E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Friedl-Stocks Lexa – Verhext und weggezaubert!
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-522-61023-0
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-522-61023-0
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Barbara Friedl-Stocks lebt in Berlin und ist Kabarettistin und Autorin. Als 'Lebensberaterin Helene Mierscheid' sorgt sie auf den Kabarettbühnen für Furore. Sie hat bereits drei lustige Kinderbuchkrimis geschrieben und arbeitet als Gagschreiberin für andere Kabarettisten und Comedians. Davor hat sie zehn Jahre als Assistentin für Bundestagsabgeordnete gearbeitet. Das hat sie in ihrer Arbeit als Kabarettistin geprägt. Zum Kinderbuch kam sie, weil eine befreundete Kinderbuchhändlerin aufgrund einer Mieterhöhung finanzielle Probleme bekam. Als sie darüber nachdachte, wie der Freundin zu helfen sei entstand die Idee zur Kinderbuchtrilogie 'Der magische Buchladen', die bei VAK erschienen ist. Der erste Band ist im September 2008 mit dem 'LesePeter' der AJuM als Kinderbuch des Monats ausgezeichnet worden. 'Lexa - Verhext und weggezaubert' ist ihr viertes Buch.
Weitere Infos & Material
Alexa Lankenau, die von allen nur Lexa genannt wurde, fuhr mit ihrer Großmutter in einem Pferdeschlitten durch das nächtliche Hamburg.
Die ganze Stadt war in tiefem Schnee versunken. So viel Schnee, dass weder Autos noch Busse fuhren und Pferdeschlitten die einzigen Transportmittel waren. Man konnte sie deshalb benutzen wie eine Straßenbahn.
Die Fahrkarten, die sie an einem provisorischen Kutschenfahrkartenschalter gekauft hatten, kosteten nur 2 Euro pro Person. Ob das reichte, um den Pferden davon Futter zu kaufen?
Lexa wandte sich zu ihrer Großmutter, die wie sie selbst in eine flauschige Decke gehüllt neben ihr saß, und tastete nach ihrer Hand. Die Hand war weg. Erschrocken sah sich Lexa um. Ihre Großmutter war weg. Lexa konnte es nicht glauben. Wohin konnte sie denn nur verschwunden sein?
Die Pferdekutsche schwankte bedenklich, als sie sich rüberbeugte und unter der kuscheligen Decke nach ihrer Großmutter suchte. Das war natürlich albern, weil Lexas Großmutter sehr groß und stattlich war. Sie konnte sich nicht unter Decken verstecken – das konnte ja nicht einmal Lexa, die für ihr Alter auch schon ziemlich groß war.
Lexa setzte sich wieder gerade hin. Sie strich sich verwirrt die rotblonden Strähnen aus dem Gesicht, die sich unter ihrer Wollmütze hervorgestohlen hatten. Es war sehr kalt – deshalb steckte sie ihre Hand gleich wieder in den warmen Muff aus Kunstfell, den ihr ihre Großmutter vor einem Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. Lexa liebte das Märchen von der »Schneekönigin«. Darin gibt es auch einen Muff, den die kleine Gerda geschenkt bekommt. Seitdem hatte sich Lexa immer heimlich einen Muff gewünscht, kam sich aber dumm vor, weil so etwas ja altmodisch war und alle Kinder Handschuhe trugen. Irgendwie hatte ihre Oma es aber doch gewusst und ihr zum letzten Weihnachten einen geschenkt. Ihre Großmutter wusste immer, was Lexa sich wünschte. Nur wo war sie?
Immer wieder sah Lexa neben sich, in der verzweifelten Hoffnung, dass sie sich geirrt haben könnte.
Die Kutsche sauste vorwärts. Lexa beugte sich nach vorne, zog nun beide Hände aus ihrem warmen Muff und tippte dem Kutscher auf die Schulter.
Der Kutscher hatte seine Fellmütze tief in die Stirn gezogen. Dazu trug er einen dicken Pelzmantel, um sich gegen die klirrende Kälte zu schützen.
Er reagierte nicht auf ihre Berührung. Das lag bestimmt an dem dicken Mantel.
Lexa tippte ihn fester an. Als er sich immer noch nicht regte, sah sie sich um, ob nicht vielleicht noch jemand draußen unterwegs war, der ihr helfen konnte. Aber da war niemand. Die Straße war leer.
