E-Book, Deutsch, 334 Seiten
Funke Das doppelte Ich
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7504-5071-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zwei phantastische Erzählungen
E-Book, Deutsch, 334 Seiten
ISBN: 978-3-7504-5071-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klaus Funke - 1947 in Dresden geboren - ist ein bekannter sächsischer Autor von Erzählungen, Novellen und Romanen. Einige sind auch bei BoD erschienen.
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Schade, dass ich bald zurück in die Heimat muss, sagte er unvermittelt. Und: Ob ich glaube, dass er ihr gefallen habe? Ob ich dächte, sie könne ihn lieben?
Wie ... wie könnte ich das wissen? antwortete ich.
Er trat auf mich zu, sah mich unverwandt an: Du wirkst so nervös? Willst du mir irgendwas sagen? Na, los ...
Ich schwieg, senkte den Kopf. Radon hatte mich mit seinen hellen, fast gelben Augen durchdringend angeblickt, ich konnte diesem Blick nicht standhalten.
Plötzlich lachte er laut auf. Dann sagte er unvermittelt:
Doch, müsste es aufgefallen sein? Ich glaube, könntest sagen, ob sie mich liebt? Ja, ich denke, weißt es.
Ich? Wieso?
Weil ich, sagte er, die ganze Zeit hinter ihnen hergeschlichen sei. Auf dem Waldweg hierher zur Station. Wenn wir gingen, machtest du vorsichtige Schritte, blieben wir stehen, verharrtest auch du. Sicher habe ich auch jedes Wort gehört, was sie gesprochen hätten. Deshalb! Er stand herausfordernd vor mir, blickte mich mit gerunzelten Brauen an.
Ich?? Du hast das bemerkt?? Er hatte mich so geschwind gepackt, seine Worte kamen so überraschend, dass ich keine Zeit für eine Lüge hatte. Ich war vollkommen überrascht. Mein Herz schlug so laut, dass ich dachte, er müsste es hören.
Ja, natürlich, antwortete er, bemerkte ich es.
Und weil er nicht gerne das Opfer von Voyeuren sei, habe er sich mit dem Mädchen in die Büsche geschlagen. Ganz plötzlich.
Ich wette, rief er, du hast unser Verschwinden nicht für möglich gehalten? Du hast an ein schreckliches Ereignis gedacht? An die Wölfe?
Sie, Leonie und er, seien dann durch den Wald zurück nach Neudorf gegangen und er habe sie noch ein Stück bis zur Straße nach Horkau begleitet.
Sie wollte es so, auch, dass ich nicht mit zu ihr nach Hause käme. Die Kleine, das Kind, du verstehst? ...
Also, ich frage dich: Glaubst du, dass ich ihr gefalle?
Ich antwortete: Doch, ja, vielleicht. Ganz bestimmt. Ich spürte wie meine Hände zitterten. Ich wusste wahrhaftig nicht, ob er mich belog oder ob er die Wahrheit sagte.
Radon stand vor mir, am Gürtel die Hände, mit denen er umständlich daran herumnestelte. Er war bei meiner Antwort ein wenig rot geworden. Doch mir schien, meine Worte hätten ihn erfreut. Er ging noch eine Zeitlang, ohne zu sprechen, auf und ab. Dann schaute er auf die rotblinkende Radiouhr, die er hochhob und nahe an die Augen hielt:
Wahrhaftig, sagte er in freundlich mildem Ton, es ist Zeit, wir täten gut daran, jetzt schlafen zu gehen. Wenn du willst, dann schlaf bei mir. Dort die Liege wird dir genügen. Hier ist eine Decke! und er zog aus dem Schrank eine rotkarierte Decke, die er mir zuwarf. Wortlos, als wäre ich ohne eigenen Willen, tat ich wie er mir geheißen, ergriff die Decke und ging zur Liege.
Radon nahm seinen Hirschfänger und ein doppelläufiges Jagdgewehr, das in einer Ecke an der Wand gelehnt hatte, ging zum Schrank, schloss die Waffen ein, zog den Schlüssel ab und drückte ihn mir zu meiner großen Überraschung in die Hand. Bewahr ihn gut, sagte er.
Aber, entgegnete ich, warum diesen Aufwand? Warum lässt du die Waffen nicht liegen, wo sie liegen? Wen stören sie? und hier herein kommt doch bestimmt niemand Ungebetenes.
Nein ... Siehst du, offen gesagt, wenn ich schlafe, habe ich nicht gern Waffen in meiner Nähe. Und zwar aus folgendem Grund: Es war einmal in den Bergen, im Vorgebirge des Negoi, wir waren mit einer Gruppe von Forschern, Wildbiologen und Jägern unterwegs gewesen, der Abend hatte uns überrascht und wir mussten in einer dieser windschiefen Berghütten übernachten. Meine Jagdwaffen, ein Drilling, eine kleine Pistole und mein Jagdmesser lag auf einem Stuhl neben mir, oben auf den Kleidern, die ich flüchtig abgelegt hatte. In der Nacht dann wurde ich durch einen fürchterlichen Knall aus dem Schlaf gerissen. Ich hielt meine Pistole in der Hand. Ich hatte einen Schuss abgegeben, und die Projektil war haarscharf am Kopf eines meines Kameraden vorbeigegangen ... irgendetwas hatte ich geträumt, aber an den Inhalt konnte ich nicht mehr besinnen.
