Funke | Der Moccatrinker von Lissabon | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

Funke Der Moccatrinker von Lissabon

Eine Novelle
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7481-0479-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Novelle

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

ISBN: 978-3-7481-0479-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Sie finden mich in Lissabon im Paradiso, hatte er gesagt, es ist eines jener stillen Cafés, beinahe eine Bar, sogar mit einer kleinen Tanzfläche und einer Art Terrasse, zurecht gemacht für den Touristenverkehr, und dennoch so zurückgezogen, dass es nur wirklich wenige von denen finden. Sie müssen die theatralische Kulisse der Praca do Comerco umfahren, sie kommen dann nach einiger Zeit in ein Gewirr von Treppen und Gassen, die aufwärts führen. Es wird nach Fisch, Knoblauch und Nachtblumen, nach Schlaf und Schweiß riechen, dann werden Sie das Kastell St. George im Nachthimmel wie einen schwarzen Riesen aufragen sehen. An diesem Aussichtspunkt werden Sie stehen bleiben und zu träumen beginnen. Alle Fremden träumen um diese Zeit dort, wo Sie stehen geblieben sind..." So beginnt eine portugiesische Nacht. Der bekannte Autor Murillho erzählt einem Neuling aus seinem Leben. Am Ende wird dieser Neuling sein Ghostwriter werden.

Klaus Funke, geboren in Dresden, hat mit dem Hauptkommissar Boehlich eine Art sächsischen Maigret erfunden. Mit großer Menschenkenntnis und psychologischem Gespür geht er zu Werke. Der erste Boehlich-Krimi - Jacek Boehlich und das Gold der Toten - weckte bereits großes Interesse. Weitere Boehlich-Krinmis werden folgen.
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Du Sacre wendet jetzt dem Alten sein Gesicht direkt zu. Er lächelt ihn an, hebt ein wenig die Schultern. Ist das Hilflosigkeit, denke ich, weicht er diesem alten, verwitterten Streitkopf aus?

Der Alte im Triumph: Ja, (und er winkt geringschätzig ab) ich weiß schon, wer Sie sind! Ein berühmter Schriftsteller, der es sich leisten kann, auch einmal „revolutionär“ zu sein. Der die Mode mitmacht! Alle Welt kennt Ihren „Verdruss“, doch ich musste mich übergebe, als ich ihr Buch las. Doch jetzt, hier in einem einfachen Zugabteil, wo der Herr per Zufall mit einer Auswahl seines „verdrossenen“ Volkes zusammentrifft, wo Leute sitzen, die nicht ausgewählt oder vorsortiert sind, hier nun kapituliert der Herr Weltautor. Hier zeigt es sich, dass er einer Antwort aus dem Weg geht, weil hier nicht die Presse sitzt, vor der er sich produzieren will, auch keine seiner lausigen Anhängerschaft – außer dem einen da (und er zeigt auf den Studenten. Mich hat er noch gar nicht als solchen erkannt, bin also auch für ihn so eine Art Volksdurchschnitt). Sagen Sie doch hier in diesem Zugabteil der französischen Staatsbahn, dass Ihre Revolte vom Mai gescheitert ist, geben Sie doch zu, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass Charlie die Wahlen wieder einmal gewinnen wird, und von Ihrer „Erhebung“ keine Spuren bleiben werden. Sie sind am Ende! Am Ende! Ha, ha ...

Alle Augen im Abteil (von den Ohren nicht zu reden) sind jetzt auf den berühmten Sacre gerichtet, die geschminkten Augen der Frau neben ihm, die wässrig freundlichen Augen der Landfrau, natürlich die meinen und die hellen Aufrühreraugen des Studenten. Dieser hat wieder den Am ausgestreckt, wieder rüttelt er an der Schriftstellerschulter, wieder sagt er: Los! Gib ihm Deine Antwort! Bitte!

