Fryszer / Merz | Systemische Therapie im Gesundheitssystem | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 278 Seiten

Fryszer / Merz Systemische Therapie im Gesundheitssystem

Praxisimpulse von der Beziehungsgestaltung bis zum Bericht
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-647-99275-4
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Praxisimpulse von der Beziehungsgestaltung bis zum Bericht

E-Book, Deutsch, 278 Seiten

ISBN: 978-3-647-99275-4
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Nach der sozialrechtlichen Anerkennung ist es für systemisch approbierte Therapeut:innen die Herausforderung der Stunde, die systemischen Kernideen in das Gesundheitssystem einzubringen. Wie kann in den bestehenden Strukturen gewährleistet werden, dass dort, wo systemisch draufsteht, auch wirklich systemisch drin ist? Wie lassen sich Freiräume im Denken und der Kultur des kassenfinanzierten Gesundheitswesens nutzen, damit systemische Ideen implementiert werden können? Wie kann verhindert werden, dass die Organisationstrance nicht dazu führt, sich so anzupassen, dass der systemische Ansatz verwässert wird? Der hohe Anpassungsdruck an die vorgegebenen Denkweisen, Strukturen und Abläufe führt in der Ausbildung leicht dazu, dass Kandidat:innen, Ausbilder:innen und Supervisorinnen dem unterliegen. Wir brauchen Mut und Klarheit, damit die systemische Therapie einen spezifischen und effektiven Beitrag zur Gesundheitsversorgung leisten kann, der einen Unterschied macht. Das Buch vermittelt das notwendige Rüstzeug für den Start einer systemischen Therapie in Klinik, Praxis oder Ambulanz.

Dipl.-Psych. Andreas Fryszer, Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut im tiefenpsychologischen und systemischen Verfahren, arbeitet als Coach, Supervisor, Therapeut in eigener Praxis in Frankfurt sowie als Lehrender in systemischer Aus-, Weiter- und Approbationsausbildung in Hanau.
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Weitere Infos & Material


1Warum wir dieses Buch schreiben


Seit dem 1. Juli 2020 wird die systemische Therapie von der Krankenkasse finanziert. Jetzt sollten wir als Systemikerinnen auch dafür sorgen, dass nicht nur systemische Therapie draufsteht, sondern dass systemische Therapie auch drin ist. Dazu wollen wir gern mit diesem Buch beitragen! Diese Aufgabe wird noch aktueller, da die systemische Kinder- und Jugendlichentherapie seit dem 1. Juli 2024 ebenfalls ein durch die Krankenkasse abrechnungsfähiges Verfahren ist. Die systemische Perspektive ins Gesundheitswesen zu integrieren, ist Pionierarbeit. Der Anpassungsdruck an die dort vorherrschenden Denkweisen, Strukturen und Abläufe führt leicht dazu, dass Therapeutinnen, Ausbildungskandidatinnen, Supervisorinnen und Ausbildende dem unterliegen. Systemische Sichtweisen und Vorgehensweisen gehen dann verloren, verblassen, verlieren ihre Kraft. Die Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (2024) beschreibt im § 18 zwar die systemische Sicht, in der Symptome als kontraproduktive Lösungsversuche psychosozialer und psychischer Probleme verstanden werden. Gleichwohl wird eine individuelle Diagnostik nach ICD verlangt, die sich ausschließlich auf körperliche und psychische Phänomene bezieht und kommunikative und gesellschaftliche Aspekte außer Acht lässt. Im Leitfaden zum Erstellen des Berichts an die Gutachterin oder den Gutachter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (2020) wird ein Behandlungsplan für die Psychotherapie gefordert. Aus dem systemischen Ansatz heraus empfiehlt sich aber ein prozessorientiertes Vorgehen. Der Mensch wird als ein komplexes System verstanden, das nicht instruierbar ist. Die Systemikerin im Gesundheitswesen wird auf diese Weise mit einer Reihe von weiteren Widersprüchen konfrontiert. Wir brauchen deshalb Mut und Klarheit, damit die systemische Therapie einen wirksamen Beitrag zur Gesundheitsversorgung leisten kann.