Diese Erzählung, das gestehe ich, beunruhigte mich einigermaßen. Freilich, einen Pistolenschuss würde ich nicht abbekommen, die Waffen wären weggeschlossen, aber, wenn ich mir die athletische Gestalt, die kräftigen Schultern meines Schlafgenossen betrachtete, seine sehnigen, mit dichten schwarzen Haaren bewachsenen Arme, so konnte ich mir vorstellen, dass er ohne weiteres imstande wäre, mich mit bloße Händen zu erwürgen, falls er zufällig wieder einmal schlecht geträumt hätte. Natürlich zeigte ich ihm nichts von meinen Befürchtungen, nur stellte ich mir ein Lämpchen neben meine Liege und begann in einem Buch, das ich auf dem Tisch hatte liegen sehen, zu lesen. Es war ein Novellenbändchen des Franzosen Prosper Merimeé in deutscher Sprache. Das Buchzeichen steckte bei der Geschichte des litauischen Grafen Szemioth, der sich des nachts in einen Bären verwandelte. Ich kannte diese Novelle, trotzdem begann ich zu lesen ...
Radon wünschte mir eine Gute Nacht, streckte sich in seinem Bett aus, wälzte sich wohl drei, vier Mal darin herum, bis er die richtige Lage gefunden hatte. Schließlich schien er einzuschlafen. Dabei fiel mir auf, dass er in einer eigentümlichen Schlafstellung lag, so wie wir es von den Hunden oder Wildtieren kennen, nämlich seltsam zusammengekrümmt, die Knie hochgezogen, dass der Kopf diese fast berührte, die Arme eingeschlagen und unter dem Leib versteckt. Ich las noch eine Weile in dem Buch, doch wurde ich immer wieder hochgeschreckt, weil Radon im Schlaf tief aufseufzte und ein eigentümliches Röcheln hören ließ. So verging eine weitere Stunde, doch schließlich spürte ich, wie mir die Augen zufielen, also klappte ich das Büchlein zu und versuchte mich auf der schmalen, niedrigen Liege so gut es ging zum Schlafen zurecht zu legen. Das Licht wollte ich indes brennen lassen. Schon fühlte ich den nahen Schlummer, als mich ein sonderbares Keuchen meines Schlafgenossen auffahren ließ. Ich richtete mich halb auf und schaute zu Radon hinüber. Er hielt die Augen geschlossen, sein ganzer Körper aber bebte und zitterte, und aus seinem halboffenen Mund fuhren wilde, unzusammenhängende Worte: Warmes, frisches Blut ... der Hals ... oh, dieser Hals ... die Schlagader ist die Quelle ... Hammelblut schmeckt nicht halb so gut ... köstlich, dieser, warme Körper! Dann, plötzlich biss er in das Kopfkissen, warf sich hin und her, als ob dieses Kissen, wie wir es bei Wölfen oder anderen Raubtieren als sogenanntes Beuteschütteln kennen, irgendein Hase oder Reh sei, welches man schütteln müsste, bis alles Leben aus ihm gewichen wäre. Schließlich stieß er ein tierisches Gebrüll aus, wovon er erwachte.
Ich blieb regungslos auf meiner Liege liegen und stellte mich schlafend. Aber durch die nicht ganz geschlossenen Lider sah ich, was Radon trieb. Er hatte sich im Bett aufgesetzt, rieb sich die Augen, dann den Nacken, seufzte ab und zu ein kleinwenig, blieb aber in dieser Stellung fast eine Stunde unbeweglich sitzen. Er saß, blicklos und steif, als ob er in tiefes Nachsinnen versunken sei.
Indes, mein Unbehagen wuchs und ich verfluchte meinen Entschluss, hier im Zimmer bei Radon, diesem seltsamen Burschen, geblieben zu sein. Schließlich aber siegte die Müdigkeit. Und, als am Morgen gegen acht Uhr Elsa ins Zimmer kam, um Radon zu wecken, schliefen wir beide tief und fest.
An diesem Morgen aber war in der friedlichen, stillen Gemeinde Neudorf wie auch in Horkau auf einmal nichts mehr wie es die braven Dörfler kannten und gewohnt waren. Schreckliches hatte sich ereignet ...
Es ist eine halbe Stunde vor sieben Uhr an diesem letzten Tag im Juli. Der erste trübe Morgen in diesem Sommer. Auf dem Dorfplatz in Neudorf, der, wie wir wissen „Drei-Kaiser-Platz“ genannt wird, hat man begonnen die letzten Reste des Lampionfestes zu beräumen, ein Lieferwagen steht da, ein paar Handwerker sind mit dem Abbau der Tanzbühne beschäftigt, sie schrauben, sie lösen Bretter, andauernd aber unterbrechen sie ihre Arbeit, bleiben, die Holzbalken auf den Schultern, das Werkzeug in den Händen, stehen, drehen die Köpfe, wenden ihre Aufmerksamkeit zwei grünweißen Polizeiwagen zu, die in der Mitte des Platzes ganz und gar regelwidrig geparkt sind. Bei einem der Wagen blinkt das Warnsignal, obwohl sich niemand darin befindet. Ein paar Meter weg, vor der Kirche hat sich eine kleine Menschentraube gebildet, zehn, zwölf Leute vielleicht, unter ihnen der Bürgermeister, der Doktor Sommerer sowie ein paar Neugierige, wie sie immer und überall von irgendwoher auftauchend bei ungewöhnlichen Anlässen zu finden sind. Auch die Polizisten stehen dort, drei an der Zahl, und daneben sieht man den Gelegenheitsarbeiter Slawo in seiner dunkelblauen Arbeitsjacke. Er pafft eine seiner billigen Zigarren, doch an der Art wie er raucht, wie er den graublaue Rauch in die Luft stößt, erkennt man: Slawo ist ungewöhnlich zappelig, fahrig und nervös. Aber gleichzeitig scheint er sich auch in irgendeiner Weise wichtig und bedeutend vorzukommen. Er...