E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Funke Ein einsames Haus
2. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7528-7433-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-7528-7433-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klaus Funke, geboren in Dresden, ist ein bekannter Autor erfolgreicher Romane wie Zeit für Unsterblichkeit, Der Teufel in Dresden, Die Geistesbrüder, Heimgang u.v.a. Neuerdings hat er auch Kriminalromane veröffentlicht: Franzi, Ein einsames Haus, Jacek Boehlich und die blonde Tote u.a.m. Mit - Die Betrogenen - hat Funke ein äußerst authentisches Buch geschrieben, welches zahlreiche Eigenerfahrungen und Selbsterlebtes enthält. Es ist darum ein Zeitzeugnis in der literarischen Form des Romans.
Autoren/Hrsg.
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Eine Busverbindung nach Mielschdorf bestand schon seit Jahren nur eingeschränkt.
Vom Stadtrand fuhr jeden Tag, außer sonntags, ein Bus zweimal. Um zehn Uhr zehn und um fünfzehn Uhr zwanzig kam der Bus bei der früheren Schule in Mielschdorf an. Er fuhr dann noch eine Runde durch die umliegenden Dörfer des sogenannten Friedberger Hochlandes, sechs oder acht Dörfer, je nachdem, ob man die in den letzten Jahren zusammengelegten Ortschaften mitzählte oder nicht, und kehrte dann zum Stadtrand zurück. Meist war es ein ausrangiertes älteres MAN-Modell. Aber noch ganz gut fahrtüchtig. Früher fuhren baufällige Klapperkästen der Marke IFA, verrostet und in hässlich hellem Gelb lackiert. Doch das war lange her. Fast fünfundzwanzig Jahre.
Die Insassen des Busses waren meistens Rentner oder solche, die kein eigenes Auto besaßen. Die meisten Bewohner des Hochlandes fuhren mit dem eigenen PKW in die Stadt zum Einkaufen oder zum Arzt oder um irgendwelche Besorgungen machen oder abends sogar mal ins Kino oder ins Theater. Früher war das anders. Da war der Bus rappelvoll gewesen, kaum ein Plätzchen konnte man bekommen.
Jetzt kannte der Fahrer seine Fahrgäste. Manche sogar mit Namen. Er half den alten Leuten beim Ein- und Aussteigen, trug ihnen die schweren oder sperrigen Gegenstände.
In Mielschdorf machte er, wenn es sein Fahrplan erlaubte, eine kleinere Pause, aß seine Brote, einen Apfel oder eine Tomate, trank Kaffee aus einer Thermoskanne, machte manchmal einen Schwatz mit den Fahrgästen.
Heute, an einem Tag im Spätsommer, hatte er diese Zeit. Er schaute auf die Uhr, brummte zufrieden, blickte in den Innenrückspiegel. Eine Handvoll Fahrgäste wartete auf die Weiterfahrt. Eine ältere Dame war, als er abbremste, aufgestanden und kam von ganz hinten nach vorn. Sie hatte in jeder Hand eine schwere Einkaufstasche und auf dem Rücken einen kleinen Lederrucksack. Er kannte die Alte. Es war die Witwe Heinz. Hildrut Heinz. Ungefähr Anfang Sechzig. Ein wenig füllig, doch nicht zu sehr. Einer im Bus hatte mal zu ihr gesagt: Hildy, du mit deiner Rubensfigur… Er hatte sich das gemerkt, weil er zuerst nicht wusste, was damit gemeint war. Rubensfigur!? Später hatte er erfahren, da waren fleischige, ein wenig füllige Frauen gemeint, noch nicht zu alt, Frauen, in deren Körper noch Saft und Kraft steckte.
Die Hildy kam also nach vorn und der Fahrer, der eben seine Brote auspacken wollte, sprang auf.
Kommen Sie, Hildy! - er lachte verschmitzt - ich helfe Ihnen.