Der Schriftsteller lehnt sich zurück, schlägt ein Bein über das andere, und er blickt zum Fenster hinaus. Nervös trommeln seine Finger auf die Armlehne. Dann, mit einem Ruck, schießt er vor, wendet sich an uns alle, die wir mit ihm in diesem Abteil sitzen, redet und nimmt dabei eine Haltung ein, die man von ihm aus vielen Fernsehsendungen und öffentlichen Diskussionen kennt. Er benimmt sich, als befände er sich mit einem jeden von uns im persönlichen Gespräch, als säßen wir zwanglos um ihn herum, in einer Kaffeerunde, in einem Club, und der Gedanke, wir befänden uns hier in einem Zugabteil der Staatsbahn auf dem Weg nach Paris, scheint absurd und abwegig. Er holt tief Luft, hebt eine Hand graziös in die Luft, sagt: Vor kurzem saß ich mit Studenten zusammen, es waren natürlich eine Menge mehr Leute, als wir hier in dem kleinen Abteil sind, eine große Anzahl sogar. Es war in der Cité Universitaire und es ging um die Umgestaltung der Universität. Ein Student, du weißt Daniel, wer es gewesen ist (Stein-Walter nickt heftig), sein Name ist indes hier ohne Bedeutung, spricht aus, was mancher in der Runde denken mag „Genossen, wir müssen uns eingestehen, unsere Aktionen im Mai sind gescheitert ...“ Noch wenige Wochen vorher, hätte man ihn diesen Satz nicht zu Ende sprechen lassen, er wäre ausgebuht, ausgepfiffen worden, mit Tritten und Schlägen hätte man ihn davon gejagt. Diesmal war absolute Ruhe im Hörsaal 3 der philosophischen Fakultät, betretenes, beredtes Schweigen und er durfte weiter reden ...

Sehen Sie, hören Sie, meine Herrschaften, ruft der Alte dazwischen, diese Gesellen geben es selbst zu ... Er reckt sich, sein ganzer alter Körper bekommt Spannung und Kraft.

Sssht, macht die Frau im Pelz neben ihm, sie legt ihren beringten Finger vor den Mund. Seit sie weiß, wer links neben ihr sitzt, dass sie sozusagen Schulter an Schulter mit dem berühmten Schriftsteller Jean Claude Armand du Sacre durch die Nacht fährt, hat ihr Gesicht einen noch vornehmeren, einen noch interessierteren Ausdruck angenommen. Vorsichtig bewegt sie Arme und Beine, wenn sie ihre Sitzposition ändert, darauf bedacht, Ihren Nachbarn nicht zu berühren, während ihr schwarzer Seidenrock unmerklich nach oben gerutscht scheint.

Weiter spricht der Berühmte: Ja, in gewisser Weise ist unsere Bewegung tatsächlich gescheitert (der Alte verzieht sein Gesicht zu einer Fratze. Er lüftet den Hut).

Sacre lächelt den Alten verbindlich an. Aber, fährt er fort, sie ist nur in den Augen derer gescheitert, die geglaubt hatten, die Wende sei da, die Revolution habe gesiegt, die Arbeiter und die Studenten seien auf ewig vereint, und es folge nun die soziale und ökonomische Apokalypse. Die Regierung sei besiegt und der Kapitalismus läge tot am Boden. Ja, das dachte sie. Aber, es war ein Wunschtraum, und Du (er schaut den Studenten an) gehörtest zu denen, die das niemals erwartet haben ...

Ja, allerdings, ruft der Student Stein-Walter in die Runde, und er ist ganz Begeisterung, zugleich aber ernst und überzeugend, allerdings, denn die Revolution wird nicht von heute auf morgen stattfinden, und das Bündnis von Studenten und Arbeitern ist in Wahrheit noch in weiter Ferne. Wir haben nur einen ersten Schritt getan, wir werden weitere tun ... Ausatmend, beinahe erschöpft sinkt er neben mir in die Sitzpolster.

So ist es! sagt der Berühmte weiter, und viele junge Leute, wie du, Daniel, begreifen das. Viele werden es noch begreifen!

Er wendet sich wieder in seiner Art an alle und jeden einzelnen im Abteil. Wir hören: Denn diese wachsende Mehrheit begreift, und ich denke, sie hat es schon begriffen, dass man mit 100.000 unbewaffneten Studenten keine Regierung stürzen kann ...

Soll das heißen, brüllt der Alte ergrimmt dazwischen, dass ihr euch jetzt auch noch bewaffnen wollt? Unerhört, einfach unerhört. Anarchie, das ist Anarchie. Er ruft: „zu den Waffen“, dieser Mensch!

