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E-Book, Deutsch, 110 Seiten
Fülberth Marxismus
5. Auflage 2025
ISBN: 978-3-89438-921-5
Verlag: PapyRossa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 110 Seiten
Reihe: Basiswissen Politik / Geschichte / Ökonomie
ISBN: 978-3-89438-921-5
Verlag: PapyRossa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Georg Fülberth, Dr. phil., Jg. 1939. Von 1972 bis 2004 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Zahlreiche Bücher bei PapyRossa, etwa die Basiswissen-Bände ?Kapitalismus?, ?Sozialismus? und ?'Das Kapital' kompakt?. Publiziert u. a. in der Freitag, neues deutschland, junge Welt und konkret.
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2.
Karl Marx und Friedrich Engels
2.1 Historischer Materialismus
Karl Marx hat 1859 eine ganz knappe intellektuelle Autobiografie veröffentlicht, im Vorwort seines Buches Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Dort lesen wir:
»Mein Fachstudium war das der Jurisprudenz, die ich jedoch nur als untergeordnete Disziplin neben Philosophie und Geschichte betrieb. Im Jahr 1842-43, als Redakteur der ›Rheinischen Zeitung‹, kam ich zuerst in die Verlegenheit, über sogenannte materielle Interessen mitsprechen zu müssen.« (MEW 13: 7)1
Ein Konflikt mit den Eigentümern der Rheinischen Zeitung verschaffte ihm die Gelegenheit, »mich von der öffentlichen Bühne in die Studierstube zurückzuziehn.« (A. a. O.: 8)
Was er dort zu klären versuchte, beschreibt er so:
»Die erste Arbeit, unternommen zur Lösung der Zweifel, die mich bestürmten, war eine kritische Revision der Hegelschen Rechtsphilosophie, eine Arbeit, wovon die Einleitung in den 1844 in Paris herausgegebenen ›Deutsch-Französischen Jahrbüchern‹ erschien. Meine Untersuchung mündete in dem Ergebnis, daß Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgang der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts, unter dem Namen ›bürgerliche Gesellschaft‹ zusammenfaßt, daß aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei. […] Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und, einmal gewonnen, meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebensowenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurteilen, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein aus den Widersprüchen des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erklären.« (Ebd.: 8/9)
Die Zweifel, von denen Marx im Eingang des hier wiedergegebenen Zitats spricht, betrafen einmal die Erkenntnismöglichkeiten einer ausschließlich idealistischen Philosophie – der Hegelschen –, zum anderen die sozialen Widersprüche, auf die er in seiner journalistischen Arbeit gestoßen war. Im Ergebnis gelangte er zur Kritik der politischen Ökonomie als der »Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft«.
Was ist ein Anatom?
Zunächst ein Naturwissenschaftler. Marx und insbesondere Engels haben naturwissenschaftliche Analogien immer wieder gesucht. Ein Anatom untersucht Strukturen, er zerstört sie nicht. Die Anatomie ist eine Hilfswissenschaft der Medizin, die sich die Heilung eines Organismus zur Aufgabe macht. Eine revolutionäre Tätigkeit ist das nicht. Und als ein Revolutionär tritt uns Marx in diesem Text auch nicht entgegen, sondern eben als – Anatom.
Ganz anders war das 15 Jahre vorher in einer Schrift, die er im vorstehenden Zitat erwähnt hat, in seiner Einleitung Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, 1844: Marx tritt uns hier entgegen als ein Schüler Hegels, der inzwischen den Lehrer gewechselt hat.