Als Lexa wieder nach vorne sah, fehlte auch der Kutscher. Lexa wurde starr vor Schreck. Eisige Kälte durchflutete sie – eine so eisige Kälte, wie sie kein Winter zustande bringt. Diese Kälte kennen nur Kinder, die verlassen wurden. Lexa aber wehrte sich dagegen. Sie wollte es nicht glauben. Energisch schüttelte sie den Kopf, sodass sich die rotblonden Strähnen wieder selbstständig machten und um ihren Kopf flogen.
Die Pferde galoppierten los und nun ergriff Lexa doch blinde Panik. Die Kutsche raste direkt auf den Uferweg zu. Lexa konnte den Verlauf der Außenalster erkennen, die träge unter einer Schicht aus Eis und Schnee floss. Ob das Eis dick genug war, um die Pferde, die Kutsche und sie selbst zu tragen?
Lexa erhielt ihre Antwort schneller, als ihr lieb war.
Die Pferde schlitterten über das Eis, die Kutsche krachte mit ihren Kufen darauf und es knirschte fürchterlich. Dann gab es einen lauten Knall und Lexa versank mitsamt Kutsche und Pferden im eiskalten Wasser.
Die Pferde wieherten ein letztes Mal verzweifelt auf und ihre Hufe schlugen auf Eisbrocken, bevor sie im kalten Wasser wirbelten. Lexa war sofort ganz nass. Die dicken Decken zogen sie nach unten. Der kleine Muff schwebte nach oben. Tausend eiskalte Nadeln durchfuhren Lexas Körper. Sie hörte das gurgelnde letzte Wiehern der Pferde und das Wasser rauschte in ihren Ohren. An der Oberfläche konnte sie verschwommen ein paar Lichter entlang der Uferpromenade erkennen. Dann versank die Kutsche schneller und es wurde ganz dunkel.
Es war kalt und still und Lexa wusste, dass sie sterben musste.
»Neeeiiin! Bitte nicht! Neeeiiin!«
Ein Schrei ließ Lexa hochschrecken.
Es dauerte eine Weile, bis sich ihr heftiger Atem beruhigte. Der Schweiß lief ihr über das heiße Gesicht und ihr Herz klopfte laut. Wer hatte da geschrien? Lexa zitterte vor Furcht, bis ihr bewusst wurde, dass sie selbst es war.
Es war noch ganz dunkel. Lexa wühlte ihren Arm aus der warmen Bettdecke heraus, tastete nach dem Knopf ihrer Nachttischlampe und knipste sie an. Ihr Schein tauchte Lexas Zimmer in ein warmes gelbes Licht.
Es war der 15. Dezember, Lexas zwölfter Geburtstag. Ihre Schulsachen lagen wie immer durcheinandergewürfelt auf dem Boden. Darüber hatte sie die Kleider vom Vortag drapiert. Auf dem Schreibtisch lagen ihre Zeichenutensilien. Lexa sollte für den Kunstunterricht ein Blatt zeichnen. Auf dem bunt bemalten Kleiderschrank saßen ihre Lieblingspuppen und lächelten sie ausdruckslos an. Lexa spielte natürlich nicht mehr mit Puppen, aber wegwerfen wollte sie sie auch nicht.
Sie setzte sich in ihrem Bett auf und lauschte. Im Haus war es still.
Als kleines Kind hatte Lexa ihre Eltern bei einem Unfall verloren. Seither lebte sie bei ihrer Großmutter Magda Kuhlmann in Hamburg-Finkenwerder. Lexa liebte ihre Großmutter über alles. Was für ein Glück, dass es nur ein böser Traum gewesen war. Schon öfter hatte sie diesen Traum gehabt – aber noch nie war er so schlimm gewesen.
Es hatte wieder geschneit. Auch wenn es draußen noch dunkel war, konnte sie auf der Fensterbank ihres Zimmers eine dicke Schneeschicht erkennen. Das kleine Fenster war schon fast zugeweht. So viel Schnee hatte es in Hamburg schon lange nicht mehr gegeben.
