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Funcke / Behrend / Möhring | Vom Gewordenen zum Gemachten | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 223 Seiten

Reihe: Qualitative Familienforschung

Funcke / Behrend / Möhring Vom Gewordenen zum Gemachten

Wenn sich die Grenze zwischen Zufall und freier Entscheidung verschiebt - Familienplanung 2.0
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7799-9290-5
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wenn sich die Grenze zwischen Zufall und freier Entscheidung verschiebt - Familienplanung 2.0

E-Book, Deutsch, 223 Seiten

Reihe: Qualitative Familienforschung

ISBN: 978-3-7799-9290-5
Verlag: Beltz Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In den Beiträgen geht es um die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin und ihre Folgen für Familien- und Identitätsbildungsprozesse. Befunde aus Wissenschaft und Praxis liefern Argumente, um innezuhalten und nach den Bedingungen und Folgen von Technik und Technologien zu fragen, die in lange Zeit Unverfügbares, Naturwüchsiges, Schicksalhaftes wie Befruchtungsvorgänge eingreifen und traditionelle genealogische Zusammenhänge verändern. Was bedeutet es für familiale sozialisatorische Interaktionsstrukturen und personale Selbstverhältnisse, wenn neues Leben mithilfe von medizinisch-technischer Assistenz entsteht? Was folgt daraus, wenn das, was vorher Zufall war in den Bereich des Verfügbaren transferiert wird, wir es mit Verdinglichungsprozessen in einem Bereich zu tun haben, der dem Eingriff des Menschen bisher entzogen war?

Dorett Funcke, Prof. Dr., ist Professorin für Soziologie an der FernUniversität in Hagen. Olaf Behrend, PD Dr., ist seit 2009 an der Universität Siegen als Lehrkraft für besondere Aufgaben in Soziologie mit Schwerpunkt in den Studiengängen der Sozialen Arbeit.
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Weitere Infos & Material


Technologieoffene Bestimmung der Familie? Soziale Konstruktion des eigenen Kindes im Zeitalter der Life Sciences


Heike Baranzke

1.Einleitung: Was ist das Eigene am „eigenen Kind“?


Als Familie gelten Eltern-Kind-Gemeinschaften, die aus zwei Generationen, nämlich mindestens einer elterlichen Fürsorgeperson und einem Kind bestehen, in welcher rechtlichen Form auch immer. Mit dieser Minimaldefinition trug das Statistische Bundesamt 2005 dem Wandel der Familienkonzeptionen Rechnung, insbesondere dem Anstieg Alleinerziehender (vgl. Huinink 2009a, o.?S.). Diesem Wandel liegen vielfältige, sich wechselseitig beeinflussende Veränderungen in Arbeitswelt, Geschlechterrollenvorstellungen, familienrechtlichen Weichenstellungen etc. zugrunde (vgl. Huinink 2009b, o.?S.; Peuckert 2019), die in jüngerer Zeit von einem veränderten (Selbst-)Verständnis nicht heteronormativer Sexualität ergänzt werden. Doch trotz hoher Scheidungsraten, alleinerziehender Elternteile oder Patchworkfamilien sieht die Forschung die bürgerliche triadisch strukturierte Vater-Mutter-Kind-Kernfamilie als einen immer noch grundlegenden Orientierungsrahmen an (vgl. Funcke 2013).

Seit den 1960er Jahren gerät die Familiengründung durch das Ansinnen der biotechnologiegestützten Familienplanung in den Einflussbereich eines neuartigen Faktors, nämlich der sich rasant entwickelnden Life Sciences. Die Einführung der Antibabypille und der Einstieg in die In-vitro-Reproduktionstechnologie zur Infertilitätsbehandlung markieren biotechnologische Wendepunkte, deren familienpolitische Konsequenzen noch nicht abzuschätzen sind. Sie lösen den lebensweltlich unvermittelten ‚natürlichen‘ Zusammenhang von sexueller personaler Begegnung und Generativität durch biotechnologische Kontrolle auf und unterminieren am Ende die bislang fraglose leibliche Gewissheit der Beziehung zwischen der Mutter und ihrem „eigenen Kind“ (vgl. Bernard 2014; Greely 2016). Die seither beständig fortschreitende, von der Kinderwunscherfüllung getriebene reproduktionsbiologische Kolonisierung der familiären und gesellschaftlichen Lebenswelt durch die In-vitro-Technologie ist dabei, traditionelle familienrechtliche Definitionen wie selbst die der Mutterschaft qua Geburt (§?1591 BGB) auf den Kopf zu stellen (Sanders 2024).