Der systemische Ansatz hat außerhalb des Gesundheitswesens (Jugendhilfe, Sozialarbeit, Supervision, Coaching, Organisationsberatung) eine enorme Verbreitung erfahren. Seine Stärken, Komplexität zu erfassen, Ressourcen in Veränderungsprozessen zu nutzen, mit ganzheitlicher Sicht auf den Menschen zu blicken, flexibel zu intervenieren, ohne starr und schablonenhaft vorzugehen, mit maximaler Augenhöhe und unter weitgehendem Erhalt von Autonomie der Betroffenen Beziehungen zu gestalten, üben auch auf Therapeuten im Gesundheitswesen eine hohe Anziehung aus. Sie identifizieren sich mit diesen Werten und entscheiden sich für eine systemische Ausbildung. Dies, obwohl die Anzahl der genehmigten Behandlungsstunden in anderen Verfahren höher ist und die Bezahlung von Einzelsitzungen und Mehrpersonensitzungen gleich hoch ist.

Nach Erfahrungen aus über vier Jahren systemischer Therapie sowie Approbationsausbildung1 in der Gesundheitsversorgung wollen wir vorstellen, wie die Ideen des systemischen Ansatzes in den Rahmenbedingungen und Haltungen, die im Gesundheitswesen vorherrschen, realisiert werden können – ohne dass die systemischen Therapeutinnen einer Überanpassung an das vorherrschende Denken im Gesundheitswesen erliegen. In den letzten Jahren haben wir über unsere Praxis als Therapeuten, Ausbilder usw. Punkte erleben dürfen, in denen systemische Sichtweisen und Sichtweisen im Gesundheitswesen unterschiedlich bis widersprüchlich sind. Kurz vor Abgabe unseres Manuskripts erschien eine Ausgabe des »Kontext«2, die ausschließlich die Fragen diskutiert, wie systemische Therapie unter den Bedingungen des Gesundheitswesens gestaltet werden kann: ein deutliches Zeichen, wie relevant dieser Diskurs nun ist.

Gerade der Start einer Therapie eignet sich für unser Anliegen besonders. Der Einstieg in eine Psychotherapie im System der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt über maximal drei Sprechstundensitzungen, zwei bis vier probatorische Sitzungen, die Erhebung der biografischen Anamnese, die Diagnostik und den Bericht an den Gutachter. Zunächst wird im Therapieraum die Beziehung zur Klientin3 aufgebaut; die Symptome, die zum Leidensdruck führen, werden ebenso exploriert wie jene Bereiche des Lebens, die für ein systemisches Fallverstehen dieser Symptomatik von Relevanz sind. Es werden Grundlagen einer gemeinsamen Sicht auf die Therapie, ihre Ziele und ihre Themen mit der Klientin erarbeitet. Danach erfolgt – quasi im Reflexionsraum – ein Innehalten und Auswerten der Therapeutin: die Fallkonzeptionalisierung. Und schließlich wird am Schreibtisch der Bericht an den Gutachter geschrieben, der dann mit der Klientin besprochen und zur Beantragung der Therapie eingereicht wird. Der Aufbau des Buches folgt – nach diesem einführenden 1. Kapitel – im Wesentlichen diesem zeitlichen Ablauf.

Wir bleiben zunächst im Therapieraum: Was empfiehlt speziell der systemische Ansatz im Hinblick auf die Beziehungsgestaltung zur Klientin? Welche innere Haltung der Therapeutin ist für ein gutes Beziehungsangebot – aus systemischer Sicht – hilfreich? Wie kann die Therapeutin ihre Aufmerksamkeit vor der Sitzung fokussieren? Wie kann sie aus dieser Fokussierung heraus entsprechende Beziehungsangebote machen? (Kapitel 2)

Wir bleiben noch weiter im Therapieraum: Welche Themen im Dialog sind hilfreich und sinnvoll für ein systemisches Fallverstehen? Welche Themen geben gute Anregungen für eine systemische Therapiekonzeptionalisierung? Wie können wir den Dialog so gestalten, dass die Klientin aus der Problemtrance in einen entspannten, kreativen Zustand gelangt, in dem ihr das Entdecken von Lösungen leichter fällt? Wie können innerhalb einer systemischen Haltung Diagnostik und der Bericht an den Gutachter gerahmt, besprochen und genutzt werden? (Kapitel 3)