Er nahm ihr die Taschen ab, öffnete die vordere Tür mit einem „Zisch!“ und geleitete die alte Frau ins Freie. Draußen angekommen, gab er ihr die Einkaufstaschen zurück, lachte noch einmal kurz auf und stieg wieder in seinen Bus. Rubensfigur, dachte er, als er sich hinter das Lenkrad zwängte. Warum die wohl keinen neuen Mann kriegt? Sieht doch noch ganz gut aus, die Hildy. Er wusste, vor zwei Jahren war ihr Mann, der in der Großstadt einen kleinen Verlag besessen hatte, an Prostata-Krebs gestorben. Kurz vorher waren die Beiden, die Hildy und ihr Mann, hierher nach Mielschdorf gezogen, in ein kleines unscheinbares Häuschen. Es sollte ihr Sommersitz werden. In der Stadt besaßen sie noch eine große Eigentumswohnung. Doch die Hildy hatte nach dem Tod ihres Mannes die Eigentumswohnung verkauft. Es gefiel ihr in Mielschdorf, in der dörflichen Einsamkeit, vielleicht auch der Trauer wegen. Nun wohnte sie in dem Häuschen, hatte es wie eine Puppenstube eingerichtet. Freilich mit der Zeit war es ihr zu still geworden. Doch, was sie für Pläne hatte, wusste keiner. Die Leute reden, aber wie das immer so ist: Genaues wusste keiner.
Frau Heinz lief den schmalen Wirtschaftsweg hinauf. Er stieg ein wenig an, ein paar scheinbar herrenlose Hühner gackerten und pickten am Wegesrand, eine Katze streunte kreuz und quer und sprang schließlich auf eine Mauer, unbewirtschaftete Bauerngehöfte säumten den Weg, man sah grasbewachsene Höfe, eingefallene Zäune, dann wieder drei kleine Mehrfamilienhäuser vom Anfang des alten Jahrhunderts, eines davon sogar mit einer Art Portal, die anderen mit Steintreppen. Grauer Putz. Alte Ziegeldächer. Schmutzige Gardinen an den Fenstern. Die Witwe Heinz wohnte noch nicht lange genug in Mielschdorf, um die Bewohner alle zu kennen. Ein paar Namen wusste sie. Im Grunde war es ihr auch egal, sie war noch nie sehr neugierig gewesen. Sie dachte an nichts Bestimmtes. Sie hatte ein schönes Stück Fleisch vom Einkauf mitgebracht. Da würde eine gute Suppe daraus. Flüchtig sagte sie sich, einen richtigen Esser könnte sie schon gebrauchen oder einen, der mal das Gras im Gärtchen mähte und ein paar kleine Reparaturen im Hause machte. Der Wasserhahn gleich hinterm Haus war schon lange undicht, das Schloss vom Schuppen war gar nicht mehr zu gebrauchen und die Gartenpforte, jeden Tag ärgerte sie sich darüber... und immer den Reuschkat betteln. Das passte ihr nicht. Wegen jeder Kleinigkeit zum Nachbarn gehen…
Ah, da ist das Spritzenhaus. Es stand neben einem nicht sehr großen Löschteich. Auf dem Löschteich ein paar Enten. Sie wusste, das waren die Enten vom Spahn, Willi, einem Kleinbauern, der sein Höfchen gleich daneben hatte. „Freiwillige Feuerwehr Mielschdorf“ stand auf einem rotweißen Plakat zu lesen, das, inzwischen halb zerrissen, an den grauen Holzlatten vom Spritzenhaus angebraucht war.
Von hier, vom Spritzenhaus bis zu ihrem Häuschen, das von einer großen Linde halb verdeckt, kaum zu sehen war, waren es, wenn man über die kleine platzähnliche Erweiterung, die der Weg bildete, ging, nur noch ein paar Schritte.
Als sie an der Gartenpforte anlangte, sieht sie plötzlich einen unbekannten jungen Mann neben sich auftauchen. Komisch, sie sieht ihn ohne Verwunderung an und sie ist auch kein bisschen erschrocken. Er ist dunkelhaarig und zwei Köpfe größer als sie, gut aussehend, sogar ein bisschen so, als habe er Bildung.