Nein, mein Herr, sagt der Schriftsteller leise und gütig lächelnd, es ist nur eine große Bewegung ins Rollen gekommen. Das muss begriffen werden, von denen, die sie ins Rollen brachten, wie von denen, die am Rande zu stehen meinen und nur zuschauen wollen. Es geht darum, den Kampf jetzt mit anderen Mitteln und Formen fortzusetzen. Und die Diskussion, von der ich eben sprach, und an der ich teilnahm, war deshalb so interessant, weil es um die Frage ging, wie man die Mai-Revolte fortsetzen könne. Es gab da zwei verschiedene Standpunkte. Die einen sagten: Man müsse für die Durchsetzung einer selbstverwalteten „kritischen Universität“ kämpfen, in der das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden wie auch das Verhältnis zur Bildung überhaupt von Grunde auf verändert werde. Bei den Medizinern zum Beispiel, und es wurden schon erste konkrete Projekte vorgestellt, bei den Medizinern müsse es nicht allein um medizinisches Faktenwissen gehen, sondern beispielsweise um das entscheidende Verhältnis Arzt – Patient, um die Beziehungen der Ärzte untereinander und schließlich um die Rolle der Medizin in der Gesellschaft ...

Der Student neben mir hängt an den Lippen des Berühmten. Bei jedem Satz, den der Schriftsteller sagt, nickt er und blickt sich, Zustimmung erheischend, im Abteil um. Seine hellen Augen sprühen und sie scheinen aus den Höhlen zu treten, so sehr sind sie hervorgequollen.

Natürlich, natürlich, ereifert sich indes der Alte wieder und unterbricht die Rede des Dichters, jetzt stecken die ihre dreckigen Nasen schon in unsere Krankengeschichten, alles wird umgekrempelt, keinen Respekt mehr, vielleicht soll die Vielweiberei der Studenten wissenschaftlich erklärt werden, der ganze Zweck dieser Reformen ist nur die Legalisierung ihrer Amoralität, Vielweiberei ja, hi, hi ... und er stiert herausfordernd zu der Frau vom Lande, die ihm gegenüber, große Augen gemacht hat, und aufgeregt mit ihren Fingern spielt. Doch, obwohl ihre Gesichtsfarbne sich merklich gerötet hat, schweigt sie.

Das Sie sich nicht schämen! Die Dame mit dem Pelz wendet sich empört dem jetzt albern kichernden Alten zu, lassen Sie doch Herrn du Sacre endlich einmal ausreden. Es klingt doch ganz interessant, was er sagt. An allem finden Sie irgendetwas verabscheuungswürdig oder böse! Dem Unreinen ist alles schmutzig, sagten schon die alten Chinesen! Der Alte verzieht sein Kinn, als hätte er einen Schlag bekommen, dann nimmt er die Hände vors Gesicht: Die Weiber, jammert er, die Weiber sind immer die ersten Opfer!

Die Dame wendet sich von ihm ab und nickt dem Berühmten neben ihr zu, in seiner Rede fortzufahren. Sie tut das mit einer langsamen Drehung ihres markanten Kopfes. Ich sehe ihre glatt nach hinten gekämmten dunkel glänzenden Haare mit dem Knoten im Nacken, die wohlgeformten Ohren mit dem kleinen silbernen Ohrring, die graugrün schimmernden Augen von der Seite, wieder denke ich an Romy Schneider, sehe sie in einem ihrer letzten Filme. Diese Ähnlichkeit, einfach atemberaubend. Und die Gier des Mannestieres erwacht in mir. Ich starre die Frau ungeniert an, ich fühle wie sich meine Nasenflügel blähen, der Mund halboffen bleibt. Die Dame würdigt den Alten keines Blickes mehr, zieht auch ein wenig die Schulter zu seiner Seite hoch, so als wolle sie jeden Kontakt mit ihm unbedingt vermeiden, während sie mit der einen Hand eine Bewegung macht, eine beredte Geste, die etwas undamenhaft wirkt, die aber sagt, dieser Punkt ginge nun an sie und man...



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