Lexa hatte sich im Schlaf so fest in ihre warme Bettdecke gewickelt, dass sie große Schwierigkeiten hatte, sich wieder herauszuwinden. Ihre langen Arme und Beine schienen überall nur im Weg zu sein. Sie strich sich müde das verschwitzte Haar aus der Stirn. Lexa hatte rotblondes, lockiges Haar, das ihr bis zur Schulter reichte, blaue Augen und Sommersprossen, die im Winter etwas blasser wurden. Im Sommer waren es so viele, dass ihre Haut ganz dunkel wirkte. Sie war außerdem sehr dünn, weshalb manche Mitschüler sie Bohnenstange nannten. Das kränkte Lexa sehr. Sie hätte viel lieber so ausgesehen wie die anderen Mädchen in ihrer Klasse. Nicht so dünn und nicht so groß.
Das war auch bestimmt viel praktischer, denn die anderen hatten mit Sicherheit keine so großen Probleme, sich aus dem Bettdeckendickicht zu befreien.
Als sie es schließlich geschafft hatte, seufzte Lexa erleichtert auf. Sie schlüpfte in ihre warmen Hausschuhe und warf sich den Morgenmantel über, den sie von ihrer Großmutter geschenkt bekommen hatte. Der Morgenmantel war aus warmem Frottee, leuchtete in allen Farben des Regenbogens und war über und über mit fremdartigen Symbolen versehen. Diese sahen aus wie Schriftzeichen einer längst vergangenen Kultur. Lexa konnte sie keiner Sprache zuordnen. Als sie ihre Großmutter danach fragte, hatte die nur gesagt: »Das ist halt so.« Eine so einfache Erklärung war ungewöhnlich für Lexas Großmutter, aber Lexa hatte sie schließlich akzeptiert.
Die Schriftzeichen waren aus einem glänzenden Stoff. Das sah auf dem leuchtenden Frottee sehr schick aus. Lexa liebte den Morgenmantel sehr und hoffte, dass sie nicht mehr so schrecklich schnell wachsen würde und ihn noch ganz lange tragen konnte. Am liebsten für immer.
Rasch lief Lexa die schmalen Treppen hinunter.
Ihre Großmutter war mit Sicherheit längst auf den Beinen. Sie hatte sich schon oft gefragt, ob und wann Magda Kuhlmann eigentlich schlief. Ihre Großmutter hatte ihr nur erklärt, dass sie sehr wenig Schlaf brauchte. Sie war stets noch wach, wenn Lexa ins Bett ging, und immer schon auf, wenn sie aufstand und in die Küche gelaufen kam.
Die Küche hatte einen alten Herd, einen Küchenschrank aus dunkler Eiche, eine Anrichte und ein Spülbecken aus Emaille. Das war zwar altmodisch, aber auch sehr schön. Das einzig Moderne war der Heißwasserboiler über dem Waschbecken. Mitten in der Küche stand ein großer, blank gescheuerter Küchentisch aus Eiche, auf dem eine bestickte weiße Adventsdecke lag. In der Mitte des Tisches thronte ein Gesteck aus Tannenzweigen.
Davor stand schon das Frühstück für Lexa bereit. Ihre Lieblingsschale war mit Müsli gefüllt, die Milchflasche stand daneben. In einer großen Tasse dampfte heißer Tee. Wie Lexa am Geruch erkannte, war es eine der Kräutermischungen ihrer Großmutter. Magda Kuhlmann hielt nämlich nichts von Teebeuteln aus dem Supermarkt. Sie sammelte ihre Kräuter selber im Wald und auf Streuwiesen. Deshalb waren an der Küchendecke überall Schnüre gespannt, an denen die Großmutter ihre Kräuter in kleinen Bündeln zum Trocknen aufhing.
Lexa hatte sich an diese Marotten längst gewöhnt. Der Tee duftete wie immer herrlich. Sie nahm die heiße Tasse in beide Hände, trank einen großen Schluck und machte sich auf die Suche nach ihrer Großmutter.
Lexa Lankenau und Magda Kuhlmann bewohnten ein kleines, gemütliches Backsteinhaus im Focksweg auf der Halbinsel Finkenwerder.
Finkenwerder konnte man von Hamburg aus mit dem Bus erreichen, aber es war viel schöner, mit der Fähre zu fahren. Die fuhr als Linie 62 genauso wie ein Bus, nur viel interessanter, weil es ja über das Wasser ging.
Lexa nutzte jede Gelegenheit, nach Hamburg überzusetzen. Vielleicht wurde sie später Kapitänin. Dann konnte sie...