Sie setzt ihre Taschen ab, sucht ihren Hausschlüssel. Findet ihn. Dann überlegt sie, murmelt wie zu sich: Eigentlich wollte ich den Reukschat fragen, ob er die Gartenpforte… sehen Sie… und sie rüttelte an dem morschen Holz. Da ist nicht mehr viel los…
Haben Sie so einen kleinen Rothaarigen gesehen?
Ich weiß nicht, sagte der junge Mann, wer soll das sein?
Na, das ist der Reukschat. Seit einer Woche bettle ich ihn schon… die Gartenpforte soll er mal reparieren. Ist doch keine Heldentat, oder?
Der junge Mann sagt nichts.
Die Frau schaut sich um, ruft erst nach links, dann nach rechts: Herr Reukschat! Herr Reukschat! Sie seufzt: Er hört nicht. Ist wiedermal auf und davon, der Kerl…
Wenn ich Ihnen derweil die Einkaufstaschen…?
Reintragen, meinen Sie?
Die Witwe hat zuerst nichts gesagt, sie ist stumm geblieben, so als ob sie es erwartet habe, dann, als der junge Mann sie mit hoch gezogenen Augenbrauen anblickt und den Mund spitzt, als ob er seine Frage wiederholen will, nickt sie:
Ja, ja reintragen. Das wäre nett… vielen Dank.
Der junge Mann ergreift die Taschen, die Witwe beeilt sich ihm voraus zu gehen, sie muss die Haustür öffnen. Er folgt ihr auf dem halb zugewachsenen mit Schieferplatten belegten Weg, links säumt ihn ein nicht sehr hoher Nussbaum, rechts ein paar Koniferen. Es ist warm und es riecht nach faulem Obst. Wespen und Fliegen schwirren. Dem jungen Mann treten Schweißtropfen auf die nackte gebräunte Haut. Am Hals schimmert ein Goldkettchen.
An der Haustür angekommen, stochert die Witwe im Schlüsselloch.
Sehen Sie, auch dieses Schloss funktioniert nicht richtig. Moment, ich hab´s gleich. Ist ein Ersatzschlüssel… hat der Reukschat zurechtgefeilt. Sie seufzt.
Der Mann setzt die Taschen ab, holt ein Taschentuch hervor, wischt sich Stirn und Hals. Schließlich geht die Tür mit einem Knarren auf. Die Witwe beschaut sich den jungen Mann von der Seite, als er an ihr vorbei geht. Sie scheint nicht unzufrieden, lächelt…
Vorsicht! ruft sie, die Schwelle ist niedrig und gleich hinter der Tür hängt eine Lampe.
Der Mann zieht den Kopf ein und tritt in das Halbdunkel des Vorraumes.
Sie sind neu in Mielschdorf? Suchen Sie Arbeit? Hier gibt es keine.
Sie war schnell hinter ihm in den halbdunklen Flur getreten, fast ein wenig zu schnell, ganz so, als ob sie fürchte, er könne etwas an sich nehmen oder eine unerwünschte Entdeckung machen.
Er antwortete nicht. Sein Hemd klebte ihm am Leibe. Unschlüssig stand er, wo er die Taschen absetzen solle.
Warten Sie, ich mache die Tür auf.
Sie öffnete die grau gestrichene Holztür, auf der sich innen zwei schwarzlackierte, handgeschmiedete Beschläge zeigten. Man sah in eine geräumige, mit schwarzen und weißen Fliesen ausgelegte Küche. Durch einen halb geschlossenen Laden drang seitwärts das Tageslicht ein.
Stellen Sie das hier ab. Sie zeigte auf einen groben Bauerntisch. Ich werde…
Eine graubraun gefleckte Katze rieb sich an ihren nackten Waden. Die Witwe trat an die Taschen heran, nahm den Rucksack ab und öffnete eine zweite Tür. Die Sonne drang in den Raum. Die Frau begann ihre Taschen auszupacken, ging in der Küche hin und her....