht etwa „ein Körnchen Wahrheit“, sondern die ganze Wahrheit und nicht ein Körnchen Fiktion. Was für sonderbare Vorstellungen von schriftstellerischer Anständigkeit müssen bei Ihnen verbreitet sein! Sie halten es also allen Ernstes für denkbar, dass ein unbescholtener Autor wie Mr. Wells die Stirne haben könnte, einem Referat über ein wissenschaftliches Experiment von höchster Tragweite etwas hinzuzusetzen oder auch nur wegzunehmen? Ein ingeniöser Gelehrter wie Mr. . . . (hier war im englischen Originalmanuskript etwas sorgfältig durchgestrichen) hätte seine gefahrvollen Versuche also nach Ihrer Ansicht nur zu dem Zwecke gemacht, um Mr. Wells die Unterlage zu einigen feuilletonistischen Spielereien zu liefern?
Sehr gütig, dass Sie die Möglichkeit, es gebe den Zeitreisenden, mit...