Das westliche Kernfamilien- und Verwandtschaftsmodell ist durch eine „biologische“ Fundierung familiärer Verwandtschaft und der Organisation des Sozialen gekennzeichnet. „Assistierte Reproduktion hat prinzipiell das Potenzial, gesellschaftlich etablierte Auffassungen zur Pluralität der Familie zu erweitern und damit auch kulturell tief verwurzelte Normvorstellungen über Fortpflanzung, Mutter- und Vaterschaft sowie Verwandtschaft und Abstammung zu erschüttern.“ (Trappe 2020, S. 17). Insofern Reproduktionsmedizin „als Ausdruck eines zutiefst menschlichen Bestrebens nach Emanzipation von der Natur angesehen“ (Trappe 2020, S. 18) wird, äußert sich darin eine revolutionäre konzeptuelle Neudefinition von Natur durch die Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaften, die moderne Entkoppelungen von „biologischer“ und „sozialer“ Elternschaft und folglich queere soziale Praktiken der Familiengründung überhaupt erst ermöglichen (vgl. zur Problementfaltung Funcke 2013, S. 5–10; Peuckert 2019, S. 331–356). Der szientifische Naturbegriff der modernen experimentellen Naturwissenschaften verdrängt seit der „Mechanisierung des Weltbildes“ (Dijksterhuis 1956) im 17. Jahrhundert, die im Kern den Prozess der Entteleologisierung des Naturbegriffs einleitet, sukzessive und schleichend das vormoderne aristotelisch-stoisch geprägte evaluative, d.?h. Lebensordnungen orientierende Naturverständnis. Davon ist das Verständnis von Leben bzw. lebensweltlichen Erlebniszusammenhängen mitbetroffen, z.?B. durch die Genetisierung des „Biologischen“ oder durch die Entleiblichung sozialer Wunschelternbeziehung qua Leihmutterschaft, und hat offenkundig mit der Entwicklung der modernen Reproduktionstechnologie auch unser Familienverständnis erreicht. Die fortdauernde Gültigkeit der Behauptung von Jürgen Habermas: „Unsere Lebenswelt ist in gewissem Sinne ‚aristotelisch‘ verfasst“ (Habermas 2001, S. 80?f.) ist im Feld menschlicher Familiengründung aufgrund der Reproduktionstechnologie brüchig geworden.

Vor diesem Hintergrund ist die wertneutralisierende Szientifizierung vormals evaluativer Natur- und Lebensverständnisse die Leitkategorie, die die Weichen für das zunehmende Auseinanderbrechen einer wissenschaftlich-technischen Sach- und einer wertorientierten lebensweltlichen Beziehungsperspektive stellt. Diese Diastase erhöht die Komplexität sozialer Praktiken der De- und Re-Personalisierung bis in die mit Hilfe von Reproduktionstechnologie gegründeten Kernfamilien hinein. Zunächst werden daher eine Reihe von Kategorien, beginnend mit der Szientifizierung, kurz eingeführt, die letztlich viele zentrale Kritikpunkte aus der mittlerweile unübersehbaren Literatur zum reproduktionsmedizinischen Diskurs zu bündeln versuchen (2.). Es folgt dann eine Synopse reproduktionsmedizinischer Methoden, beginnend mit der Einführung der In-vitro-Fertilisation als Angebot von Infertilitätsbehandlungen, mit dem Ziel, den reproduktionstechnologischen Möglichkeitsraum für soziale Konstruktionen des „eigenen Kindes“ auszuloten. Dabei werden auch bereits vereinzelt Ergebnisse aus sozialwissenschaftlichen Studien rezipiert, die illustrieren, wie dieser Raum tatsächlich genutzt wird (3.). Weitgehend ausgeklammert werden im vorliegenden Rahmen die auf gesundheitliche Risiken fokussierten Technikfolgeabschätzungen, da diese stets mit einem vom Stand der Forschung und Technik abhängigen Verfallsdatum versehen sind. Gleichfalls wird auch die Rechtsperspektive nur sehr am Rande berührt (vgl. dazu u.?a. Mall et al. 2023; Bericht der Kommission 2024). Im Zentrum dieses Beitrags steht stattdessen die durch die Reproduktionstechnologie herausgeforderte Frage nach einem soziokulturellen Wertorientierungsverständnis von Familie. Daher wird in einem nächsten Schritt versucht, mithilfe eines Strukturmodells der westlichen Kernfamilie anhand der sich als neuralgisch verdichtenden Diastasen von genetisch vs. sozial sowie der Entleiblichung der Sozialbeziehung die dialektische Dynamisierung zwischen der reproduktionstechnologischen Fortentwicklung und sozialen Familiendiskursen aufzuzeigen (4.). Vor diesem Hintergrund stellt sich abschließend die Frage, ob die gesellschaftspolitisch fundamental bedeutsame Bestimmung von familiären Eltern-Kind-Beziehungen dem liberalen Postulat der Technologieoffenheit überlassen werden kann, das von einer boomenden Kinderwunsch-Industrie bedient wird (5.).

2.Kinder machen: Kategorien der Transformierung lebensweltlicher Familiengründung durch die Life Sciences


Bevor die durch die verfügbaren Reproduktionstechniken ermöglichten Konstruktionsoptionen des „eigenen Kindes“ sukzessive dargestellt werden, werden einige Aspekte biowissenschaftlich-technischer Aneignung menschlicher Fortpflanzung durch Kategorien benannt, die die sich ereignende Transponierung der Familiengründung aus einer lebensweltlich personalen Beziehungslogik in eine szientifisch-technische Sachlogik reflektieren. Zugleich verdeutlichen die Analyse-Kategorien, durch welche symbolischen oder kommunikativen Praktiken personale Beziehungslogiken von den jeweils Beteiligten entweder hergestellt oder verleugnet werden.

2.1Szientifizierung und Technologisierung


Szientifizierung bezeichnet die mit den modernen experimentellen Naturwissenschaften einsetzende Reduzierung des vormodernen naturteleologischen Natur- und Lebensbegriffs auf einen modernen kausalen und nomothetischen Naturbegriff, der das menschliche Selbst- und Weltverständnis allumfassend und fundamental erschüttert. Aristoteles hat seinen Naturbegriff im Rahmen einer überaus wirkmächtigen doppelt-teleologischen (intentional und entelechial strukturierten)...



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