E-Book, Deutsch, Band 3, 336 Seiten
Reihe: Christin Erlenbeck
Friemond Tendering
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95441-593-9
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Niederrhein-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 3, 336 Seiten
Reihe: Christin Erlenbeck
ISBN: 978-3-95441-593-9
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sabine Friemond (* 1968) ist gelernte Buchhändlerin. Ihre Liebe zu Büchern ist bereits daran ersichtlich, dass sie am Niederrhein eine Buchhandlung in Voerde betreibt. Nach 'Hochbahn' (2019) und 'Teufelskuhle' (2020) ermittelt Pastorin Christin Erlenbeck nun schon in ihrem dritten Fall.
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3. Kapitel
Manuel Klein musterte seine Mutter, die ihm am Frühstückstisch gegenübersaß. Sie war immer sehr schlank gewesen und hatte sich aufrecht gehalten, aber jetzt sah sie mager aus, die spitzen Schultern waren leicht nach vorne gebeugt. Ihre sonst so adrette und elegante Kleidung hing formlos an dem schmalen Körper, sogar Flecken konnte er auf der Bluse erkennen. Kraftlos rührte sie in ihrem Kaffee, die lieblos hergerichtete Scheibe Brot mit Marmelade hatte sie noch nicht angerührt.
»Schade, dass du gestern Abend nicht mitgekommen bist«, versuchte Manuel in ihre Gedanken einzudringen.
Seine Mutter schaute fragend auf.
»Mama!«, rief er tadelnd und ergänzte: »In das Theaterstück, Betty.«
Ein kurzes Aufleuchten in ihren Augen ließ erkennen, dass sie sich erinnerte. »Das von der eingebildeten Ingrid Hassmann«, stieß sie hervor und schnaubte durch die Nase. »Das interessiert mich nicht. Nur Lügen.«
»Anna hat die Hauptrolle gespielt. Sie hat das sehr gut gemacht«, berichtete er weiter. »Wann bist du denn von deinem Spaziergang nach Hause gekommen? Du warst noch nicht da, als ich ging, und es war schon dunkel.«
»Guck mich nicht so vorwurfsvoll an«, sagte sie, jetzt liebevoll lächelnd und sich auf dem Küchenstuhl aufrichtend. »Ich habe eine schöne Runde gemacht. Leider hatte das Schokoladenmuseum schon zu, sonst wäre ich dort mal wieder hineingegangen.« Mit dem abgespreizten kleinen Finger führte sie geziert die Tasse mit dem Kaffee zum Mund.
Manuel konnte sich nicht daran erinnern, wann seine Mutter zuletzt in Köln gewesen war, aber es schien ihr noch positiv im Gedächtnis zu sein. Zufrieden registrierte er, dass sie den Kaffee mit dem leichten Sedativum ausgetrunken hatte. Schon gähnte sie.
So konnte er sich in Ruhe auf den heutigen Abend vorbereiten.
Ihr schlanker Körper steckte in hautenger Sportkleidung, und sie strahlte ihm entgegen.
Er schaute sich verstohlen um, ob sie auf diesem kleinen Nebenweg, mitten im beliebten Wohnungswald, der etwas abseits der üblichen Laufstrecken lag, alleine waren.
»Na«, begrüßte sie ihn, »wie war ich?«
Am liebsten hätte er sie in seine Arme geschlossen, hob stattdessen aber nur kurz die Hand. »Grandios!«, grinste er Anna an. »Ich habe nichts anderes erwartet! Du hast es tatsächlich geschafft, dass du spielen konntest!«
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Ja, hat mich auch gewundert!«, sagte sie. »Aber Lena ist einfach nicht aufgetaucht. Ich hatte …«, sie zögerte, bevor sie weitersprach, »dieses Pulver dabei, das du mir gegeben hattest, aber Gott sei Dank brauchte ich es nicht. Sie war einfach nicht da! Ingrid hat getobt!«
»Egal, du warst spitze!« Jetzt strich er ihr doch leicht über die Schulter. »Ich habe heute schon mit meinem Freund telefoniert und ihm erzählt, wie gut du warst«, fuhr er fort, »er möchte dich unbedingt kennenlernen. Bei einem offiziellen Vorsprechen.«
Annas fröhliche Miene erstarrte ein wenig. Wäre er nicht so ein aufmerksamer Beobachter, wäre es ihm entgangen.
»Was ist los? Freust du dich nicht?«, fragte er nach.
Anna wandte sich etwas ab. »Ich … weißt du, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch Schauspielerin werden will«, stieß Anna hastig hervor, als ob sie allen Mut zusammennähme. »Meinen Eltern passt das nicht, und wie soll ich die Schauspielschule und alles bezahlen, wenn sie sich querstellen?«
»Aber darüber haben wir doch schon gesprochen!«, rief er. »Du wirst bei mir wohnen, und ich bezahle die Schulgebühren.«
Jetzt drehte sie ihm komplett ihren Rücken zu und machte, wie um die Nebensächlichkeit ihrer Aussage zu unterstreichen, ein paar halbherzige Dehnübungen. »Also«, sagte sie wie zu niemand Bestimmtem, »eigentlich habe ich mir überlegt, eine Ausbildung zu machen, bei Papa im Betrieb. Außerdem habe ich mich, glaube ich, in Gerald verliebt – und er sich in mich.« Zaghaft lächelnd drehte sie sich wieder zu ihm, sah aber nur in seine besorgte Miene.