Danach verlassen wir den Therapieraum und wenden uns der Reflexion der Therapeutin zu: Wie können wir wesentliche Grundideen der systemisch-konstruktivistischen Erkenntnistheorie für unsere Fallreflexion nutzen? (Kapitel 4)

Am Schreibtisch entsteht danach der Bericht an den Gutachter: Wie kann ein Bericht an den Gutachter aussehen, der zugleich der systemischen Perspektive entspricht und die Vorgabe der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV/PTV 3) berücksichtigt? Auf welche zentralen systemischen Sichtweisen sollten wir dabei nicht verzichten? Welche theoretischen Modelle stehen im Hintergrund bei dem von der Bundesvereinigung verwendeten systemischen Erklärungsmodell? (Kapitel 5)

Im Kapitel 6 wenden wir uns dem Mehrpersonensetting (MPS) zu und widmen dem ein eigenes Kapitel. Dadurch, dass die Psychotherapie im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stets für ein einzelnes Kassenmitglied zur Behandlung seiner individuellen »Krankheit« genehmigt wird – und nicht etwa für die Familie eines erkrankten Menschen –, entstehen neue Fragen für die systemische Therapeutin. Wie lassen sich einzeltherapeutische Sitzungen und MPS sinnvoll ergänzen? Was ist bei einem Wechsel vom einzeltherapeutischen Setting zum MPS zu beachten? Wie kann das MPS – ein Herzstück des systemischen Ansatzes – innerhalb einer Einzeltherapie schon in der Probatorik genutzt werden?

Im kurzen Kapitel 7 skizzieren wir erste Weiterentwicklungen der systemischen Therapie, die durch die Anwendung unter den Bedingungen des Gesundheitswesens entstehen.

1.1Systemikerinnen im Gesundheitswesen: Spagat zwischen zwei Kulturen


Kollegen sagen manchmal, die Systemikerinnen hätten sich mit dem Eintritt in die GKV in ein Prokrustesbett4 gelegt. Uns interessieren hier die Fragen: Was aus dem systemischen Ansatz passt ganz gut rein in das Bett der GKV? Wo schmerzt es die systemische Therapeutin in diesem Bett, und wo liegt es sich bequem und vertraut? Welche Spielräume lassen sich nutzen und wo engen wir uns unnötig ein? Was wird nur etwas gequetscht? Und was wird sogar amputiert vom systemischen Ansatz? Aber vor allem: Was ist für ein systemisches Vorgehen unverzichtbar? Oder positiv: Wie kann die Therapeutin entspannt das Beste aus beiden Welten nutzen? Unser Text beschränkt sich dabei auf den Start einer systemischen Therapie in Klinik, Praxis oder Ambulanz.

Generell gilt: Die systemische Kassentherapeuten sind wie Grenzgänger zwischen zwei Kulturen. Kultur ist hier gemeint im Sinne von Thomas (1996, S. 112; zit. nach Schroll-Machl, 2013, S. 27) als »ein universelles, für eine Gesellschaft, Organisation und Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem […] Es beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller ihrer Mitglieder und definiert somit deren Zugehörigkeit.«

In der Approbationsausbildung werden die jungen Kolleginnen zunächst in der praktischen Tätigkeit über lange Zeit in den Kliniken beruflich sozialisiert. Ihr Wahrnehmen, Denken, ihr Werten und ihr Handeln müssen dort mit den Anforderungen des Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherungssystems kompatibel werden. In der systemischen Ausbildung in den Instituten werden sie in einer anderen Kultur mit einem etwas anderen Aufmerksamkeitsfokus oder Orientierungssystem geschult: Eben wie aus dem systemischen Ansatz heraus Beziehungen zu Klienten gestaltet werden, Klienten wahrgenommen und verstanden werden, welcher Wahrnehmungsfokus, welches Denken, welches Werten unter dieser Perspektive gilt und welches Handeln unter diesem Fokus als »richtig« empfunden wird. Noch...



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