In Hegels Rechtsphilosophie sieht er den theoretischen Ausdruck des modernen westlichen Staates, insbesondere Frankreichs. Deutschland ist dahinter zurückgeblieben. Eine Aufhebung der deutschen Zustände auf dem Niveau Frankreichs wäre eine Verwirklichung der Hegelschen Philosophie. Das ist dann keine theoretische Aufgabe mehr, sondern nur noch eine praktische. Die Lehren der Philosophie müssen durch eine ihnen entsprechende Praxis verwirklicht werden, der Übergang von der Theorie zur Praxis ist insofern eine Aufhebung der Philosophie. Das Wort »Aufhebung« entnimmt Marx der Hegelschen Terminologie, es bedeutet in diesem Zusammenhang dasselbe wie Überwindung. Marx wirft seinen bisherigen Mitschülern, den so genannten Junghegelianern, vor, dass sie die Erkenntnisse der Hegelschen Philosophie nur auf der theoretischen Ebene weiter vorantreiben könnten. Ihre Richtung »glaubte, die Philosophie verwirklichen zu können, ohne sie aufzuheben.« (MEW 1: 384) Diese Aufhebung müsse durch Praxis erfolgen.
Aber die Praxis kann nicht theorielos sein, sie muss dem Weg und den Konsequenzen des bisherigen Hegelschen Denkens über Staat und Gesellschaft folgen. »Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen.« (Ebd.)
Dies ist, zugegeben, eine vorläufige und vordergründige Interpretation der Marxschen Formulierungen über Verwirklichung und Aufhebung der Philosophie. Es gibt eine darunter liegende wichtigere Schicht: Wenn die Philosophie nur Ausdruck einer materiellen Realität ist, dann wird die Umwälzung der Realität auch die Philosophie, die auf dieser Realität beruht, aufheben. Doch die Aufhebung kann nur nach den Maßgaben bisheriger philosophischer Erkenntnisse erfolgen.
Die Philosophie, über die Marx hier, 1844, spricht, ist nicht mehr ausschließlich die Philosophie Hegels. Er hat den Lehrer gewechselt, aber dieser neue Lehrer ist ebenfalls ein Schüler Hegels, nämlich Ludwig Feuerbach (1804–1872), der lehrte, die materielle Realität sei nicht vom Geist her zu begreifen, sondern dieser sei seinerseits Ergebnis der materiellen Wirklichkeit der Menschen. Auf ihn bezieht Marx sich, wenn er schreibt: »Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.« (MEW 1: 385) und: »Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei«. (Ebd.)
Das Menschenbild Feuerbachs sieht Marx allerdings in den modernen Staaten des Westens im 19. Jahrhundert noch nicht realisiert. Sie hatten Revolutionen zur Voraussetzung, aber diese brachten immer nur die Emanzipation eines Teils der Gesellschaft, einer neuen herrschenden Klasse, zuletzt: der Bourgeoisie. Ist der Mensch für den Menschen das höchste Wesen, dann stellt sich eine andere Frage, nämlich:
»Kann Deutschland zu einer Praxis à la hauteur des principes gelangen, d. h. zu einer Revolution, die es nicht nur auf das offizielle Niveau der modernen Völker erhebt, sondern auf die menschliche Höhe, welche die nähere Zukunft dieser Völker sein wird?« (Ebd.)
Die Antwort auf diese Frage gibt er mit der Fortsetzung des Satzes, von dem soeben nur der Anfang zitiert wurde und der jetzt vollständig wiedergegeben werden soll:
»Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.« (Ebd.)
Es fällt auf, dass in Marx’ Schrift Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie Deutschland hervorgehoben wird. Vordergründig hat dies mit dem Veröffentlichungsort zu tun, mit den Deutsch-Französischen Jahrbüchern. Diese wollten von den Herausgebern – Arnold Ruge und Karl Marx –für zentral gehaltene Tatsachen mit einander verbinden: das Erbe der Französischen Revolution von 1789 und die umwälzende Potenz der Hegelschen, jetzt Feuerbachschen Philosophie. Aufgrund der absolutistischen bzw. halbabsolutistischen Zustände in Deutschland musste dort die westliche Revolution nachgeholt werden, aber die nächste Revolution konnte keine bürgerliche mehr sein, anders als in den Niederlanden am Ende des 16. Jahrhunderts, in England 1640–1688 und in Frankreich 1789ff. Diese künftige Revolution hatte nämlich ein neues Subjekt:
»Wo also die positive Möglichkeit der deutschen Emanzipation?
Antwort: In der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, welche keine Klasse der bürgerlichen Gesellschaft ist, eines Standes,...