»Anna«, sagte er mit ruhiger Stimme, »du weißt, dass das mit deinem Vater niemals gut gehen wird. Und Gerald? Wie alt ist der denn? Er ist doch noch ein Kind! Er wird dir nicht guttun.«
Die junge Frau wandte sich wieder ab.
»Anna, lass erst einmal alles sacken, wir reden später noch einmal.«
Als sie sich, bevor sie wieder losrannte, zum Abschied noch einmal zu ihm umdrehte, sah Anna, wie erwartet, kein Lächeln mehr.
Freddie hatte die wartende Christin noch nach Hause gebracht, bevor er selber zur Voerder Polizeiwache weiterfuhr. An seiner verschlossenen Miene erkannte sie, wie nah ihm dieser Fall ging. Kein Wunder, auch sie war geschockt über diesen brutalen Mord an der jungen Frau, die tatsächlich Lena Pachel war, wie Freddie noch am Tatort erfahren hatte. Auch die Überlegung, wie sie die grausamen Geschehnisse ihrer Tochter Mathilda schildern sollte, bedrückte sie. Matti hatte nach den Theaterproben oft begeistert von Lena erzählt.
Gerade als sie den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, machte jemand von innen die Haustür auf. Die Pfarrerin verlor kurz das Gleichgewicht und stolperte über die Schwelle, wo ihr Dietmar Ohler reflexartig die Hand entgegenstreckte.
»Entschuldigung«, riefen beide gleichzeitig.
»Oh, Sie sind schon zurück«, stammelte ihre Vertretung und wich dabei so weit zur Seite, dass Christin mit ihrem beträchtlichen Leibesumfang an ihm vorbeikonnte.
»Ja, ein Notfall«, erklärte sie.
»Oh«, sagte er wieder und hastete dann nach draußen. Dort drehte er sich noch einmal kurz zu ihr um. »Äh, aber nichts mit …«, deutete er fragend auf ihren Bauch.
»Nein, nein. Freddie wurde zu einem Einsatz gerufen«, erklärte sie.
»Gut. Also, Entschuldigung, natürlich nicht gut«, stotterte er fast und wurde rot. »Ich gehe jetzt zur Senioren-Adventsandacht«, sagte er noch, bevor er zu seinem Auto hastete.
Kurz war Christin von ihren düsteren Gedanken abgelenkt. Nachdem sie die Haustür geschlossen hatte, schüttelte sie den Kopf. Dietmar Ohler war jetzt seit fast zwei Monaten ihr Vertreter in der Kirchengemeinde. Da die Vertretungszeit auf sechs Monate begrenzt war und er seine Wohnung in Osnabrück noch unterhielt, hatte man dem gebürtigen Voerder das geräumige Dachzimmer im Pfarrhaus angeboten. Die Familie Erlenbeck-Neumann konnte sich nicht über ihn beschweren, Ohler war sehr ruhig und freundlich, aber seine Verschlossenheit verhinderte einen unkomplizierten, herzlichen Umgang miteinander. Und dass er es ablehnte, sich mit Christin und Freddie zu duzen, verstärkte dieses Fremdbleiben noch.
Wie erwartet brach Mathilda in Tränen aus, als Christin ihren Kindern behutsam von dem Verbrechen erzählte. Der elfjährige Oskar, Mathildas jüngerer Bruder, starrte fassungslos aus dem Fenster. Dann wandte er sich wieder an Christin. »Kommt Skalecki? Freddie und Skalecki werden den Mörder doch bestimmt wieder kriegen?«, fragte Oskar mit zitternder Stimme.
»Ja«, antwortete seine Mutter. »Die beiden schaffen das ganz bestimmt wieder.«
»Diiiiiiiietmar«, hallte es in ihm nach. Bevor er den Motor startete, legte er beide Hände ans Lenkrad und umklammerte es so fest, als ob er es zerquetschen wollte.
Diese verdammten Blagen, dachte er wütend. Glaubten sie wirklich, er würde ihr Getuschel nicht hören?
Die Knöchel auf seinen Handrücken wurden ganz weiß, er zählte seine Atemzüge, dann lockerte er seinen Griff und startete den Wagen.
Er wusste nicht, wie lange er es noch in dem Pfarrhaus der evangelischen Gemeinde Grünstraße aushalten musste. Jeden Tag ärgerte er sich über sich selbst, dass er sich von dem wohlmeinenden Vorschlag der Presbyter und der Pfarrerin, in das geräumige Dachzimmer zu ziehen, hatte überrumpeln lassen. Lächelnd hatte er den Vorschlag, der seiner Meinung nach eher wie ein Befehl formuliert war, angenommen. Aber er hatte Angst gehabt, dass eine Ablehnung zu viele Fragen aufgeworfen hätte. Fragen nach einer plausiblen Begründung. Er hätte dann schlecht sagen können, dass er diese Nähe zu anderen Menschen nicht mochte. Dass er im Grunde ein Einzelgänger war. Dass Frauen ihn verunsicherten. Dann hätten sie vielleicht weiter nachgebohrt, warum er im Moment zur Verfügung stand und in Osnabrück entbehrt...




